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Andrea, meine untote Ehefrau.

(Kleine Anmerkung des Autors. Vor einigen Monaten habe ich einen kleinen Teil aus meiner Geschichte „Liebe, Tod und Neuanfang“ genommen und eine eigenständige Geschichte daraus gemacht. Ich wollte dabei mal eine Geschichte erzählen, die vollkommen ohne Erotik/Sex auskommt um zu probieren, ob ich das auch kann. Daraus ist dann ein etwas längerer Text geworden, der mir großen Spaß gemacht hat, diesen zu schreiben. Ich stelle diesen jetzt hier ein, da ich es zu schade finde, ihn in meiner Kiste der unveröffentlichten Geschichten verstauben zu lassen.

Ich habe sie gleich vollständig eingestellt, da diese wahrscheinlich nicht oft gelesen wird. Trotzdem wünsche ich viel Spaß damit. Aldebaran66)

Vorwort

Ich habe mich endlich dazu überwunden, die Geschichte meiner Frau und mir zu schreiben. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich es tun soll, und bin dann letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es zumindest für mich gut wäre, die Geschehnisse der letzten Zeit zu Papier zu bringen.

Leicht ist es nicht, denn es sind Dinge geschehen, die ich bis jetzt nicht verstanden habe und wahrscheinlich auch niemals verstehen werde. Sie wollen sich in meinem Kopf einfach nicht zu einem vollständigen Bild zusammensetzten lassen und so weist das Puzzel des Lebens einige Löcher auf, wobei es mit dem Leben so eine Sache ist. Aber dazu kommen wir später.

Ich möchte mich hier schon einmal bei den wenigen Menschen bedanken, die uns in den letzten Monaten wohlwollend begleitet haben.

Es sind jedoch wenige. Nicht aus dem Grund dass uns nicht mehr geholfen hätte, aber je kleiner die Anzahl derjenigen ist, die über uns bescheid wissen, umso besser. Hierbei muss ich darauf hinweisen, dass ich besonders Professor Dr. med. Müller (Kalle) danke, dessen Name ich aus bestimmten Gründen, wie die Namen aller anderen, geändert habe. Es dient dem Schutz aller beteiligen Personen, denn sollten die wirklichen Namen an die breite Öffentlichkeit gelangen, wäre unser Leben so nicht mehr zu führen, wie wir es inzwischen genießen.

Kapitel 1

Eigentlich bin ich ein Eigenbrötler und Einzelgänger. So zumindest habe ich es bis vor drei Jahren gehalten. Warum auch nicht? Ich kam damit sehr gut zurecht. Immerhin hatte ich alle Freiheiten, die man haben kann, besonders als vermögender Junggeselle.

Ich hatte einfach Glück, sehr viel Glück im Leben und dafür bin ich heute noch mehr als dankbar. Schon in jungen Jahren hatte ich einen mehr als lukrativen Job ergattert, der mich so sehr ausfüllte, dass mir gar nicht auffiel, dass ich im Prinzip die ganze Zeit alleine war.

Waren dann mal keine Menschen um mich herum, empfand ich es als Wohltat, alleine zu sein. Jetzt konnte ich meinen Gedanken nachhängen und mir über alles klar werden, wozu ich im normalen Arbeitsablauf nicht kam.

Gerade diese Stunden genoss ich über alles. Ich schaltete meinen Computer und sämtliche Telefone in dem Wissen ab, dass wahrer Luxus daraus besteht, nicht immer und überall erreichbar zu sein. Oder wie einer meiner Bekannten immer zu sagten pflegte: „Nicht der ist wichtig der ein Handy hat, sondern der, der einen hat, der ein Handy hat!“

In dieser viel zu seltenen Zeit, goss ich mir zu gerne einen guten Whiskey in ein schönes Glas, legte eine gute alte Platte auf und dämpfte das Licht.

Dann zündete ich mir eine geschmackvolle Zigarre an, die von einer Insel in der Südsee stammte.

Mich dann hinzusetzen, dem bernsteinfarbenen Lebenswasser zuzusehen, wie es im Glas geschwenkte seine Runden drehte und dabei eigentlich an nichts zu denken, waren die Art Dinge, die mir neue Kraft gaben.

Hierbei möchte ich betonen, dass es wirklich eine Platte war, so ein Ding aus Vinyl, schwarz und groß. Viele werden jetzt die Nase rümpfen und sich sagen, dass der Typ vorsintflutlich ist, aber ich habe festgestellt, dass es Sinn macht.

Ich habe nichts gegen CDs. Ganz im Gegenteil. Fast ein ganzes, großes Regal in dem kleinen Raum, in dem ich saß, ist mit den Dingern vollgestopft. Sie haben nur einen gewaltigen Nachteil, denn man hört sie fast nie ganz durch. Stattdessen sitzt man mit seiner Fernbedienung wie vor dem Fernseher und kann es nicht lassen, Titel zu überspringen oder in den schnellen Vorlauf zu schalten.

Bei einem Plattenspieler ist das anders.

Will man so etwas machen, muss man erst aufstehen, dort hingehen, den Deckel öffnen und verzweifelt mit der Nadel den Anfang suchen, den man haben will. Hat man ihn dann endlich gefunden, geht man zu seinem Sessel zurück, setzt sich hin, um festzustellen, dass die Platte inzwischen sowieso an der Stelle angekommen wäre. Also lässt man es und entdeckt ziemlich oft, dass einem selbst Stücke zu gefallen beginnen, die man zuvor nicht mochte. Man musste sie nur ein paar Mal gehört haben.

Bei einer CD wäre das nicht so gewesen.

Außerdem hat eine Schallplatte noch einen anderen Vorteil, zumindest behaupten das alle Menschen, die ebenfalls die Dinger lieben.

Auf Schallplatten soll der ganze Umfang der Frequenzen vorhanden sein, also auch die Töne, die man eigentlich gar nicht hören kann. Nicht so wie bei den komprimierten MP 3. Dies wiederum soll zum Wohlfühlen entscheidend sein und eine wohltat für die Ohren; soll aber nur bei hochwertigen Anlagen fühlbar sein.

Ich kann da nicht so viel zu sagen. Entweder sind meine Ohren dafür nicht gemacht, den Unterschied zu bemerkten oder meine Anlage bringt das nicht rüber. Ich persönlich kann jedenfalls keinen Unterschied von MP 3 auf analog erkennen. Dazu habe ich es mehrmals ausprobiert. Bei beiden Abspielarten schmecken mir Whiskey und Zigarre gleich gut.

So lebte ich eine ganze Zeit vor mich hin. Verdiente mehr Geld, als ich ausgeben konnte, oder besser gesagt, hätte ich schon gekonnt, wenn ich gewusst hätte, wofür.

In vielen Dingen bin ich vollkommen anspruchslos. Selbst Autos interessieren mich nicht wirklich.

Kapitel 2

Ich kann mich noch an den Tag erinnern, als einer meiner Geschäftspartner mich beiseite nahm und auf mein Transportmittel hinwies. Er war der Meinung, dass es für mein Ansehen nicht gerade förderlich wäre. Sicher, es sah schon komisch aus, wenn zwischen den neusten Nobelkarossen der anderen ein gelinde gesagt Altes, Verrostetes und von TÜV nicht mehr gerne Gesehenes etwas stand, was den Ausdruck Auto eigentlich nicht mehr verdiente.

Oder anders gesagt, der Lack war ab und das nicht nur im übertragenen Sinn.

Auch wenn mich solche Äußerlichkeiten nicht sonderlich interessieren, musste ich mich wohl ein wenig an die anderen anpassen. Ich mochte es nicht in irgendeiner Weise aufzufallen. Ergo stand schon eine Woche später ein neuer Wagen vor meiner Tür. Es ging allerdings auch nur so schnell, weil ich keine Ansprüche stellte und den Wagen einer namenhaften Firma sozusagen aus dem Schaufenster erstand.

Wenn er mehr oder weniger Extras gehabt hätte, wäre es mir nicht aufgefallen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bis heute alle Funktionen des Autos kenne.

Wozu auch? Was sollte ich mit Navi? Weite Strecken legte ich immer mit dem Zug zurück, damit ich während der Fahrt arbeiten kann. Ich lehne Technik nicht ab, ganz im Gegenteil. Ohne meine Rechner wäre ich arbeitstechnisch ein halber Mensch. Es geht einfach nicht ohne WWW und Co.

Ich bin nicht sportlich, ganz und gar nicht, aber zum Glück hat die Natur mir die richtigen Gene gegeben. Zusätzlich muss ich allerdings auch sagen, dass ich mich sehr kontrolliert ernähre. Sozusagen als Gegenpol meiner Bewegungsfaulheit. Eine meiner Lieblingsbeschäftigung ist es, neben dem Arbeiten, andere Menschen dabei zu beobachten, wenn sie schwitzen. Es kling seltsam, ist es auch, aber es macht mir unheimlich Spaß.

Schon als Kind konnte ich lange und ausdauernd anderen dabei zusehen, wenn sie arbeiteten.

Wenn bei uns Straßenarbeiten waren, oder irgendwo ein Haus gebaut wurde, war ich nicht weit. Ich konnte mir stundenlang ansehen, wie andere etwas mit ihrer Hände Arbeit erschufen. Stein auf Stein, Pflasterstein an Pflasterstein.

Heute beneide ich diese Menschen ein wenig. Nicht deswegen, weil sie sich ihre Knochen bei ihrem Job kaputtmachen, sondern weil sie sehen, was sie geschaffen haben. Sie können durch eine Gegend fahren und immer wieder zu sich sagen: „Da habe ich mit dran gebaut, die Mauer ist meine, bei dem Straßenabschnitt habe ich mitgeholfen und so weiter.

Das kann ich nicht. Wenn überhaupt geschränkt sich meine Arbeit darauf, dass sie einen kleinen Platz auf irgendeinem Speicher belegt der jederzeit löschbar ist. Eben eine Information aus zwei Zuständen, nichts anderes.

Ach ja, ich liebe den Geruch von geschmolzenem Teer. Wenn ich also irgendwo zu finden war, dann bei den Kesselwagen, in denen die zähflüssige, schwarze Masse heiß gehalten wurde. Warum das so ist, kann ich nicht sagen.

Kapitel 3

Aber komme ich einmal zurück zu den schwitzenden Menschen.

Wie schon gesagt, Sport ist nichts für mich. Also schaue ich, wenn ich Zeit habe, einmal aus dem Fenster und sehe nach, wie das Wetter ist. Ist es für meine Zwecke gut genug, dann packe ich mir ein wenig was zu essen ein, was meistens aus Käse und Brot besteht. Dann kommt noch eine gute Flasche Rotwein dazu.

Ist das Päckchen geschnürt, schwinge ich mich auf mein Fahrrad und sause in den Stadtpark, der nur zehn Minuten von meinem Heim entfernt ist.

Jetzt werden sie sich Fragen, wieso mit einem Fahrrad? Das ist doch auch Sport.

Nein, ist es nicht. Das einzig Sportliche daran ist, den gut gefüllten Akku in die dafür vorgesehene Vorrichtung zu stecken. Ich muss dazu nicht einmal mittreten, denn ein Bekannter von mir, seines Zeichens Bastler, hat das Fahrrad umgebaut.

Es fährt vollkommen von alleine und hält sich in seinem Fall auch nicht an die Höchstgeschwindigkeit. Trotzdem fahre ich selten über zwanzig Stundenkilometer. Es sei denn, es muss einmal sehr schnell gehen. Das ist aber bis jetzt nur einmal vorgekommen.

Es war ein wunderschöner Sommertag, der aber ein Ende damit ankündigte, dass sich hohe, fast schwarze Wolkenberge am Horizont auftürmten und es zu grummeln begann. Da ich aber in meinem Innersten ein sehr gemütlicher Mensch bin, habe ich mich nicht wirklich beeilt, um nach Hause zu kommen.

Diese Trödelei musste mein Fahrrad dann wieder aufholen.

Und was muss ich sagen? Ich habe Autos überholt. Wenn ich davon ausgehe, dass sie sich an der geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung von fünfzig Stundenkilometer hielten, dann kann ich mir in etwa ausrechnen, was mein Drahtesel schafft. Jetzt wusste ich auch, warum mein Kumpel der Bastler so überdimensionale Scheibenbremsen eingebaut hatte. Sicherheit ging ihm anscheinend über alles oder er wollte sich nicht nachsagen lassen, dass er Mist macht.

Wie ich die Bremsen das erste Mal gesehen hatte, hatte ich gelächelt und ihn gefragt, ob er damit einen LKW zum stehen bleiben bringen wollte. Er hat nur gelächelt und gemeint, dass man auch ab und zu mal auf dicke Tasche machen muss. Wenn mein Auto schon von der Stange ist, dann doch wenigstens mein Fahrrad nicht.

Er hat mich mit der Äußerung über mein Auto nicht getroffen, denn zu der Zeit fuhr ich noch das alte Ding, auf dessen Blechkleid ich jede Rostbeule mir Vornamen kannte.

Um es kurz zu machen, es war wieder einer der Tage, an dem das Wetter dazu einlud Arbeit, Arbeit sein zu lassen. Eben einer der Tage, wo es sich lohnte, selbstständig zu sein.

Ein kurzer Anruf bei meinem Prokuristen, eine kleine Umleitung meiner Geschäftsnummern und schon hatte ich sozusagen frei.

Nur wenige Minuten später saß ich mit beschriebenem Proviant auf dem Fahrrad und genoss es, dass mir der warme Wind um die Nase strich.

Dazu nahm ich nicht den direkten Weg, sondern fuhr einen Umweg durch die wenig befahrenen Nebenstraßen. So war das leise Summen des Elektromotors eines der wenigen Geräusche, die mich den Weg lang begleiteten. Natürlich nur neben den Geräuschen der Natur, die ebenfalls gedämpft an meine Ohren drangen.

Wenige Tage zuvor war ich noch bei meiner Friseurin gewesen. Ich kannte sie seit Jahren und ließ auch niemanden anderes an meinen Kopf.

Ich ließ zu diesem Zweck jedes Mal über meine Sekretärin einen Termin machen.

Ich will nicht sexistisch wirken, aber ein Anruf bei einem Friseur ist für eine Frau doch das Höchste. Erinnert es sie doch an ihren letzten Besuch. Entweder war es eine freudige Überraschung und sie bekam ein Lächeln auf den Lippen oder es war das Gegenteil. Dann verzog sich ihr Gesicht zu einer Fratze und sie erneuerte ihren Schwur der Urfehde mit derjenigen oder demjenigen, der ihr Leben zerstört hat.

Zwischen Freude und Hass lagen hier oft nur wenige Millimeter.

Ich hätte zu gerne das Gesicht meiner Sekretärin gesehen, aber eigentlich kannte ich sie nur von Telefon her. Zu selten war ich wirklich im Betrieb. Wozu hatte man einen Prokuristen und die anderen hoch bezahlten Menschen, die sich um mein Wohl sorgten. Wer´s glaubt, wird selig. Auch hier geht es immer nur um das eine, Geld. Aber egal, solange alles läuft, kann ich darauf verzichten, mein Haus in Richtung Betrieb zu verlassen.

Wieder eine der guten Seiten der modernen Telekommunikation. Alles im Griff zu haben und das über eine gedachte Entfernung. Nicht umsonst werden Bestellungen für Pizza in New York nach Indien umgeleitet und von dort aus gemanagt. Wirklich erstaunlich.

Zurück zum Fahren mit dem Fahrrad. Meine Haare waren wie immer auf die Grundmauern herunter geschnitten worden. Ich fand immer, dass vier Millimeter vollkommen ausreichten und so konnte die Luft ungehindert an meine Kopfhaut gelangen, denn Fahrradhelme sind was für Weicheier und Leisetreter.

Entschuldigung das Ich das so sage, aber es gibt kaum etwas, was so lächerlich aussieht wie diese kleinen Türme, die wie angeklebt auf den Schädeln von Menschen angebracht werden können. Zweifellos sind sie bei Stürzen von Vorteil, dagegen will ich ja nichts sagen, aber das soll jeder für sich entscheiden. Für mich kommen die Dinger jedenfalls nicht auf meinen Kopf.

Jedenfalls radelte ich so meines Weges oder besser gesagt, wurde gefahren.

Fuhr mal hier, mal dort durch eine Straße, durch die ich nur selten kam. Hier und da war ein altes Haus abgerissen und dafür ein neues errichtet worden und so hielt ich ab und zu an, um mir die neusten architektonischen Finessen anzusehen. Immerhin wollte ich in nächster Zeit selber neu bauen. Ich empfand mein altes Haus als zu klein, geradezu bedrückend. Es musste etwas Größeres, Komfortableres her.

Leider waren die Häuser zumeist im Einheitsschnitt gebaut worden.

Nichts besonders, eben ein Schuhkarton mit Dach drauf. Nur selten entdeckte ich so etwas von Innovation. Vielleicht lag es auch daran, dass ich in anderen Dimensionen dachte. Nicht jeder konnte so bauen, wie ich es vorhatte. Es war eben von Vorteil, wenn es nicht aufs Geld ankam und das hatte nicht jeder so zur Verfügung wie ich.

Kapitel 4

Aber egal, ich schweife wieder ab von dem, was ich eigentlich erzählen wollte.

Nach einer längeren Zeit als sonst, kam ich im Stadtpark an. Hier orientiere ich mich in die Richtung eines ansässigen Sportvereins, der mehr oder weniger im Park selber eine Sportanlage betrieb. Eine Anlage mit Schotter- als auch Tartanbahn, Sprunggrube und alles, was man sonst noch für die Leichtathletik brauchte. Also genau das Biotop, in dem sich die Spezies Sportler gerne aufhält.

Sicher, es gab auch einen Trimmpfad um den Park herum.

Einen fast kreisrunden Weg mit einer Bahn zum Laufen oder gehen, aber die interessiert mich nicht wirklich. Hier konnte ich die Menschen nur vorbeilaufen sehen und das war mir zu wenig.

Früher hieß es einmal Dauerlauf und Wandern hatte noch keine Bezeichnung. Heute Joggen und Nordic Walking. Als wenn die Nordländer das Gehen neu erfunden hätte.

Meuten von bestockten Rentnern gingen wie Hölle geradeaus und versuchten dabei konzentriert auszusehen.

Kein Lachen, keine Unterhaltung. Hier wurde Hochleistungssport betrieben, zumindest sah es so aus. Das Einzige was man zu hören bekam, war das leise knacken und schaben diverser künstlicher Gelenkte und Knochen.

Wenn man auf einer Parkbank saß und die Augen schloss, konnte man an diesem ganz speziellen Geräusch schon vorher hören, was da auf einen zukam.

Dabei kamen mir dann so unsäglich schlimme Gedanken in den Kopf.

Ich konstruierte in meinem Kopf eine Mine, die bei diesem Geräusch detonierte. Die Rentenkassen wären jedenfalls über meine Erfindung hoch erfreut gewesen.

Das war jetzt nicht nett, da haben sie vollkommen recht, aber schauen sie einmal in sich selbst. Ich glaube, sie haben auch in ihrem Gehirn Pläne liegen, die sich auf irgendetwas, vielleicht auf ihren Nachbarn beziehen. Es könnte auch eine Bärenfalle für den bepelzten Tretminenleger sein, der seine Hinterlassenschaft immer vor ihrem Eingang parkt.

Ganz egal, jeder hat einmal solche oder ähnliche Gedanken und man muss dann über seine eigene Kreativität lächeln, auch wenn man sie zum Glück nie umsetzt, denn dann würde keiner mehr die Straße betreten. Egal wo, egal wann, irgendwo würde etwas sei, was einem anderen an einem nicht passt.

Irgendwann, mit diesen Gedanken im Hinterkopf und einem Schmunzeln auf den Lippen, kam ich dann doch am Sportplatz an. Hier war dann eine andere Spezies Sportler anzutreffen, als im Park selber.

Klar, sie waren auch am Schwitzen, aber sie wie waren dabei wenigstens in einem Alter, in dem die gestählten Körper für mich attraktiver waren. Ob Frauen oder Männer spielte keine Rolle.

Straffe Haut spannte sich über festes Fleisch und ließ es zu, dass sich die Muskeln darunter hervorhoben. Ein Anblick, der mir mehr als gefiel, besonders als ich dann mein Fahrrad anschloss und den Korb mit mir nahm.

Daraufhin schlenderte ich zu einer kleinen Tribüne, die ihren Namen eigentlich nicht verdient hatte. Es waren einfach nur drei sehr breite und vor allem tiefe Steinstufen, die aber nur durch Stein begrenzt wurden. Dazwischen war ein Gemisch aus Schotter, Sand und Unkraut, welches sich spärlich durch den wenig einladenden Boden drängte.

Dort angekommen nahm ich eine rote Decke aus dem Korb und breitete sie neben mir aus.

Sie war nicht groß, nur einen Meter im Quadrat, aber da ich nicht darauf sitzen wollte, reichte es vollkommen aus.

Hierauf stellte ich einen Teller, welcher dick eingepackte gewesen war, denn er bestand aus Meissner Porzellan. Nicht, dass ich mir keinen Neuen hätte kaufen können, wenn er kaputt gegangen wäre, aber es musste ja nicht sein. Dann holte ich eine Plastikschachtel heraus die wahrscheinlich niemals kaputt gehen würde. Zumindest versprach es der Hersteller und bis jetzt hatte er seine Form auch nicht verloren.

Hierin befanden sich verschiedene Käsestückchen, die ich auf dem letzten Wochenmarkt an meinem Käsestand erworben hatte.

Besser sagen wir mal so, ich habe sie abgeholt. Die Bestellung war über meine Sekretärin gelaufen. Wie immer. Woher sie die Rufnummer hatte, wusste ich nicht, aber ich habe einmal gehört, dass gute Sekretärinnen alle Rufnummern der Welt im Kopf haben. Bei meiner war es wohl so.

Jedenfalls war ich wieder überrascht, welch leckere Sachen es alles gab.

Ich kannte die Sorten nicht, aber der Käsestand meine Vorlieben. Mal cremig sanft zum Gaumen, mal hart und geradezu eine Geschmacksexplosion im ganzen Mundraum. Dazu kam jetzt noch eine Flasche bestem Rotwein aus einer besonders leckeren Lage in Frankreich. Blutrot mit einer fast öligen Konsistenz. Kräftig und genau mit der richtigen Temperatur, wofür eine Kühlummantelung sorge, die ich jetzt abzog.

Noch einen Griff in den Korb und das etwas größere, schwere Rotweinglas kam zum Vorscheinen, welches eher an einen Pokal erinnerte.

Murano lässt grüßen.

So gewappnet war der Korken schnell aus dem Flaschenhals und ich genoss den ersten Käsehappen, der nach dem Genuss der Aromen und Geschmacksstoffe von einem kleinen Schluck Wein unterstützt wurde.

Erst dann widmete ich mich dem Geschehen auf dem Sportplatz.

Ich hatte Glück gehabt. An diesem schönen Tag hatten sich relativ viele dazu entschlossen, ihre Körper in Wallung zu bringen.

Es wurde gerannt und gesprungen wie nur selten, wobei mir die schlanken Körper der Hochspringerinnen gefielen. Geschmeidig wie Gazellen versuchten sie Stangen zu überqueren, die so hoch waren, dass ich glaubte, dass sie niemals darüber hinwegkamen. Aber da hatte ich mich getäuscht. So mancher Versuch wurde mit einem Erfolg gekrönt und man konnte an ihren Gesichtern ablesen, wie es sie freute.

Der Tag hätte nicht schöner sein können. Sonne, warme Luft, Käsehäppchen und Rotwein.

Dazu wurde mir ein Programm geboten, welches nie eine Wiederholung war. Das hatte dieses Geschehen dem Fernsehen voraus. Vielleicht einer der Gründe, warum ich fast kein Fernsehen mehr sah.

Früher habe ich mir noch die Börsennachrichten angeschaut, bin dann aber zu dem Schluss gekommen, dass es vollkommener Unsinn ist. Die Leute die versuchen einem ihre Weisheiten zu verkaufen wissen gar nichts, überhaupt nichts. Solche Menschen nennen sich Analysten und was analysieren sie? Alles, was gewesen ist.

Auf den Finanzmärkten kann man davon aber nichts ableiten, denn es ist vorbei und ist kein Abbild für die Zukunft.

Die ganze Sache erinnert mich an einen Herrn Nostradamus, der vor vielen Generationen ein paar Knittelferse aufgeschrieben hat, anhand derer man die Zukunft herausfinden können soll. Es ist nur seltsam das man die dementsprechenden Stellen erst dann findet, wenn schon alles vorbei ist.

So ist es eben auch auf dem Parkett der Börsen und allem, was damit zu tun hat.

Wenn es nur einen Menschen auf dieser Welt geben würde, der die Ergebnisse wirklich voraussehen könnte, dann hätte alles keinen Sinn mehr. Aktien und andere Anlagen sind so etwas wie Poker spielen, nichts anders. Glück eben. Man kann auch mit verbundenen Augen auf Dartscheiben werfen, auf die man zuvor diverse Aktien geklebt hat. Die drei die man getroffen hat, werden gekauft. Der Erfolg oder Misserfolg dieser Anlage, kann auch keiner voraussagen.

Jetzt fragen sie sicher, was damit der ganzen Sache zu tun hat.

Ich kann es Ihnen sagen. Nichts. Aber wie sie sicher schon festgestellt haben, unternehme ich gerne solche Ausflüge in meine Gedankenwelt. Zumindest bekommen sie dadurch einen Eindruck von mir und das ist auch gut so. Vielleicht werde ich ihnen damit sympathisch. Wenn nicht, dann eben nicht. Ist mir ehrlich gesagt auch egal. Nur wenn sie jetzt aufhören zu lesen, dann entgeht ihnen vielleicht etwas.

So, jetzt würden viele erwarten, dass etwas passiert.

Sozusagen der große Paukenschlag, aber dem ist nicht so. Ich saß noch eine Stunde dort, genoss die Käsehäppchen und den leckeren Tropfen, wobei ich gut daran getan hatte, nur eine halbe Flasche mitzunehmen. Wenn nicht, wäre die Flasche leer geworden. Immerhin hatte ich in den letzten Tagen sehr gute Geschäfte gemacht und feierte dies auf meine Art. Hier sitzen zu können, in der frischen Luft, in der Umgebung, mit den Genüssen, die durch meine Kehle rutschten, war wirklicher Luxus.

Irgendwann packte ich wieder ein, ging zu meinem Fahrrad und fuhr diesmal allerdings direkt zu mir nach Hause. Es wartete noch genug Arbeit auf mich und ich machte mich sofort mit neuer Energie daran. Doch die halbe Flasche tat ihre Wirkung und schon zehn Minuten später fielen mir die Augen zu. Da kein Streichholz dieser Welt es geschafft hätte meine Augenlieder offen zu halten, verschob ich die langweiligen Statistiken, die ich noch aufarbeiten musste auf morgen.

So etwas hatte Zeit. Außer mir interessierte sich anscheinend sowieso keiner dafür, zumindest hatte ich immer den Eindruck, wenn ich die obersten Mitarbeiter zu mir nach Hause zur Präsentation lud. Zu diesem Zweck hatte ich mir extra einen kleinen Konferenzraum einrichten lassen, der mit diversem elektronischen Schickschnack versehen war.

Beamer und große Soundanlage waren selbstverständlich und so missbrauchte ich den Raum oft dazu, einen Sessel hinein zu schiebe und einen neuen Kinofilm darin zu schauen.

Irgendwo zu musste der eigentlich größte Raum in meinem Haus schließlich gut sein. Ein großes Wohnzimmer brauchte ich nicht, dort hielt ich mich nicht auf. Nur der Nebenraum, in dem ich meine Drinks und Zigarren zu mir zu nehmen pflegte, war wichtig. Alles andere war eher funktionell eingerichtet. Andere würden auch sagen, dass es kalt aussah, aber das störte mich nicht. Bei der Arbeit brauchte ich keine Wärme. Wenn ich dann schlafen ging, war es normalerweise schon dunkel und dann sah ich sowieso nichts mehr.

Ergo war mir die Ausstattung meines Schlafzimmers ebenfalls recht unwichtig.

In meinem Kopf existierte schon lange Pläne, diese zu ändern. Es gab schließlich viele gute Innenarchitekten mit dem Wunsch nach guter Bezahlung, aber damit wollte ich warten, bis ich in ein neues Haus ziehen würde.

So verschob sich die Sache von Monat zu Monat und Jahr zu Jahr. Was man halt nicht gleich macht, wird auch nicht gemacht und so blieb es die ganze Zeit, so wie es war.

Aber wie schon gesagt, es machte mir auch nichts aus.

Die Tage vergingen und es war eine mehr als schöne Zeit, denn der Sommer hielt dieses Mal, was er sonst nur versprach. Zumindest war kein nahtloser Übergang vom Frühling zum Herbst. Die Sonne schien überdurchschnittlich oft aus einem azurblauen Himmel und so bekam ich langsam Sorge, dass mich der Käse und Wein langsam aber sicher doch fülliger machte. Immerhin waren die Kalorien in dem Essen nicht wenig gesät.

Dazu die eher dürftige Bewegung und die Wärme. Der Körper brauchte kaum noch Energie dafür, sich selber auf Temperatur zu halten. Von daher gingen die Leckereien auch an mir nicht spurlos vorbei. Aber das störte mich nicht sonderlich. Es würde im Winter schon kalt genug werden. Zwei Grad weniger Raumtemperatur und schon hatte man einen höheren Grundumsatz oder anders gesagt, die Kalorien schmolzen von alleine dahin.

Schon saß ich wieder auf meinem Fahrrad in der Gewissheit, dass meine Vertretung in der Firma diesen Sommer endlich einmal sein Geld wert war.

Sie sollten auch einmal arbeiten und zu diesem Zweck hatte ich ihnen mehr und mehr Verantwortung überlassen. Menschen arbeiten besser, wenn sie gewisse Entscheidungsfreiheiten haben. Also lief der Laden fast von alleine. Nur ab und zu musste ich etwas unterschreiben, bei wichtigen Veranstaltungen teilnehmen und ab und zu einmal auf den Tisch hauen. Meine Angestellten sollten nicht zusammenzucken, wenn ich vorbei kam, aber ein gewisses Maß an Respekt sollte vorhanden sein und so gesehen hatte ich sie sehr gut erzogen.

Dieser Erfolg kam aber auch nicht über Nacht, sondern war Ergebnis jahrelanger harter Arbeit, in der ein Achtstundentag ein schlechter Witz war.

Kapitel 5

Nur wenige Minuten später war ich wieder auf dem Sportplatz, denn die Sonne schien erbarmungslos vom Himmel und es war mehr als heiß. Sicher fünfundzwanzig Grad im Schatten, was für einem Menschen, der die Kälte liebt, schon über dem Siedepunkt ist. Zusätzlich zu meinem Fresskorb hatte ich mir noch einen kleinen zusammenklappbaren Schirm eingepackt, denn auf der Tribüne war weit und breit kein Schatten.

Am Sportplatz angekommen wurde mir schon auf dem Weg zur Tribüne klar, dass daraus heute nichts werden würde. Es war irgendeine Veranstaltung am Laufen und somit die Sitzplätze fast alle belegt. Dazu wehte kein Lüftchen und ich konnte mir ausmalen, wie es sein würde zwischen den Menschen zu sitzen und meine Köstlichkeiten zu verdrücken.

Weder für mich noch für sie angenehm. Wenn ich mir dann noch vorstellte, dass dort jemand sein könnte, der Wasser und Seife nicht kannte, dann wurde mir ganz anders.

Auch wenn mein Käse oft nicht viel anders roch, war dass was anderes.

Also sah ich mich um und entdeckte am Rand der Laufbahn einen nahestehenden Baum, dessen Äste so weit herüber ragten, dass sie etwas Schatten spendeten.

Ich richtete meine Schritte auf den Schatten aus, breitete wie gewohnt meine Decke aus und setzte mich ins trockene, fast strohige Gras. Es hatte schon lange nicht mehr geregnet und die Natur lechzt nach ein wenig Feuchtigkeit, die in nächster Zeit nicht zu erwarten war.

Von hier aus hatte man nur einen eingeschränkten Blickwinkel, aber es reichte vollkommen, um dem Geschehen auf der Laufbahn zu folgen. So wie es aussah, fand eine Veranstaltung in mehreren Laufdisziplinen statt, wobei es sich um mehrere Vereine zu handeln schien die jene Veranstaltung ausrichteten oder daran teilnahmen. Man konnte sie relativ gut voneinander unterscheiden, auch wenn die Schriftzüge auf den Rücken von meiner Position aus kaum zu lesen waren.

Außerdem hatte ich meine Brille nicht mit. Nur mal so am Rande.

Aber die verschiedenen Farben der Trikots verrieten mir, wer zusammengehörte. Der ansässige Verein, soweit hatte ich das über die vielen Tage herausbekommen, trug immer ein etwas helleres Rot, was noch nicht orange war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die Oberteile zu oft gewaschen worden waren und somit langsam einem Farbverlust unterlagen.

Dazu kamen diesmal diverse andere Farben.

Von Blau bis Grün. Eigentlich war alles vertreten, sogar schwarz und ich hatte mit den Trägern dieser Farbe ein wenig Mitleid. Immerhin würde es nicht dazu dienen, gekühlt zu werden.

Die Veranstaltung nahm ihren Lauf. Bei den Menschen die Kurzstrecke liefen hatte ich keine Sorgen, bei den Langstrecklern schon. Eigentlich war es dafür viel zu heiß. Den Einzigen, denen es etwas besser ging, waren die Läufer des Hindernislaufs. Diejenigen die sowieso nicht gewinnen konnten sprangen von dem Balken, der genau in der Kurve lag, die ich am besten einsehen konnte, direkt in den Wassergraben.

Einige wenige stürzten geradezu hinein, wobei es nicht aus Kräftemangel geschah, sondern sie machten geradezu einen Hechtsprung ins kühle Nass. Diese Darbietungen erfreuten sich sehr großer Beliebtheit, denn je eleganter oder waghalsiger ins Wasser gesprungen wurde, umso mehr wurde es bejubelt. Eigentlich hätte es dafür eine Extraauszeichnung oder einen Pokal geben sollen.

Einer gefiel mir besonders. Dieser versuchte erst gar nicht so hoch zu springen um mit dem Fuß auf den Balken zu kommen sondern machte einen eleganten Hechtsprung darüber, flog nur wenige Zentimeter über das Hindernis und landete mit einem Bauchklatscher im Wasser.

Dieses schoss wie eine Fontäne aus dem Becken und die nachfolgenden Läufer beschwerten sich fast darüber, dass die Wassermenge so gelitten hatte. Im Wasser angekommen blieb er sicher eine Minute liegen, bis der hoch aufgebrandete Applaus verebbte. Erst dann rappelte er sich wieder auf und setzte seinen Weg fort. Gewonnen hatte er sicher nicht.

So verging die Zeit und es gab eigentlich nicht viel mehr zu sehen als keuchende, verschwitzte Körper, auf deren Köpfen die Haare schweißgetränkt an der Kopfhaut klebten.

Da lobte ich es mir sehr, dort zu sitzen und zusehen zu können, wie mein Proviant langsam aber sicher abnahm. Ich hatte mir eine extragroße Portion mitgenommen. Vielleicht hatte ich schon geahnt, dass es heute länger etwas zu sehen gab.

Nach einiger Zeit wurde ich müde. Hatte ich zuerst im Schneidersitz gesessen, legte ich mich jetzt zurück, schloss die Augen und dachte an nichts mehr. Wenige Minuten später verfiel ich in eine Art Halbschlaf.

Nicht ganz mehr in der realen Welt, aber auch noch nicht zu weit um nichts mehr mit zubekommen. Es war wirklich so, dass ich die Stimmen der Menschen von der Veranstaltung noch hören konnte, aber nicht mehr aktiv hörte, was sie sagten. Von daher reagierte ich erst relativ spät, als eine etwas lautere Stimme etwas zu mir sagte.

Kapitel 6

„Guten Tag“, hörte ich eine weibliche Stimme durch meine Gedanken hindurch, wobei ich zuerst dachte, dass sie aus der Traumwelt kamen.

Doch sie wurden noch einmal lauter.

„Hallo Sie“, kam es. „Sind sie wach?“

Um ehrlich zu sein, eine der dümmsten Fragen, die ich kenne. Was erwarten die Menschen denn, was es für eine Antwort geben könnte.

Hatte ich bis jetzt geglaubt, dass ich nur Minuten eingenickt wäre, wurde mir auf einmal klar, dass dem nicht so gewesen war. Die Sonne war um den Baum und meinen Schirm herum gewandert und knallte mir jetzt mehr oder weniger ins Gesicht.

„Sie werden sich mehr als verbrennen, wenn sie nicht aus der Sonne gehen“, kam jetzt schon etwas deutlicher durch meine Ohren an meinem Gehirn an.

Ich öffnete die Augen und muste blinzeln. Vor mir stand eine Frau, die ich aufgrund der Sonne von vorne nicht wirklich erkennen konnte. Die Sonne stand so direkt hinter ihrem Kopf, dass die Strahlen wie bei der Korona einer Sonnenfinsternis, um sie herum strahlten.

Dadurch war ihr Gesicht in einen Schatten getaucht und ich konnte es nicht erkennen.

Dann erhob ich meinen Oberkörper vom Boden und stützte mich auf meine Ellenbogen auf. Zweimal schüttelte ich meinen Kopf, um wieder klar zu werden.

„Sie sollten nicht so viel Wein trinken, besonders wenn es so heiß ist. Steigt einem zu schnell in den Kopf und macht müde! Ich hoffe sie haben sich noch nicht zu sehr verbrannt.

Ihre Nase sieht jedenfalls nicht mehr so gut aus. Ich habe etwas Sonnenbrandcreme hier, wenn sie möchten …!“

Daraufhin wühlte sie in ihrer Sportumhängetasche, zog eine Tube heraus und reichte sie mir entgegen.

Ohne etwas zu sagen, nahm ich sie, schraubte den Deckel ab und verteilte eine kleine Wurst davon auf meiner Nase, die wirklich schon zu spannen angefangen hatte. Das würde die nächsten Tage leichte Schmerzen bedeuten.

Aber selber schuld. Da musste man einfach durch.

Die Frau fragte nicht, sie setzte sich einfach neben mich und nahm die Tube wieder entgegen, als ich sie ihr zurückgab.

„Wie unhöflich von mir. Ich heiße übrigens Andrea und du?“

Mit Förmlichkeiten hielt sie sich nicht lange auf, das war jetzt schon klar. Vielleicht waren ihre Umgangsformen aber auch einfach so persönlich gestrickt. Auf der anderen Seite war ich nicht ihr Vorgesetzter und schon lange hatte ich mich nicht mehr mit anderen Menschen unterhalten.

Mit anderen Menschen meine ich welche, die in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zu mir stehen.

„Fabian“, kam es mit einem krächzenden Laut aus meiner Kehle, die vollkommen ausgedörrt zu sein schien.

„Viel trinken. Hat man ihnen das nicht beigebracht?“ fragte sie mich und grinste mich dabei frech an.

Wieder kramte sie in ihrer Tasche und holte eine große, noch halb volle Flasche Mineralwasser hervor.

Von diesem goss sie sicher die Hälfte in den Pokal, der noch wie zuvor bei mir stand.

Während sie dies tat, sah ich sie mir genauer an. Irgendwo her kannte ich sie, konnte sie aber nicht gleich einordnen. Dann fiel es mir ein. Die Sache war so naheliegend. Rotes Trikot!

Ich hatte sie schon oft dabei zugesehen, wie sie ihre Runden auf der Aschenbahn drehte. Runde für Runde drehte sie und ich habe einmal versucht mitzuzählen, habe mich dann aber verhaspelt und damit aufgehört.

Eine Langstreckenläuferin wie aus dem Buche. Recht hager, kein Gramm Fett am Leib, dazu nicht sonderlich groß. Was mich allerdings an diesen Menschen immer so faszinierte, waren die Laufschuhe. Wenn man darauf achtet, fällt einem auf, das sie immer so wirken, als wenn sie zu groß sind. Könnte daran liegen, dass die Beine so dünn sind.

Sie war mir schon öfters aufgefallen, weil ich sie auf die Entfernung immer als recht sympathisch empfand.

Warum kann ich nicht sagen. Es gibt einfach Menschen, bei denen man sofort weiß, dass man sie mag. Den umgekehrten Fall gibt es ebenfalls. Die Menschen müssen dafür nicht einmal etwas tun. Es ist einfach so.

Außerdem fand ich sie irgendwie niedlich, obwohl man das von einer Frau in ihrem Alter nicht mehr sagt. Kleine Mädels sind niedlich, Babys sind meistens niedlich. Frauen nicht, sie sind attraktiv.

Bei Andrea war das anders.

Sie hatte ein etwas längliches Gesicht mit einer Nase, die man früher Himmelfahrtsnase genannt hatte. So ähnlich wie eine Stupsnase. Dazu jede Menge Sommersprossen, die ihr etwas von Jugendlichkeit gab. Wie alt sie wirklich war, konnte ich schwer schätzen, wollte es auch nicht, denn bei meinen Schätzungen floss danach oft böses Blut. Zumindest wurden mir eiskalte Blicke zugeworfen.

Während ich jetzt fast gierig das Wasser trank, tastete ich sie mit meinen Augen von oben bis unten ab, wobei es ihr anscheinend auch nicht anders ging.

Zumindest mir kam es so vor, als wenn alles am rechten Fleck war. Das Körperliche war gut entwickelt und natürlich in Form. Sportlerin halt. Da sollte das so sein.

Bevor ich jetzt das Gespräch weiterführen konnte, sprudelte es aus ihr heraus.

„Ich habe dich hier schon so oft gesehen und mich immer gefragt, wer du wohl bist. Immerhin sitzt du normalerweise immer alleine auf der Tribüne und futterst dieses gelinde gesagt ungesunde Zeugs in dich rein, anstatt dich mal zu bewegen.

Dabei siehst du gar nicht so aus, als wenn das alles ist, was du machst. Zumindest bist du noch nicht aus dem Leim gegangen. Da könnte man noch was retten. Warte noch einige Jahre, bis du älter geworden bist, dann wird sich das rächen!“

Ich sah sie von unten herauf an, setzte den Pokal ab und grinste sie an.

„Wenn ich einmal sterbe, will ich krank sein, nicht topfit!“, sagte ich zu ihr und meine Worte kamen nach dem Anfeuchten durch das Wasser, wesentlich deutlicher heraus.

Andrea starrte mich einen Augenblick lang an, als wenn ich ihr eine Spinne in den Ausschnitt gesteckt hätte. Dann fing sie an, schallend zu lachen.

„Du bist ulkig, weißt du das?“, kam von ihr, als sie sich wieder erholt hatte. „So einen Blödsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört!“

Immer noch grinste sie über beide Ohren und man hatte wirklich den Eindruck, als wenn ihr riesiger Mund über das gesamte Gesicht passte.

Dabei kamen ihre fast blitzweißen Zähne zum Vorscheinen und es war eine Wonne, ihr dabei zuzusehen.

„Mal im ernst? Was machst du hier?“

„Hmmm! Normalerweise würde ich jetzt sagen ich würde den Gegenpol zu euch Sportlern bilden. Wo ein weiß, da ein schwarz, wo ein Ying da auch ein Yang. Aber wir wollen den Bogen ja nicht überspannen.

Was ich hier mache? Ich genieße es euch zuzusehen und mir dabei einige Köstlichkeiten zu genehmigen.

Einige gehen dazu an eine einsame Stelle, um nicht gestört zu werden. Bei mir ist das anders. Ich suche die nähe von Menschen ohne die Verpflichtung zu haben, mit ihnen agieren zu müssen!“

Andrea sah mich etwas traurig an. „Soll das heißen, dass ich gehen soll?“

„Nein, hört sich vielleicht so an, aber brauchst du nicht. Auf der eine Seite bist du nun einmal schon da und auf der anderen Seite hast du mich davor gerettet im Gesicht wie ein Brathähnchen auszusehen.

Dafür müsste ich dich eigentlich belohnen. „

„Na denn mal los, belohne mich, tu dir keinen Zwang an. „

Bei diesen Worten grinste sie mich so schelmisch an, dass ich ebenfalls grinsen musste. Ich drehte mich zu meiner Tasche um die zum Glück noch im Schatten stand. Dann fischte ich die Dose heraus, die ich diesmal aus Vorsehung ebenfalls mit Kühlelementen in ein Tuch eingewickelt hatte.

Kaum öffnete ich den Deckel, schon verströmte der reife Käse sein ganzes Aroma.

Man konnte förmlich sehen, wie die Duftfahne sich in Richtung Andrea aufmachte und ihre Geruchsrezeptoren kitzelten.

„Du bist gemein. Das ist chemische Kriegsführung. Du bist dir doch darüber im Klaren, das es von diversen Staaten geächtet wurde und Höchststrafen nach sich zieht?“

Andrea beugte sich vor und besah sich die kleine aber feine Auswahl. Zielsicher fingerte sie nach dem Würfelchen, dem sie am meisten Geschmack zumutete. Dann biss sie vorsichtig davon ab und ein wohliges Stöhnen kam über ihre Lippen.

„Sünde, die reinste Sünde!“, sagte sie währen sie sich den Rest zwischen die Zähne schob.

Dabei verdrehte sie die Augen zum Schein nach oben und ließ noch einmal den stöhnenden Laut über ihre Lippen bringen.

Ich konnte sie dazu bewegen noch einen Würfel zu nehmen, danach war sie aber eisern und widerstand der Versuchung durch mich. Von dem Wein konnte ich ihr keinen mehr anbieten.

Die Flasche war leer und ich war mir relativ sicher, dass sie es abgelehnt hätte.
„So“, sagte sie. „ Jetzt folgt die Strafe. Da du mich wieder dem Gesetz zur Ächtung chemischer Waffen, zu etwas verleitet hast, was ich eigentlich nicht wollte, hast du dich morgen um Punkt fünfzehn Uhr hier einzufinden. „

Ich wollte gerade ansetzen um ihr etwas zu erwidern aber sie ließ es nicht so weit kommen.

Sie schnitt mir die Worte ab ohne das Sie meinen Mund verlassen konnten. Ich wollte ihr mitteilen, dass ich morgen zu der Zeit eine Sitzung hatte, aber das konnte ich einfach nicht los werden.

Während sie sprach, stand sie auf. „Ach ja, ziehe dich leicht an. Sportive Treter wären auch nicht schlecht, es sein denn, du willst mit nackten Füßen auf Schotter laufen. Ist nicht zu empfehlen. „

Die letzten Worte hörte ich noch, als sie sich schon zwei Schritte von mir entfernt hatte.

Sie hatte sich einfach umgedreht und ging in Richtung des Ausgangs der Sportanlage. Dabei drehte sie sich kein einziges Mal um.

Kapitel 7

Ich saß da wie ein begossener Pudel. Ich will ja nichts sagen, aber auf diese Art hatte man schon lange nicht mehr mit mir geredet. Ich wurde vor Tatsachen gestellt und sie duldete anscheinend keine Widerworte.

Wenn ich genau darüber nachdachte, gab es eigentlich nur ein Mensch in meinem Leben, der sonst noch so mit mir umgegangen ist und es auch durfte.

Meine Mutter. Sie tat es heute noch, wenn ich sie sah. Wunderte mich manchmal, dass sie nicht auf ein Taschentuch spuckte, um einen imaginären Schmutzfleck in meinem Gesicht zu entfernen.

Trotzdem machte es mir nichts aus. Wie schon gesagt, Andrea stand in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu mir und sie durfte es halten, wie sie es für richtig hielt. Sie brauchte kein Blatt vor den Mund nehmen. Vielleicht gefiel mir gerade das so gut an ihr, wie alles andere auch.

Je länger ich darüber nachdachte umso sympathischer wurde sie mir. Vielleicht sogar mehr. In den wenigen Minuten, die wir zusammengesessen hatten, war da noch mehr gewesen. Etwas was ich normalerweise nicht kannte. Eine Art Verbindung, deren Kabel man nicht hätte legen müssen. Sie war einfach da.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf packte ich meine Sachen ein und fuhr mit einem relativ starken Brennen im Gesicht nach Hause. Als ich dann vor dem Spiegel stand, war meine Gesichtsfarbe anders als sonst.

Hätte man mich grün angezogen, hätte ich mich in einer Tomatenranke verstecken können. Die rote Kugel, die auf meinem Hals saß, wäre jedenfalls nicht aufgefallen.

Ich suchte ebenfalls nach Creme, fand aber nur normale Feuchtigkeitscreme, die ich nur dafür benutze, wenn meine Hände nach dem Arbeiten mit chemischen Flüssigkeiten zu trocken wurden. Es half aber nichts. Ich schmierte mir das Zeugs ins Gesicht und zumindest linderte es die Spannung in der Haut.

Dazu machte ich mich eine Schüssel mit eiskaltem Wasser, in der wirklich Eiswürfel schwammen. Dann tunkte ich ein Küchentuch immer wieder darin ein und tupfte mir damit auf die geschundene, rote Haut. Das verschaffte mir zumindest zeitweise etwas Linderung.

Die Nacht war grausam, und erst als ich mir ein Schmerzmittel einflößte, welches im normalen Handel nicht gibt, konnte ich Ruhe finden.

Gegen neun Uhr wachte ich wieder auf.

Eine ganz normale Zeit für mich, denn ich sagte mir immer, dass wichtige Entscheidungen sowieso nicht vor dem Mittagessen gefällt werden, also warum früher aufstehen?

Mein erster Gang war ins Badezimmer und konnte erkennen, dass mein Gesicht nicht wesentlich besser aussah, als am Abend zuvor, aber es tat wenigstens nicht mehr so weh.

Dann kam ich mit mir in einen Gewissenskonflikt.

Fünfzehn Uhr Besprechung oder Sportplatz.

Meine Geschäftsstimme sagte mir ganz klar, wohin die Reise ging. Die eher verkümmerte Emotionsseite versuchte sich aber zaghaft aufzuplustern und in den Vordergrund, zu drängen. Es gelang ihr nicht so wirklich. Sie bekam aber Unterstützung von dem Lustfaktor und so stand es zwei Drittel zu einem Drittel, obwohl die Geschäftsseite meinte, sie hätte immer mindestens 50,1 Prozent der Stimmen.

Sie musste sich maulend geschlagen geben, als ich ihr weismachte, dass sie sich da täuschen würde.

Wenn hier überhaupt jemand etwas zu sagen hatte, dann immer noch ich alleine und nicht irgendwelche Schaltkreise in meiner Gehirnmasse.

Als Nächstes sagte ich in meiner Firma bescheid, dass ich nicht kommen könnte, denn ich sei krank. Im Prinzip stimmte es auch, denn mein Gesicht sah wirklich nicht gesund aus. Auf der anderen Seite musste ich mich vor meinen Angestellten nicht rechtfertigen.

Man konnte an der Stimme meiner Sekretärin erkennen, dass es etwas Ungewöhnliches war, dass ich absagte.

So etwas war noch nie vorgekommen. Der Chef war einfach nicht krank. Ob es aber für diesen Fall einen Notfallplan gab, wusste ich nicht. Aber das war mir eigentlich vollkommen schnuppe. Die Leute wollten Verantwortung. Jetzt hatten sie die und mussten die auch anwenden können. Im Prinzip war ich jetzt schon darauf gespannt was heute in der Firma passieren würde. Das würde ich jedenfalls schon morgen heraus bekommen.

Dann schnappte ich mir meine Schlüssel, sprang in meinen Wagen und fuhr zum nächsten Sportartikelladen.

So etwas wie einen Trainingsanzug hatte ich nicht. Wozu auch. Ich pflegte mich auch Zuhause normal anzuziehen und nicht in irgendwelche Schlabbersachen.

Hier angekommen bin ich den Leuten wohl ganz schön auf die Nerven gegangen, aber dafür habe ich auch eine Menge Geld da gelassen.

Unter anderem kaufte ich mir zwei Trainingsanzüge, zwei Sporthosen, diverse T-Shirts, Socken und natürlich drei paar Laufschuhe.

Auf die Frage hin, wann ich denn mit dem Sport anfange wollte, sagte ich, dass es schon an Nachmittag anfangen würde.

Daraufhin meinte der Verkäufer, dass es nicht gut sei, mit neuen Schuhen gleich laufen zu gehen. Diese müssten sich auch erst einlaufen. Er empfahl mir zur Sicherheit ein paar Blasenpflaster.

Bin ich Mann oder Memme, dachte ich mir nur und habe diese dankend abgelehnt. Er schüttelte nur fast unsichtbar mit dem Kopf und nahm sie wieder zurück.

Zu diesen Sachen kamen noch zwei Baseballkappen verschiedener Klubs.

Dann war ich voll und ganz ausgestattet.

Fröhlich vor mich hin pfeifend verließ ich den Laden und sah mich meiner kommenden Aufgabe gewappnet.

Um Punkt fünfzehn Uhr stand ich auf dem Platz und konnte Andrea bereits beobachten, wie sie ihre einsamen Bahnen zog. Es war wenig los an diesem Wochentag, aber das machte ja nichts.

Langsam schlenderte ich in Richtung Laufbahn, und als ich gerade an der Begrenzung ankam, hatte sie ihre nächste Runde fast beendet.

„Sag mal!“, rief sie schon von weitem zu mir herüber, „läufst du eigentlich immer so, als wenn du zwanzig Zentner Steine auf der Schulter hast? So läuft ein alter Mann und das bist du nicht, zumindest noch nicht. Also halte dich mal gerade!“

In diesem Moment kam sie bei mir an, stellte sich seitlich neben mich, legte eine Hand auf meinen Bauch, die andere auf meinen Rücken und drückte mich so zurecht, wie ich ihrer Meinung nach stehen sollte.

„So geht gerade und nicht anders!“ grinste sie und besah mich dann erst einmal von oben bis unten.

„Du siehst komisch aus. In einem Computerspiel würde man dich jetzt Noob nennen. Du bist sozusagen ein Sportnoob. Eben ein Anfänger ohne Ahnung. Die Pelle ist schon in Ordnung, aber sieht einfach viel zu neu aus. So sehen all jene aus, die diese Klamotten nur tragen, um auf sportlich zu tun.

Hast du keine alten T-Shirts. Ein wenig verwaschen, mit Aufdrucken von vor mehreren Jahren?“

Ich schüttelte mit dem Kopf. „T-Shirts habe ich keine. Ich benötige sie nicht. Ich musste mir alles neu kaufen!“

Man merkte Andrea an, dass es ihr nicht gefiel und sie sich wirklich fragte, was für einen Fisch sie dort geangelt hatte und ob sie diesen wieder ins Wasser zurückwerfen sollte. Aber anscheinend sah ich nicht so giftig oder verdorben aus, dass sie es tat.

Immerhin war ich zu ihren Bedingungen hier erschienen, das brachte mir auf meiner Guthabenseite einige Pluspunkte ein.

„Na, dann wollen wir mal. Als Erstes wird sich wie immer warm gemacht. Du machst mir einfach alles nach, was ich vormache, dann kann nichts schief gehen. „

Was jetzt folgte, erspare ich mir zu beschreiben. Unter warm machen verstand ich was anderes. Etwas Kniebeugen, etwas Liegestütz und ein paar Hampelmänner.

Weit gefehlt. Mach dem Warmmachen war ich der Meinung, das es das jetzt gewesen wäre. Meine Lunge war bereits am Rasseln und ich merkte sehr schnell, dass mein Körper sehr vernachlässigt worden war.

Danach begann erst die Tortour sprich, es wurde gelaufen. Andrea war aber der Meinung, dass ein gleichmäßiges Laufen wenig Trainingserfolg hatte. So liefen wir die eine Seite immer etwas schneller als die andere wieder zurück.

Eine Runde gleich vierhundert Meter. Eigentlich keine Entfernung.

Ich schaffte zwei, fast drei Runden. Danach war ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Fast breitbeinig und schweren Schrittes lief ich quer über den Platz, während Andrea ihre Runde beendete, als wenn sie erst die erste absolvierte.

Ich schleppte mich zu meiner Tasche, in der eine große Flasche kalten Wassers auf mich wartete.

An diesem Tag habe ich zwei Dinge gelernt.

Zum Ersten schlage es nicht aus dem Wind, wenn Menschen etwas wissen, von dem ich keine Ahnung habe. Oder anders gesagt, ich hätte auf den freundlichen Verkäufer hören sollen. Ich hatte die Runde nicht nur aus dem Grund beendet, weil mir die Luft ausgegangen war, sondern weil sich inzwischen an meinen Fersen dicke Blasen gebildet hatten und inzwischen aufgeplatzt waren.

Zum Zweiten ein persönlicher Tipp. Trage keine Synthetikunterwäsche, wenn es absehbar ist, dass du schwitzen wirst.

Mein etwas breitbeiniges Laufen hatte etwas mit wund scheuern zu tun.

Aber egal, ich biss auf meine Lippen und versuchte trotzdem einen auf dicke Tasche zu machen. Ein Mann kennt schließlich keinen Schmerz. Schon gar nicht wegen ein paar Blasen und eine leichte Rötung. Bin doch kein Weichei, Warmduscher oder Schleusenschwimmer. Wo hat man den so etwas schon einmal gehört.

Also Zähne aufeinander beißen und so tun, als wenn alles in Ordnung ist.

Eigentlich wirklich dumm von einem. Andrea konnte es genau sehen, wie es mir ging. Ihr brauchte ihr eigentlich nichts vorspielen.

Später saßen wir noch einen Moment auf der Tribüne und ich genoss meine Flasche Wasser in großen Zügen, wobei ich entdeckte, wie gut Wasser schmecken kann. Auch wenn mir Wein besser mundete, dieses einfache Getränk war sicher für meinen Körper auf die Dauer besser.

Wir sprachen wenig.

Andrea war anscheinend kein Mensch großer und vor allem langer Worte und das mochte ich an ihr. Wenn sie etwas sagte, dann das, was sie dachte. Kurz und ohne Schnörkel. Sie brachte es auf den Punkt und man musste nicht darüber nachdenken, was sie gerade gesagt hatte.

Eigentlich war sie da so ähnlich wie ich. Wenn ich in Besprechungen oder ähnlichen Veranstaltungen war, ging es mir mehr als auf die Nerven, wenn jemand auf die Idee kam, von irgendetwas zu berichten, was nicht zum Thema gehört.

Dann verdrehte ich immer die Augen und schnitt den Menschen oft das Wort ab, worauf hin sie beleidigt waren. Zumindest war dies so, wenn sie meine Art nicht kannten.

Bei Andrea musste ich mir da keine Sorgen machen. Wir konnten auch zehn Minuten nebeneinandersitzen, ohne das einer von uns beiden ein Wort sagte. Vielleicht empfand sie die Ruhe ebenfalls als sehr angenehm.

Irgendwann stand sie dann auf, nahm ihre Tasche und verabschiedete sich mit der Frage, wann wir uns wiedersehen würden.

Doch jetzt hatte ich ein Mitspracherecht. Wir berieten uns, wann es uns beiden am besten gefiel und ich bekam den Termin nicht mehr einfach an den Kopf geknallt.

Vor wenigen Tagen hätte ich mir nicht einmal träumen lassen, jemals meine alten Knochen zu bewegen, geschweige denn, Sport zu treiben. Jetzt kam es mir inzwischen so vor, als wenn es mir nicht schaden könnte. Begeistert war ich zwar immer noch nicht von der Aussicht mich zu bewegen, aber was tat man nicht alles.

Wenn ich dann genauer darüber nachdachte, fragte ich mich ernsthaft, warum ich dies eigentlich auf mich nahm. Immerhin tat ich etwas, was ich eigentlich nicht mochte, und befand es immerhin nicht für schlecht.

Ich musste mir relativ schnell eingestehen, dass ich es eigentlich nur machte, weil Andrea es war, die mich dazu aufgefordert hatte. Wenn irgendwer anders gekommen wäre, hätte ich ihn unter Aufbietung aller mir gegebenen Möglichkeiten daran gehindert, auch nur den Gedanken in mich zu pflanzen.

Bewegung war etwas für andere Menschen, aber doch nicht für mich. Ich hielt mich dort eher an Winston Churchill, der einen Ausspruch gepflegt hatte, der mir sehr gefallen hatte.

„No Sports!“ Und genau an diesen Vorsatz hatte ich mich schon fast mein ganzes Leben gehalten. Inclusive einer Zigarre, die er ebenfalls sehr mochte.

Es wundert mich wirklich, das mich ein Mensch davon abbrachte, ein alter, dicklicher, gemütlicher, Zigarre rauchender Mann zu werden.

Ich hatte den Gedanken daran immer für erstrebenswert gehalten und bis auf das Dickliche, hatte ich mich daran gehalten. Gut, alt genug war ich auch noch nicht dafür, aber das kam von alleine, darüber brauchte ich mir keine Sorgen machen.

Ich war jedenfalls schon sehr gespannt darauf, wie es weitergehen würde. Die Zeit würde ich mir nehmen, denn mir gefiel unsere Zweisamkeit.

In den nächsten Tagen wuchsen wir zu einem sportlichen Team zusammen.

Die Strecke, die ich inzwischen bewältigen konnte, reicht immerhin dafür, um eine Trainingseinheit von Andrea durchzustehen. Auch die Sache mit den Blasen hatte sich inzwischen vollkommen in Wohlwollen aufgelöst, obwohl ich damit noch mehrere Tage zu kämpfen hatte. Sogar meine T-Shirts sahen inzwischen verwaschen aus, was aber nicht an dem dauernden Gebrauch lag.

In der Zeit außerhalb des Sports hatte ich natürlich meine gewohnte Bekleidung an. Aber wenn man T-Shirts mehrmals am Tag wäscht, dann sollte sich der Erfolg schnell einstellen.

So hatte ich zumindest gedacht.

Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem ich alle Shirts die ich hatte, in die Trommel meiner Waschmaschine stopfte und wusch. Kaum war das Programm abgelaufen, erfolgte ein neuer Waschgang. Das ging den ganzen Tag so.

Nach dem wohl zehnten Mal holte ich die Wäsche tropfnass heraus und verfrachtete sie in einen Bottich in der sie die ganze Nacht vor sich hin verwaschen konnten.

Morgens holte ich die Stofflappen aus dem Wasser, wrang sie ordentlich aus, walkte sie aufeinander liegend mit nackten Füßen in eine Wanne.

Wohl eine Stunde drehte ich mich dabei im Kreis, hüpfte dabei ab und zu übermütig in die Höhe und fühlte mich dabei, wie ein kleines Kind. Erst dann kam das Bündel Stoff in den Trockner und ich war schon gespannt darauf, ob es funktioniert hatte.

Immerhin war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich die beiden Maschinen benutzte, denn normalerweise ließ ich waschen. Es waren die Dinge des Lebens, mit denen ich mich normalerweise nicht beschäftigte.

Ich war richtig gespannt darauf, was dabei rausgekommen war und saß fast vor dem Trockner bei dem ich zuvor, genauso wie bei der Waschmaschine, nicht wusste, was ich damit eigentlich anfangen sollte. Die beiden Geräte waren einfach mit im Haus.

Derjenige, der das Haus ausgestattet hatte, war wohl der Meinung gewesen, dass so etwas sein musste.

Kaum hatte der Trockner seine letzte Runde gedreht, holte ich die noch warmen T-Shirts heraus und war auf einmal verwundert, wie sehr ich in den letzten Stunden gewachsen war.

Die Farbe sah fast noch so aus wie zuvor, war kaum verwaschen, dafür hatte sich aber die Größe geändert. Ich musste dann aber feststellen, dass nicht ich es war, der größer geworden war, sondern die T-Shirts geschrumpft.

Wieder einmal bewahrheitete sich der schon einmal genannte Tipp.

Lasse solche Sachen machen, wer etwas davon versteht.

Ich ging mit hängendem Kopf wieder einmal in ein Geschäft, kaufte neue Shirts und gab sie bei einer Wäscherei ab mit der Bitte sie künstlich altern zu lassen.

Es war erstaunlich, welch seltsame Blicke ich dabei erntete. Es kam wohl nicht oft vor, dass jemand etwas wollte, was neunundneunzig Prozent aller Menschen sofort reklamieren würden.

Aber ich bestand darauf und es war nicht einfach, einen Preis dafür festzulegen. Immerhin stand so eine Dienstleistung nicht gerade auf der Karte.

Ich bin mir sicher, dass sie mich übers Ohr gehauen haben, denn der Preis erschien mir recht hoch, aber was tat man nicht alles, wenn etwas so gemacht werden sollte, wie man es wollte.

Es funktionierte tatsächlich. Schon einen Tag später war ich Eigentümer einiger total verwaschener T-Shirts, die ich ab jetzt trug.

Kapitel 8

Schon an diesem Tag musste ich einfach eines davon tragen. Obwohl heute gar kein Treffen mit Andrea angesetzt war, schwang ich mich auf mein Fahrrad und war schon wenig später auf dem Sportplatz. Diesmal zog ich allerdings nicht meine Bahnen über den Aschenplatz, sondern nahm mir die Strecke um den Park vor, dessen Länge etwa dem entsprach, was ich bereits bewältigen konnte.

Frisch und in dem Wissen die jetzt richtig aussehenden Klamotten zu tragen, trabte ich fast mit Stolz geschwollener Brust um den Park.

Am Sportplatz wieder angekommen war meine Brust dann doch etwas mehr eingefallen, genauso wie der Stolz. Beides hatte ich unterwegs verloren aber immerhin schaffte ich die Strecke, wenn es auch länger gedauert hatte, als ich zuvor veranschlagt hatte.

An meinem Fahrrad angekommen, schwang ich mich wieder auf dieses und fuhr wieder nach Hause.

Hätte man mir vor wenigen Wochen gesagt, dass ich so etwas mache würde, hätte ich denjenigen mit einem seltsamen Blick angesehen und ein wenig gegrinst.

Niemals wäre ich auf die Idee gekommen.

Schon am Tag darauf, war das nächste Treffen mit Andrea. Wir hatten den Tagen des Treffens inzwischen einen Namen gegeben. Wir nannten sie „M“ Tage, weil wir uns montags und mittwochs trafen. Obwohl dies nicht mehr wirklich stimmte, denn unsere Termine hatten sich inzwischen auch auf Freitag erweitert. Trotzdem blieb es bei der Bezeichnung.

Der Ablauf an diesen Tagen war inzwischen eine eingespielte Sache geworden.

Punkt 15 Uhr trafen wir uns auf dem Sportplatz. Nach kurzer Begrüßung kam schon eine viertel Stunde Dehnung und Auflockerung und dann folgte eine Runde der nächsten. Dabei trabten wir wie die Zwillinge nebeneinander her und ich versuchte so lange wie möglich, ihrem Tempo zu folgen.

Wenn mir dann die Puste ausging, scherte ich aus und ging zur Tribüne herüber, um mich noch einen Moment zu setzen und meinen Puls auf Normalgeschwindigkeit zu bringen.

Dann stand ich wieder auf, ging noch einmal an die Begrenzung der Bahn und wartete darauf, dass Andrea vorbei kam, winkte ihr kurz zu, während sie an mir vorbei rannte und sie nickte mir mit einem Grinsen zu. Wenn sie dann an mir vorbei war, ging ich zu meinem Fahrrad zurück und radelte wieder nach Hause.

Übrigens, ich habe inzwischen den Elektromotor abgeschaltet und betrachte es als eine zusätzliche Trainingseinheit.

Die Termine zum Laufen wurden ein fester Bestandteil meines Kalenders und ich mochte diese nicht mehr missen. Auf der einen Seite war der Sport gut für mich. Das bemerkte ich recht schnell, denn es stellten sich einige Veränderungen bei mir ein. Ich war einfach fitter, kam nicht gleich aus der Puste und war nicht mehr so müde wie zuvor. Zum anderen war da natürlich Andrea, die mir sehr ans Herz wuchs.

Irgendwas an Ihr zog mich magisch an. Es war nicht ihr Aussehen, obwohl es daran nichts auszusetzen gab. Sie hob sich nicht von der Masse der Frauen ab und wäre mir in einer größeren Ansammlung höchstens darum aufgefallen, dass sie sehr gesund aussah.

Andrea hatte noch etwas anderes, etwas was man nicht sehen konnte, sondern nur spüren. Wenn ich in Ihre Nähe kam, dann hatte ich immer den Eindruck in eine Blase einzutauchen, die sie umgab.

Es ist schwer zu erklären, vielleicht ist Blase nicht der richtige Ausdruck, vielleicht sollte man Dunstkreis oder Aura dazu sagen. Zumindest auf mich wirkte es und ich war sofort guter Laune und fühlte mich einfach nur pudelwohl. Mich durchfloss eine Art Energie, wie ich es sonst bei keinem anderen Menschen verspürte. Eine Energie, die von ihr auszugehen schien und mich mit umschloss.

So konnte ich es mit der Zeit kaum noch erwarten, wenn der Termin unserer Zusammenkunft anstand.

Es wurde eine Art Droge für mich und ich wollte diese so lange wie möglich genießen. Aus diesem Grund wurde die Strecke, die ich mit ihr zurücklegte, immer länger und länger. Selbst wenn ich dann kaum noch konnte, trabte ich weiter an ihrer Seite, bis sie mich förmlich dazu aufforderte aufzuhören. Dann musste ich wohl oder übel damit aufhören.

Wenn sie sich dann von mir entfernte, verschwand dieser Zauber mit ihr und ich merkte erst jetzt im vollen Maße, wie erschöpft ich war.

Tage und Wochen vergingen und ich konnte inzwischen länger als eine Stunde durchgehend laufen. Dabei gewann ich den Eindruck, als wenn Andrea und ich uns immer besser verstanden, obwohl wir uns eigentlich gar nicht unterhielten. Außer das Wort „Hallo“ bei der Begrüßung und dem „Tschüss“ bei der Verabschiedung, kamen kaum irgendwelche Laute über unsere Lippen. Zumindest keine der Kommunikation. Wir verstanden uns auch so.

Ein seltsamer Zustand, denn wenn ich genau überlegte, wusste ich eigentlich nicht viel mehr über Andrea als, wie sie mit Vornamen hieß, gerne lief und einem kleinen Stückchen Käse nicht abgeneigt war.

Sonst war mir nichts bekannt, was sie selber betraf.

Dies wollte ich ändern. Der Drang dazu sie näher kennenzulernen wurde immer größer und eines Tags fragte ich sie dann mehr aus heiterem Himmel, ob sie nicht einmal Lust dazu hätte, mit mir essen zu gehen.

Sie sah mich an, als wenn ich ein Alien wäre, denn es kam sehr überraschend und sie hatte wohl nicht damit gerechnet.

Ihr Blick verschwand aber schon zwei Sekunden später und sie lächelte mich an, wie sie es immer tat, wenn sie mich sah.

Sie lachte einmal und nickte dann, als wenn wir schon oft zusammen ausgegangen wären. So kam es mir jedenfalls vor.

Da es auf einem Freitag war, fragte ich sie gleich, ob sie schon an diesem Abend Zeit hätte, und war davon überrascht, als sie einwilligte.

Ich machte ihr den Vorschlag für ein Fischrestaurant, welches ich recht gerne mochte, denn es hatte eine fast einzigartige Atmosphäre und das Essen war ein Gedicht.

Andrea zögerte einen kleinen Moment, war dann aber damit einverstanden.

Den Abend in seinen ganzen Facetten zu erfassen ist nicht einfach. Er kam mir viel zu kurz vor.

Pünktlich wie immer trafen wir uns vor dem Eingang des Restaurants und ich war mehr als überrascht, als ich Andrea sah.

Hatte ich sie doch zuvor immer nur in Sportklamotten gesehen und mir nie Gedanken darüber gemacht, wie sie wohl aussah, wenn sie sich für einen solchen Abend zurechtgemacht hatte.

Es war wirklich der krasse Gegensatz, auch wenn sie nicht so aussah, als wenn sie zu einem Ball oder in die Oper wollte. Eher sportlich. Perfekt sitzende Bluejeans mit ehrlich gesagt den rotesten, halbhohen Lackpumps, die ich jemals zu Gesicht bekommen habe und einem dazu passenden genauso roten halbbreiten Gürtel.

Das Top bestand aus einem ebenfalls Jeansfarbenen leichten Stoff über das ein kleines Jäckchen in eben derselben Farbe gestreift war.

Diese Kombination aus Blau und Rot gefiel mir auf Anhieb und Andrea sagte zu mir, als sie auf eine Schrittlänge herangetreten war: „Mund zu, es läuft Flüssigkeit aus dem Winkel!“

Dann lachte sie in Ihrer ganz speziellen, glasklaren Art, indem sie Ihren Kopf leicht zurücklehnte und man die feine Zeichnung des Halses genau erkennen konnte.

Es gefiel mir, was ich sah, außerordentlich sogar und ich fand es geradezu perfekt, weil Andrea sich nur sehr dezent dazu geschminkt hatte.

Das Einzige was sich nicht verändert hatte waren ihre Haare. Wie immer waren sie hochgesteckt worden und waren somit nicht in der Lage, lästig zu werden.

Sie sah mich im Gegenzug ebenfalls von oben bis unten an. „Chic!“, sagte sie nur kurz, trat an meine Seite und hakte sich wie selbstverständlich in meinen Arm ein.

So gesehen trug ich eigentlich nichts Besonderes. Ich hatte nur einen sommerlich hellen, kakifarbenen Stoffanzug an, der genügend Luft an meinen Körper ließ, um nicht übermäßig zu schwitzen. Immerhin hatten wir Sommer und selbst jetzt am Abend waren es noch über zwanzig Grad.

„Wollen wir hineingehen oder wolltest du hier draußen solange warten, bis man uns etwas herausbringt?“, fragte Andrea mich lächelnd.

Noch immer sprachlos nickte ich einmal und wir gingen die wenigen Schritte zur Treppe des Restaurants.

Ich hatte dieses ausgewählt, weil ich mir sicher war, dass Andrea hier alles bekam, was ihr Schmecken könnte. An diesem Abend gab es Buffet und somit würde auch etwas für sie dabei sein. Zumindest schien sie nichts gegen Fisch und Meeresfrüchte zu haben, denn das hätte sie mir sicher gesagt.

In dem Restaurant angekommen richteten sich einige wenige Blicke auf uns und sowohl die der Herren, als auch der Damen blieben etwas länger auf Andrea gerichtet.

Die Blicke der Männer waren mir bekannt. Sie drückten etwas von Begehren aus, die Blicke der Damen waren mir weniger geläufig, aber mit dem Wort Neid gut zu umschreiben.

Ich hatte mir bei der Bestellung des Tisches einen bestimmten gewünscht und auch bekommen. Er war immer nur für zwei Personen vorgesehen und kein Vierertisch, den man zu einem Zweier gemacht hatte. Noch schrecklicher empfand ich immer einen Tisch, an dem man zu zweit saß, aber vier Stühle vorhanden waren.

War dieser dann noch an der Wand, konnte man sich nur entscheiden, ob man mehr am Gang sitzen wollte und der restliche Platz sah verwiesen aus, als wenn man noch auf jemanden wartete. Oder man saß weiter an der Wand und mussten, wenn man aufstand, erst einmal um den leeren Stuhl herum.

Das Problem hatte ich bei unserem Tisch nicht. Hier waren nur zwei Stühle und der Tisch etwas größer als normal.

Bot also genug Platz für uns beide.

Zu der Bestellung des Tisches hatte ich noch gefragt, ob mein Lieblingskellner anwesend war, denn ich bevorzugte seine Art. Immer da wenn man ihn brauchte und sonst nicht zu sehen. Ein überaus liebenswerter Mensch.

Hieran kann man erkennen, dass ich öfters in diesem Restaurant speiste, allerdings zumeist alleine, was ich immer sehr genoss, da die Atmosphäre sehr heimelig war.

Der Innenraum erinnerte eher an ein Holzdeck auf einem alten Segelschiff. Sehr dunkel gehalten mit alten Holzbalken, die so aussahen, als wenn man sie mit Teer überzogen hatte. Dazu kamen die dazu passenden Messinglampen und einige dezente Dekorationsstücke, die den Raum aber nicht überluden.

Unser Tisch hatte einen weiteren Vorteil. Wir saßen mehr oder weniger am Buffet. Nicht so nah, dass andere Gäste neben uns standen, wenn sie zum Buffet gingen, aber nah genug, um nur wenige Schritte gehen zu brauchen, um an der Quelle der Genüsse zu gelangen.

Wie immer war der Tisch zu meiner vollsten Zufriedenheit eingedeckt worden. Ein Service, auf den ich sehr viel Wert legte. Zuhause war mir das egal, hier konnte es eine Pizza vom Pappteller sein, aber wenn ich ausging, dann bitte so und nicht anders.

Andrea nahm alles mit einer großen Gelassenheit hin. Sie fühlte sich anscheinend in dieser Atmosphäre genauso wohl, als wenn sie auf der Laufbahn ihre Runden drehte.

Bevor sie sich setze, besah sie sich aus der Entfernung das aufgebaute Buffet und schien den Anblick einen Moment in sich einzusaugen. Erst dann kam sie meiner Aufforderung nach sich zu setzen, nachdem ich den Stuhl für sie weggezogen hatte.

Der Abend wurde perfekt, dafür sorgte neben meiner Wenigkeit mein Lieblingskellner Aaron, von dem ich ja gewusst hatte, dass er da sein würde. Neben seiner Angewohnheit normalerweise unsichtbar zu sein, war es immer wieder angenehm, wenn er an den Tisch trat.

Meine Vorlieben für leichten und wohltemperierten Weißwein, sowie andere Getränke kannte er und die von Andrea hatte er in wenigen Augenblicken herausbekommen. So geschwind, wie er erschienen war, verschwand er auch wieder, wobei ihm Andrea einen seltsamen Blick nachwarf.

Ich musste grinsen als ich Andreas nachdenkliche, leicht gekräuselte Stirn sah. Aaron war halt nicht, na ja sagen wir mal, normal. Relativ klein und sehr schlank, fast dünn.

Aber das war es nicht, was einen zum Nachdenken brachte. Es war seine Art mit einem zu sprechen und die Betonung in der Stimme. Er setzte sie anders, als andere und eine innere Stimme sagte einem, dass er wohl zu den Männern gehörte, die nicht so sehr auf Frauen standen.

Ob das stimmte, kann ich nicht sagen, ich konnte ihn wohl schlecht danach fragen. Doch über den Abend gewöhnte sich Andrea an seine Art und so manches Mal lachten wir mit ihm über dies und das, denn er hat einen feinen Sinn für Humor.

Das Essen war wie immer vorzüglich. Obwohl Andrea mehr als einmal zum Schein am Jammern war, wie sündig es wäre sich so viele Kalorien in den Mund zu schieben, ging sie vier Mal zum Buffet.

Dabei gefiel mir mehr als gut, dass sie jedes Mal, wenn sie wiederkam, nur wenige, dafür aber ausgesuchte Köstlichkeiten auf den Teller gelegt hatte. Hauptsächlich hatte sie sich für Meeresfrüchte entschienen, machte aber vor dem gebeizten Lachs keinen Halt.

Zu ihrer Entschuldigung faselte sie etwas von guten Fetten und Ähnlichem, aber das ging in ihrem dezenten Geschmatze unter, als sie sich gar nicht ladylike die Finger ableckte. Dies war einfach nötig, als sie eine Kaisergarnele aus Ihrer Schale gepellt hatte. Erst dann nahm sie die Stoffserviette.

Ich musste schmunzeln und friemelte währenddessen das Fleisch meiner Miesmuscheln aus Ihren Schalen.

Ebenso musste ich die ganze Zeit über lächeln, weil ich immer gedacht hatte, dass Andrea keinen Alkohol trank.

Sicher, sie trank nicht viel, aber gegen einen leichten Wein hatte sie ebenfalls nicht einzuwenden. Noch mehr überraschte es mich, als sie nach dem letzten Happen den sich schaffte, zurücklehnte und nach etwas Gehaltvollerem fragte und ob ich etwas empfehlen könnte.

Zum einen gab es einen hausgemachten Aquavit, den es nur hier gab. Eiskalt mit einer fast dickflüssigen Konsistenz. Hiervon bestellte ich zwei und wir ließen die beiden Getränke sofort durch unsere Kehlen rinnen.

Fisch muss schwimmen, ohne geht gar nicht und man hatte wirklich das Gefühl, als wenn der Alkohol das Fett vom Lachs und Aal in der Speiseröhre mitnahm.

Dann machte ich noch einen Vorschlag für einen sehr leckeren weichen Cognac, den es hier gab und zu meiner Überraschung willigte Andrea ein. Ein wirklich leckeres Tröpfchen, was ich in diesem Restaurant immer zum Schluss noch zu mir nahm.

Beide hielten wir unsere Schwenker in den Händen und sahen bedächtig dabei zu, wie sich die bernsteinfarbene Flüssigkeit in der Runde bewegt.

Hatten wir uns zuvor schon nicht viel unterhalten, verstummte unsere Unterhaltung vollkommen, als wenn wir unseren Gedanken nachhingen. Dies ging über die nächsten fünf Minuten und nicht einmal das Hintergrundgeräusch der anderen Gäste, drang bis in mein Gehirn vor. Es blieb einfach draußen und ich sah nur noch Andrea indirekt, aus dem Augenwinkel an.

Ich wusste nicht, was sie oder überhaupt dachte. Sie sah so aus, als wenn sie vollkommen abwesend und versunken war.

Dies hellte sich erst auf, als ich sie nach wenigen Minuten fragte, wie es ihr gefallen hätte.

Sie sah hob ihren leicht gesenkten Kopf, nahm einen kleinen Schluck aus dem Schwenker und schaute mir tief in die Augen.

„Danke, ein wirklich perfekter Abend. Ich werde den heutigen Tag grün in meinem Kalender anmahlen. Grün ist das Zeichen für einen Tag, der nicht verschenkt wurde. „

Daraufhin lächelte sie mich an und wenig später saßen wir im Taxi, um sie nach Hause zu bringen.

Jetzt sah ich zum ersten Mal, wo sie wohnte, wobei es nichts besonders war. Ein vierstöckiges Haus, wie es sie zu Tausenden gab. Ich hatte auch nichts anderes erwartete. Alles andere hätte mich verwundert. Dafür war sie viel zu bodenständig.

Ich verabschiedete mich von ihr so, wie es sich gehörte, bekam zum Abschied aber noch ein Küsschen auf die Wangen. Dann verschwand sie im Treppenhaus, und erst als die Tür hinter Ihr zuschlug, ging ich zum Taxi zurück und drehte mich noch einmal um.

Dann, kurz bevor ich in den Wagen einstieg, sah ich im dritten Stock ein Licht angehen.

Straße, Hausnummer und Stockwerk waren mir jetzt bekannt. Es wäre für mich jetzt ein Leichtes gewesen herauszubekommen, wer Andrea war, mit allen Facetten. Bis hin zu ihrer Schuhgröße und Kontostand hätte ich in Erfahrung bringen können. Ein einfacher Anruf hätte genügt, aber obwohl ich vor Neugierde fast platzte, ließ ich es sein. Es hätte einen Teil der Spannung aufgelöst, die ich in mir trug und gerade dieses Gefühl fand ich so aufregend.

Ich würde sie ja wiedersehen und nahm mir vor, sie wirklich kennenzulernen.

Kapitel 9

Ich bin verärgert, nein das trifft es nicht richtig. Ich bin angepisst, ja, so kann man es sagen.

Heute war ich im Park und habe versucht zwei Mal, die Strecke darum herumzulaufen. Wirklich laufen, nicht gehen. Diese Zeit hat wohl jemand genau abgepasst. Jedenfalls als ich fertig war, war mein Fahrrad weg.

Das geknackte Schloss lag noch da und ich hatte den Eindruck, als wenn es mich höhnisch ansah, denn es sah wie ein lächelnder Mund aus.

Ich fluchte zweimal oder auch mehr, so genau kann ich das nicht sagen und wünschte, dass der Blitz denjenigen beim Scheißen trifft. Ja wirklich, genau das habe ich gewünscht und eine ältere Dame, die gerade an mir vorbei ging, drehte sich um, sah mich an und sagte: „Na hören sie mal, was ist denn das für eine Sprache?“

Ich entschuldigte mich kleinlaut, obwohl mir dazu gerade gar nicht zumute war.

Ich hatte noch mehr Ausdrücke dafür gefunden, schluckte sie aber herunter. Die Dame hatte recht gehabt. Irgendwie jedenfalls, man musste sich besser unter Kontrolle haben.

Also war ich jetzt gezwungen nach Hause zu laufen, denn Geld hatte ich keines mitgenommen und außerdem sah es seltsam aus, wenn ein Sportler in ein Taxi stieg, um nach Hause zu fahren. Also setzte ich einen Fuß vor den anderen und musste doch auf einmal in mich hinein grinsen.

An meinem Fahrrad gab es einen kleinen Schalter, der an der Unterseite des Sattels angebracht war. Wenn ich das Fahrrad abstellte, legte ich ihn immer um. Genauso wenn ich dann wieder weiterfuhr, brachte ich ihn in die Ausgangsstellung.

Der Bastler hatte es so eingebaut, dass es gar nicht auffiel. Dieser Schalter hatte die Funktion ab einer bestimmten Geschwindigkeit im gesicherten Modus die Bremsen zu deaktivieren. So war das Erste was ich tat, als ich Zuhause war, die Polizei darüber zu informieren.

Es dauerte allerdings drei Tage, bis diese das Fahrrad wiederfanden, denn das Zweirad war bis dahin wohl in einem LKW transportiert oder zumindest nicht schnell bewegt worden.

Aber das nutzte mir dann auch nichts mehr, denn derjenige, der es von den Dieben gekauft hatte, war mit überhöhter Geschwindigkeit in eine Schaufensterscheibe geflogen, da er die Geschwindigkeit ohne Bremsen zu können, überschätzt hatte. Dabei hatte es zumindest die Räder so verhunzt, dass man damit nicht mehr fahren konnte.

Dieser traurige Anblick wurde jedenfalls bei mir abgeliefert und wurde in dem Zustand in die Garage gebracht. Wie schon gesagt, mein Bastler ist im Urlaub. So oder so wird das vor vier Wochen nichts.

Nun musste ich mir etwas anders einfallen lassen zum Sportplatz zu kommen. Mit dem Auto wollte ich nicht und ein neues Fahrrad wollte ich auch nicht kaufen. Da fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit einen Segway an mir vorbeifahren gesehen habe.

Ich fand das Gefährt so interessant, dass ich einen haben wollte. Jetzt war dafür der richtige Moment.

Also schaute ich mir die Dinger im WWW an und konnte schon nach kurzer Zeit einen bestellten. Expresslieferung selbstverständlich.

Schon am nächsten Tag war er morgens da und ich schloss ihn gleich an den Strom an, damit ich am Nachmittag damit zum Sportplatz fahren konnte.

Die ersten paar Meter waren seltsam.

Man musste sich erst dran gewöhnen mit dem Körper zu steuern aber schon nach wenigen Hundert Metern hatte ich das Ding schon einigermaßen im Griff.

Ich war extra etwas früher losgefahren, um über einen Umweg zum Park damit noch üben zu können.

Im Park angekommen hatte ich mich etwas verspätet und so rollte ich mit Höchstgeschwindigkeit auf den Sportplatz, auf dem ich Andrea schon aus einiger Entfernung, ihre Runden drehen sehen konnte.

Voller Übermut rollte ich auf die Aschenbahn und hinter Andrea her. Das Ding war so schnell, dass ich schon wenig später neben Andrea war und sie mit einem Grinsen von der Seite ansah.

„Warum laufen, wenn fahren doch so viel bequemer ist!“, rief ich ihr herüber und fuhr in Schlangenlinien neben ihr her.

Sie sah zu mir und bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck.

„Weißt du eigentlich, wie lächerlich du aussiehst?“, fragte sie mich mit zusammengekniffenen Augen. „Es sieht so aus, als wenn du verkehrt herum auf einer Sackkarre stehst!“

Ich fuhr langsamer, bis ich sie von hinten sehen konnte, dann drehte ich ab und fuhr das Ding mit gesenktem Kopf zu einem Fahrradständer, an den ich es ankettete. Immerhin hatte ich gelernt, was ein gutes Schloss ist. Extra gehärtete Stahlkettenglieder glitzerten in der Sonne und das Schloss hätte einen Bankräuber davon abgehalten, seine Finger danach auszustrecken.

Es sah schon etwas überdimensioniert aus, fast wie eine Ankerkette. Dafür stielt mir so schnell keiner mehr mein Eigentum, hoffe ich zumindest.

Dann trabte ich zurück zu Andrea und wir liefen schweigend unsere Runden, bis ich zu ihr sagte: „Das war nicht nett!“

Plötzlich begann sie damit, schallend zu lachen. Sie konnte augenblicklich nicht mehr laufen und krümmte sich geradezu.

Ich stand da wie ein begossener Pudel und konnte es irgendwie nicht fassen.

„Du hättest dich mal selber sehen sollen. Es sah so komisch aus. Wie ein kleiner Junge hat du dich verhalten. In jedem Mann steckt halt ein solcher. Ich entschuldige mich bei dir, aber es sieht wirklich zum Schießen aus, wenn du auf dem Ding stehst. Wie schon gesagt, wie Kartoffelsack auf Sackkarre!“

„Sehr witzig. Haha. Kann mich kaum halten vor Lachen!“ antwortete ich ihr und tat wieder so, als wenn ich schmollen würde.

Andrea kam auf mich zu und umarmte mich. „Och kleiner Mann, soll Mami dich trösten. Bist ja ganz traurig!“ Während sie das sagte, hielt sie mich eng umschlungen und klopfte mir versöhnlich auf den Rücken.

Währenddessen konnte ich sie fühlen und riechen. Ihr natürlicher Duft wurde in meiner Nase in Impulse umgewandelt, die mit überschneller Geschwindigkeit an mein Gehirn weitergeleitet wurden. Hier wurden sie entschlüsselt und für vollkommen kompatibel befunden oder anders, es gefiel mir sehr gut, was ich da roch.

So standen wir einen kleinen Augenblick auf der Laufbahn und mir kam es so vor, als wenn dieser Augenblick länger war, als der Situation angemessen.

Doch dann lösten wir uns wieder voneinander, und obwohl sich in mir alles dagegen sträubte, lies es sich nicht vermeiden.

Was Andrea in dem Moment dachte, kann ich nicht sagen, aber sie ließ mich nicht gleich ganz los, sondern senkte Ihren Blick in den meinen.

Nur wenige Sekunden aber doch länger als gewohnt. Erst dann ließ sie mich ganz los, damit wir unser inzwischen gewohntes Programm abspulen konnten.

Nach meiner Trainingseinheit ging Andrea sogar mit mir zu meinem neusten Spielzeug und sah sich das Ding genauer an. Ich zeigte ihr wie man damit fuhr und sie drehte damit einige Runden über den Platz, als wenn sie nie etwas anderes getan hatte. Sie hatte den Dreh sofort raus und es machte ihr sichtlichen Spaß.

„Was meinst du. Sollen wir mal zusammen einen Ausflug mit einem Segway machen?“ , fragte ich Andrea. „Wieso? Hast du noch einen davon?“, kam ihre Gegenfrage.

„Lässt sich einrichten“, antwortete ich Ihr und war schon jetzt frohen Mutes, dass sie zustimmen würde.

„Oh ja, würde mich sehr freuen. Wird sicher lustig!“

Wir verabredeten uns für den nächsten Samstag und ich hoffte innerlich, dass der Wetterbericht das hielt, was er versprach.

Es sollte nämlich einer der heißesten Tage des Sommers werden und ich wollte einfach, dass nichts dazwischen kam.

Kapitel 10

Das Wetter hielt sich an die Prognose. Ein zweiter Segway war schnell bestellt und stand aufgeladen neben dem anderen. Jetzt wartete ich nur noch auf Andrea, der ich gesagt hatte, wo ich wohne.

Nur eine Minute nach der vereinbarten Zeit kam sie um die nächste Straßenecke.

Eine der Eigenschaften, die ich an ihr so sehr mag. Pünktlichkeit! Sehr lobenswert. Immerhin ist diese Eigenschaft etwas, was nicht jeder Frau zu eigen ist. Gut, Männer können das auch, aber durchschnittlich weniger. Jedenfalls gehören die nicht zu dem Kreis von Menschen, die ich um mich haben möchte und dass lasse ich sie normalerweise auch spüren.

Andrea war wieder einmal für mich überraschend angezogen. Sie trug ein leichtes Sommerkleid mit einem kräftigen aber zugleich dezenten Blumendekor.

Dazu luftig aussehende Schnürstoffschuhe und einen nicht übermäßig breitkrempeligen Sommerhut. Eine dazu passende Sonnenbrille, rundete das Outfit ab.

Als sie mich sah, winkte sie zu mir herüber und beschleunigte ihre Schritte, die zuvor etwas verhaltener waren. Wenige Sekunden später stand sie vor mir und gab mir die unvermeidlichen Wangenküsschen, die ich eigentlich nicht mag. Bei Andrea war es selbstverständlich eine Ausnahme. Ihre genoss ich, da ich dabei gleichzeitig ihren Duft einatmen konnte.

Bei anderen Menschen mochte ich es nicht so sehr. Erstens, weil es eine sehr vertraute Geste für mich ist und nur etwas für Menschen, die sich mögen und zweitens riecht nicht jeder so, wie ich es gerne hätte.

Die Krönung ist es für mich, wenn Männer dies miteinander tun. Alleine aus diesem Grund bleibe ich manchen Treffen fern, auf denen Männer erscheinen, bei denen es ein Teil der Kultur ist.

Anscheinend gehen viele davon aus, dass es überall so ist. Da überschreiten sie bei mir eine Grenze, die zugegeben meine eigene ist.

„Ah ha, hier lebst du also!“, sagte sie und sah sich ein wenig um. „Nicht gerade die ärmste Gegend. Hast du vielleicht einen Schluck zu trinken für mich?“

Wir gingen ins Haus, und während ich für Andrea das gewünschte holte, sah sie sich ein wenig um.

„Der Herr wohnt recht, sagen wir mal so, funktionell. Ich glaube du hat hier noch nie eine Frau gehabt, zumindest keine, die für dich gesorgt hat. Hier kann ja nicht einmal eine Heizung für Wärme sorgen. Aber zumindest ist alles sauber. “ Hierbei ließ sie einen Finger über einen der Bilderrahmen gleiten und grinste mich an, während sie kurz auf ihren Finger sah.

Manchmal lohnt sich eine Putzfrau, aber das sagte ich Andrea nicht.

Stattdessen nahm ich die bereitstehende Kühlbox als Andrea ausgetrunken hatte und ging mit ihr nach draußen.

Schon wenige Augenblicke später standen wir auf unseren fahrbaren Untersätzen und Andrea folgte mir auf meinem Weg, den ich zuvor schon ausgekundschaftet hatte.

Manchmal hat es Vorteile, wenn man am Stadtrand wohnt. Man braucht nicht lange, um der Stadt zu entkommen, und ist schon auf dem Lande. Hier fuhren wir nach einer halben Stunde über wenige begangene Feldwege und erfreuten uns an dem leichten Fahrtwind, der uns ein wenig Kühlung brachte.

Es war nicht nur warm, es war sehr warm, andere, wie ich, sagten heiß dazu. Aber es machte einem nicht so viel aus, da man sich nur wenig bewegen musste. Ich kannte einen netten verschwiegenen Ort an einem kleinen See, der mir gehörte. Ich hatte das Grundstück vor Jahren gekauft und irgendwann eine Hütte darauf bauen lassen. Der See selber war nicht sehr groß, aber um einiges größer als das Becken in einem Schwimmbad.

Dazu hielt ein Gärtner alles in Ordnung, das heißt, er mähte einen kleinen Teil des Grundstücks, was mit Gras bewachsen war. Ansonsten durfte alles so wachsen, wie es wollte. Also zumindest ein Teil Natur, in der sich vieles wohlfühlte, was in einem aufgeräumten Garten keine Lebensgrundlage fand. Hier war es eine Freude den vielen Schmetterlingen zuzusehen, die hier ein Auskommen fanden und ihre Kinderstube anlegen konnten.

Leider kam ich viel zu selten hier heraus und freut mich darauf, endlich einmal wieder dort hinzukommen.

Nach einer Stunde Fahrzeit waren wir dann da und Andrea ging mit leuchtenden Augen über das Grundstück, erfreute sich über das bunte Treiben.

„Alles deins? Kann man in dem See schwimmen? Sind dort Fische drin? Hast du hier schon einmal übernachtet? Hast du ……………?“ tausendundeine Frage sprudelten Andrea über die Lippen und sie hüpfte dabei über den kurz geschorenen Rasen, bis sie auf einmal aufschrie.

Sie hatte ihren Fuß angehoben und schaute auf die Sohle, während ich zu ihr herüber rannte.

„Was ist los?“, fragt ich sie mit sorgenvoller Stimme.

„Och nichts. Mutter Natur hat sich nur dafür gerächt, dass ich so übermütig über den Rasen gehüpft bin, ohne darauf zu achten, wo ich hintrete. Biene auf Blume! Mochte es nicht, dass ich auf sie trete!“

„Allergisch?“, fragte ich besorgt. „Nö, ist nicht das erste Mal. Tut nur etwas weh und wird eine kleine Beule.

Kenne sich schon. „

Humpelnd ging Andrea mit mir zu einem Platz, den ich ausgesucht hatte. Hier im Schatten eines Baumes hatte ich schon eine Decke ausgebreitet und die Kühlbox darauf gestellt. Jetzt setzten wir uns auf das Tuch und ich öffnete die Box.

„Sag mal. Du isst wohl sehr gerne?“

„Oh ja, warum auch nicht. Ist es nicht einer der schönsten Genüsse, die man sich selber bereiten kann? Es gibt so viele leckere Sachen, warum soll ich die nicht probieren und mögen.

Mir würde etwas fehlen, wenn ich an den Köstlichkeiten dieser Welt vorbeigehen müsste!“

Mit diesen Worten holte ich ein paar der kleinen Köstlichkeiten aus der Box und Andrea sah mir dabei zu.

„Weißt du eigentlich, wie gemein du bist? Du wusstest genau, dass ich da nicht widerstehen kann“, sagte sie, als sie sah, wie ich einen Krabbensalat auf Joghurtbasis hervorzauberte. Diesmal war ich von Käse auf Meeresfrüchte umgestiegen, da ich wusste, wie sehr sie diese mochte.

Viele kleine Häppchen folgten noch, denn mein Fischrestaurant macht so etwa schon einmal für einen guten Gast. Dazu kam der leichte, noch einigermaßen gut gekühlt Weißwein. Dann schwelgten wir in den Genüssen, die sich vor uns ausbreiteten.

Nichts blieb übrig. Nicht der kleinste Happen.

„Du willst mich wohl mästen?“, sagte Andrea, während sie sich wie schon einmal gesehen, genussvoll die Finger ableckte.

„Stehst wohl auf dicke Frauen und willst mich dazu bringen, deinem Ideal zu entsprechen. Daraus wird nichts! Aber das Abtrainieren kann warten. „

Sie ließ sich zurücksinken und lag ausgestreckt da. Das Essen und der Wein machte schläfrig und so tat ich es ihr gleich. Mit geschlossenen Augen lagen wir da und lauschten dem leichten Wind in den Blättern über uns, der allerdings bei uns nicht ankam. Wäre kein Schatten gewesen, hätten wir es sicher nicht ausgehalten.

Irgendwann hörte ich es neben mir rascheln. Ich öffnete die Augen und sah zu Andrea herüber ohne den Kopf zu bewegen. Sie hatte sich auf Ihre Ellbogen aufgestützt und sah, dass sich meine Augen geöffnet hatten.

„Hattest du nicht gesagt, dass man in dem See baden kann? Wie tief ist der denn?“

„Nicht sonderlich tief. Meistens um die eineinhalb Meter, manchmal tiefer, aber eigentlich kann man überall stehen, es sei denn, man ist ein Zwerg.

Allerdings ist hier Moorgegend und der Grund recht weich. Das mögen nicht alle Menschen. „

„Das würde mir nichts ausmachen, immerhin geben viele Menschen eine Menge Geld dafür aus, dass sie im Schlamm in der Badewanne liegen! Leider habe ich kein Handtuch sonst würde ich es ja mal versuchen“, sagte sie und sah mich dabei an.

„Hmmm, kann sein, dass ich welche in der Laube habe. Muss ich mal eben nachschauen.

Neugierig ging Andrea mit mir mit, als ich zu dem Häuschen rüber ging. Aufgeschlossen war schnell und ich war angenehm davon überrascht, dass es immer noch so darin aussah, wie ich es in Erinnerung hatte.

Direkt hinter der Tür war ein etwas größerer Aufenthaltsraum mit einer Sitzgruppe und einem Kamin, dazu eine Art Badezimmer mit Chemietoilette. Einen Anschluss an das Wasser- und Entsorgungsnetz gab es nicht.

Dafür war man einfach zu weit weg. Das wenige Wasser was es hier gab war nicht zum Waschen gedacht, sondern zum Trinken und kochen und bestand aus einigen Flaschen, die ab und zu ausgewechselt wurden. Dazu kam ein kleiner Herd mit zwei Flammen, die über eine Propangasflasche gespeist wurden.

Eine sehr schmale Treppe ging unter das Dach. Hier waren zwei Kojen an die Dachschrägen angepasst worden, in denen man übernachten konnte, wenn man auf großen Luxus keinen Wert legte.

All dies inspizierte Andrea sorgfältig, ohne einen Kommentar abzugeben. Allerdings pustete sie stark, als sie unter das Dach kam. Hier oben hatte es sich durch die Sonne sehr stark aufgeheizt und war kaum auszuhalten. Schnell kam sie wieder nach unten, um nicht zu überhitzen.

Ich hatte inzwischen die Handtücher gefunden und wir gingen aus dem Haus zum See, in den ein kurzer Steg durch einen schmalen Schilfgürtel führte.

Hier war es angenehmer als auf dem Grundstück, da der Wind hier ungehindert über die fast glatte Oberfläche des Wassers wehen konnte. Sofern man von wehen überhaupt sprechen konnte.

Andrea sah einmal nach links, dann einmal nach rechts, zog Ihre Schuhe aus und setzte sich auf den Rand des Stegs, dann ließ sie ihre Füße mit einem Teil der Beine in das Wasser tauchen, um dieses zu testen.

„Wunderschön kühlend.

Solltest du auch probieren!“

Ich zog ebenfalls meine Schuhe aus und krempelte die leichte Stoffhose hoch. Dann setzte ich mich neben Andrea und planschte schon wenig später, ebenfalls mit den Beinen im Wasser.

„Du hast gesagt, dass hier weit und breit kein Mensch wohnt. Dann bin ich dir ja hilflos ausgeliefert!“, sagte sie mit einer Stimme, die tiefer und rauer klang als sonst. Dann lachte sie los und planschte umso stärker im Wasser herum, sodass es zu spritzen begann.

Ohne weiter etwas zu sagen, erhob sich Andrea plötzlich und stand am Ende des Stegs, dann überkreuzte sie Ihren Arme hinter ihrem Rücken und zog sich ihr Kleid über den Kopf. Sekunden später stand sie nur noch in Slip und BH da, welche aber schon wenige Augenblicke später dem Kleid folgten.

Jetzt war sie vollkommen nackt und stieg wie selbstverständlich über die kleine Treppe am Ende des Stegs ins Wasser.

Hier war es noch relativ flach und ging gerade über ihren Bauchnabel. Sie drehte sich zu mir um und meinte nur: „Es ist so herrlich. Komm doch auch rein!“

Dann drehte sie sich wieder um, ging langsam weiter in den See hinein und entzog mir sogleich den Anblick, den sie mir geboten hatte. Um es kurz zu sagen, es gefiel mir sehr, was ich zu sehen bekommen hatte.

Andrea war bei der ganzen Sache so natürlich gewesen, dass ich diesem nicht nachstehen wollte. Also zog ich mich ebenfalls aus und war schon wenig später im Wasser, während Andrea die ersten Schwimmzüge machte.

Nur langsam kam ich ihr näher, denn sie konnte recht schnell schwimmen. Was Sport betraf, war sie mir mehr als über. Geschmeidig durchschnitt ihr schmaler Körper das bräunliche Wasser und hinterließ kaum Wirbel.

„Schwimmen, nicht gucken!“ , rief sie mir auf einmal herüber und ich erwachte wie aus einem Traum. Dann ließ ich mich ganz ins Wasser gleiten und ließ mich auf der Oberfläche treiben so, wie ich es gerne mochte. An den Wellenbewegungen konnte ich dann feststellen, dass Andrea sich mir näherte.

„Klar, wie immer. Der Herr liegt faul rum anstelle mal, was für sich zu tun. Der kleine Bauchansatz muss weg.

Der Rest lässt sich einigermaßen sehen. Das kriegen wir auch noch hin“, sagte sie, bevor mich eine Welle traf, die über mein Gesicht hinweg rollte.

Andrea hatte sich neben mich geschlichen und dann ihre Handflächen schnell nach vorne bewegt. Die Welle traf mich unvorbereitet und ich schluckte etwas von dem moorigen Wasser.

Hustend kam ich hoch und wischte mir das Wasser aus den Augen, als mich der nächste Schwall traf.

Dann war kein halten mehr. Unser Kampf war kurz aber heftig. Die Wassertropfen flogen geradezu um uns herum und man hätte von Land her sicher einen kleinen Regenbogen gesehen.

Wie die Kinder spritzten wir uns gegenseitig immer wieder nass, bis wir fast aus der Puste kamen. Erst dann wandten wir uns dem Ufer zu. Andrea wie zuvor voraus. Sie stieg zuerst die Leiter hoch und ich konnte ihre straffe Haut sehen die ihren ganzen Körper überzog.

Kein Gramm Fett zu viel, wie bei mir.

Kaum stand sie oben griff sie nach einem Handtuch und wickelte sich darin ein, um sich dann sofort zu mir umzudrehen. Ich war noch nicht einmal auf der Treppe und wurde jetzt zur Galavorstellung für Andrea. Seltsamerweise kam es mir aber gar nicht komisch vor. Dass ich nackt war, schien ganz normal zu sein. Als ich dann aus dem Wasser stieg, sah sie mir dabei nicht einmal wirklich zu.

Sie trocknete sich weiter ab, als wenn nichts wäre. Ich war mir aber sicher, dass es nicht ganz so war.

Oben angekommen schnappte ich mir ebenfalls ein Handtusch und trocknete mich ab. Es war eine herrliche Abkühlung gewesen und man fühlte sich erfrischt. Dieses Gefühl verschwand aber schon nach wenigen Minuten. Wir hatten uns wieder angezogen und lagen auf der Decke.

Ein paar kleine Quellwölkchen waren inzwischen am Himmel aufgetaucht und wir versuchen etwas in ihnen zusehen, was allerdings nicht funktionierte.

Es lag nicht an unserer Fantasie, sondern an der Gleichmäßigkeit der Wolken. „Ein Schäfchen, noch ein Schäfchen, noch ein Schäfchen……!“, kommentierte ich und Andrea: „Ein Wattebällchen, noch ein Wattebällchen, noch ein Wattebällchen……!“

„Viel zu warm“, sagte Andrea auf einmal und wand sich in Windeseile aus Ihrem Kleid. Die Unterwäsche folgte sogleich. „Besser so!“, sagte sie und schloss wieder ihre Augen.

Ganz ehrlich. Mir war so schon warm, jetzt wurde mir heiß.

Ich sah zwar nicht direkt zu ihr herüber aber das, was ich aus dem Augenwinkel sah, reichte vollkommen aus.

„Sag mal, schwitzt du denn gar nicht?“, hörte ich sie auf einmal leise sagen. „Ich an deiner Stelle würde mich jedenfalls aus den Klamotten pellen. Sieht doch keiner. „

Eigentlich hatte sie recht. Also zog ich mich ebenfalls aus, legte mich dann aber vorsichtshalber auf den Bauch.

Andrea hatte natürlich recht gehabt.

Es war so viel angenehmer. Kein Stoff klebte an einem und es war sehr angenehm, ohne Bekleidung dazuliegen.

Dann traf es mich, wie ein Blitz als Andrea auf einmal sagte: „Meinst du nicht das es an der Zeit ist mich zu küssen?“

Kapitel 11

War mir zuvor heiß gewesen möchte ich behaupten, dass mir auf einmal Lava durch die Adern floss. Sicher hatte ich mir schon ein paar Mal Gedanken darüber gemacht ob Andrea eine Frau für mich wäre, bin aber zu dem Schluss gekommen, noch etwas zu warten.

Worauf konnte ich allerdings nicht sagen.

Ich hätte vor Freude jubeln können, als sich unsere Lippen das erste Mal zitternd aufeinandertrafen. Diesem einen Mal folgten viele mehr. Um es kurz zu sagen, waren wir an diesem Tag noch mehrere Male im See, um uns abzukühlen.

War ich zuvor nur neunundneunzig prozentig sicher, dass Andrea das war, was ich wollte, so kam das eine Prozent jetzt dazu.

Ich liebte Andrea. Anders kann ich es nicht sagen. So banal diese Worte auch sind. Solch starke und große Schmetterlinge hatte ich noch nie in meinem Bauch verspürt und ich hätte nie gedacht, dass es mich einmal so hart trifft. Ein Hammer unglaublicher Größe traf mich und ich wurde geradezu aus den Socken gehauen.

Ich muss schon sagen, verliebte Menschen sind doof und albern, dürfen das aber auch sein. Entschuldigen sie, wenn ich das so sage, aber man ist irrational.

Sicher, ich bin in meinem Leben nicht das erste Mal von einer Frau fasziniert, aber diesmal war es anders. Andrea war mein Sonnenschein, war mein Lebensmittelpunkt und es drehte sich alles nur noch um sie. Selbst meine Firma wurde nebensächlich und es war nur gut so, dass ich schon frühzeitig darauf hingearbeitet hatte, dass sie von alleine lief.

So hingen wir beide seit diesem Tag zusammen wie zwei Kletten. Keine Minute wollte der eine den anderen missen, und wenn wir uns nur zehn Minuten nicht sahen, kam das schon fast einer Katastrophe gleich.

Dabei wunderte ich mich nur, dass dieser Zustand mehrere Wochen anhielt. Es gab kaum etwas, was wir nicht zusammentaten. Ebenso konnten wir die Finger nicht voneinander lassen. Das wiederum brachte uns dazu, schon wenige Tage später nicht mehr wirklich gut auszusehen. Es machte sich bemerkbar, dass wir unter Schlafentzug litten. Dem gegenüberstand der Vorteil, dass wir kaum etwas aßen und nur tranken, weil es wirklich nötig tat, denn Sport machten wir weiterhin. Unsere Energiereserven wurden jedoch immer geringer.

Sogar mein kleines Bäuchlein nahm ab. Andrea hatte dementsprechend nicht viel, von dem sie zehren konnte.

Wir nannten die Zeit später die Zeit des verbrannten Essens, denn wir versuchten mehrmals etwas zu kochen, doch vergaßen wir mehr als einmal alles um uns herum, da wir Besseres zu tun hatten. Erst der unangenehme Duft von verbrannter Pizza oder anderem erinnerte uns daran, dass wir eigentlich Energie im Überfluss zu uns nehmen wollten.

Ein paar Tage später entdeckten wir die Welt des Bringservice und nutzen diesen voll aus, auch wenn die Nahrungsmittel oftmals nicht gerade gesund waren. Sie brachten wenigstens unseren Energiehaushalt wieder in Ordnung, sodass wir nicht ganz vom Fleisch fielen.

Diese Phase dauerte wie schon gesagt mehrere Wochen. Erst dann begannen wir uns klarere Gedanken darüber zu machen, wie es mit uns weitergehen würde.

Wir schmiedeten Pläne und verwarfen sie sofort wieder, allerdings kristallisierte sich ein Wunsch dabei heraus.

Wir wollen in ein neues Haus ziehen, das uns beiden gefiel. Wer den Innenraum verschönerte, war allerdings von vornherein klar. Es sollte ein Nest für uns beide werden und kein einfacher Wohnraum. Dabei hatte ich nur zwei Bedingungen, die für mich außer Frage standen.

Erstens wollte ich ein eigenes Bad, ein Männerbad. Einfach, schlicht aber mit einigen Extras, die ich schon immer haben wollte. Mein zweiter Wunsch war schon etwas spezieller denn ich wollte ein Yakuzi auf der Terrasse oder zumindest draußen.

Es war schon immer ein Traum für mich gewesen im Winter, während es schneite, draußen im warmen Wasser zu planschen, mit einem Drink in der einen, einer Zigarre in der anderen Hand. Jetzt kam sogar noch Andrea dazu, was das Vergnügen noch um einiges steigern würde. Klar das es kein normales Becken werden sollte, sondern so ein Ding, in dem mindestens acht Leute genügend Platz haben sollten. Also eher schon ein kleines Schwimmbecken mit allen technischen Raffinessen.

So mit Blubberblasen etc.

Wo ich schon dabei war, fand Andrea, dass eine Sauna auch nicht schlecht wäre und ich willigte sofort ein, wobei ich sagen muss, dass ich gar nicht so gerne in die Sauna ging. Doch der häusliche Frieden war mir von Anfang an wichtig. Andrea sollte alles bekommen, was sie sich wünschte. Eine materielle Zufriedenheit ist nach meiner Ansicht genauso wichtig, wie eine seelische.

Jetzt werden viele Aufschreien uns sagen, der Typ denkt nur an Geld.

Nein, so ist es nicht, aber je höher die materielle Zufriedenheit, umso wahrscheinlicher ist eine seelische. Irgendwann, wenn die Leidenschaft dem Partner gegenüber abnimmt, wird man leider feststellen, dass man von der Liebe alleine nicht leben kann und wer dann mit sich und dem, was er hat, unzufrieden ist, hat ein gewaltiges Problem.
Zum Glück mussten wir uns darum keine Sorgen machen. Ich sowieso nicht und Andrea ebenfalls nicht.

Sie hatte sich während der Wochen unseres Zusammenseins unbezahlten Urlaub nehmen können. Sie hatte einen sehr kulanten Chef oder besser gesagt, lief das Unternehmen nicht sonderlich gut, in dem sie als Sekretärin arbeitete. So gesehen war es eine Kosteneinsparung und gar nicht so ungerne gesehen.

Ich stellte ihr natürlich frei, jederzeit wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Immerhin konnte unsere Beziehung ja auch schief gehen, was wir beide aber nicht glaubten.

Wir waren von Anfang an fest davon überzeugt, dass wir zusammengehörten. Solange es so lief, war alles in Ordnung und wir hatten keinen Grund uns über etwas anderes Gedanken zu machen.

Ein paar Tage später machten wir uns schon auf ein neues Eigenheim zu finden. Allerdings wurde uns schon schnell klar, dass wir uns für unsere Ansprüche aus der Stadt entfernen mussten, da wir eine geeignet hohe Anzahl an Quadratmetern suchten.

Dies fanden wir erstaunlicherweise schon nach wenigen Tagen. Ein alter Bauernhof wurde verkauft, da es keinen Nachfolger gab. Dafür waren die dazugehörigen Felder einfach zu klein, wurden aber nur mit dem Hof verkauft. Somit sprangen viele vom Kauf ab, da sie mit dem Hof an sich nichts anfangen konnten.

Also kaufte ich den Hof für einen relativ günstigen Preis, da ich direkt nach dem Verkauf an mich die Felder weiter an die Bauern der Umgebung veräußerte.

Wobei günstig nicht der richtige Ausdruck war. Das Gebäude an sich war in einem nicht wirklich guten Zustand und so musste das alte Gebäude vollkommen saniert werden, um es auf den Stand zu bringen, der uns vorschwebte.

Alleine der Umbau und die Renovierung kostete mehr als das doppelte dessen, was mich das Gebäude gekostet hatte. Dafür hatten wir nach einem halben Jahr ein sehr geräumiges und modernes Haus mit allem Komfort, was aber weiterhin als altes Bauernhaus zu erkennen war.

Jetzt werden sicher einige fragen, warum es so schnell ging.

Ganz einfach. So manch einer kommt schneller, führt seine Arbeiten eher durch als bei anderen, wenn einige bunte Scheinchen den Eigentümer wechseln. Oder anders gesagt raten sie mal, warum bei ihnen die Handwerker immer zu spät oder gar nicht kommen. Sollten sie mal drüber nachdenken.

Es war wirklich unser Traumhaus und hatte allen Komfort den man sich vorstellten konnte inclusive meiner beiden Bedingungen.

Selbst Andrea war davon begeistert, selbst im Winter in dem warmen Wasser zu sitzen. Kam dann noch dazu, dass es dunkel und keine Wolken am Himmel war, machten wir alle Lichter aus und genossen den überaus prächtigen Sternenhimmel, der einem nur auf dem Lande geboten wurde. Hier machte sich die Lichtverschmutzung nicht so stark bemerkbar und man konnte vieles sehen, was einem in der Stadt verborgen blieb.

In solchen Nächten ließen wir uns lang ausgestreckt vom Wasser tragen, hielten uns bei den Händen und starrten in das Himmelszelt, was sich über uns ausbreitete.

So konnten wir eine halbe Stunde oder gar mehr verbringen und es kam kein Wort über unsere Lippen. Brauchte auch nicht, denn ich wusste, dass wir beide gleich fühlten. Ein Gefühl von Schwerelosigkeit durchzog unsere Körper und wir fühlten uns frei wie Vögel.

Bevor wir dann wieder aus der Wanne stiegen, genehmigte ich mir noch die besagte Zigarre, obwohl Andreas es nicht für besonders gesund hielt.

Klar war es das nicht, aber ich genoss es und ließ mir diesen Luxus nicht nehmen. Ebenso wie den Drink den ich mir zuführte. Hierzu hatte Andrea ein anderes Verhältnis. Für sie stand ebenfalls einer bereit und nahm ihn gerne zu sich.

Wenn wir dann aus dem warmen Wasser stiegen, dampften unsere Körper in der Kälte, als wenn wir gerade gekocht worden wären. Dann trockneten wir uns gegenseitig noch draußen ab.

Dabei bemerkte man deutlich die Kälte auf der Haut, aber es machte einem nicht so viel aus. Ähnlich wie bei einem Saunagang. Dann rannten wir ins Haus und verschwanden augenblicklich im Schlafzimmer, wo wir uns unter unseren Decken einkuschelten und gegenseitig wieder wärmten.

Wochen und Monate vergingen und ich wunderte mich immer wieder, wie wenig unsere Leidenschaft darunter litt. Die Zeit ging an uns vorbei und es war fast noch genauso wie am Anfang.

Wir genossen jeden weiteren Tag miteinander, obwohl sich eine Art Routine einstellte, was die meisten Tage anging. Wir waren inzwischen mehrfach verreist und durchbrachen diese damit. Doch es spielte keine Rolle. Selbst wenn wir abends kein Wort miteinander wechselten, weil es nichts zu erzählen gab, war unsere Verbundenheit so stark wie zuvor.

Ein Aspekt wunderte uns allerdings ein paar Monate später. Wir waren beide nicht zu alt um eine Familie gründen zu können, aber es tat sich nicht.

Wobei man auch nicht sagen kann, dass wir darauf hingearbeitet hätten. Wenn es passiert wäre, dann hätten wir beide nichts dagegen gehabt. So zumindest hatten wir und über das Thema verständigt. Aber es klappte nicht. Was ganz gewiss nicht daran lag, das wir nichts dafür taten. Nach dem, wie oft wir Spaß miteinander hatten, hätten wir sicher eine kleine Stadt bevölkern können. Aber darauf wurde nichts. Es war halt so und wir wollten auch gar nicht danach forschen, woran es lag.

Ohne Kinder war das Leben genauso lebenswert wie mit. Wenn Mutter Natur nicht wollte, dass wir uns vermehrten, dann hatte sie ja vielleicht einen Grund dafür. Aber diesen Grund hat sie uns nicht mitgeteilt.

Ein weiteres Jahr ging ins Land. Die Leidenschaft ging ein wenig mehr zurück, die Liebe wurde umso stärker. Ich für meinen Teil mache hierbei einen großen Unterschied, trenne diese beiden Begriffe sogar voneinander. Nach meiner Meinung wurde die Liebe zu Andrea immer stärker.

Ich bemerkte es immer dann, wenn wir voneinander getrennt waren. Dann bekam ich das Gefühl, als wenn mir etwas fehlte, was mit der Zeit immer stärker wurde. Wenn Andrea dann wieder da war, war ich beruhigt und glücklich.

Inzwischen habe ich meine Firma mit einem sehr hohen Gewinn verkauft. Ich hatte keine Lust mehr dazu gehabt mich darum zu kümmern und einen Schlussstrich untere diese Sache gezogen. Ich läutete damit einen neuen Lebensabschnitt für mich und zugleich für uns ein.

Um trotzdem etwas zu tun zu haben, haben wir auf einem Stück Land hinter dem Haus, ein Gewächshaus bauen lassen.

Ich hatte nie gewusst, dass es mir so viel Freude machen würde, Nutzpflanzen zu pflegen und anzubauen. Hierbei gab es das Gewächshaus an sich und noch einen etwas Größeren äußerem Teil, den ich zum Anbau von Gemüse nutzte, was draußen wachsen konnte. Zur Bewirtschaftung hatte ich mir einen alten Schlepper gekauft und einige wenige Werkzeuge dazu.

Andrea hatte zwar mit dem Kopf geschüttelt, als ich mit dem alten Kram um die Ecke kam, aber wohl innerlich gemeint, dass ich wohl ein Spielzeug brauchte. Und so war es auch. Wer hat als kleiner Junge nicht davon geträumt, einmal Trecker zu fahren.

Genauso war es bei mir ebenfalls. Ich kuppelte sofort den Pflug an und wühlte mich durch das Erdreich des Ackers. Als ich damit fertig war, fand ich irgendwie, dass einmal nicht reichte.

Also kam noch ein zweites Mal dazu. Damit es dann auch wirklich ordentlich gemacht wurde, folgte ein drittes Mal. Dann war der Tank so leer, dass ich es kein viertes Mal geschafft hätte. Also musste ich damit aufhören, obwohl ich davon überzeugt war, dass dieser Acker noch mehr Pflege brauchte. Gleich am nächsten Tag tankte ich wieder voll und vollendete mein Werk mit der vierten Runde.

Als der Sommer vergangen war und der Herbst so langsam an die Tür klopfte, wurden die Früchte meiner Arbeit reichlich geerntet und selbst Andrea musste zugeben, dass meine Feldfrüchte mehr als gut waren.

Vollkommen ohne Chemie. Dafür nicht so in der Norm wie normalerweise. Mal hier ein Wurm, der sich in einer Kartoffel wohlfühlte oder eine Raupe am Salat. Aber das gehörte zur Natur, und da ich von dem Acker nicht leben musste, war das alles in Ordnung.

Eins wurde mir dann bei der ganzen Sache klar. Ich hatte etwas übertrieben. Ich hatte von allem irgendwie zu viel gepflanzt. Mit einem zwei Personen Haushalt kam man gegen die Menge zur Haupterntezeit gar nicht an.

Man wurde geradezu mit Gemüse überschwemmt und ich wusste nicht wohin damit. Über eine Einlagerung hatte ich mir keine Gedanken gemacht und stand nun mit vollen Körben da.

Zum Schluss habe ich bei einem Verein angerufen, der für Bedürftige sammelte und kochte. Die nahmen meine Waren mit Kusshand besonders, als ich ihnen anbot, es vorbei zu bringen.

Also belud ich den Anhänger meines Traktors und wollte mich gerade aufmachen, damit in die Stadt zu fahren als Andrea aus dem Haus gelaufen kam und mit wollte.

Sie fand es lustig, mit einem Trecker in die Stadt zu fahren und bei dem Fahrzeug auf dem Schutzblech des Hinterrades zu sitzen.

Es muss komisch ausgesehen haben, als wir durch die Stadt fuhren. Meine Bekleidung war der Arbeit angemessen aber Andreas nicht. Sie hatte sich einigermaßen stadtfein gemacht und sah auf dem Sitz etwas deplatziert aus. Eine Frau mit Pumps und feiner Bluse sah man nicht oft, auf einem Trecker sitzen.

Andrea machten die Blicke nichts aus. Sie freute sich darüber, dass sie in die Stadt kam. Ihre Freude wurde durch die der Annahmestelle übertroffen. Der Anhänger war fast voll mit Gemüse von Karotten bis Kartoffeln, Tomaten und Kohl in mehreren Formen. Uns wurde jedenfalls versichert, dass die Waren gut zu gebrauchen seinen, und wenn wir noch welche hätten, dann würden sie noch mehr davon nehmen.

Das war gut zu wissen, denn diese Ladung war sicher noch nicht die Letzte, die ich nicht gebrauchen konnte, dazu wuchs es alles viel zu gut und schnell während der Erntezeit.

Nach dem Abladen fuhr ich mit Andrea noch in die Innenstadt und hier war mein Fahrzeug natürlich noch interessanter für die Menschen. Dabei meinte ich gerade in den Augen der Männer so etwas wie Neid zu sehen der sich aber diesmal weniger auf Andrea bezog, sondern auf die Maschine, die ich führte. So manch einer von ihnen hätte sicher auch gerne so etwas gehabt.

Solche oder ähnliche Dinge fanden wir immer lustig und wir erfreuten uns daran.

Wir waren der Meinung, dass es ewig so weitergehen würde und das Leben noch viele Dinge für uns bereithielt, was wir zusammen auskosten würden.

Wir hatten uns aber getäuscht. Hatten nicht damit gerechnet, dass sich etwas ändern könnte, dass ein Unglück auf uns zukommen würde.

Das Unglück kam aus einer Ecke, welche wir nie vermutet hätten.

Kapitel 12

Es fing damit an, dass Andrea ab und zu schwindelig wurde.

An sich nichts Besonderes. Mir selber passierte es auch öfters, wenn ich zum Beispiel nach längerer Zeit plötzlich aufstand. Also beunruhigte es uns nicht sonderlich.

Doch diese Schwindelanfälle wurden häufiger, wobei wir zuerst dachten, dass es vielleicht an ihren Ohren liegen könnte. Doch der Ohrenarzt konnte nichts finden und meinte, dass die Symptome untypisch dafür wären. Also musste es etwas anders sein.

Auch Silvias Frauenarzt konnte nichts feststellen.

Sie war noch nicht in den Wechseljahren, dafür war sie noch zu jung.

Zum Schluss meinte der Arzt noch, dass es auch an Andreas Gehirn liegen könnte. Er habe gehört, dass solche Erscheinungen durch Tumore hervorgerufen werden konnten.

Wir glaubten nicht daran, denn Andrea hatte Gleichgewichtsschwankungen und keine Kopfschmerzen. Aber da wir uns damit nicht auskannten, bekamen wir auf Anfrage einen Termin im CT. Die drei Monate bis zu dem Termin verliefen recht ruhig.

Silvias Beschwerden wurden nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Dann kam der Tag und Andrea wurde durchleuchtet. Danach saßen wir noch eine Weile im Wartezimmer, um die Ergebnisse gleich zu erhalten. Wir wollten nicht noch Tage darauf warten. Eine Stunde später wurden wir in einen abgedunkelten Raum voller Computerbildschirme geführt. Dort empfing uns einer der Ärzte, die diese Abteilung leiteten.

Er zeigte uns eine Aufnahme, die einen anderen Menschen zeigte und erklärte uns die Einzelheiten.

Dann holte er tief Luft und zeigte uns eines der Bilder welches Andreas Kopf zeigte.

Es sah anders aus, denn es gab ein Areal, was nicht so aussah wie auf dem Bild zuvor. Um es kurz zu machen. Andrea hatte tatsächlich einen Tumor, der schon streute und andere Areale angriff. Dazu gehörte eben auch das Zentrum, welches für das Gleichgewicht zuständig war.

Die Diagnose war erschütternd und wir wollten sie zuerst nicht glauben.

Doch als es gewiss war, brach Andrea in Tränen aus. Keiner konnte sagen, wie lange sie noch hatte. Es war nur sicher, dass man es nicht mehr operieren konnte. Dafür war es zu weit fortgeschritten.

So wie es aussah, würden wir nicht mehr lange zusammen haben. Zumindest war die Wahrscheinlichkeit gering, dass Andrea noch lange leben würde.

Mit dieser erschütternden Diagnose gingen wir nach Hause.

Die nächsten Tage waren die schlimmsten in meinem Leben.

Wir waren so hilflos, konnten einfach nicht verstehen, was da vor sich ging. Noch vor ein paar Wochen war alles in Ordnung gewesen und jetzt zerfiel unser Leben in Trümmer.

Die Pläne die wir gemacht hatten, waren mit einmal vom Tisch. Wir würden nicht mehr das sehen, was wir uns vorgenommen haben.

Wir wollten noch Reisen machen, wollten Hand in Hand vor den Pyramiden stehen, wollten nach Indien und uns das Taj Mahal, das größte Symbol der Liebe anschauen, das wir kannten.

Aus all dem würde nichts mehr werden. Dafür fehlte uns jetzt die Zeit. Eine Zeit, die uns zuvor noch so endlos vorgekommen war, dass wir an ein Ende gar nicht gedacht hatten.

Nach ein paar Tagen, in denen ich Andrea immer wieder in die Arme genommen hatte und sie hemmungslos weinte, ging eine Verwandlung mit ihr vor sich. Ich hatte einmal gelesen, dass Menschen, denen so etwas passiert in verschiedene Phasen kommen.

Zuerst die Verleugnung. Sie redeten sich ein, dass alles nicht stimmte und alle anderen gar nicht wussten, wovon die sprachen.

Soweit ich noch weiß waren es normalerweise vier Phasen, aber die machte Andrea nicht durch. Sie hatte schnell verstanden, dass es so war. In ihr reifte die Erkenntnis, dass sie sowieso nichts dagegen tun konnte und somit lieber die Zeit nutzen wollte, die ihr blieb.

In der nächsten Zeit hatte ich den Eindruck, dass ich mir mehr Sorgen machte, als sie selber.

Sie nahm wirklich jeden Tag so hin, als wenn es ihr Letzter war. Sie erfreute sich an Dingen, die mir vorher noch gar nicht aufgefallen waren. Die sah die kleinen Wunder, die um uns herum waren, und wartete nicht mehr auf die Großen.

So konnte sie sich darüber erfreuen, wenn die Blumen aufgingen, die ich ihr mitgebracht hatte oder sie saß stundenlang am Fenster und sah zu, wie es regnete.

Kam dann die Sonne hervor, lief sie, selbst wenn es kalt war mit nackten Füßen auf den Rasen im Garten, und sprang fröhlich umher.

Ich selber stand dann oft in der Tür und sah ihr dabei zu. Tränen liefen mir die Wangen herunter, die ich schnell abwischte, wenn sie zu mir gerannt kam, um mich mit auf den Rasen zu ziehen.

War es mir zuvor nicht aufgefallen, sah man es jetzt immer deutlicher, dass es ihr nicht gut ging.

Das Sprechen wurde immer schwerer für sie und sie konnte sich nicht mehr lange konzentrieren. Sie vergaß vieles wieder so schnell, wie sie es gelernt hatte. Dazu wurde ihr Gleichgewichtsinn immer mehr beeinflusst. Sie konnte bald nicht mehr laufen, ohne sich festzuhalten.

Das war die Zeit, als wir am Tisch saßen und sie mir erzählte, was sie wollte, wenn sie nicht mehr war.

Sie wollte nur ein kleines Urnengrab, damit ich nicht so viel damit zu tun hatte.

Sie wollte es sich allerdings selber aussuchen. Also schob ich sie mit dem Rollstuhl, den wir inzwischen besorgt hatten zum Beerdigungsinstitut und sie suche sich eine Stelle aus.

Am nächsten Tag schob ich sie auf den Friedhof und wir suchten nach der Stelle. Als wir sie fanden, betrachtete Andrea sie sehr genau.

Ein alter Baum stand fast direkt daneben, nur eine Stelle war noch daneben frei die ungenutzt war.

Auf der anderen Seite war schon alles belegt.

Andrea meinte nur, dass es eine gute Stelle sei. Sie hätte sich das Richtige ausgesucht. Dann wollte sie nach Hause. Die ganze Zeit auf dem Weg zurück liefen mir die Tränen über die Wange und ich wollte nicht, dass Andrea es sah. Aber ich konnte es nicht verhindern. Sie drehte sich plötzlich um und bekam es mit.

Dann sagte sie: „ Du musst nicht weinen.

Wir hatten eine so tolle Zeit miteinander. Denke an die schönen Dinge, nicht an das, was kommen wird. Wir können es nicht aufhalten. „

Ein paar Wochen später lagen wir im Bett und ich küsste Andrea wie immer, bevor ich das Licht löschte. Ich weiß nicht warum, es war anders als sonst. Aber ich konnte es mir nicht erklären.

Irgendwann mitten in der Nacht wachte ich auf.

Etwas war anders als sonst. Erst ein paar Sekunden später merkte ich, dass ich das Atmen von Andrea nicht mehr hören konnte. Sofort machte ich das Licht an und sah nach ihr.

Sie lag mit offenen Augen da und hatte einen unheimlich friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Doch ich wusste instinktiv das hinter diesem Ausdruck kein Leben mehr steckte. Trotzdem schüttelte ich sie, hatte aber keinen Erfolg mehr damit.

Jetzt zeigte sich, dass die lange Vorbereitungszeit auf diesen Augenblick wirkte.

Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. Nicht ob, sondern nur wann, hatte immer im Raum gestanden.

Also stand ich so ruhig wie möglich auf und ging zum Telefon. Doch das sah nur nach außen hin so aus. In Wirklichkeit fühlte ich mich innerlich, als wenn es mich zerreißen würde.

Ich rief den Notarzt an, obwohl ich wusste, dass er sein Blaulicht nicht mehr anmachen musste.

Trotzdem kam er so bei mir an und ich ließ ihn ein. Dann untersuchte er Andrea und ich gab ihm die Unterlagen, die zeigten, was mit ihr los war. Er las sie durch und stellte dann den Totenschein aus.

Dann rief ich Kalle an. Auch wenn es mitten in der Nacht war, hatte unser bekannter Professor sofort ein offenes Ohr für mich und versprach einen Wunsch von mir umzusetzen, den ich hatte.

Ich gab den Hörer an den Notarzt weiter der aufmerksam zuhörte. Dann nickte er uns verabschiedete sich von mir.

Kaum war er aus dem Haus, ging ich zurück in das Schlafzimmer und stellte einen Stuhl neben das Bett. Dann griff ich nach Andreas linker Hand und hielt diese fest in meinen beiden, in der noch ein wenig Restwärme steckte. Jetzt brachen die angestauten Emotionen aus mir heraus.

Mein Blick ging mehrmals nach oben in Richtung Himmel dann wieder zurück zu Andrea und ich betete für sie, obwohl ich keiner Religion angehöre. Doch innerlich hatte ich das Bedürfnis, bei wem auch immer, Fürbitte einzulegen.

Zum Schluss drückte ich meine Stirn auf Ihre Hand und es brach hemmungslos aus mir heraus, bis es an der Tür klingelte.

Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und ging mit wackeligen Beinen nach unten.

Kalle stand vor der Tür und kam schweigend herein. Er ging mit mir nach oben und untersuchte noch einmal Andrea. Zu einer anderen Diagnose kam er aber auch nicht. Was er aber noch für mich tun konnte, tat er dann. Er rief ein paar Rufnummern an und ließ seinen Einfluss spielen. Hieraus ergab sich, dass Andrea noch zwei Tage bei mir bleiben durfte. Erst dann würde sie abgeholt werden. So wollte ich es jedenfalls.

Kalle konnte nicht mehr für mich tun und ließ mich auf meinen Wunsch dann alleine. Sagte aber, dass ich mich jederzeit bei ihm melden könnte. Aber das nahm ich schon nicht mehr richtig wahr.

Ich schloss die Tür hinter ihm und begab mich mit schleppenden Schritten nach oben, wo ich bis zum Morgen die Zeit an Andreas Seite verbrachte. Erst dann ging ich einen starken Kaffee trinken, denn irgendetwas musste ich zu mir nehmen.

Ein Keks dazu reichte vollkommen und der schmeckte nicht einmal besonders.

Der Kaffee hielt mich ein wenig länger wach, obwohl ich müde und vollkommen ausgelaugt war.
Ich sah in Andreas Gesicht, und da gerade die Morgensonne hinter einer Wolke hervorkam, erhellte sie mit ihren warmen Strahlen die friedlich wirkenden Gesichtszüge. Es sah so vollkommen entspannt aus, als wenn sie nur schlief. Das Einzige was nicht dazu passte war die hellere Gesichtsfarbe.

Bleicher als sonst sah sie aus, sonst hätte ich keinen Unterschied festgestellt. Nur das die Decke sich nicht in regelmäßigen Atemzügen hob und senkte war das endgültige Zeichen, welches über ihren Zustand Auskunft gab.

Die Nacht über hatte ich so viel geweint, dass ich es jetzt nicht mehr konnte. Ich betrachtete sie nur mit ihren über der Brust ineinander gefalteten Händen und nahm Stunde um Stunde Abschied von Ihr.

Irgendwann ging ich nach unten und setzte mich einen Moment in meinen Sessel im Rauchzimmer, um meinen Rücken zu entspannen, der zu schmerzen begonnen hatte.

Der Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, war nicht gerade der bequemste gewesen und so kam es, wie es kommen musste. Ich schlief ein und erwachte erst wieder nach einem wirren Traum, der mich aus der Ruhe riss.

Es war inzwischen wieder dunkel geworden und ich stand auf, um meine Knochen wieder zurechtzurücken. Sitzend zu schlafen war auch nicht das Wahre, selbst wenn der Sessel noch so bequem war. Also machte ich ein paar Auflockerungsübungen wie, als wenn ich laufen gehen wollte, was die Steifheit aus meinen Gliedern vertrieb.

Dann ging ich in die Küche und aß einen weiteren, nicht schmeckenden Keks. Der Rest des Kaffees, den ich vor Stunden gekocht hatte, war in einer Thermoskanne warm gehalten worden. Warm, nicht heiß. Dafür war es zu lange her. Er schmeckte inzwischen etwas bitter, aber das war mir ehrlich gesagt egal. Ich schob die Tasse in die Mikrowelle und heizte das eigentlich nicht mehr genießbare Getränk noch einmal auf. Dann trank ich es und meine Lebensgeister kamen zumindest ein wenig wieder zurück.

Wenig später saß ich wieder an Andreas Bett und ich wollte nicht mehr schlafen, bis sie abgeholt wurde. Die wenigen Stunden, die uns noch blieben, wollte ich nur bei ihr verbringen. Keine Macht der Welt hätte mich jetzt von hier wegholen können.

Die Nacht war ruhig und ich machte die kleine Nachttischlampe auf Andreas Seite an. Hierdurch bekam Ihr Gesicht wieder Konturen und ich sah sie an.

Dann nahm ich wieder eine ihrer Hände, die jetzt vollkommen kalt war. Es wundete mich schon etwas, das diese nicht starr war, wie ich es vermutet hatte, aber davon hatte ich keine Ahnung. Dann lächelte sich sie an. Warum kann ich nicht sagen, aber ich fand, dass sie es verdient hatte. Immerhin hatte man doch schon viel darüber gehört, dass es Menschen gab, die behaupteten, sie hätten sich selber von außen sehen können. Wenn das so war, dann wollte ich ihr wenigstens zeigen, dass es mir gut ging und sie sich keine Sorgen machen musste.

Dann ordnete ich ihre Haare so, wie ich es für richtig hielt. Ich war der Meinung, dass es so nicht bleiben sollte. Nicht in unseren letzten Stunden.

Schneller als ich es wollte, brach der neue Tag an. Die Dämmerung wich der Nacht, und als mir das bewusst wurde, dass dieser Tag der Letzte war, begann ich erneut an zu weinen ohne das eine Träne über meine Wangen lief.

Es war einfach keine mehr, da die ich aus meinen Augen pressen konnte. Die Kanäle lagen trocken.

Durch meine krampfhaften Bewegungen merkte ich nicht die leichte Zuckung im kleinen Finger von Andreas Hand. Und selbst wenn ich vollkommen ruhig gewesen wäre, hätte ich es wohl als Täuschung empfunden und für nicht real gehalten.

Wieder hatte ich meine Stirn auf ihren Handrücken in meinen Händen gepresst und die Augen geschlossen, betet für sie, als einige langsame Worte die sonstige Stille durchbrachen.

„Schatz!“, kam es ganz langsam aber hörbar. „Ist es schlimm, wenn ich nicht tot bin?“

Kapitel 13

Ich registrierte es nur im Unterbewusstsein und konnte es nicht in meine Gedanken integrieren. Ich dachte schon, ich wäre jetzt verrückt geworden.

Dann kam es noch einmal. Genauso langsam, doch jetzt hörte ich genauer hin.

„Schatz, hörst du mich!“ Dabei zuckte jetzt einer ihrer Finger sehr deutlich in meiner Hand und krümmte sich langsam.

Ich hob ruckartig den Kopf und starrte in Andreas Gesicht, welches sich in meine Richtung gedreht hatte und in die Augen, die in meine sahen.

„Hallo!“, sagte sie langsam und mehr gehaucht als gesprochen, dann wurde ich ohnmächtig und fiel vom Stuhl.

Wie lange ich dort gelegen habe, kann ich nicht sagen. Jedenfalls nicht lange, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen.

Die Erinnerung kam sofort wieder und ich wurde mehr als hellwach. Das konnte nicht sein.

Mit einem Herzschlag wie ein Presslufthammer setzte ich mich auf und sah zu Andrea, die mich mit offenen Augen und einem Lächeln auf den Lippen ansah.

Ich schüttelte mit dem Kopf, wollte aus diesem Traum erwachen aber ich wachte nicht auf. Stattdessen wurde mir schnell klar, dass ich nicht schlief. Es war die Realität, das hier und jetzt.

Nur mühsam kam ich auf die Beine und auf meinen Stuhl zurück. Andreas Kopf und Augen verfolgten mein Tun und ich wusste nicht, wie ich mich in dieser Situation verhalten sollte. Auf der einen Seite war ich überglücklich, dass Andrea anscheinend nicht tot war. Auf der anderen Seite plagten mich Zweifel, denn Andreas Gesichtsfarbe und auch die Kälte ihrer Hand, waren nicht normal.

Wie von alleine, um eine Bestätigung zu bekommen, legte ich jetzt eine meiner Hände auf Ihre Stirn und zuckte sofort wieder zurück.

Diese war genauso kalt, wie die Hand.

Doch noch einmal traf ihre Stimme auf mein Trommelfell.

„Was ist mit mir geschehen?“, kam wieder sehr langsam über Ihre Lippen.

„Das weiß ich auch nicht!“, sagte ich und brachte damit die ersten Worte heraus. Dann beugte ich mich vor und küsste sie zart auf die weichen Lippen, die allerdings ebenfalls kühl waren.

Aber das störte mich nicht wirklich.

Ich war nur überglücklich, dass ich Andrea anscheinend doch nicht verloren hatte. Trotzdem konnte ich es mir nicht erklären. Nur langsam begann mein Gehirn wieder zu arbeiten. Das erstes rief ich Kalle an und sagte ihm, dass er sofort kommen müsste. Warum würde ich ihm dann zeigen. Ich wollte am Telefon nicht darüber reden, er hätte es mir vielleicht nicht geglaubt.

Während ich auf ihn wartete, blieb ich natürlich bei Andrea und wir sahen uns weiterhin tief in die Augen.

Dann klingelte es schon und Kalle stand vor der Tür. Er hatte sich wirklich beeilt und ich war darüber sehr froh, denn eigentlich sollte Andrea in zwei Stunden abgeholt werden.

Ich führte Kalle ohne Worte in das Schlafzimmer, obwohl er sich leicht sträubte, denn er war der Meinung, nicht mehr helfen zu können.

Ich habe in meinem Leben noch niemals jemanden gesehen der so reagiert hat wie Kalle.

Nachdem er ins Schlafzimmer getreten war, sah er zu Andrea und blieb einfach stehen. Sie sah ihn mit ihren blauen Augen an und hatte einen Arm erhoben, sodass dieser auf den Ellbogen aufgestützt war. Dann winkte sie ihm, als er sie sah.

Kalle blieb stehen, erstarrte sekundenlang zu einer Salzsäule. Dann drehte er sich zu mir um und meinte nur: „Ich gehe mal meinen Koffer holen. “ Dann verschwand er und ich hörte, wie sich unten die Tür öffnete.

Zwei Minuten später kam er wieder herein, während ich inzwischen auf meinem Stuhl Platz genommen hatte.

Als nächste rief er eine Nummer an und bestellte den Leichenwagen wieder ab. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht und so war es gut, dass er hier war. Wenn Menschen mit bestätigtem Tod wieder aufwachen, gibt es normalerweise viele Fragen. Hier konnten wir das alles sehr einfach umgehen. Herr Professor hatte eben seine Kontakte.

Dann widmete er sich Andrea und ich muss wirklich sagen, so sorgfältig habe ich noch keinen Arzt einen Patienten untersuchen gesehen. Er nahm sein Stethoskop und hörte Andrea auf dem ganzen Brustkorb ab, sagte dabei aber nichts. Dann folgten die üblichen Reflexzonentests, klopfte mal hier, mal dort und maß mit einem Thermometer die Körpertemperatur.

Augen und Zunge wurden untersucht. Ein Hörtest gemacht und noch alle möglichen anderen Dinge, die ich zuvor noch nie gesehen hatte.

Nur irgendwie konnte man an Kalles Art erkennen, dass er immer nervöser wurde. Als er dann noch Blut abnahm, aber nur eine rosig aussehende, wässrige Flüssigkeit zum Vorscheinen kam, ließ er von Andrea ab, die ihm die ganze Zeit interessiert zugesehen hatte.

„Hmmmm!“, sagte er und brummte dann etwas vor sich hin und schüttelte mit dem Kopf. „Sagen wir mal so. Wenn mir jemand die Symptome nennen würde, die meine Untersuchung ergeben hat, dann hätten mir schon die Hälfte davon genügt, um eine Diagnose zu stellen.

Zuerst sah der dann mich an, und dann Andrea. „Also, du hast keinen Herzschlag mehr, deine Temperatur wir von dem Fieberthermometer nicht gemessen. Ein anderes Gerät hat mir verraten, dass du 15 Grad kalt oder warm bist, je nachdem wie man es sieht. Dein Blut hat zumindest in den Armadern kaum noch rote Blutkörperchen und du atmest nur dann ein, wenn du sprechen willst!“

„Um es zu beweisen, werde ich einen kleinen Versuch machen, wenn du erlaubst“, dabei sah er Andrea an die langsam nickte.

Er nahm ein breites Pflaster aus seiner Tasche und klebte es Andrea direkt über den Mund. Dann nahm er eine Nasenklammer und setzte sie ihr auf. Daraufhin nahm er seine Taschenuhr, die er immer bei sich trug, und schaute darauf.

Während die Minuten vergingen, sah Andrea mal zu mir, mal zu Kalle und trommelte, wenn auch sehr langsam mit den Fingern der linken Hand neben sich, auf die Matratze.

Minute um Minute verging und erst nach einer halben Stunde, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen, klappte Kalle den Deckel der Uhr wieder herunter. Dann entfernte er die Klammer und das Pflaster.

„Also, ich wüsste nicht, dass es einen Menschen gibt, der 30 Minuten ohne Atem auskommt, selbst Apnoe-Spezialisten schaffen das nicht. So sehr sich mein Innerstes gegen die Diagnose wehrt so eindeutig ist sie. Andrea, nach medizinischen Gesichtspunkten bist du nicht mehr am Leben.

Wie schon gesagt, nach medizinischen Gesichtspunkten. Was anderes kann ich nicht sagen, auch wenn ich es gerne möchte. Ich kann es mir nicht erklären. Aber ich würde gerne noch einige Tests mit dir machen. Dazu werde ich allerdings alles mitbringen, damit du erst einmal nicht aus dem Haus musst, wenn es dir recht ist. „

Andrea nickte und Kalle stand auf. Wieder mit dem Kopf schüttelnd verließ er das Haus und ich war wieder mit Andrea alleine.

Sofort ging ich wieder nach oben und fragte sie: „Ich bin ja so glücklich, dich nicht verloren zu haben. Egal was ist, ich werde immer bei dir sein. „

Daraufhin lächelte mich Andrea wieder an.

„Kann ich etwas für dich tun? Kann ich dir was bringen? Etwas zum Essen oder Trinken?“

Andrea schüttelte den Kopf, wünschte sich aber mit leisen und langsamen Worten eine heiße Badewanne.

Diesen Wunsch konnte ich nicht verstehen, aber sie meinte, dass ihr irgendwie kalt sei. Das konnte ich vollkommen nachvollziehen. Ich ließ ihr ein Bad ein und trug sie dann aus dem Bett in die Wanne, da sie selber zu schwach war, um zu laufen.

Wieder fiel mir die Kälte auf, die von ihr ausging, aber so wie es aussah, war das nun nicht mehr ungewöhnlich und ich musste mich daran gewöhnen.

Im Bad legte ich sie vorsichtig in das heiße Wasser und war der Meinung, dass es vielleicht doch zu warm geworden war, um darin zu baden. Doch Andrea war da anderer Meinung. Sie empfand es als wohltuend und so legte ich sie ganz hinein.

In der Zeit die Andrea brauchte, um in der Badewanne zu liegen, ging ich nach unten und versuchte mich auf die eine oder andere Art abzulenken.

Wie man sicher verstehen kann, war in den letzten Tagen einiges liegen geblieben und so machte ich mich daran, die Spülmaschine einzuräumen und sah zu, dass diverse andere Dinge auch noch erledigt wurden.

Zwischendurch hörte ich ab und zu, wie Andrea Wasser nachlaufen ließ. Anhand der Geräusche, die dieses verursachte, war es heißes Wasser und dass nicht zu knapp. Dabei fragte ich mich dann wirklich, ob sie es nicht ein wenig übertrieb, aber sie wusste sicher, was sie dort tat.

Etwa eine Stunde später hörte ich dann die Tür aufgehen und ihre tappenden Schritte. Wenige Minuten später kam sie in einen dicken Bademantel eingehüllt in die Küche und setzte sich mit an den Tisch.

„Hmmm“, sagte Sie und sah mich so an, als wenn sie nicht genau wusste, wie sie beginnen sollte.

„Ich glaube, jetzt könnte ich doch einen heißen Kaffee gebrauchen.

Zumindest glaube ich das!“

Ich stand auf und füllte die Kaffeemaschine. Dann wartete ich noch einen Moment, bis sie die ersten Töne von sich gab, und setzte mich wieder an den Tisch.

„Es ist alles so seltsam“, sagte Andrea und ich konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie verwirrt war. Wer wäre das auch nicht gewesen, immerhin hatte man ihr vor nicht einmal zwei Stunden weisgemacht, dass Sie eigentlich tot war.

Wobei anscheinend der Schnitter vergessen hatte, sie mitzunehmen.

Um das Gespräch weiter fortzuführen, sagte ich zu Andrea: „Wie fühlst du dich? Ich kann mir das alles nicht vorstellen. „

Einen Moment lang sah es so aus, als wenn Andrea in sich selber schaute, als wenn sie selber nach der Antwort suchte.

„Es ist schwer zu beschreiben. Eigentlich ist es wie sonst auch, zumindest was mein Denken angeht.

Doch es gibt viele Empfindungen, die sich verändert haben. Vieles habe ich sicher noch gar nicht erfasst, es ist einfach zu viel, was gerade auf mich einstürmt. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass ich keine Wärme oder Kälte spüre, jedenfalls nicht so wie vorher. Mir ist nicht kalt oder warm im eigentlichen Sinn, sondern ich merke es anders. Sagen wir mal so, ich friere oder schwitze nicht. An mir selber spüre ich es schon.

Als du mich in die Wanne gelegt hast, habe ich gemerkt, wie die Hitze in meinen Körper gedrungen ist, dabei hat es sich so angefühlt, als wenn es schichtweise von außen nach innen vorgedrungen ist. Gleichzeitig wurden meine Muskeln und Bewegungen schneller und geschmeidiger.

Wie ich eben aus der Wanne gestiegen bin und hier her kam, war es eigentlich wie immer, wenn nicht sogar noch besser.

Ich habe ein Gefühl in mir, als wenn ich Bäume ausreiße, könnte. Eine Art von Kraft durchzieht meinen Körper. „

Andrea hielt einen Moment inne und sah wieder so aus, als wenn sie in sich selber horchte.

Um sie nicht dabei zu unterbrechen, stand ich auf und holte den inzwischen fertigen Kaffee, schüttete diesen in ihre und meine Tasse. Dann führte ich meine Tasse an meine Lippen und verzog sogleich mein Gesicht.

Das dunkle Gebräu war mehr als heiß und so verbrannte ich mir fast die Lippen.

Anders bei Andrea. Während sie immer noch dieses abwesende Gesicht machte, hob sie die Tasse und nahm einen tiefen Schluck, ohne mit der Wimper zu zucken.

Erst als die Flüssigkeit ihre Kehle herunter fuhr und in ihrem Magen landete klärte sich ihr Blick und ein brummendes Geräusch kam über ihre Lippen.

„Mmmmh, lecker“, sagte sie und nahm sogleich noch einen tiefen Schluck, der ihre Tasse fast bis auf den Boden leerte. Dann sah sie mich an und meinte: „Magst du deinen Kaffee nicht? Hast ja fast noch nichts davon getrunken!“

„Als mir ist er noch viel zu heiß“, antwortete ich. „Du scheinst ja kein Problem damit zu haben?“

„Nein, habe ich nicht. Es schmeckt etwas fad, aber ich kann sehr gut verfolgen, wie der Kaffee in mich hinein fließt.

Er hinterlässt eine wunderbare, wohlig Wärme in mir und ich kann genau fühlen, wo er gerade ist.

Willst du deinen Kaffee nicht mehr?“

Ich musste fast lachen, als ich ihren schon fast gierigen Blick bemerkte. Da ich aber mehr gekocht hatte, stand ich auf und holte die Kaffeekanne, die noch fast halb voll war. Dann goss ich Andreas Tasse ein weiters Mal voll und ließ die Kanne gleich auf dem Tisch stehen.

Ich will ja nichts sagen, aber, als ich sie dabei beobachtete, wie sie mit dem Heißgetränk umging, hätte ich es mit dem Wort „stürzte“ am besten umschreiben können. Sie nahm ihre Tasse und schluckte den Inhalt mit einem Mal herunter. Daraufhin schnappte sie sich die Kanne und vernichtete auch noch den Rest. Der Inhalt meiner Tasse kam zum Schluss dran. Ich brauche bloß einmal nicken, als sie diese fixierte und schon war auch der Inhalt meiner Tasse in ihr verschwunden.

Erst dann schien sie zufrieden zu sein. Sie leckte sich über ihre Lippen die eine eher blasse Farbe hatten und lehnte sich genüsslich zurück.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte sie mich.

„Eigentlich dachte ich, dass du noch etwas Ruhe brauchst“, war meine Antwort, die Ihr aber nicht zu gefallen schien.

„Ruhe hatte ich in den letzten Tagen genug.

Ich will einfach etwas machen. So gut wie jetzt ging es mir schon lange nicht mehr. Solange mir keiner sagen kann, wie lange mein Zustand anhält, möchte ich keine Sekunde davon verstreichen lassen, ohne diese zu nutzen. „

Irgendwie konnte ich sie auf der einen Seite verstehen, auf der anderen Seite nicht. Was aber auch mit den letzten Tagen zusammenhing. In mir machte sich erst jetzt eine Müdigkeit breit, die ich den letzten Tagen schuldete.

Ich erklärte es Andrea und sie verstand, was ich damit sagen wollte. Sie meinte, dass ich schlafen gehen sollte, sie würde schon etwas finden, was sie machen könnte.

Also ging ich schweren Herzens in unser Schlafzimmer und legte mich hin. Ich wollte mich nur zwei Stunden aufs Ohr hauen und dann wieder für Andrea da sein. Doch es kam anders.

Als ich nach einer traumlosen Zeit aufwachte, war es inzwischen dunkel geworden.

Wie spät genau es war, konnte ich nicht sagen, aber sicher schon nach Mitternacht. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich Andrea auf dem Stuhl sitzen, auf dem ich bei ihr Wache gehalten hatte.

Sie saß in ihrem dicken Bademantel da und sah mir anscheinend beim Schlafen zu.

„Hallo Schatz!“, sagte ich leise zu Ihr und sie lächelte mich an. „Bist du gar nicht müde?“

„Nein“, antwortete sie ebenso leise.

„Ich bin kein bischen müde. Ich merke nur, dass mein Körper wieder langsamer wird. Von Stunde zu Stunde kann ich die Veränderung fühlen. Ich glaube es liegt an der Kälte, die von außen ich mich kriecht!“

Sofort hob ich die Decke und nickte ihr zu. Andrea erhob sich kam zu mir ins Bett. Hier drehte sie sich gleich mit dem Rücken zu mir und drängte sich an mich heran.

Beide liebten wir es, uns so aneinander zu kuscheln.

Doch dieses Mal war es anders als sonst. Normalerweise wärmten wir uns gegenseitig und oft, besonders im Sommer, wurde es so zu warm. Diesmal war es anders.

Ich hätte es mir eigentlich vorher denken können. Andrea war weder warm noch kalt. Irgendwie dazwischen. Was allerdings weder sie noch mich besonders störte. Ich fand die leichte Abkühlung gar nicht so schlecht, wäre es doch unter der Decke sonst schnell zu warm geworden.

Ebenso erging es Andrea. Sie drängte ihren Körper so sehr an mich heran, dass sie jeden Quadratzentimeter meines warmen Körper an dem Ihren fühlen wollte. Dabei nahm sie meine Wärme entgegen, die ich in ihre Richtung abstrahlte.

Dann umarmte ich sie und schlief friedlich ein. Immerhin hatte ich die Gewissheit, dass ich Andrea doch nicht verloren hatte und das war alles, was zählte.

Am Morgen wachte ich auf und hielt Andrea immer noch an mich gezogen fest.

Als ich mich regte, kam auch Bewegung in Ihren Körper und sie drehte sich zu mir um.

„Guten Morgen!“, sagten wir gleichzeitig und mussten darüber ein wenig lachen. Dann fragte ich sie, „Hast du gut geschlafen?“

Sie schüttelte mit dem Kopf und sagte: „Keine Minute. Ich bin nicht müde. Ich habe es aber sehr genossen, hier zu liegen. Es ist so schön, bei dir zu sein!“

Daraufhin gab sie mir einen kleinen Schmatzer und schwang ihre Beine aus dem Bett.

Mit etwas staksigen Schritten verließ sie unser Schlafzimmer und dann hörte ich die Dusche angehen.

Erst eine halbe Stunde später stellte Andrea diese wieder ab und kam zurück ins Schlafzimmer.
„So eine heiße Dusche ist wirklich nicht schlecht. Ich hätte sicher noch eine Stunde darunter stehen können. Es ist einfach nur herrlich!“ Dann ging sie ins Ankleidezimmer und war nur Minuten später fertig gestylt.

Eine der Eigenschaften, die ich an Ihr so liebte.

Wenn sie wollte, konnte sie sich innerhalb von Minuten fertigmachen. Etwas was nicht selbstverständlich war. Ich erinnerte mich in solchen Momenten an eine meiner verflossenen, sagen wir mal, Betthäschen. Ein wirklich hübsches Mädchen, tolle Figur, geschmeidiger Körper, den man einfach genießen musste und genossen werden wollte. Eine Frau wie aus dem Bilderbuch. Aber das war auch alles. Solange sie nicht den Mund zum Reden aufmachte, war alles in Ordnung.

Ich will in kein Klischee verfallen, aber sie war blond.

Um nicht zu sagen sehr blond. Der Prototyp dessen, was man unter dieser Gattung fand. Wobei ich mir sicher war, dass sie mich eigentlich nicht wirklich liebte. Aber das machte nichts, denn ich sie auch nicht. Aber ich war der mit dem Geld, was sie haben wollte. Also warum nicht. Ein Geschäft halt wie viele andere auch, nur die Ware war anders als sonst. Eher eine bezahlte Dienstleistung.

Aber das ist nicht, worauf ich hinaus wollte, sondern der Faktor, der mich zur Weißglut brachte.

Wenn wir dann tatsächlich einmal weggehen wollten, war es unnötig sich vorher zu rasieren. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals pünktlich irgendwohin gekommen sind. Selbst wenn ich einen Termin zwei Wochen im Voraus ankündigte, war die Einhaltung nicht möglich.

Wenn ich also später Begleitung brauchte, dann hatte ich zwei Rufnummern. Die konnte man einen Tag zuvor buchen und zehn Minuten vor dem Termin war die Dame fertig angezogen und geschminkt vor der Tür.

Aber das nur Mal am Rande. Ist mir gerade so eingefallen.

Jetzt stand ich auf und ging ins Bad, aus dem mir eine Wasserdampfwolke entgegen stieg, obwohl Andrea das Fenster geöffnet hatte. Sie hätte es wirklich ganz öffnen sollen, denn mit gekipptem Fenster kam die hereinströmende Luft nicht gegen den Dunst an.

Wenige Minuten später war auch ich fertig und wir wollten versuchen, einen kleinen Spaziergang zu machen.

Nur testweise, um zu sehen, ob dies schon möglich war.

Es war nicht sonderlich warm oder kalt draußen. Gerade gut so, um einen Spaziergang zu machen.

Kaum waren wir aus dem Haus, erschreckte ich mich doch ein wenig, als ich sah, wie blass Andrea bei natürlichem Licht aussah. Im Haus war es mir gar nicht so sehr aufgefallen. Immerhin war es dort nicht sonderlich hell und ich hatte es so hingenommen, denn Andreas hatte schließlich einiges hinter sich.

Doch hier wurde es mir erst richtig bewusst.

Andrea sah meinen besorgt aussehenden Blick und fragte mich. „Was nicht in Ordnung?“

„Bist etwas blass!“ Gut, das war nicht gelogen, aber traf den Kern nicht wirklich. Doch Andrea nahm es so hin.

Erst als wir am Garten unserer Nachbarn vorbei gingen, änderte es sich.

Vor dem Haus war Frau Kaiser dabei, ihren Vorgarten zu pflegen.

Sie war dabei mit Schaufel und Harke bewaffnet und war gerade dabei, in den Beeten dem Unkraut den Garaus zu machen.

Als sie bemerkte, dass wir an ihr vorbei gingen, hob sie ihren Kopf und wir begrüßten sie wie üblich.

Sie tat es ebenfalls aber sagte dann: „Kindchen“, sie nannte Andrea immer so, „bist du krank?“

„Du siehst ja gar nicht gut aus.

Ich habe dich ja auch schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Dein Mann sollte sich mehr um dich kümmern. Aber wahrscheinlich sieht der Herr das nicht. So sind sie die Männer!“

Nachdem wir Ihr versichert hatten, dass alles in Ordnung wäre, war sie zwar nicht davon überzeugt, aber sie sagte nichts weiter. Sei war einer dieser Menschen, die ihre Nase nicht in andere Leute Angelegenheiten steckten und das war auch gut so.

Nichts mochte ich weniger als Menschen, die zu neugierig waren. Von daher war mir Frau Kaiser sehr lieb. Ich mochte sie. Sie hatte so etwas Mütterliches an sich was wir Männer lieben, wenn auch nie zugeben würden.

Kaum waren wir ein paar Schritte weiter gegangen, blieb Andrea stehen und drehte sich zu mir.

„Ist es wirklich so schlimm? Im Haus ist mir das nicht so stark aufgefallen.

Vielleicht sollte ich was dagegen tun?“

Nun, es war einer dieser Fragen die Frauen zwar stellen, aber eigentlich keine Antwort darauf benötigen. Es ist auch mehr eine Feststellung als eine Frage. Also hielt ich meinen Mund und machte dazu eine Mine, die sowohl als auch, darstellen konnte. Eben so einen Gesichtsausdruck, der alles darstellen konnte, aber auf alle Fälle alles so beantworte, wie sie es wollte, ohne es wirklich zu tun.

Somit war Andrea mit meiner nichtssagenden Antwort zufrieden und war sich sicher, dass sie das Richtige tun würde.

In den nächsten Tagen war Andrea damit beschäftigt alles Mögliche auszuprobieren, um zumindest ihre Gesichtsfarbe zu kaschieren. Ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt und es machte mir nichts mehr aus. Vor Jahrhunderten wäre Andrea der Star gewesen. Vornehme Blässe ohne die störenden, sich unter der Haut abzeichnenden Adern.

Andrea war da ganz anderer Meinung. Immerhin hatte sie zuvor immer eine Bräune gehabt, die sie Stolz gemacht hatte. Diese war immer mehr dabei, sich zu verflüchtigen. Sich in die Sonne zu legen half nichts. Sie genoss es zwar aber sie wurde dadurch nicht braun, bekam aber auch keinen Sonnenbrand, was wiederum auch nicht schlecht war.

So kristallisierte sich immer mehr heraus, was alles bei ihr anders war.

Klar wurde inzwischen, dass sie Wärme aufsaugte wie ein Schwamm das Wasser.

Sie selber schien keine mehr zu produzieren und musste sie sich von außen zuführen, um zu funktionieren. Ähnlich wie bei einem Reptil. Allerdings machte ich den Vergleich nur einmal und werde diesen nie wieder machen. Andrea war nicht davon erbaut, mit diesen Tieren verglichen zu werden. Wobei das Wort „erbaut“ noch sehr milde ausgedrückt ist. So wütend hatte ich sie noch nie erlebt. Es ist halt dumm, wenn man zu Frauen etwa sagt, bevor man darüber nachdenkt.

So hatten die Tage eine bestimmte Prozedur. Andrea stand auf und verschwand eine Weile im Bad. Lange duschte sie heiß, um sich ihre erste Portion Wärme zuzuführen. Dies reichte dann aus, um in den Tag starten zu können. Dann kam eine Kanne heiße Flüssigkeit, wobei es vollkommen egal war, ob es Kaffee, Tee oder etwas anders war. Kaffee hatte bei ihr keine Auswirkung, da sie kein Herzrasen mehr bekommen konnte, da es nicht wirklich schlug und wacher wurde sie dadurch auch nicht, da sie sowieso nicht mehr schlief.

Sie wurde höchstens träge, wenn sie auskühlte.

Das hatten wir an einem Tag ausprobiert, wobei Kalle mit anwesend war. Er hätte zwar im Notfall auch nichts tun können, denn mit einem Menschen wie Andrea hatte er es schließlich auch noch nie zu tun gehabt. Aber ihn interessierte natürlich alles, was mit ihrem Zustand zu tun hatte.

Zu diesem Zweck kam er jeden zweiten Tag kurz vorbei, untersuchte Andrea und fragte danach, was es Neues zu Berichten gab.

All dies schrieb er in ein eigens dafür angelegtes Heftchen. Er protokollierte sozusagen Tag für Tag alles, was er in Erfahrung bringen konnte.

An diesem Tag waren wir zu einem Kühlhaus gefahren. Ich habe Kalle nicht gefragt, wie er an diese Erlaubnis gekommen ist, er hätte es uns wahrscheinlich auch nicht gesagt.

Es war schon etwas befremdlich. Kalle und ich saßen in dicke Mäntel gewickelt auf zwei Stühlen und Andrea lag eher leicht bekleidet auf einer fahrbaren Trage.

Es muss schon ein seltsames Bild gewesen sein. Zwei frierende Männer mit zu Dampfwolken gewordenen Atem saßen vor einer Frau, die liegend und leichenblass vor Ihnen lag. Zu allem Überfluss hingen um uns herum noch gefrorene Rinder und Schweinehälften.

Es ist nicht verwunderlich, dass Andrea sich zuerst ein wenig gesträubt hat, dieses Experiment unter diesen Umständen zu machen, aber ein leeres Kühlhaus, was in Betrieb war, war einfach nicht zu finden.

Während Andreas Temperatur immer mehr sank, sprachen wir mit ihr und fragten sie nach ihrem Empfinden.

Sie merkte wie immer, dass es kalt um sie herum war, aber es machte ihr nichts aus. Sie wurde nur immer langsamer mit allem, was sie tat. Ob sie sprach oder einen Arm hob, spielte keine Rolle.

Andreas Temperatur war äußerlich inzwischen auf unter zehn Grad gesunken und das Sprechen fiel ihr immer schwerer.

Ihren Arm konnte sie gar nicht mehr heben. Alles kam ihr so schwer wie Blei vor und seit langer Zeit, hatte sie zum ersten Mal wieder ein Gefühl wie Müdigkeit.

Hier brachen wir das Experiment ab, denn wir wussten nicht, was passieren würde, wenn sie noch weiter abkühlte. Also schoben wir sie so schnell wie möglich aus dem Kühlhaus in einen kleinen Raum, in dem wir eine fahrbare Heizung geschoben hatten.

Diese war voll aufgedreht worden und so herrschte in diesem Raum eine Temperatur, die uns dazu veranlasste, sofort die Jacken und noch mehr auszuziehen.

Langsam erwärmte sich Andrea wieder, besonders nachdem sie zwei Kannen Tee heruntergeschluckt hatte.

Wie sich Kälte auf sie auswirkte, war nun klar. Sie würde immer weiter abkühlen und wahrscheinlich irgendwann in eine Art Schlaf verfallen. Das Experiment, ob sie aus einem gefrorenen zustand wieder aufwachen würde, wollten wir aus verständlichen Gründen nicht wagen.

Außerdem meinte sie, dass sie sich als gefrorenes Stück Fleisch nicht gut machen würde. Über diese Ansicht gab ich ihr vollkommen Recht.

Jetzt war noch eine Frage im Raum, was wohl bei entgegengesetztem Prozess passieren würde.

Eine Woche später trafen wir uns wieder und gingen zusammen in unsere Sauna. Diese Möglichkeit war uns erst spät eingefallen. Warum erst jetzt wussten wir beide nicht. Wir hatten einfach nicht daran gedacht.

Andrea holte sich inzwischen hier ihre benötigte Wärme, da es wesentlich einfacher war, als laufend nass zu werden. Aus diesem Grund lief die Sauna den ganzen Tag.

Um ehrlich zu sein, die Stromrechnung interessierte mich in diesem Fall nicht.

Es war schon seltsam, als Kalle, Andrea und ich in die Sauna gingen. Kalle und ich sehr leicht bekleidet. Um genau zu sein, war ein Handtuch alles, was wir brauchten.

Andrea hingegen ging so hinein, wie sie war.

Einen Aufguss machten wir nicht. Erstens war es nicht nötig und zweitens wollte Andrea es nicht, denn der Wasserdampf brache Ihre Frisur durcheinander. Die Haare waren sowieso immer störrisch gewesen, aber so wurde es noch schlimmer.

Diesmal war es anders als im Kühlhaus. Kalle und ich litten unter der Hitze, denn wir bleiben länger als normal in der Sauna.

Andrea hingegen machte es nichts aus. Sie schwitzte nicht einmal sondern wurde fast von Minute zu Minute hippeliger. Es kam mir vor, als wenn man einem Kind zwei Liter Cola eingeflößt hätte. Sie fing an zu zappeln, und als Ihre Außentemperatur auf fünfzig Grad angestiegen war, brachen wir auch hier das Experiment ab.

Ehrlich gesagt weniger wegen Andrea sonder eher wegen Kalle und mir. Immerhin waren wir über eine Stunde in der Sauna bei achtzig Grad gewesen.

So langsam sagten uns unsere Körper, dass das nicht gut sein konnte.

Als wir aus der Sauna traten, waren Kalle und ich vollkommen fertig. Andrea hingegen war das genaue Gegenteil. Was sie in der nächsten Stunde tat, konnte ich nicht verfolgen, aber ich hörte sie überall im Haus rumlaufen, während Kalle und ich auf zwei Liegen lagen und uns erholten.

Eine Woche später machen wir einen Fehler.

Andrea und ich gingen ins Schwimmbad.

An sich ist das nichts Schlimmes. Das Wasser war warm genug, um nicht die Beweglichkeit von Andreas zu sehr einzuschränken und von daher stand dem nichts entgegen.

Wir vergnügten uns wie die Kinder im Wasser, nur hatte Andrea mir gegenüber einen großen Vorteil, der mir zuvor noch gar nicht in den Sinn gekommen war. Es lohnte sich nicht, sie unterzutauchen.

Da sie nicht atmen musste, brauchte sie auch nicht mehr schnell an die Oberfläche. Als ihr dieses bewusst wurde, ließ sie sich auf den Grund absinken und legte sich dort hin. Hier sah sie nach oben und beobachtete die Menschen, die über ihr schwammen.

An sich nichts Schlimmes, nur manchmal ist ein aufmerksamer Bademeister fehl am Platze. Nur wusste dieser es nicht. Er sah nur die unbewegliche Gestalt am Beckenboden und sprang sogleich zur Rettung in den Pool.

Wenige Sekunden später packte er Andrea und zog sie selbst gegen ihren Willen an die Oberfläche.

Sicher hatte er sich das anders vorgestellt und wollte seine Erste Hilfe Erfahrungen anwenden, aber Andrea hatte etwas dagegen. Trotzdem schaffte er es, die sich wehrende Andrea auf den Beckenrand zu befördern. Hier sah er sie verdutzt an, als sie sich eher darüber beschwerte, als ihrem Retter zu danken. Zum Glück kam ich dazwischen und schaffte es die beiden zu trennen ohne dass mehr passierte.

Erst später erfuhr ich, warum Andrea so sauer auf jemanden gewesen war, der sie eigentlich retten wollte.

Sagen wir es mal so, der Retter hatte seine Finger nicht nur da gehabt, wo er sie für seinen Rettungseinsatz benötigte. Einen Tag später hatte ich dafür gesorgt, dass ein neuer Bademeister gesucht wurde.

Kapitel 14

Dann kam ein Tag, den ich nie vergessen werde.

Ich lag noch im Bett als Andrea aus dem Bad zurück kam und irgendwie traurig aussah. Erst wenige Augenblicke später sah ich, warum ihr Zustand so war. Sie hielt ihre Haarbürste in der Hand und starrte darauf, als wenn es ein Fremdkörper war. Sofort konnte ich sehen, was sie so sehr gefangen hielt.

Geradezu ein Büschel Haare klebte an der Bürste.

Da ich genau wusste, wie sauber Andrea ihre Bürste hielt, wusste ich genau, dass diese dort nicht alt waren.

Oder anders gesagt, Andrea verlor in Windeseile ihre Haare.

Sie hatte sicher keinen so großen Kult um ihre Haare betrieben, aber diese nun zu verlieren würde keine Frau glücklich machen. Ich stand auf und umarmte sie, da ich meinte, dass es ihr sicher gut tun würde.

Dann begann sie zu schluchzen und sagte zwischendurch leise in mein Ohr.

„Was passiert bloß mit mir?“

„Ich weiß es nicht!“

Ich konnte es ihr nicht sagen, hätte sie so gerne mit irgendetwas getröstet, konnte aber nichts finden, hatte keine Antwort auf die Frage.

Was blieb war eine Hilflosigkeit, die wir zum Glück bis jetzt so noch nicht gespürt hatten.

Aber genauso war es. Wir konnten zusehen, was geschah, konnten aber nichts daran ändern. Es war einfach so, keine Pille, kein Medikament würde helfen. Wobei wir nicht einmal sagen konnten, ob Andrea krank werden konnte. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne.

So standen wir wohl eine halbe Stunde da und hielten uns einfach nur gegenseitig fest.

Erst dann lösten wir uns wieder voneinander und ich versuchte, sie anzulächeln. Die Antwort war ein eher verkniffenes Lächeln von Andrea.

Dann schob ich eine kleine Strähne Ihrer Haare vorsichtig aus ihrem Gesicht und küsste sie sanft und innig. Ich liebte sie immer mehr und ich wusste, dass wir durch dick und dünn gehen würden. Egal was passieren würde, ich würde für sie da sein und das schien Andrea zu spüren.

Ihre Stimmung hellte sich ein wenig auf, doch als sie sagte: „Hat auch einen Vorteil, kann ich mir bald in jeder Farbe und Form eine Perücke kaufen“, nahm ich es ihr nicht wirklich ab, obwohl es in gewisser Weise logisch erschien.

Es ist schon komisch, wenn man sich intensiver einer Sache widmet, umso mehr geschieht diese auch. Oder anders, kaum hatte Andrea den Haarverlust bemerkt, umso schneller ging es.

Allerdings waren davon nicht nur die Haare auf dem Kopf betroffen. Alle Haare an ihrem Körper fielen aus oder zumindest wuchsen sie nicht mehr nach.

Auch wenn Andrea sich damit bis heute nicht abfinden kann, ist ihr Humor zurückgekehrt und sie sagt nur noch. „Immerhin brachte ich keinen Rasierer mehr, kein Heißwachs oder Epilierer. Hat doch auch was, immer eine makellos glatte Haut zu haben!“

Man darf seien Humor nicht verlieren, und wenn dieser auch schwarz ist, ist es besser darüber zu lachen, als in Schwermut zu versinken.

Wobei ich ehrlich sagen muss, dass ich es nicht lassen konnte, sie die nächste Zeit damit auf den Arm zu nehmen. Etwa indem ich zu ihr sagte: „Du fusselst“, wenn ihr einige Haare ins Essen fielen!

Zum Schluss hatte sie die Nase so gestrichen davon voll, laufend ihre Haare irgendwo zu finden, dass sie im Bad verschwand, wenige Minuten später zurück kam und sich vor mir aufbaute.

„Gewöhn dich schon einmal daran“, sagte sie mit und verzog dabei ihre Lippen zu einem sarkastischen anmutenden Lächeln. Ich sah auf und sah sie das erste Mal mit Glatze.

Sie hatte sich die restlichen Haare selber abrasiert und damit das unvermeidliche Ende zuvor genommen.

„Cool“, antwortete ich, „darf ich mal polieren?“

Das hätte ich lieber nicht sagen sollen.

Das Handtuch was sie noch in einer Hand hielt schnellte hervor und traf mich im Gesicht.

Es ist schon komisch, wie schnell man ein Interesse an Baseball Cups entwickeln kann. Zumindest musste ich noch am gleichen Tag in die Stadt fahren und eine Auswahl besorgen.

Schon m nächsten Tag hatten wir am Abend eine Privatsitzung bei meinem Friseur des Vertrauens. Sie selber hatte keinen. Dabei hatte sie nicht geahnt, dass dieser einen ähnlichen Humor hatte wie ich und diesen auch nutzte.

Zumindest wusste er, dass er bei mir kein Blatt vor den Mund nehmen musste und das übertrug er auch auf meine Frau. Wobei es ihm wahrscheinlich vollkommen egal war, ob sie meine Frau war.

Als wir in den Salon gelassen wurden und Andrea ihr Cup vom Kopf hob, erging er sich in Lobeshymnen über ihre glatte, makellose Kopfhaut. Dann wurde er neugierig, denn mit einem solchen Kopf, könnte er mit Haareschneiden kein Geld verdienen.

Zehn Minuten später war er dabei, den Kopf von Andrea zu vermessen. Hierbei konnte er es nicht lassen, sie weiter zu necken. Aber inzwischen hatte sich Andrea wohl daran gewöhnt und musste sogar selber über seine Sprüche lachen.

Später saßen wir bei einer guten Tasse Tee zusammen und blätterten durch diverse Kataloge, um die Frisurwünsche von Andrea bestimmen zu können. Hier lebte Andrea geradezu auf, denn auf einmal merkte sie, dass ihr die Welt der Frisuren zu Füßen lag.

Heute lang und in blond, morgen kurz in schwarz, übermorgen gelockt in rot. Es kam so weit, dass sie sich sogar einen Bob Haarschnitt in Nachtblau aussuchte. Alles in allem rächte sie sich jetzt wegen meiner Sprüche, indem sie mein Scheckbuch sehr stark in Anspruch nahm. Ich hätte nie gedacht, dass Perücken so viel kosten, hatte mir darüber aber zuvor auch keine Gedanken gemacht. Es traf keinen Armen, aber als ich die Endsumme sah, war mir klar, dass Baseball Cups etwas für sich hatten.

Doch als ich diese Ansicht zum Ausdruck brachte, war Andrea nicht davon überzeugt. Ach ja, mein Friseur übrigens auch nicht. Er hatte jedenfalls leuchtende Augen, als er mir die Rechnung reichte.

Es dauerte allerdings eine ganze Zeit, bis die Ersatzhaare fertig waren. In der Zwischenzeit verließ Andrea das Haus nur noch, wenn es wirklich sein musste und dann auch nur mit Cup.

In den letzten Wochen war alles, was Andrea noch an Bräune in der Haut hatte vollkommen verschwunden.

Sie hatte inzwischen eine Hautfarbe wie man es von Albinos gewohnt war. Nur ihre strahlend blaue Augen passten nicht dazu. Sie funkelten wie kleine Edelsteine aus ihrem Gesicht und nahmen einen gefangen. Waren sie zuvor schon schön gewesen, waren sie jetzt zu einem hervorstechenden Merkmal geworden.

Die Jahreszeit veränderte sich langsam aber sicher und es wurde draußen kälter. War es im Sommer für Andrea noch erträglich gewesen, sanken die Temperaturen jetzt auf einen Wert, der es ihr schwer machte draußen zu bleiben.

Sehnsuchtsvoll starrte sie aus dem Fenster und sah dem Spiel der sich verfärbenden Blätter an. Gerne wären wir lange spazieren gegangen, aber das ging nicht mehr so einfach. Wenn musste sich Andrea so dick wie möglich anziehen, um nicht zu schnell auszukühlen. Aber dann sah sie aus wie das Michelinmännchen und das wollte sie auch nicht.
So bliebt uns nur in eine geschützte Einkaufpassage zu gehen oder uns in anderen Gebäuden aufzuhalten.

Allerdings hatte das Wetter auch seine Vorteile. Man zog sich vollständig an. Im Sommer trug man eher weniger und das war für Andrea ein Nachteil, da sie es nicht mochte, wenn man sie ansah. Sie hatte inzwischen ihre Perücken bekommen und schaffte es mit diversen Cremes eine einigermaßen gesunde Hautfarbe hinzubekommen. Da außer ihrem Kopf also nur noch die Hände zu sehen waren, fiel sie gar nicht mehr auf, wenn wir uns unter die Menge mischten.

Was Andrea allerdings sehr zu schaffen machte, war, dass sie einige Dinge nicht mehr machen konnte, die sie zuvor so geliebt hatte. Am meisten fehlte ihr, nicht mehr laufen gehen zu können. Ich hatte ihr zwar ein Laufband gekauft mit allem möglichen technischen Spielzeug. Unter anderem mit einem großen Bildschirm, der mit dem Laufband verbunden war. Hier konnte man über ein Programm durch eine Fantasiewelt laufen, wenn man es wollte.

Aber das war natürlich kein Ersatz für das Laufen in der Natur. So wurde das Laufband bald vollkommen überflüssig und stand nur noch sinnlos in der Gegend herum.

Kapitel 15

Dann kam der Tag, an dem Kalle uns abholte, damit Andrea einmal in den CT geschoben werden konnte. Es war wahrscheinlich noch mehr dran interessiert, was in Andrea vor sich ging als wir.

Da er selber keines dieser Geräte bedienen konnte, geschweige denn eines davon sein eigen zu nennen, mussten wir etwas weiter fahren, denn ein Bekannter von Kalle war Radiologe und würde keine Fragen stellen.

Als Andrea dann tatsächlich in der Röhre lag, konnte selbst ich es kaum aushalten. Es würde sicher interessant sein, was wir zu sehen bekamen. Und das war es dann auch.

Erst als Andrea mit im Computerraum war, stellte Kalles Freund zwei Monitore an und ließ die Ergebnisse über die Bildschirme laufen.

Auf dem linken Monitor waren sowohl ältere Aufnahmen vom Kopf von Andrea zu sehen sowie verschiedenen Aufnahmen von anderen Menschen, um für einen Laien wie mich die Unterschiede sichtbar zu machen.

Selbst ich, der mit Medizin nichts am Hut hatte, war der Unterschied sofort zu erkennen. Und als ich in die Gesichter der beiden Mediziner sah, war eine große Überraschung darin zu sehen.

Kalles Freund war in die Sache soweit eingeweiht und hatte Verschwiegenheit geschworen. Er war es dann auch, der leise Pfiff und leicht mit dem Kopf schüttelte.

Dann folgten weitere Minuten, in denen die beiden mit medizinischen Fachausdrücken nur so um sich warfen und ein ums anders Mal auf die Monitore zeigten.

Dazu benutzen sie kleine Laser, deren verschiedenfarbenen Punkte über die Bildschirme sausten und mal hier, mal dort ein Areal umkreiste oder einen bestimmten Bereich zielgenau ansteuerten.

Ich wollte sie dabei nicht unterbrechen, obwohl ich genauso gespannt darauf war, wie Andrea die leicht nervös neben mir saß und sich das Spektakel ansah.

Irgendwann ließen sich die beiden Mediziner in die Gefilde von uns ungebildeten Menschen herunter und begannen so gut wie möglich alles zu erklären, damit auch wir es verstanden.

Das meiste verstand ich nicht gleich, aber eines war eindeutig. Das, was wir auf dem alten Bild als Tumor erkennen konnte, hatte sich inzwischen als Schatten über das ganze Gehirn gezogen. Alles sah dunkler aus und hatte keine Abgrenzung mehr. Das Gehirn hatte als sich also komplett verwandelt, das war eindeutig und war sicher auch der Grund dafür, warum Andrea so war, wie sie war.

Im Gegensatz dazu hatten sich die inneren Organe wenig verändert.

Sie waren geschrumpft, soweit man diese erkennen konnte, aber sonst da, wo sie hingehörten. Besonders ihr Herz und der Magen hatten sich verändert, dies konnte man aber auf den Aufnahmen kaum erkennen, da der CT nicht direkt auf Weichgewebe eingestellt war. Dies müsste man dann doch per Ultraschall erkunden.

Ansonsten hatten sich eigentlich nichts verändert.

Da ein drei D Ultraschall Gerät im Raum nebenan stand, gingen wir gleich dort hin und Andrea wurde noch einmal geradezu gescannt.

Die Aufnahmen waren dann seltsamerweise eine noch größere Überraschung als die des CT.

Sicher, die Sache mit dem Gehirn war schon eine kleine Sensation gewesen, aber als wir die inneren Organe von Andrea zu sehen bekamen, war es noch erstaunlicher.

Hatten wir geglaubt, dass Andrea keinen Herzschlag mehr hatte, so hatten wir uns getäuscht. Aber nur im herkömmlichen Sinn. Ihr Herz hatte sich komplett verändert. Es war zusammengeschrumpft und war kaum noch als ein solches zu erkennen.

Stattdessen war eine Art dickerer Schlauch übrig geblieben der sich langsam und mit wellenförmigen Bewegungen zusammenzog und ausdehnte. Allerdings sehr langsam. Wenn man also ihre Herztöne abhörte, konnte man es einfach nicht hören. Ähnlich war es mit ihrem Magen. Der war eigentlich gar nicht mehr da. Was immer auch Andrea zu sich nahm, wurde direkt in den ebenfalls verkleinerten Darm geleitet.

Sicher, wir hatten uns schon immer darüber gewundert, dass Andrea so gut wie nichts mehr aß, oder besser gesagt nur noch trank.

Dies schuldeten wir der Tatsache, dass sie keine Energie mehr für die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur brauchte, also die Mengen an Kalorien drastisch senken konnte. Aus diesem Grund trank sie zumeist nur noch entweder sehr heiße Getränke, oder sehr gehaltvolle. Der Konsum von Cola und anderen süßen Getränken war bei uns rapide angestiegen.

Wie Andreas Körper diese Energiezufuhr dann aber umsetzte, blieb ein Rätsel. Sie atmete nicht, also war eine Verbrennung im herkömmlichen Sinne nicht möglich.

Rätsel über Rätsel, die sich durch die medizinische Untersuchung leider nicht lösen ließen. Um es anders zu sagen, taten sich mehr davon auf ohne das wirklich eines davon gelöst wurde.

So fuhren wir später nach Hause und waren so schlau wie vorher. Sicher, es war interessant gewesen, aber es erklärte rein gar nichts. Warum war Andrea so. Und eine andere Frage stellte sich automatisch. Wenn sie so war, konnte es sein dass es noch mehr Menschen, wie sie gab?

Gehört hatten wir davon noch nichts und es war auch nicht verwunderlich.

Wenn auch nur einer wie Andrea an die Öffentlichkeit ging oder es bekannt wurde, wäre dies mehr als eine Sensation gewesen. Wenn man darüber nachdachte, kam man schnell auf die Idee, dass Andrea eine neue Lebensform darstellte. Eine, wie es sie noch nicht gegeben hatte. Sie war zwar äußerlich noch ein Mensch, wenn auch ein sehr blasser, aber innerlich eigentlich nicht mehr.

Vielleicht sogar ein Evolutionsschritt, ein Experiment der Natur in eine andere Richtung.

Doch wenn Mutter Natur dies vorhatte, dann war ein Exemplar sicher zu wenig. Also blieben nur wenige Möglichkeiten übrig. Eigentlich nur zwei. Andrea war ein Experiment der Natur, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war oder es sollte ein neuer Anfang für irgendetwas werden, was uns noch nicht klar wurde.

Wir begannen, in jede Richtung zu recherchieren. Aber selbst, als wir uns immer weiter im Internet vorwagten und auf die seltsamsten Seiten vordrangen, wurden wir über alles Mögliche und unmögliche unterrichtet, nur nicht dass, was wir sehnlichst zu finden hofften.

Eins muss man dabei allerdings sagen. Wir wurden mit der Zeit fast Experten für alles, was im okkulten oder esoterischen Bereich so durch das Netz geisterte.

Und das war viel. Ich hatte zuvor nicht gewusst, dass man tatsächlich Astrologie studieren konnte. Sicher nicht in unserem schönen Land, aber es gab schließlich noch andere. Parapsychologie stand ebenfalls hoch im Kurs. Doch das hatte nichts mit unserer Sache zu tun.

Diese Theorien stützten sich halt auf keine wirklich messbaren Dinge.

Andrea war hingegen real. Sie lebte, obwohl sie es nicht tat. Wobei es an sich schon interessant war, Leben überhaupt zu definieren.

Was ist Leben? Je mehr man sich darüber Gedanken macht, umso unsicherer ist man in darüber, was das überhaupt ist. Was zeichnete Leben aus?

Also nimmt man etwas, zum Beispiel einen Stein und eine Pflanze und versucht den Unterschied festzustellen. Was einem als Erstes auffällt, ist, das Pflanzen wachsen und Steine nicht.

Überhaupt wachsen alle Lebewesen. Dann stellt man aber fest, das Kristalle auch wachsen. Also fällt der Punkt schon einmal aus. Dann kommt man vielleicht darauf, das Lebewesen Sauerstoff brauchen.

Dumm gelaufen. Es gibt Lebewesen, für die Sauerstoff geradezu tödlich ist. Nächstes Kriterium wäre vielleicht Stoffwechsel.

Viren haben keinen Stoffwechsel. Wieder nichts.

Je mehr man sich mit diesem Thema auseinandersetzt umso weniger ist man sich sicher.

Eine zuvor festzementierte Meinung über etwas, was man für selbstverständlich hielt, bricht in sich zusammen.

Also stand die Frage wieder im Raum. Wenn man es also genau sah, war Andrea nicht tot, sondern eine andere oder neue Lebensform.

An diesen Gedanken mussten wir uns einfach gewöhnen. Aber da wir schon länger mit diesem Zustand lebten, war es wirklich nicht schwer.

Aber zurück zum Internet.

Selbst nach drei Monaten hatten wir nichts herausgefunden. Also mussten wir fast davon ausgehen, dass Andrea einzigartig war. Zumindest glaubten wir das, weil keine andere Informationsquelle zur Verfügung stand.

Dies änderte aber nichts an unserem Leben. Sicher, Andrea sah anders aus, zumindest was ihre Hautfarbe anging, aber was das betraf, war sie nicht einzigartig. Schon bald übersahen wir die Blicke der Menschen, wenn sie länger als normal auf Andrea haften blieben.

Ansonsten lebten wir so weiter wie sonst.

Wobei das so nicht richtig ist. Ich, als Mann hatte auf einmal mehrere Frauen. Klingt im ersten Moment seltsam, ist aber so. Wie schon beschrieben hatte Andrea mehrere Perücken bekommen und man glaubt nicht, wie sehr sich ein Mensch mit einer neuen Frisur veränderte. Zuerst verwirrte es mich sehr, wenn Andrea eine andere aufsetzte. Sie sah dann vollkommen anders aus und ich hatte dann wirklich den Eindruck, als wenn mit der Frisur auch ein anderer Mensch vor mir stand.

Besonders krass wurde dies, wenn Andrea ihre Dunkelblaue aufsetzte. Wenn sie dann damit erschien, sah sie aus, als wenn sie einem Manga entsprungen war. Die mehr als blasse, fast weiße Haut mit den dunkelblauen Haaren wirkte sehr gegensätzlich und wie nicht von dieser Welt. Auf der einen Seite künstlich auf der anderen Seite aber sehr interessant.

Ich will dabei nicht verschweigen, dass das Sammeln von Perrücken fast ein Hobby von Andrea wurde.

Mein Friseur verdiente sich jedenfalls eine goldene Nase an ihr. Man hätte auch sagen können, Andrea kaufte passende Perrücken zu jedem Anlass oder jeder Gelegenheit.

Was andere Frauen mit Schuhen und Taschen hatten, war bei Andrea mit ihren Perücken ausgebrochen.

Ich will ehrlich sein. Ich unterstützte dies sogar, denn hierdurch hatte ich wie schon gesagt, jeden Tag eine andere Frau zuhause. Nicht dass mir Andrea zuvor nicht gereicht hätte, doch so war es noch viel interessanter für mich.

Interessant besonders, da Andrea sich für die unmöglichsten Farben erwärmen konnte und das sowohl für mich, als auch für sie. Ich genoss den Anblick, wenn sie mal in einer grasgrünen, halblangen Frisur durch das Haus lief, dann aber am Abend mit langen lila Haaren.

Morgens in einer sportlichen, orangen Kurzhaarfrisur.

Seltsam war nur, dass ich die Dunkelblaue im Bob Stiel immer noch am liebsten mochte.

Das bekam Andrea sehr wohl mit, und wenn ich mich dann sehr artig benommen hatte, setzte sie diese auf und wir hatten viel Spaß miteinander.

Um es gleich zu sagen, viele, die dieses lesen werden, sich sicher schon eine Frage gestellt haben.

Wie sieht es eigentlich mit dem einen aus, mit den Bedürfnissen die Frau und Mann so haben und ich werden es nur einmal sagen.

Es sieht gut aus. Auch wenn Andrea anders war, es funktionierte genauso wie vorher, war sogar noch interessanter geworden. Schlagwort Temperaturunterschied. Und kombiniert man diese noch mit diversen Dingen wie zum Beispiel den Perücken, kann sich jeder selber vorstellen, was und wie er dies will. Wir hatten zum Anfang zwar auch unsere Probleme damit, ob wir sollten oder nicht, aber das erübrigte sich, als wir zu experimentieren begannen und es war sowohl für sie als auch für mich eine neue Welt.

Wir fingen fast von vorne an, betraten mit allem Neuland.

Alles andere möchte ich aus verständlichen Gründen nicht erläutern. Stellen sie ihre Fantasie auf die Probe. Oder nehmen sie einmal ein paar Eiswürfel in dem Mund oder trinken sie zuvor ein sehr heißes Getränk. Viel Spaß.

Kapitel 16

Zwei Tage später kam Kalle zu Besuch. Er hatte sich zwei Stunden zuvor angekündigt und meinte, er hätte neue Nachrichten, die er uns unbedingt erzählen wollte.

Wir waren mehr als gespannt darauf und waren regelrecht nervös. Es hatte sehr wichtig geklungen und dieses wirkte bei uns elektrisierend. Immerhin musste es schon sehr wichtig sein und hatte sicher etwas mit Andrea zu tun.

Als die Klingel läutete, sprang ich fast auf, ging zur Tür und öffnete ihm. Er kam sichtlich gut gelaunt herein und setzte sich zu uns ins Wohnzimmer.

„Also!“, begann er langsam, „ich habe mich in der letzten Zeit einmal sehr vorsichtig erkundigt und umgehört, was Andreas Zustand betrifft.

Es war nicht einfach, das könnt ihr mir glauben, da es ja nicht alltäglich ist und man niemanden mit der Nase drauf stoßen möchte. Aber ich habe etwas gefunden, etwas was ich selber nicht für möglich gehalten hätte. „

Die Spannung wuchs, besonders weil Kalle es in die Länge zog. Er hatte ein Händchen dafür, die Spannung so weit zu treiben, dass man fast platzte.

„Und?“, fragte ich, als ich es nicht mehr aushielt.

„Also“, begann er von Neuem. „So wie es aussieht, liebe Andrea bist du nicht alleine auf dieser Welt. Es scheint noch mehr von deiner Art zu geben, wenn ich das Mal so ausdrücken kann. „

Hier hielt er inne und wartete auf unsere Reaktion. Die fiel so aus, dass wir nur dasaßen und nicht glauben konnten, was er uns gerade gesagt hatte.

„Wie jetzt?“, fragte ich, als wenn ich mich verhört hatte, während Andrea vollkommen stumm blieb.

„Ich bin mit meinen Ermittlungen noch nicht sehr weit gekommen und nur darauf gestoßen, weil ich zu Informationen Zugang bekommen habe, die normalerweise niemandem zugänglich sind. Aber da ich auf Systeme zugreifen kann, die sich mit medizinischen Problemen befassen, habe ich ein paar Fragen eingegeben, die anscheinend Aufmerksamkeit erregt haben. Gestern habe ich von jemandem eine E-Mail bekommen, in der die Frage aufkam, warum ich danach gefragt habe.

Ich habe mich dann über den Absender informiert und herausgefunden, dass er ein Spezialist für Pathologie ist und eine weltweite Kapazität auf seinem Gebiet.

Wie er an meine E-Mail-Adresse gekommen ist, weiß ich nicht, aber das werde ich sicher auch noch herausbekommen.

Auf alle Fälle habe ich ihm geschrieben, dass es mich interessiert, da ich mich im Moment neben meiner eigentlichen medizinischen Tätigkeit für scheintot und alles, was damit zusammenhäng, interessiere.

Zwei Stunden später hat er mir wieder geschrieben und gemeint, dass er mir das nicht wirklich glaube, denn meine Fragen zielten auf etwas anderes hinaus.

Ich war mir sicher, dass wenn ich nicht ein wenig Butter bei die Fische geben würde, dann würde diese Konversation so schnell enden, wie sie begann. Also musste ich etwas preisgeben. Nicht alles aber das er sich sicher sein konnte, dass ich nicht nur an einem Baum gerüttelt hatte, um herauszubekommen, was dann herunterfiel.

Es wurde in den nächsten Stunden ein Tanz um den heißen Brei.

Aber wir merkten schon bald, dass wir mehr oder weniger auf dieselbe Sache abzielten. Sein Interesse war jedenfalls sehr geweckt und seine Antwortmails kamen inzwischen fast sofort.

Auf jeden Fall haben wir uns schon gestern getroffen, da er sich schon zwei Stunden später ins Flugzeug gesetzt hat, um mich zu besuchen.

Wir haben dann lange zusammengesessen und uns unter Medizinern ausgetauscht. Zuerst nur allgemein. Mehr über den Tod gesprochen als über die Lebenden, bis wir langsam zum Kern der Sache kamen.

Er meinte nur, dass er dich sehen möchte. „

Dabei sah Kalle Andrea aufmerksam an, um vielleicht eine Zustimmung von Ihr zu bekommen. Doch sie hatte die letzten Minuten an seinen Lippen gehangen und bekam die indirekte Frage gar nicht mit. Erst als sie sich dessen bewusst war, klärte sich ihr Blick und sie nickte leicht mit dem Kopf.

„Ach ja, er sagte noch, wenn du das bist, was er glaubt, dass du es bist, dann wärst du nicht so alleine damit, wie du glaubst!

Ich muss ihm heute noch sagen, ob er dich besuchen darf und so wie es aussieht, hast du anscheinend nichts dagegen.

Andrea nickte noch einmal, aber diesmal entschlossener. Damit war in der Beziehung alles gesagt und Kalle holte sein Mobilfunkgerät aus seiner Tasche. Er wählte eine Rufnummer und sagte, nachdem er eine Verbindung hatte, dass er den anderen Gesprächsteilnehmer gleich abholen würde. Damit war klar, mit wem er sprach.

Zwei Stunden später fuhr Kalle wieder vor und kam in Begleitung eines jüngeren Mannes ins Haus.

Er stellte sich nur mit Vornamen vor.

Ob es sein richtiger war, konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht sagen, aber was ihn in meinen Augen sofort kompetent erscheinen ließ, war die Tatsache, dass er ungewöhnlich blass war. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass es nicht davon kam, dass er täglich nur in neonbeleuchteten Räumen Menschen aufschnippelte und deswegen nicht an die Sonne kam.

Er machte nicht viel Konversation. Wie gesagt, er nannte nur seinen Vornamen, Michael und fragte dann ob er sie oder ihn sehen dürfte.

Ich nickte nur und wir gingen ins Wohnzimmer, in dem Andrea bereits mit neugierigen Augen auf ihn wartete.

Er blieb einen Moment stehen und sah sich anscheinend Andrea von der Ferne aus an, dann nickte er einmal kurz zur Begrüßung.

Während er dann zu Andrea ging, legte Kalle einen Laptop auf den Tisch und öffnete diesen.

Michael fragte Andrea einige Dinge, die nur sie beantworten konnte.

Unter anderem, wie es ihr ginge. Dies klingt erst einmal banal, war aber auf ihren jetzigen Zustand abgezielt. Sozusagen ein Vergleich zu dem vorigen Zustand.

Als er seine Fragen anscheinend befriedigend beantwortet kam, richtete Michael seinen Blick auf den Bildschirm des Computers auf dem Kalle inzwischen die Bilder aus dem CT und dem Ultraschallgerät geladen hatte.

Aufmerksam sah er sich Bild für Bild an und schwieg dabei, als wenn er uns absichtlich auf die Folter spannen wollte.

Hatte er ich zuvor gemeint, eine große Spannung bei ihm zu sehen, konnte man förmlich merken, wie diese langsam verschwand. Nach dem letzten Bild auf dem Computer lehnte er sich langsam auf dem Sofa zurück und sah Andrea an.

Dann nahm er einen Schluck von dem Getränk, das wir ihm mit auf den Tisch gestellt hatten, und sagte einfach: „Willkommen im Club!“

Also wenn ich zuvor noch gedacht hatte selber kein Mensch großer Worte zu sein, übertraf mich Michael um Lichtjahre damit.

Hier saß sozusagen der Meister im minimalistischen Sprachgebrauch.

Aber das änderte sich dann doch noch und er erzählte dann doch noch einiges.

„Also“, sagte er, „Ihr wollt sicher mehr wissen. Das ist auch euer Recht, wobei ich wohl nicht betonen muss, dass alles was hier gesagt wird, nicht an andere Ohren gelangen sollte. „

Er drehte sich jetzt zu Andrea und sagte: „Du bist nicht alleine.

Es gibt noch mehr die so sind wie du. Du kannst sie kennenlernen oder so weiterleben wie zuvor. Alles das bleibt in deiner Entscheidung. Nur ist diese Entscheidung dann endgültig. Natürlich kann dein Mann mitkommen und so wie es aussieht, ist Kalle auch von der Aussicht begeistert, vielleicht in dieser Thematik weiter arbeiten zu können. „

Hier machte Michael eine längere Pause und ließ seine Worte im Raum stehen.

„Ich habe mit Kalle abgesprochen, dass wir euch beiden einen Monat Zeit geben, darüber nachzudenken.

Innerhalb dieser Zeit möchte ich eine Antwort von euch haben. Kalle wird mir dann eine E-Mail über eure Entscheidung schicken. „
Ohne weitere Worte stand Michael dann auf und ging Richtung Stubentür. Hier drehte er sich noch einmal um und sah mich dann an.

„Ich weiß das du es mich fragen wolltest, es aber nicht getan hast. Die Antwort ist: ja ich auch!“

Damit drehte er sich um und verschwand gefolgt von Kalle, der Michael sicher zum Flughafen brachte.

Es herrschte Stille in der Stube. Weder Andrea noch ich sagten etwas, denn wir hingen unseren Gedanken nach. Immerhin würden wir uns für oder gegen etwas entscheiden müssen, was wir nicht kannten. Blieb alles so, wie es war, dann war es sicher gut. Entschieden wir uns dagegen, würden wir uns auf etwas einlassen, von dem wir nicht wussten, was es war.

Mit der Vernunft kam man hier nicht weiter.

Die sagte natürlich, dass wir alles so lassen sollten, wie es war, denn hier war das Risiko einschätzbar. Zumindest glaubten wir das. Dagegen sprach einfach die Tatsache, dass wir nicht in die Zukunft sehen konnten. Was würde vielleicht noch mit Andrea passieren, denn wir waren uns nicht sicher, ob ihr Zustand so blieb, wie er war.

War es dann nicht besser zu denen zu gehen, die mehr Erfahrung damit hatten.

Vor allem fragte ich mich, ob sich Andrea nicht wohler fühlen würde, wenn sie sich austauschen konnte.

Alles Fragen, die nicht nur mir durch den Kopf gingen, sonder sicher so ähnlich auch durch den Kopf von Andrea.

So kam es dazu, dass wir die ganze Nacht damit verbrachten, über das Für und Wieder zu diskutieren, wobei mir immer klarer wurde, welche Alternative zumindest für Andrea die richtige war und wenn sie für Andrea dir richtige war, dann für mich ebenfalls.

Morgens, bei der ersten Tasse Kaffee, die ich wirklich brauchte, um noch klar denken zu können, stand unsere Entscheidung fest. Wir würden zu den anderen gehen, wie immer das auch aussah und diese Entscheidung teilten wir Kalle mit. Er wunderte sich zwar über unsere schnelle Nachricht, war aber über das Ergebnis nicht verwundert. Außerdem freute er sich darüber, denn so, wie es aussah, waren wir für ihn eine Eintrittskarte in eine interessante Welt, die er zuvor noch nicht gekannt hatte.

Immerhin war er nicht verheiratet und zurzeit auch nicht gebunden. Von daher hatte er für sich sehr schnell entschieden.

Jetzt ging alles sehr schnell, fast schneller als ich es gewollt hatte.

Kalle benachrichtigte Michael über unsere Entscheidung und dieser ließ uns wissen, dass er uns eine Woche später abholen würde. Wir bräuchten, außer ein paar persönliche Dinge nichts mitzunehmen. Wobei uns nicht gesagt wurde, wie viel dies sein durfte.

Aber das war bei uns sowieso kaum der Rede wert. Andrea legte nur auf eins Wert. Ihre Perückensammlung musste unbedingt mit.

Ansonsten wussten wir nichts, aber da man versprochen hatte, dass am Zielort alles vorhanden sein würde, machten wir uns darüber wenig Sorgen. Für mich war die kurze Zeit allerdings mit sehr viel Stress verbunden. Nicht wegen des Packens, sondern mit dem Regeln meiner Finanzen. Mir war einfach nicht klar, wie ich das in einer Woche schaffen würde.

Wer würde sich um den Verkauf des Hauses kümmern, wer um meine anderen Geschäfte?

Diese und viele andere Fragen gingen mir durch den Kopf und alles schwirrte so in diesem herum, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. An Schlafen war kaum noch zu denken.

Andrea hingegen war geradezu der ruhende Pol in dem ganzen Chaos. Sie schien jetzt schon mit ihrem vorigen Dasein abgeschlossen zu haben und sah mir nur unverständlich zu.

Die Zeit rann mir unter den Fingern weg und schon war der entscheidende Tag da. Ich hatte nicht geglaubt, dass die Zeit so schnell verlaufen konnte, aber sie war unwiederbringlich vergangen.

Am besagten Tag wurden wir von einer schwarzen Limousine abgeholt, die genug Platz für unsere Koffer bot, obwohl die von Kalle schon darin waren. Dies war auch nicht weiter schwer, denn unser Gepäck beschränkte sich auf drei Koffer, wobei einer alleine nur für die Perrücken reserviert war.

Wie vermutet saß Kalle schon im Wagen, als wir einstiegen.

Dann ging es zum Flughafen. Hier nahmen wir allerdings nicht den normalen Eingang, sondern fuhren etwas Abseits durch ein gut bewachtes Tor zu einem Hangar, der sich nur in geringer Entfernung von der Rollbahn befand. Vor diesem Hangar stand eine dieser Maschinen, die man normalerweise nur aus Filmen kennt. Entweder flogen damit Wirtschaftsbosse, Spitzensportler oder andere mit viel Geld, die nicht mit anderen Menschen zusammen fliegen wollten.

Ich war sicher nicht der Ärmste auf dieser Welt, aber eine solche Maschine hätte ich mir nicht leisten können.

In der Maschine war es recht eng, aber bei den vorhandenen sechs Sitzen war das kein Problem. Dann schnallten wir uns an und warten gespannt auf das, was am Ende des Flugs auf uns wartete.

Dieser Flug wurde länger als vermutet. Wohin genau wir flogen, konnte ich nicht sagen, wurde uns auch nicht verraten, aber wir machen noch eine Zwischenlandung, um zu tanken.

Die grobe Richtung, die wir flogen, war südlich, was ich anhand des Sonnenstandes ermitteln konnte. Sonst war unter uns kaum etwas zu sehen, was darauf schließen ließ, wo wir gerade waren. Meistens flogen wir jedenfalls über Wasser.

Allerdings hatte ich auch den Eindruck, als wenn wir nicht geradewegs auf unser Ziel zusteuerten, sondern einen Umweg flogen. Wobei dies nur ein Gefühl war, konnte mich aber täuschen, da wir eben keine Landmarken hatten, um uns daran zu orientieren.

Als es dann Nacht wurde, ließ mein Körper es einfach nicht mehr zu, länger ohne Schlaf zu sein. Meine Augen schlossen sich einfach und ich fiel in einen traumlosen Schlaf.

Ich wachte erst auf, als die Maschine eine unsanfte Landung hinlegte. Das Flugzeug wurde richtig durchgerüttelt und ich glaubte fast, dass das Fahrgestell diese nicht mehr aushalten würde. Aber es hielt und so rutschten wir nicht auf dem Flugzeugbauch weiter, sondern kamen wenige Minuten später zum Stehen.

Als ich das erste Mal aus dem Fenster sah, dachte ich, dass ich träumen würde. Wir waren auf keinem Flugplatz in dem Sinne gelandet, sonder es war eher eine Landebahn im nirgendwo. Zumindest kam es mir so vor, den außer einem kleinen Turm der wohl als Tower diente und einem kleinen Hangar, war kein Gebäude zu erkennen.

Um uns herum standen nur jede Menge Bäume, darunter Palmen und andere tropische Pflanzen, die einem die Sicht versperrte.

Also war klar, dass wir wirklich weit nach Süden geflogen waren. Bei der Geschwindigkeit die diese Maschinen fliegen können und der Zeit, die wir unterwegs gewesen waren, war das kein Wunder.

An der Parkposition welche die Maschine ansteuerte, stand eine einzelne Person neben einem Geländewagen und schien auf uns zu warten.

Als wir dann fast da waren, erkannte ich Michael, der dort stand. Erst als die Maschine stand, setzte er sich langsam in Bewegung und schlenderte auf das Flugzeug zu.

Erst jetzt viel mir auf, was er mir schon gesagt hatte, denn es war deutlich zu erkennen. Da er nur ein T-Shirt und eine kurze Hose trug, wurde seine weiße Haut nicht mehr verdeckt und leuchtete geradezu in der Sonne.

Die Tür der Maschine wurde geöffnet und ein Schwall von sehr warmer Luft strömte in die klimatisierte Kabine. Die Begrüßung durch Michael war kurz aber freundlich.

Er schnappte sich zwei der Koffer und schleppte sie zum Auto. Gut, dass er nicht wusste, dass ich mir den mit den Perücken geschnappt hatte und innerlich in mich grinste.

Der Geländewagen war offen und so war die Fahrt, wohin auch immer, ein Genuss. Immerhin waren hier dort mindestens dreißig Grad und das im Schatten. Die Luftfeuchtigkeit hielt sich aber zum Glück in Grenzen. So fuhren wir relativ gemütlich eine gewundene, leicht ansteigende Straße entlang und warteten gespannt darauf, was am Ende wohl auf uns wartete.

Diese Frage stellte sich wohl jedem von uns drei und wir warteten erwartungsvoll ab.

Ich muss eines ehrlich zugeben. Vieles hätte mich überrascht, vieles hätte mich sehr überrascht, aber das, was wir dann zu sehen bekamen, hatte mit einer Überraschung nichts mehr zu tun. Es war, um es nur andeutungsweise ausdrücken zu können, der Hammer.

Vor uns lichtete sich auf einmal der Dschungel und wir tauchten in eine Wohnlandschaft ein, die wir hier niemals vermutet hätten.

Mehrere moderne Gebäude standen weit auseinander in einer Gartenlandschaft, die ich so noch nicht gesehen hatte. Blumen blühten, wo es nur ging und überall waren emsige Menschen damit beschäftigt, dass es auch so blieb. Die Gebäude selber leuchteten in einem fasst weißen Farbton in der Sonne, was nur durch die großen Fenster unterbrochen wurde, die sich über die Fassaden zogen. Dabei machte es den Eindruck einer Universitätsstadt. Die Gebäude waren lang gezogen aber nicht so hoch und groß, wie man es sonst sah.

Zwei Stockwerke maximal und das auch nur bei zwei Gebäuden. Der Rest war einstöckig. Doch hier blieb Michael nicht stehen, sondern fuhr langsam hindurch. Dann sahen wir überall vereinzelt stehende, relativ große Häuser deren Grundstücke, auf denen sie standen, durch keine Zäune getrennt waren. Auch hier standen vereinzelt Palmen und andere hohe Gewächse, die Schatten spendeten.

Es waren nicht viele dieser Häuser, zumindest sah ich nur wenige, was aber auch daran liegen konnte, weil sie so weit auseinander standen.

Vielleich waren dahinter noch welche, aber das konnte man nicht sehen.

Ein paar Minuten später bog Michael ab und wir fuhren eine andere Straße entlang, an der auch diverse Häuser zu erkennen waren. Also standen dahinter wirklich noch welche.

Bei dem dritten dieser Häuser fuhr Michael auf den Weg, der dahin führte, hielt davor und drehte sich zu Andrea und mir um, da wir auf den hinteren Sitzen saßen.

„Willkommen Zuhause“, sagte er und machte eine einladende Bewegung in Richtung Haus.

Wir stiegen aus und bekamen von Michael eine Führung durch unser neues Heim. So zumindest hatte ich es verstanden und so war es auch.

Ich will ja nichts sagen. Unser voriges Haus war kein Schuppen und schon gar keine Bruchbude gewesen, aber was uns hier erwartete, ließ es einen glauben.

Wir hatten wirklich nichts mitnehmen müssen. Selbst die Kleiderschränke waren gut gefüllt und enthielten mehrere Kollektionen bequemer Kleidung in verschiedenen Größen. Hinter dem Haus war ein Pool von beeindruckender Größe und auch ansonsten war alles da, was man sich nur vorstellen konnte.

Dies sollte also unser Zuhause werden und ich hatte auch nichts dagegen. Das Einzige, worüber ich mir immer mehr Gedanken machte, war die Tatsache, dass der Kaufmann in mir sich fragte, wie sich dies alles finanzierte.

Immerhin war diese Art Luxus nicht billig, und wenn ich etwas gelernt hatte, dann das, dass es nichts geschenkt gab.

Aber auch das würde sich sicher noch klären. Michael sagte nur noch, dass wir es uns gemütlich machen sollten und er würde in drei Tagen wiederkommen, um uns weiters zu sagen, und zeigen. In der Zwischenzeit könnten wir machen, was wir wollten. In der Garage sei ein Wagen, mit dem wir die Gegend erkunden könnten.

Dann drehte er sich um und verschwand mit Kalle in Richtung Wagen. Wenig später sahen wir die beiden davon fahren.

Da standen wir nun allein in unserem neuen Domizil und sahen uns, jetzt in Ruhe, noch einmal das ganze Haus und Drumherum an um wiederholt festzustellen, dass alles mehr als in Ordnung war. Besser hätte es uns nicht treffen können.

Wir nahmen unsere Koffer und verstauten deren Inhalt in den mehr als geräumigen Kleiderschränken, die uns zur Verfügung standen.

Dann hatten wir eigentlich nichts mehr zu tun. Bei der uns umgebenden Wärme hatte ich keinen sonderlich großen Appetit und nahm von daher lieber aus einer großen Schale, ein wenig Obst, die man uns hingestellt hatte. Für Getränke aller Art hatte man in einem übergroßen Kühlschrank gesorgt. Somit konnten wir uns aussuchen, ob wir uns nach dem Flug ausruhen sollten oder etwas die Umgebung zu erkunden.

Andrea war nie müde und ich hatte im Flugzeug genug geschlafen.

Von daher waren wir uns schnell darüber einige, dass wir etwas unternehmen wollte.

Hierzu nahmen wir das in der Garage parkende Auto, was eher eine Mischung aus Strandbuggy und Golfwagen war. Wenn man es genau betrachtete, war es hier in dieser Gegend genau das richtige Fahrzeug. Schnell fahren wollte man sowieso nicht, was allerdings mit diesen Fahrzeugen auch nicht ging und bei langsamer Fahrt, strich die Luft angenehm kühlend an einem vorbei.

Wir fuhren also einfach drauf los, und zwar entgegengesetzt zu der Richtung, aus der wir gekommen waren. Dabei kam einem erst einmal der Gedanke, dass man sich irgendwann verfahren konnte, aber das schien nicht möglich zu sein. Die Straßen hatten keine richtigen Namen, dafür aber nummerische Bezeichnungen, die je höher wurden, je weiter man fuhr. Aus dieser Logik heraus musste die Ansammlung der Gebäude, die wir gesehen hatten, die niedrigsten Zahlen haben.

Dazu kam, dass alle Straßen die in etwa von Nord nach Süd gingen, gerade Zahlen hatten, von West nach Ost ungerade.

Man brauchte sich also nur die Zahl seiner Straße merken und man kam nach dieser Logik immer wieder dorthin zurück.

Es war nicht wirklich viel los. Nur ein einziges Mal trafen wir auf einen anderen Wagen der gleichen Bauart wir unseren. Dieser war mit nur einem Menschen besetzt, der uns zwar freundlich grüßte, als wir aneinander vorbei fuhren, aber weiter keine Notiz von uns nahm.

Also fuhren wir weiter und kamen noch an diversen anderen Häusern vorbei, die unserem in etwa glichen. Zumindest kam es einem so vor, da sie immer mit einem gehörigen Abstand zur Straße standen.

Es sah fast so aus, als wenn man den Bewohnern ein wenig Ruhe und Abgeschiedenheit zu anderen gönnte. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch nichts dagegen.

Wenn man aber davon ausging, dass diese Häuser rund um den Mittelpunkt standen, mussten es trotz der Entfernung zueinander, recht viele sein.

Ich war noch nie gut im Schätzen, aber nach meiner durchschnittlichen Schätzung kam ich auf über zweihundert, sofern sie sich über die gesamte Fläche verteilten. Dazu kam, dass wir noch gar nicht am äußeren Rand zu sein schienen.

Der kam eher plötzlich hinter einer lang gezogenen Biegung der Straße.

Ich trat recht stark auf die Bremse, als ich sah, was vor uns war.

So weit das Auge reichte, war nur noch Wasser zu sehen.

Blaues, leicht welliges Wasser, was von uns durch einen mehr als fünfzig Meter breiten Strand getrennt war. Davor eine Art Parkplatz auf dem acht der gleichen Wagen standen, wie unser einer war.

Mit staunendem Blick fuhren wir auf den Parkplatz und standen wenig später im weichen, fast weißen Sand des Strandes. Der, soweit man sehen konnte, mit Palmen gesäumt war.

Andere Menschen sah man allerdings nicht.

Wir vermuteten, dass sie nicht direkt in der Sonne lagen, sonder sich irgendwo Abseits, in dem Schatten der Bäume, ein schönes Plätzchen gesucht hatten.

Ähnlich machten wir es dann auch. Wir wandten unsere Schritte einfach nach rechts und liefen am Stand entlang, an dem die Wellen fast ruhig ausliefen. Schnell hatten wir unsere Schuhe ausgezogen und die Hosen hochgekrempelt.

Es tat gut, das warme Wasser an den Beinen und Füßen zu spüren, als auch den Sand zwischen den Zehen.

So gingen Andrea und ich eine ganze Weile Hand in Hand den schmalen Saum zwischen Strand und Wasser entlang und genossen die leichte Briese, die zumindest mich ein wenig abkühlte.

Hier war ein Paradies. Anders konnte man es gar nicht beschreiben. Für Andrea sowieso, da sie in der warmen Umgebung keine Angst haben musste, zu unterkühlen und für mich, weil ich das bekam, was ich sowieso schon immer als erstrebenswert empfunden hatte.

Nur zweimal sahen wir andere Menschen, während wir den Stand weiter entlang schlenderten, wobei uns auffiel, dass die Menschen hier relativ freundlich zu sein schienen, denn auch diese wünschten einem einen guten Tag, wenn auch diesmal in Englisch und Französisch.

Da wir dieses aber verstanden, was es überhaupt kein Problem für uns. Es wäre auch seltsam gewesen, wenn hier alle nur Deutsch gesprochen hätten.

Obwohl die anderen vollkommen normal aussahen, schien Andreas Anblick aber niemanden auch nur zu interessieren.

Sie grüßten nur und gingen dann dem weiter nach, was sie vorher auch schon getan hatten, nämlich nichts.

Zwei hatten sich Hängematten mitgebracht und schaukelten mit diesen, in den Palmen festgemacht, langsam vor sich hin. Die anderen beiden, die wir trafen hatten sich einfach in ein schattiges Stückchen Sand gelegt.

Als diese beiden dann außer Sicht waren, setzten Andrea und ich uns ebenfalls an den Stamm einer Palme und sahen verträumt auf das Meer hinaus, das endlos zu sein schien.

Keine Insel, kein Schiff war zu sehen. Einfach nur blaues Wasser und dann der Horizont, der mit dem ebenfalls blauen Himmel verschmolz.

Eine halbe Stunde später, waren wir wieder auf den Beinen und gingen langsam den Weg zurück. Dazu beschlossen wir am nächsten Tag wieder zu kommen, dann aber etwas Proviant mitzunehmen.

Bei der Wärme verlor zumindest ich relativ viel Flüssigkeit und dieser Mangel wollte ausgeglichen werden, oder anders gesagt, ich hatte Durst.

Andrea ging es dabei besser. Sie schwitzte nicht, also brauchte sie auch nicht so viel Flüssigkeit.

Als wir zurückfuhren, wurde es relativ schnell dämmrig und dann dunkel. Aufgrund dieser Tatsache und dass meine Uhr die ich, nach einer in dem Haus vorhandenen gestellt hatte, mussten wir uns relativ nah am Äquator befinden. Es war zehn Minuten nach sechs Uhr und die Dämmerphase nur sehr kurz, fast nicht vorhanden.

Ein fast sicheres Zeichen. Demnach musste die Sonne am Morgen gegen sechs Uhr aufgehen. Ich würde es überprüfen, denn irgendwie wollte ich herausbekommen, wo wir uns eigentlich befanden. Gesagt hatte es uns noch keiner.

Was mir noch im Kopf rumgeisterte, war die Tatsache, dass Michael uns gesagt hatte, dass hier noch mehr von Menschen wie Andrea wären. Immerhin waren wir aus diesem Grund hier. Gesehen hatten wir allerdings davon noch niemanden, außer Michael selber.

Aber das konnte auch einfach daran liegen, dass wir nur wenigen Menschen begegnet waren.

Jetzt, während wie in der Dunkelheit durch die Straßen fuhren, konnte man erkennen, dass die Häuser fast alle bewohnt waren, denn es gab kaum eines, in dem nicht mindestens ein Licht leuchtete. Zuvor war es uns kaum möglich gewesen, dies sagen zu können.

Etwas später kamen wir dann an unserem Haus an, denn mithilfe der Straßenbezeichnungen war es wirklich nicht schwer gewesen, dieses wiederzufinden.

Ein hoch auf den denjenigen, der sich dies ausgedacht hatte. Entweder war er ein schlauer Mensch gewesen oder einer, der selber keinen Orientierungssinn hatte.

Am nächsten Tag fuhren wir schon früh an den Strand, um diesen dort zu verbringen. Michael wollte erst am morgigen Tag kommen, von daher hatten wir alle Zeit der Welt.

Da es wirklich noch früh war, stand auf dem Parkplatz kein anderes Fahrzeug.

Also würden wir den Strand mehr oder weniger für uns alleine haben, denn es konnte ja auch sein, dass andere zu Fuß gekommen waren. Frische Fußspuren waren allerdings im Sand, nicht zu entdecken.

Noch war es relativ frisch. Wobei das mit dem Frisch so eine Sache ist. Zwanzig Grad sind dann frisch, wenn man sonst vierzig hat.

Doch gerade diese morgendliche, frische Luft ließ uns tief einatmen, denn sie kam vom Meer und gab uns das Gefühl, als wenn sie vollkommen ungebraucht war.

Diesmal hatten wir uns eine Tragetasche mit diversen Getränken eingepackt, denn wir wollten zumindest einen guten Teil des Tages hier verbringen.

Für Andrea war das Klima ideal. Sie konnte Ihre Temperatur immer auf einem gewissen Level halten, ohne dafür etwas tun zu müssen. Selbst nachts kühlte es um und im Haus kaum ab. Das lag aber wohl auch daran, dass es in diesem Haus keine Klimaanlage gab.

Wir hatten sie gesucht, aber nicht gefunden. Also gingen wir davon aus, dass auch keine da war.
Andrea kam dieser Umstand entgegen und wahrscheinlich war das Haus auch auf ihre Bedürfnisse abgestimmt, denn wenn man es genau betrachtete, war ich nicht derjenige, wegen dem wir hier waren.

Diesmal wollten wir uns kein Lager suchen, sondern den Stand entlang laufen, soweit wie wir wollten oder konnten.

Der Stand war lang, sehr lang, um nicht zu sagen, endlos.

Zumindest kamen wir an kein Ende. Das Einzige, was ich bemerkte war, dass er einen langsamen aber sicheren Bogen machte. Schon eine Stunde später war die Sonne um einiges gewandert, was nicht daran lag, dass es später am Tag war.

Eine Stunde ließ die Sonne nicht so weit wandern.

Eine halbe Stunde später war die Sonne insgesamt um einen viertel Kreis gewandert, und wenn man davon ausging, das sich hier die Sonne genauso verhielt, wie überall anders auch, waren wir wirklich in einem Bogen von neunzig Grad gewandert.

Nach dieser relativ langen Wanderung waren wir zu kaputt, um noch weiter laufen zu wollen. Also legten wir uns in die Sonne und faulenzten ein wenig vor uns hin. Später waren wurde es einfach zu heiß, um weiterhin direkt in der Sonne zu liegen. Also beschlossen wir, bevor wir zurückgingen, einmal das Wasser auszuprobieren.

Das Wasser war herrlich. Warm genug, um keinen Temperaturschock zu bekommen, kühl genug, um sich erfrischen zu können.

Einfach nur herrlich und wir beide begannen, uns wie die kleinen Kinder zu benehmen. Immerhin sah uns ja keiner und wenn, hätte es mich auch nicht gestört.

Warum sollte man es auch nicht machen. Ich erinnerte mich an eine Situation vor mehreren Jahren, als es im Sommer, ein starkes Gewitter gegeben hatte.

Es war zuvor drückend heiß und schwül gewesen, wie es vor Gewittern meistens ist.

Der Regen kam zuerst in wenigen, dicken Tropfen herunter, die auf der heißen Oberfläche der geteerten Straßen, fast augenblicklich verdampften. Dann kam es aber knüppeldick, wenn auch nicht lange.

Es schüttete wie aus Eimern und reinigte die Luft, von der Schwüle zuvor. Ebenso ging ein leichter Temperatursturz damit einher. Leider hörte der Regen genauso schnell wieder auf, wie er angefangen hatte und nur wenige Minuten später, war die Luft zu einer noch schlimmeren Waschküche geworden.

Die Straßen dampften geradezu vor sich hin und nur an wenigen Stellen hatte sich das Wasser zu Pfützen gesammelt.

Dieses Schauspiel hatte sich ereignet, als ich gerade unterwegs gewesen war. Wann sonst. Meine zwar spärliche Bekleidung, war relativ Nass geworden, da ich so schnell keinen wirklich geeigneten Unterstand gefunden hatte. Aber da es einen ein wenig abkühlte, war es nicht so schlimm, zumal ich sowieso nach Hause wollte.

Auf diesem Weg nach Hause, kam ich an einer außergewöhnlich großen Pfütze vorbei.

Sie war relativ tief und ausgesprochen großflächig. Als ich sie dann sah, konnte ich einfach nicht mehr an mich halten. Ich sah einmal um mich herum und konnte niemanden entdecken. Also lief ich relativ schnell auf die Pfütze zu und sprang, mit einem leisen Schrei auf den Lippen, hinein.

Das Wasser spritzte geradezu um mich herum auf und ich konnte es nicht lassen, in dem relativ warmen Wasser, noch weitere Male hin und her zu springen.

Dabei war ich so in die Sache vertieft, dass ich ein Pärchen übersah, welches gerade die Straße entlang kam. Als ich sie dann bemerkte, war es zu spät.

Während die beiden an mir vorbei gingen, schüttelte sie nur mit ihrem Kopf, als wenn sie mit meinem Verhalten vollkommen unzufrieden war. Bei ihm hatte ich allerdings den Eindruck, als wenn er mich beneidete. Sie gingen an mir vorbei, wobei sein Kopf meinem folgte.

Als die beiden dann vorbei waren, löste sich die Hand des Mannes ein wenig vom Rücken der Frau und die Hand ballte sich zu einer Faust, deren Daumen geradewegs nach oben zeigte. Wir waren Brüder im Sinne. Das hatte ich mir gleich gedacht.

Ähnlich ging es mir jetzt in diesem Paradies, nur hatte ich jemanden mit dabei, der sich ebenfalls darüber freute, im Wasser zu planschen.

Als wir dann vollkommen außer Atem waren, legten wir uns einfach am Strand so hin, dass uns die Wellen noch leicht umspülen konnten.

So lagen wir mindestens eine Stunde da und beschlossen, erst dann wieder zurückzugehen.

Ohne es zuvor gemerkt zu haben, hatte sich an Andrea verändert. Als sie aus dem Wasser stieg, kam auf einmal ein kleiner Schrei, von ihr an mein Ohr.

„Iiiiiihhhh, was ist das denn!“, sagte sie und starrte auf ihre Hände und dann auf den restlichen Körper.

Ich drehte sofort meinen Kopf in Ihre Richtung und konnte sehen, was sie so beunruhigte.

Ihre Hände und Füße waren vollkommen schrumpelig geworden, ebenso war Ihre übrige Haut ein wenig labberig. Dabei sah es ähnlich so aus, als wenn man gerade nach langer Zeit aus der Badewanne stieg. Nur war es bei Andrea extremer. Dabei kam es einem allerdings so vor, als wenn nicht die Haut schlaffer geworden war, sondern sie selber darin kleiner.

Wie als wenn die sie umgebende Haut nicht mehr richtig an ihr haftete. Dabei schaute Andrea so entsetzt aus ihren Augen, wie zu der Zeit, als ihr die Haare ausfielen.

Wir konnten nichts dagegen tun, außer dass wir uns in den Schatten setzten und es uns noch einmal genauer ansahen. Und wirklich, die Haut fühlte sich so an, als wenn sie mit dem darunter liegenden Gewebe, kaum noch verbunden war.

Man konnte sie mehr als sonst hin und her schieben.

Da uns in dieser Situation keine andere Wahl blieb, wollen wir so schnell wie möglich zurück zu dem Wagen und dann Hilfe suchen. Kalle und Michael mussten irgendwo stecken und wir würden die beiden finden, oder zumindest einen anderen, der uns weiterhelfen konnte.

Kurz, bevor wir aufstanden, um den Rückweg anzutreten, wollten wir noch unseren Durst löschen, denn nicht nur ich hatte welchen, sondern Andrea ebenfalls.

Sie hatte sogar einen ausgemachten Brand, wenn es das bei ihr überhaupt möglich war.

Sie setzte eine der Mineralwasserflaschen an und begann in fast gierigen Zügen zu trinken. So hatte ich das bei ihr noch nicht gesehen und es dauerte nur etwas mehr als eine Minute, da hatte sie die erste Flasche, den ersten Liter hinter sich.

Sofort griff sie nach der zweiten Flasche und nach einer weiteren Minute, war auch der gesamte Inhalt der Flasche, in ihr verschwunden.

Was währenddessen geschah, erstaunte mich dann umso mehr, dass ich selber gar nicht zum Trinken kam.

Man konnte förmlich dabei zusehen, wie ihre Haut wieder straff wurde oder das Gewebe darunter sich ausdehnte, je nachdem wie man es sah.

Als Andrea dann die zweite Flasche geleert hatte, sah sie fast wieder wie gewohnt aus.

Erst jetzt bemerkte auch Andrea die Verwandlung und schaute verblüfft auf ihre Hände und Füße.

Dann sah sie mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern, denn dazu fiel mir nichts ein. Eine Erklärung dafür wollte mir nicht in den Sinn kommen. Dabei überlegte ich aber fieberhaft, woran es gelegen haben könnte.

Wenn Andrea in der Badewanne lag, war es bis jetzt nie passiert. Entweder hatte sich etwas in den letzten Stunden rapide bei ihr verändert oder es hatte einen anderen Grund. Was war also der Unterschied zwischen jetzt und sonst.

Dann kam mir auf einmal eine Idee in den Kopf, der sich immer mehr festsetzte. Im Meerwasser war Salz, eine höhere Konzentration als in unserem Körper. Wenn sich Andreas Haut also verändert hatte, durchlässiger für Flüssigkeiten geworden war, dann entzog ihr das Salzwasser Flüssigkeit, natürlich zuerst unter der Haut.

Das musste die Lösung sein. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Auch wenn es etwas seltsam klang, erklärte ich es Andrea und die war von dieser Idee fasziniert.

Immerhin erklärte diese das Phänomen.

Da wir morgen Michael treffen würden, wäre es eine der Fragen, die ich ihm stellen wollte. Er konnte uns vielleicht auch noch mehr Rätsel auflösen, so hofften wir zumindest. Der morgige Tag versprach, sehr interessant zu werden.

Kapitel 17

Der nächste Tag wurde dann wirklich sehr interessant. Wir wurden am frühen Morgen von Michael abgeholt, in dessen Fahrwasser Kalle mitgekommen war.

Die Begrüßung viel sehr herzlich aus. Bei Kalle konnte man jedenfalls sehr gut erkennen, dass es ihm anscheinend sehr gut ging.

„Das hätte ich nie gedacht“, sagte er fast mit leuchtenden Augen, „dass es so etwas überhaupt gibt. „

Seit drei Tagen komme ich nicht mehr aus dem staunen heraus. Hier ist ein Paradies für alle, die forschen möchten, besonders wenn es um Humanmedizin geht. Die Ausstattung ist auf dem allerneusten Stand und lässt nichts zu wünschen übrig.

Außerdem scheinen hier mehr internationale Wissenschaftler zu arbeiten, als auf so manch einem Kongress. Geballtes Wissen aus unheimlich vielen Bereichen, wobei hier auf die Genetik, sehr viel Wert gelegt wird. „

Aus Kalle sprudelten die Informationen geradezu heraus und Michael hatte anscheinend nicht dagegen, denn wie immer, wirkte er verschlossen. Von daher kam es ihm wahrscheinlich geradezu entgegen, wenn Kalle einen Großteil der Aufgabe übernahm, uns zu informieren.

Als wir dann an den Platz kamen, um den sich mehrere größere Gebäude befanden, sprudelte es geradezu aus Kalle heraus.

„Also“, sagte er mit fast ehrfürchtiger Stimme, „die einzelnen Gebäude beinhalten jeweils eine spezielle Disziplin der Humanmedizin, wobei sie untereinander vernetzt sind. So können Informationen schnell und übergreifend bearbeitet werden. Hierzu gibt es Unmengen von technischen Spielereinen. Wenn ich zum Beispiel vorher mal einen CT brauchte, dann musste ich teilweise sehr lange darauf warten, bis ich endlich mal einen Termin bekam. Hier ist das überhaupt kein Problem. Das Gebäude da hinten“, dabei zeigte er auf eines was sich von den anderen eigentlich nicht unterschied, „ist die Abteilung für Radiologie.

Hier stehen im Keller so viel und verschiedene von den Geräten, wie sie normalerweise nicht einmal in einer Großstadt zur Verfügung stehen. Im Moment wird ein neuer, offener installiert, der erst vor zwei Wochen auf den Markt gekommen ist. Es ist neben dem Prototypen der Zweite, der weltweit aufgebaut wird.

Das Ganze hier wird in enger Zusammenarbeit mehrere Länder finanziert, soweit ich das mitbekommen habe. „

Dabei sah er Michael an, der nur einmal leicht nicke und somit seine Zustimmung zu der Aussage gab.

„Und wisst ihr, was das Tollste ist, wobei ich dir nicht zu nahe treten will“, dabei sah er Andrea an, „hier gibt es mehr Forschungsmaterial, als ich jemals gedacht hätte. Andrea ist eines davon, aber sie ist mit ihrem Zustand nicht alleine hier. Aber das ist noch lange nicht alles. Hier auf dem Gelände vereinen sich so viele, sagen wir mal, evolutionäre Zwischenschritte, wie an wahrscheinlich keinem anderen Ort dieser Welt.

Wahrscheinlich werdet ihr hier noch viele Menschen kennenlernen, nennen wir es mal so, anders sind. Oftmals sieht man es ihnen von außen gar nicht an, jedenfalls nicht so wie bei dir Andrea. Ich habe in diesen drei Tagen hier mehr Ungewöhnliches gesehen und davon gelesen, als in meiner ganzen vorigen Zeit als Mediziner. Ein Traum für mich. Forschen können, ohne sich darüber Gedanken zu machen, woher das Geld dafür kommt, ohne Zeitansatz und das alles mit dem besten Equipment, was man sich nur vorstellen kann.

Was will man mehr?“

Für Kalle war es hier das Paradies. Das konnte man sehr gut erkennen und wir freuten uns für ihn.

Dann hielten wir an und gingen in zwei der Gebäude, um uns einen Teil der Einrichtung anzusehen, wobei ich ebenfalls sehr schnell Kalles Faszination teilte. Die Gebäude hatten in ihrem Inneren mehr zu bieten, als sie von außen hergaben. Hier waren diverse Labore, in denen einige Wissenschaftler hin und her wuselten oder mit Instrumenten arbeiteten, die ich noch nie gesehen hatte.

Aber das war auch normal, immerhin hatte ich zuvor, damit nicht viel zu tun gehabt.

Irgendwann wurden uns einige der Wissenschaftler vorgestellt, doch ich konnte weder mit den Bezeichnungen ihrer Tätigkeit etwas anfangen, noch mir ihre Namen merken. Sie versuchten uns zwar ihre Tätigkeit so zu erklären, dass auch ein normaler Mensch es verstand, aber da sie gelinde gesagt, Fachidioten waren, brachten uns diese Erklärungen auch nicht weiter. Zumindest Andrea und mich nicht.

Auf meine Frage, was mit den Ergebnissen der Untersuchungen und Experimente gemacht wurde, bekam ich nur die Antwort, dass es Grundlagenforschung war. Konkrete Anwendungen waren nicht ihr Gebiet und man konnte ihnen ansehen, dass es sie auch wenig interessierte. Es waren keine Ökonomen, sondern Forscher. Sie sahen den Nutzen in ihrer Arbeit im Wissen, in der Forschung selber, aber hatten mit der weiteren Verwendung ihrer Ergebnisse nichts am Hut.

All die Forschung, die hier betrieben wurde, musste am Ende einen Nutzen haben, und wenn man sich hier umsah und mitbekam, welche Gelder hier benötigt wurden, dann beschlich zumindest mich, ein seltsames Gefühl.

Wir wurden jedenfalls weiter durch die Anlage geführt, aber spätestens nach dem fünften Labor wurde es langweilig, denn weder Andrea noch ich erkannten, bei auch nur einem von ihnen den Sinn. Also verließen wir diese Ansammlung von Forschung und Wissen und widmeten uns anderen, teilweise vollkommen banalen Fragen.

Was zum Beispiel hatten Andrea und ich mit dem Ganzen zu tun. Was war unsere Aufgabe in diesem multinationalen Räderwerk der Forschung.

Das war schnell erklärt. Meine Aufgabe war es, dass es Andrea gut ging und ich sollte darauf achten, wenn sich etwas veränderte oder ich etwas an ihr feststellte, was sie nicht bemerkte. Also weniger die körperlichen Veränderungen, sofern es welche gab, sondern eher die emotionalen. Sobald ich etwas feststellte, hatte ich die Aufgabe diese mithilfe eines Computers in unserem Haus zu dokumentieren und die entsprechenden Leute, hauptsächlich Psychologen, zu unterrichten.

Andrea hatte eine andere Aufgabe. Sie würde drei Mal in der Woche abgeholt werden, um in diversen Laboren untersucht zu werden. Diente also genau genommen als Forschungsobjekt. Wie dies allerdings genau ablief, konnte man uns nicht so genau sagen, da die Möglichkeiten der verschiedenen Disziplinen so enorm waren, dass nur ein Teil dieser mehrere Tage zur Erklärung benötigten.

So, oder so ähnlich hatte ich mir da vorgestellt.

Eine Abteilung brauchte sozusagen ein Forschungsobjekt und bekam diese so schnell wie möglich. Geben und nehmen.

Dann stellten wir noch einige Fragen, die sich in den letzten Tagen angesammelt hatten. Zum Beispiel fragten wir nach der Versorgung. Immerhin gab es hier anscheinend kein Geld.

Die Antwort war ganz einfach. Man konnte sich über Rechnern alles Mögliche bestellten, wobei es entweder vorhanden war oder kurzfristig besorgt werden konnte.

Wenn man sich dann vorstellte, dass die Menschen auf diesem Gelände verschiedensten Nationalitäten angehörten, musste die Logistik dafür sehr hoch sein.

Es gab auch noch die Möglichkeit in eines der drei Restaurants zu gehen, die es ebenfalls auf dem Gelände gab. Diese waren nur wenig weiter angesiedelt und wir sahen sie uns an, als wir sie zu sehen wünschten. Endlich mal etwas anderes. Die Restaurants waren ebenfalls der Hammer. Ein Asiatisches, ein Europäisches und eines, was eher multikulturell war.

Wir gingen in das Asiatische und sahen es uns genau an. Es war noch Vormittag, von daher nicht sonderlich gut besucht.

Ein Blick in die umfangreiche Speisekarte überraschte mich nach dem zuvorgesehenen nicht mehr. Es hätte auch ein Buch sein können, denn die Auswahl war gigantisch. Wenn man bei den beiden anderen Restaurants davon ausging, dass ihre Menüauswahl ähnlich war, dann war das Angebot kolossal. Zumindest war sowohl Andrea und mir klar, dass wir sicher öfters das Angebot in Anspruch nehmen würden.

Nach dieser sehr interessanten Führung durch einen großen Teil der Anlage, wurden wir wieder zu unserem neuen Heim gefahren und verabschiedeten uns von Kalle und Michael, der die ganze Zeit so gut wie nichts gesagt hatte. Er hatte wohl Kalle mitgenommen, der ihm die Konversation abgenommen hatte. Sicher ganz in seinem Sinn.

Wir hatten sicher nicht alle Informationen bekommen, die wir gerne gehabt hätten, aber immerhin war ein Großteil davon beantwortet worden.

Trotzdem behielt es bei mir einen schalen Beigeschmack, den ich einfach nicht los wurde. Was es genau war, konnte ich einfach nicht erkennen. Vielleicht war es aber auch deswegen so, weil ich es noch nicht gesehen hatte oder es war einfach nichts da, was einen beunruhigen könnte. Die Zeit würde es einem zeigen.

Zuerst wollte ich mir aber mal einen Versuch gönnen, ob der Service wirklich so gut war, wie es uns suggeriert wurde.

Kaum im Haus angekommen, saß ich schon am Rechner, denn ich wollte etwas bestellen, was nicht überall zu bekommen war. Schon während der Fahrt nach Hause hatte ich mir darüber Gedanken gemacht und war auf eine Idee gekommen.

Kaum saß ich am Rechner, tippte ich im Programm für Bestellungen das gewünschte ein. Ich grinste, als ich die Bestellung abschickte. Aus eigenem Interesse hatte ich etwas bestellt, was ich kannte aber noch nie gesehen hatte.

Ich war schon gespannt darauf, ob ich sie wirklich bekam.

Ich bestellte eine Durian, landläufig auch Stink- oder Käsefrucht genannt. Ich war immer schon scharf auf eine dieser Früchte gewesen, hatte sie aber noch nie bekommen. Selbst im Fruchtgroßhandel hatte ich sie nicht kaufen können. Also war ich gespannt darauf, ob und wenn ja, wann ich sie bekommen würde.

Es ist enttäuschend, wenn meine kleinen fiesen Ideen durchkreuzt werden.

Ich hätte mir was besseres Einfallen lassen sollen. Nur zwei Stunden später kam ein kleiner Lieferwagen zu unserem Haus und ein Mitarbeiter des asiatischen Restaurants brachte eine vorbei. Wobei das noch nicht einmal richtig war. Er brachte nicht nur eine mit, sondern gleich vier. Zwei verschiedene Sorten und in zwei verschiedenen Reifegraden.

Ich nahm mir in diesem Augenblick vor, etwas Schwereres zu finden. Sicher würde ich das nicht sofort ordern, das wäre mir jetzt zu peinlich und außerdem durchsichtig.

Die Logistik dieses Ortes mochte es sicher nicht gerne, wenn man sie auf die Probe stellte.

Ach ja, ich habe sie wirklich probiert. Wenn man dabei die Nase zumachte, war es gar nicht so übel. Ich pikste mich zwar an der Frucht, aber als ich ein Handtuch unterlegte, ging es recht gut. Zuvor musste ich allerdings nach draußen gehen, denn Andrea verbannte uns an die frische Luft. Sie duldete die Frucht aus verständlichen Gründen nicht im Haus.

Auf der anderen Seite fragte ich mich, warum ich Andrea und ihren Käse, den sie so liebte, ebenfalls aus dem Haus warf. Dieser roch wie dass, was man zwischen den Zehen rauspulen konnte, wenn man sich drei Tage die Füße nicht wusch.

Da saß ich nun draußen mit dieser wenig lieblich riechenden Frucht und es dauerte doch einen Moment, bis ich mir die erste Portion der leicht fasrigen, puddingartigen Masse, zwischen die Zähne schob.

Ich war überrascht, als sich der fruchtige, leicht vanilleartige Geschmack in meinem Mund breitmachte.

Leider blieb nach dem Herunterschlucken ein zwiebeliger Geschmack übrig, der mir gar nicht mundete. Aber einen Versuch war es wert gewesen.

Ach ja, ich bekam die nächsten drei Stunden keinen Kuss von Andrea.

Kapitel 18

Am nächsten Tag wurde Andrea morgens abgeholt, und da ich nicht dabei gebraucht wurde, beschloss ich die Zeit mit einem ausgedehnten Spaziergang am Stand totzuschlagen.

Schon eine halbe Stunde später stellte ich den Wagen auf dem Parkplatz ab und ging dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung von dem, was Andrea und ich schon gesehen hatten.

Ich lief und lief, stellte dabei aber das Gleiche fest, was mir bei unserem anderen Spaziergang schon aufgefallen war, nur genau anders herum. Der Strand machte eine leichte Biegung, und da ich links herum gelaufen war, ging die Biegung ebenfalls nach links.

Die Sonne zeigte es mir jedenfalls so an.

Also ging ich weiter und weiter. Nach etwa drei Stunden war ich mir fast, und weitere drei Stunden später vollkommen sicher, denn ich kam an meinen Ausgangspunkt zurück. Schon zuvor hatte ich bemerkt, dass es mir bekannt vorgekommen war. Ich war also wirklich im Kreis gegangen, also befanden wir uns auf einer Insel. Hatte ich es zuvor schon vermutet, so war ich mir jetzt sicher.

Warum auch nicht, hätte ich sicher auch nachfragen können, aber so hatte ich es selber heraus bekommen und das war ja auch was.

Da ich die ganze Zeit der Wanderung keine andere Insel gesehen hatte, musste ich davon ausgehen, dass um uns herum, kilometerweit keine andere Insel oder gar Festland war. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass man es uns nicht genau sagen würde, wo wir waren.

Diese Einrichtung war schließlich nirgends verzeichnet, zumindest nicht in öffentlichen Aufzeichnungen und das sollte sicher auch so bleiben. Geheimhaltung und das sicher zum beiderseitigen Vorteil. Die hier arbeiteten wollten sicher nicht, dass zu viel nach außen drang, denn ihr Forschungsgebiet war sicher einmalig. Die hier wohnten waren sicher auch nicht an einer weiteren Verbreitung interessiert. Sie wollten ihre Ruhe haben und in den Augen anderer Menschen als Freak dastehen. Menschen waren in der Hinsicht seltsam.

Alles was sie nicht verstanden, wurde als Feind dargestellt oder zumindest als nicht wünschenswert. So gesehen waren die Menschen hier auf dieser Insel nicht isoliert, sondern sie wurden sogar beschützt. Ein Vorteil für beide Seiten. Ein ruhiges Leben ohne Sorgen, im Gegenzug für Isolation und Forschung. So gesehen ein guter Deal.

Als Andrea wieder nach Hause kam, war ich ebenfalls gerade erst wieder eingetroffen. Zuerst erzählte ich ihr von meiner Entdeckung und dann fing sie an zu berichten.

„Es war sehr interessant. Heute haben wir einen Rundgang gemacht und mir wurden die Leute vorgestellt, mit denen ich es hauptsächlich zu tun haben werde. Es sind alles sehr nette Menschen hier. Habe aber, wenn überhaupt, nur die Hälfte davon verstanden. Aber sie haben mir gesagt, dass ich es noch verstehen werde. Mir wurde ebenfalls zugesagt, dass es keine Experimente geben wird, mit denen ich nicht einverstanden bin. Allerdings bin ich selber so neugierig auf alles, dass dies wohl kaum vorkommen wird, denn es hilft mir schließlich selber dabei, mich und meinen Körper zu verstehen.

Danach wurden noch einige allgemeine Untersuchungen mit mir gemacht. Schön ist wirklich, dass mich dabei keiner anschaut, als wenn ich ein biologisches Rätsel bin. Sie nehmen es einfach so hin. Ich bin mir sicher, wenn die Flüssigkeit, die als mein Blut durch den Körper läuft, blaugrün mit rosa Ralleystreifen gewesen wäre, dann hätte es sie nicht gewundert. Sie gehen damit vollkommen neutral um. Sie würden sich nur fragen, warum es die Farbe hat.

Aber da kommt nur die gleiche blassrosa Flüssigkeit raus, wie schon bekannt.

Hat mich nicht gewundert. Irgendwie nehme ich es inzwischen einfach so hin. Lässt sich sowieso nicht ändern. „

Kapitel 19

Für den nächsten Tag hatten wir uns vorgenommen, zumindest einen unserer Nachbarn zu besuchen. Immerhin konnten wir Ihre Häuser sehen und hatten uns inzwischen gefragt, wer die Leute waren, die dort wohnten.

Unsere Entscheidung kam aus dem Bauch heraus und wir gingen zu dem Haus, auf unserer linken Seite.

Wir wollten uns nur einmal vorstellen und dann wieder gehen.

Das Haus war unserem sehr ähnlich. Hatte aber hier und da einige kleine Veränderungen in Form von Anbauten. Vor dem Haus war eine große, rosettenartige Beetstruktur, die aus unzählbaren Blumen bestanden. Diese bildeten ein Muster, welches an ein Mandala erinnerte. Streng geometrisch ausgerichtet und in den Farben wiederkehrend.

Fast mitten in diesem Beet hockte ein Mann von mittlerem Alter, der gerade dabei war, Unkraut zu jäten.

Als wir näher kamen, drehte er sich zu uns um, denn unsere Schritte machten auf dem Kies der Zufahrt, knirschende Geräusche.

Sein freundlicher Blick verfolgte uns aufmerksam, während er unsere Bewegungen genau verfolgte.

Als wir dann, nur noch von diversen Blumen getrennt vor ihm standen, begrüßten wir ihn freundlich und er kam aus der Hocke hoch, in der er verharrt geblieben war.

Sein Gesicht hellte sich noch weiter auf, als wir ihm sagten, wer wir waren.

Er kam aus dem Beet und reichte uns die Hände.

Was als Erstes auffiel, war die Tatsache, dass seine Aussprache einen leicht östlich klingenden Unterton hatte. Wenn er auch Deutsch sprach, so ließ sich nicht leugnen, dass Russisch oder Polnisch mit in der Betonung der Wörter lag.

Andrea und ich stellten uns zuerst vor und er hörte uns aufmerksam zu.

„Herzlich willkommen in unserer grünen Oase.

Mein Name ist Karel und dort kommt meine Schwester Katja. „

Wir drehten uns in die Richtung des Hauses, auf die er hinwies und wir sahen eine Frau aus dem Haus kommen, die gerade ihre Hände in einem Tuch abwischte. Sie machte wohl gerade die Hausarbeit und war wohl am Kochen, den mit Ihr kam ein leckerer Duft zu uns herüber gekrochen, der sich sofort in unsere Nase setzte.

Katja blieb einen Moment auf der Veranda des Hauses stehen und sah zu uns herüber, dann winkte sie uns mit einer der jetzt sauberen Händen und rief fast laut: „Willkommen, wollt ihr mitessen?“

Damit hatten wir nicht gerechnet.

Immerhin kannte sie uns bis jetzt noch nicht, nicht einmal unsere Namen, die sie sicher nicht mitbekommen hatte. Aber das schien sie nicht zu stören. Sie sah uns nur erwartungsvoll an, obwohl sie sicher in ihrem Innersten wusste, dass wir dem Duft nicht widerstehen könnten.

Wir nickten nur, und während Katja wieder im Haus verschwand, als wenn es eine Selbstverständlichkeit wäre, uns eingeladen zu haben, führte uns Karel ins Haus.

Es war ein wenig altmodisch eingerichtet, um nicht zu sagen, eine Antiquitätenausstellung.

Überall standen ältere Möbel, die allerdings keiner bestimmten Epoche angehörten. Möbel aus dem achtzehnten Jahrhundert waren mit denen aus dem Neunzehnten bunt zusammengewürfelt worden, genauso wie aus dem Zwanzigsten und siebzehnten. Das Einzige was man wirklich versucht hatte war, sie einigermaßen geschmackvoll zu arrangieren, was bei dem Stieldurcheinander kaum möglich war. Rokoko passte einfach nicht neben Jugendstil.

Die Küche, wohin man uns dann brachte, war auf dem neusten Stand, wie bei uns im Haus, nur um einen großen Esstisch erweitert worden. Dieser stand in einem Anbau der Küche und war ähnlich einem Wintergarten. So saßen wir schon wenig später an diesem Tisch, an dem noch spielend vier bis sechs Personen Platz gefunden hätten.

Katja stellte sofort zwei zusätzliche Teller auf den Tisch und begann aufzutragen.

Ich weiß ja nicht, für wen sie alles gekocht hatte, was auf den Tisch kam, aber sicher nicht nur für sich selber. Selbst wenn wir zu sechst gewesen wären, hätten wir die Mengen nicht geschafft.

Das einzig Schlimme daran war, dass Andrea immer wieder ablehnen musste, denn sie hatte wie immer keinen Appetit. Sie saß nur da und beobachtete, wie ich mir große Mengen des herrlich schmeckenden Essen einverleibte.

Viel Fleisch, zumeist relativ fett, Kartoffeln in rauen Mengen und diverse Gemüsesorten, und als wenn ich es nicht zuvor schon gewusst hätte, Wodka.

Ich hatte mich also nicht getäuscht, was den Akzent in der Aussprache von Karel betraf. Bei Katja war es sogar noch besser zu hören.

Als wir alle nicht einen Happen mehr verdrücken konnten, begannen wir uns zu unterhalten.

Es stellte sich heraus, dass die beiden Zwillingsgeschwister waren und auf den Namen Koslowski hörten.

Karel und Katja Koslowski.

Nur mal so nebenbei. Wenn sie diese Namen etwas schneller hintereinander sagen, werden sie sicher feststellen, dass es etwas hat, wenn man die Namen von Kindern nicht mit demselben Buchstaben anfangen lässt, wie den Nachnamen.

Die Koslowskis waren wirklich sehr nett. Sie kümmerten sich so sehr um uns, dass wir uns wie in Watte verpackt vorkamen. Die Gläser wurden nie leer, und selbst als ich nichts mehr essen konnte, mogelte Katja doch noch etwas von dem Essen, auf meinen Teller.

Sie betrachtete dabei Andrea immer ein wenig mitleidig, was sicher nicht daran lag, dass sie so bleich war. Katjas mütterlicher Instinkt bezog sich darauf, dass eine Frau wie Andrea etwas Vernünftiges zu essen bräuchte. Etwas was ihr mehr Fleisch auf die Rippen brachte. Sie war jedenfalls der Meinung, dass Andrea zu dünn war.

Wenn man Andrea mit Katja verglich, kam das auch recht gut hin. Katja war eher das Gegenteil von Andrea.

Sie sah so aus, wie sich ein Rubens ein Model vorgestellt hätte. Breite Hüften, stämmige Beine, die unter dem längeren Rock hervorlugten und eine Oberweite, die zwar noch nicht waffenscheinpflichtig zu nennen war, aber schon nahe daran kam.

Karel war da nicht viel anders. Sah aus wie ein gesunder Bauer vom Lande, dem es gut ging. Beide rote Bäckchen vom Essen und dazu hell strahlende Augen.

„Kindchen“, so nannte Katja Andrea fast sofort und erinnerte mich dabei an unsere alte Nachbarin Frau Kaiser, die das auch immer gesagt hatte, „Kindchen, du musst was essen.

So wie du aussiehst, kann das nicht gesund sein!“

Da sie ja nicht wissen konnte, was Katja war, verstand sie es natürlich auch nicht sofort. Erst als ich es ihr Andeutungsweise erklärte, machte sie ein trauriges Gesicht, sah Andrea an und meinte nur: „Schade, bist doch ein so schönes Mädchen. Aber lässt ich wohl nichts daran machen!“

Während Katja mit Andrea sprach und ihr fast mütterlich über die künstlichen Haare strich, fragte ich mich, was an den beiden so besonderes sein würde.

Äußerlich sah man wie bei Andrea jedenfalls nichts und irgendwas musste da sein, sonst wären sie nicht hier gewesen.

Ich mochte aber nicht direkt danach fragen, etwas hielt mich davon ab. Ich empfand es als nicht angebracht.

Während Katja den Tisch abdeckte, holte Karel eine kleine Pfeife aus seiner Hosentasche und steckte sie sich an. Sofort durchzog ein kräftiger Vanilleduft, mit einer leichten Kräuternote die Küchenluft und verdrängte die Essensgerüche.

Katja verstaute alles Geschirr in der Spülmaschine und wischte einmal mit einem feuchten Tuch über die Tischplatte. Währenddessen saßen wir nur da und sahen ihr dabei zu. Erst als sie wieder am Tisch saß, übernahm Karel die Gesprächsführung.

„Erst noch einmal ein herzliches Willkommen. Ich hoffe ihr habt euch schon ein wenig eingelebt und genießt die Vorzüge dieses Anwesens. Wir sind schon so lange hier, wie es die Anlage gibt, sozusagen die Ureinwohner.

“ Dabei lächelte er über den selbst gewählten Ausdruck.

„Es ist doch immer wieder schön, neue Gesichter zu sehen. Wir freuen uns jedenfalls über neue Nachbarn. Dann ist es nicht so einsam hier. Die Häuser sind schon etwas weit weg voneinander. Aber man respektiert natürlich die Privatsphäre der anderen. „

Je länger wir hier am Tisch saßen, umso neugieriger wurde ich eigentlich darauf, was an den Koslowskis besonders war.

Ich konnte es einfach nicht herausbekommen. Immerhin reichte es sichern nicht auf diese Insel zu kommen, nur weil man aus dem Ostblock kam. Wenn doch, dann wäre die Insel überfüllt mit den Völkern des Ostens.

Karel bemerkte jedenfalls meine fragenden Blicke und meinte: „Junge, es ist auf dieser Anlage normal, wenn man fragt, warum jemand anderes hier ist. Dafür gibt es hier viel zu viele verschiedene Menschen, als das man nicht danach fragt.

Immerhin ist es sehr interessant und erstaunt immer wieder, was es alles gibt. Rate mal, warum Katja und ich hier sind. Lass es raus, wir sind gespannt ob euch dazu, was einfällt!“

Mir war bis jetzt nichts eingefallen. Genau das war ja mein Problem. Auch Andrea hatte keine Ahnung, wo sie den Hebel ansetzten, sollte. Die beiden schienen vollkommen normal zu sein. Hätten wir wenigstens einen Anhaltspunkt gehabt.

Wenig später wussten wir, dass es im ganzen Haus Anhaltspunkte gab, die wir nur übersehen hatten oder besser gesagt, nicht mit Ihnen in Verbindung gebracht hatten, denn eine kleine Weile später fragte Karel.

„Was meint Ihr, wie alt wir sind!“

Dabei grinste er über das ganze Gesicht, besonders als wir versuchten, ihr Alter heraus zu bekommen.

„Ach ja, ich bin übrigens einen Tag älter als meine Schwester. Ich wurde um 23:45 Uhr geboren, meine Schwester um 0:15 Uhr am nächsten Tag!“, sagte Karel und blickte seine Schwester dabei schelmisch an.

Also, die beiden sahen so aus, als wenn sie zwischen 40 und 50 Jahren alt waren, aber wenn sie uns schon schätzen ließen, war dies sicher vollkommen falsch.

Da ich annahm, dass sie älter waren als sie aussahen, wurde es schwierig. Ich konnte mir jedenfalls ich vorstellen, dass sie jünger waren. Das wäre irgendwie grausam gewesen.

Wenn sie also wie 40 bis 50 Jährige aussahen, dann mussten sie schon wesentlich älter sein. Aber wie alt, konnte man wirklich nicht sehen, konnte auch nicht geschätzt werden.

Als sagte ich zaghaft und mit wenig Überzeugung in der Stimme: „Vielleicht 100 Jahre?“

Schon dieses Alter fand ich als sehr hoch, immerhin sahen sie ja wirklich nicht so aus.

Beide grinsten mich an, als wenn ich mich gerade um einiges verschätzt hatte. Immerhin schien es sie mehr zu belustigen als zu ärgern. Aber warum sollte es sie auch. Sie hatten uns ja dazu aufgefordert, sie zu schätzen.

Karel drehte eine Hand um, sodass die Handfläche nach oben zeigte. Dann hob er sie immer wieder an, um mir zu zeigen, dass ich mit meinem Gebot weiter hochgehen sollte.

Also versuchte ich es mit 120 Jahren. Immer noch hob sich Karels Hand weiter an.

Schnell dachte ich darüber nach, wie alt Menschen maximal werden könnten. Gehört hatte ich von etwas über 120 Jahren. Aber dann sahen die Menschen nicht mehr so aus, wie die beiden.

Also startete ich einen nächsten Versuch.

„140!“, sagte ich jetzt etwas mutiger.

Aber das schien Karel nur noch mehr zu amüsieren. Ich wusste es nicht, konnte es mir auch überhaupt nicht vorstellen. Ich wusste nur instinktiv, dass ich vollkommen auf dem falschen Dampfer war und mich die Antwort doch überraschen würden.

„Gut ihr beiden. Dann will ich es euch verraten. Verbürgt sind 502 Jahre und nur das ist sicher. Wenn ich dir sagen würde, wie alt wir wirklich sind, dann würdest du es uns erst recht nicht glauben.

Beim mit stellten sich die Rückenhaare auf. Ich erschauerte wirklich, als ich die beiden vor mir immer wieder abwechselnd ansah. „Ihr seid also zusammen 502 Jahre alt?“

Bei dieser Frage versuchte ich meine Stimme ruhig zu halten, den eigentlich konnte ich das nicht glauben.

„Jungchen, wieso zusammen?“, fragte er mit einer Engelsmine. „Nicht zusammen, jeder für sich. „

Da schaute ich sie noch erstaunter an und dachte nur darüber nach, dass sie dann schon auf dieser Erde herumgelaufen sein müssen, als zum Beispiel Christoph Kolumbus noch lebte.

Wenn das so war, was mir jetzt aufgrund der Anlage, um uns herum gar nicht mehr so abwegig vorkam, dann war es ein wirklich biblisches Alter. Und Karel hatte von verbürgtem Alter gesprochen, nicht dem tatsächlichen.

Wenn das also stimmte und ich war inzwischen davon überzeugt, sonst wären sie nicht auf dieser Anlage, was mussten diese beiden Menschen alles erlebt haben.

Vor allem wie viele Kriege, Hungersnöte und Epidemien mussten sie überstanden haben.

Erfreuliche Sachen kamen mir dabei erst nicht in den Sinn. Immerhin haben sie unter anderem in einer Zeit gelebt, was als das dunkle Mittelalter, in die Geschichte eingegangen ist.

Was würden die beiden alles erzählen können und das aus erster Hand.

Jetzt erklärten sich auch die Möbel, die überall herumstanden. Sie waren nicht als Antiquitäten gekauft worden, sondern in der jeweiligen Zeit neu. Es waren Erinnerungsstücke an die verschiedenen Zeiten, in denen sie gelebt hatten.

Jetzt stellte sich mir im Hinterkopf wirklich die Frage, wann sie wirklich geboren wurden. Auch wenn es nicht verbürgt war, also nicht beweisen werden konnte, wie immer man die 502 Jahre auch verbürgen konnte.

Also frage ich die beiden dieses Mal einfach aus dem Bauch heraus. Doch die beiden sahen sich einmal grinsend an und meinten dann, dass sie es uns vielleicht einmal erzählen würden, aber nicht jetzt.

Dann fragte ich sie, wie man den ihr Alter von 502 Jahren nachweisen könnte.

„Ganz einfach!“, sagte Karel. „Wir haben bei Zeiten damit angefangen, uns einen Scherz zu erlauben. Wir haben an vielen Orten dieser Welt unsere Zeichen hinterlassen, so eine Art Graffiti. Man findet sie auf Dokumenten sowie Bildern und sie können eindeutig zugeordnet werden. Vor 502 Jahren haben wir damit angefangen, damit man es uns eines Tages glauben würde.

Lange Jahre, sehr lange Jahre, war es mehr als gefährlich, nur ein Wort darüber zu sagen. Eigentlich war es das so lange, wie wir außerhalb dieses Lagers waren. Viele waren hinter uns her, wollten uns als Versuchskarnickel. Das sind wir hier zwar auch, aber nicht so, wie es uns anderswo ergangen wäre. Hier haben wir zum ersten Mal seit Jahrhunderten die Ruhe gefunden, die wir uns so lange gewünscht haben. „

Um es kurz zu sagen, wurde die Nacht lang.

Die beiden waren ein sich sehr gut ergänzendes Team und hatten die Gabe, sehr interessant zu erzählen. Das, was in den Geschichtsbüchern stand war, dabei vollkommen nebensächlich. Sie erzählten aus dem Leben und ab und zu widerlegten sie einige geschichtliche Begebenheiten, die uns schon in der Schule eingetrichtert worden waren. Sie stimmten nicht oder besser gesagt nicht so, wie man es uns immer weisgemacht hatte.

Wir lachten viel, wir weinten fast.

Sie erzählten ein buntes Programm aus fünfhundert Jahren Geschichte, gingen aber nie weiter zurück. Alles, was vor den 502 Jahren gewesen war, darüber hüllten sie sich in Schweigen, durchbrachen die Mauer nicht, die sie dort gezogen hatten.

Das, was sie erzählten war, aber auch vollkommen genug. Als wir uns von den beiden verabschiedeten, war die Sonne bereits wieder dabei, aus der Nacht einen Tag zu machen. So lange hatten wir bei ihnen gesessen und die vergehende Zeit, gar nicht bemerkt.

Als wir an unserem Haus wieder ankamen, schlüpfte ich vollkommen erschöpft ins Bett. Andrea hingegen gab mir noch einen Kuss und ging dann auf unsere Veranda, um die aufgehende Sonne zu betrachten. Sie brauchte schließlich keinen Schlaf.

Später wurde sie dann abgeholt, aber da bekam ich nicht mit, denn ich schlief fast bis zum Mittag.

Aufgrund der späten Stunde, dauerte es nicht lange, bis Andrea wieder zurückkam.

Seitdem wir hier waren, wirkte sie ausgeglichener und entspannter. Man konnte es auch verstehen, immerhin war sie hier nicht die Einzige, die anders war. Um uns herum gab es viele, die auf die eine oder andere Art anders waren und da fühlte sie sich nicht als ausgeschlossene. Sie war nicht einmal etwas Einzigartiges, denn Michael war anscheinend ebenfalls von dieser Veränderung betroffen.

Kapitel 20

Heute hatte man etwas Komisches mit ihr gemacht, zumindest hatte sie es als ein solches empfunden.

Sie war in einem der Häuser gewesen, wo sie zuvor noch nicht gewesen war. Dieses war, wie die meisten, mit Technik vollgestopft und sie wurde in einen Raum geführt, in dessen Mitte sich ein großer, aufrecht stehender Metallzylinder befand. An diesem Metallzylinder war eine Tür angebracht, die wie das Schott auf einem Schiff aussah. Dazu kam noch ein Fenster, welches aber nur sehr klein, dafür aber sehr dick zu sein schien.

Dann wurde Andrea dazu aufgefordert eine Art Neoprenanzug anzuziehen, was sie auch in einem Nebenraum tat. Als sie dann wieder in den Raum kam, stand die Tür offen und sie sollte sich in den Zylinder hinein begeben.

Als sie dann darin war, wurden ihr noch einige Instruktionen gegeben. Was allerdings mit ihr passieren sollte, erzählte man ihr nicht.

In dem Zylinder war nichts, jedenfalls nichts Spektakuläres.

Es befand sich ein kleiner Hocker aus Metall darin. Lustig waren aber ein paar Dosen, die wie ein Mobile über ihr an der Decke hingen.

Dann bekam Andrea noch Handschalter gereicht, der über ein Kabel mit der Stahlwand verbunden war. Dieser Schalter bestand allerdings nur aus einem Röhrchen, das in einem roten Knopf endete. So ausgestattet instruierte man sie nur darüber, dass sie sofort auf den Knopf drücken sollte, wenn etwas zu weit gehen würde.

Was das aber war, wurde ihr nicht gesagt. Dazu würde man sie durch das kleine Fenster beobachten. Passieren könnte nichts.
Als man ihr das dann gesagt hatte, wurde die Tür von außen verriegelt. So gesehen saß sie jetzt vollkommen gefangen in diesem Ding drin und war jetzt vollkommen von draußen abhängig. Das machte Andrea aber keine Sorge. Genauso wenig machte es ihr Sorge, dass die Kammer geflutet wurde. Langsam stieg Wasser von unten in den Hohlraum und war dabei sogar angenehm, denn es war gut angewärmt.

Nicht lange und das Wasser stieg über ihren Kopf bis an die Decke.

Panik kam keine auf, denn sie musste nicht atmen, also saß sie nur da und sah jetzt Richtung Fenster, durch das sie ein Gesicht erkennen konnte. Da das Glas aber dick war und eher einem Prisma glich, war der Kopf davor nicht gut zu erkennen.

Da saß sie nun und wartete darauf, was geschehen könnte, aber es geschah nichts.

Das Einzige was sie zu bemerkten glaubte war, als wenn das Wasser dicker wurde. Zumindest hatte sie das Gefühl, als wenn dies so war. Langsam aber sicher stieg dieses Gefühl an, wobei es nicht unangenehm war, sich aber seltsam anfühlte.

Plötzlich erschrak Andrea fürchterlich. Es hatte auf einmal einen kleinen Knall gegeben und Andrea wusste zuerst nicht, woher diese gekommen war. Erst als sie ihre Augen an die Decke lenkte, sah sie, dass sich eine der Dosen, vollkommen zusammengeknäuelt hatte.

Sie sah wie eine Getränkedose aus, die man zusammengepresst hatte.

Während Andrea aufstand und sich die Dose genauer ansehen wollte, knallte es wieder und die nächste Dose war zerdrückt. Einfach so, wie aus dem nichts.

So erging es jetzt auch noch allen anderen verbliebenen Dosen. In bemerkenswert gleichmäßigen Abständen wurden sie zusammengedrückt, eine nach der anderen, bis keine mehr von ihnen unbeschadet von der Decke hing.

Jetzt löste sich Andreas Blick von dem Schauspiel und setzte sich wieder auf den Stuhl.

Um ehrlich zu sein, wurde es langweilig. Das Gesicht vor dem Fenster war immer da und sie meinte, dass die Augen, die sie anstarrten, von Minute zu Minute größer wurden.

Hatte das merkwürdige Gefühl des dickeren Wassers noch zugenommen, wurde es allmählich wieder wenige. Dies ging so lange, bis das Wasser langsam wieder abgelassen wurde, was inzwischen auch nötig tat, da es merklich abgekühlt war.

Aber zum Glück hatte sie den Anzug angehabt, der den Wärmeverlust in ein erträgliches Maß verringerte.

Nach insgesamt drei Stunden wurde die Tür wieder geöffnet und sie konnte die Kammer wieder verlassen. Hier ging sie zum Nebenraum, den man inzwischen fast zur Sauna gemacht hatte, und zog sich wieder ihre normalen Sachen an. Als sie dann wieder herauskam, wurde sie zurückgebracht.

Gesagt hatte man ihr nicht, was gemacht worden war, aber anhand ihrer Beschreibung kamen wir beide zu demselben Ergebnis.

Es war ein Drucktest gewesen. Man wollte wissen, unter welchen Bedingungen sie unter Wasser noch leben konnte oder anders, wie tief sie in etwa tauchen konnte, wenn sie wollte. Da wir nicht wussten, bis zu welchem Druck die Dosen an der Decke geeicht waren, bis sie implodierten, wussten wir nicht, welches Ergebnis dabei rausgekommen war. Sicher gab es auch noch genauere Instrumente und sie dienten nur der Visualisierung, aber da alle implodiert waren, musste es sich um einen recht großen Druck gehandelt habe, wenn wir auch nicht wussten, wie hoch.

Um ehrlich zu sein, machten wir uns darüber, auch nur wenige Gedanken. Dieses Experiment war für uns nachvollziehbar und Andrea war, genau zu diesem Zweck hier. Man wollte herausbekommen, wie sie funktionierte, was sie konnte und was nicht. Für die Forschung sicher ein sehr interessanter Aspekt.

Den Rest des Tages verbrachten wir am Strand. Wobei wir durch Zufall die Nachbarn vom anderen Grundstück neben uns kennenlernten, denn sie Sprachen uns direkt an.

Besser gesagt wurden wir von einer von ihnen angesprochen, denn während wir den Strand ein Stück entlang liefen, hörten wir auf einmal eine Stimme zu uns sprechen.

„Hallo!“, rief eine Stimme und wir hoben unsere Köpfe, denn die Stimme schien von oben zu kommen.

Erst als wir unsere Köpfe in den Nacken legten, konnten wir eine junge Frau sehen, die sich kopfüber mit einem Bein in der höchsten Palme verhakt hatte.

Hier schwang sie wie die Blätter leicht hin und her.

Während wir langsam auf die Palme zukamen, winkte sie uns herunter und meinte nur.

„Solltet ihr auch mal versuchen. In eurem Garten steht eine Palme, die noch höher ist als diese. Kann ich die mal raufklettern? Ach ja, wohne übrigens neben euch auf der entgegengesetzten Seite von den Alten. Schön euch kennenzulernen. Wir hatten bis jetzt nicht geschafft, mal zu euch herüber zu kommen.

Nach diesen Worten wippte die junge Frau noch ein paar Mal hin und her, kletterte dann aber wie ein Äffchen den Stamm herunter. Nur wenige Meter vor uns sprang sie die letzten zwei Meter den Stamm herunter und rollte sich ab wie eine Katze. Dann stand sie vor uns und lächelte über das ganze Gesicht.

„Tach auch, ich bin Michelle. “ Sie strecke uns Ihre Hand aus und stellten uns gegenseitig vor.

Dann sah Michelle an uns vorbei und meinte in einem leisen Ton: „Denice, du kannst jetzt rauskommen, die beiden scheinen ganz nett zu sein. „

Verwundert drehten wir uns um, obwohl wir uns sicher gewesen waren, dass wir niemanden anderes gesehen hatten. Sich hier zu verstecken, war fast nicht möglich, da es kein Unterholz gab, was einen verbergen konnte. Trotzdem sah Michelle zu einer bestimmten Stelle hin, an der wir in einem Abstand von einem Meter vorbeigegangen waren.

„Lass das Denice!“, sagte Michelle noch einmal, das ist nicht freundlich. Dann wandte sich Michelle wieder an uns und meinte nur: „Denice ist wirklich nett, leider aber sehr schüchtern. Sie kann einfach nicht mit Fremden. „

Dann meinte sie wieder lauter: „Das reicht jetzt wirklich, komm endlich her!“

Nach diesen Worten meinten wir auf einmal zu sehen, wie sich der Boden bewegte, aber es war nicht der Boden selber.

Es war etwas was darauf lag oder besser gesagt, konnte man auf einmal Konturen erkennen, besonders als der Boden eine andere Farbe annahm. Sie wurde auf einmal heller und nur wenige Sekunden später, sahen wir eine andere junge Frau, die sich daran mache von einer liegenden in eine stehende Position zu gelangen. Nur wenige Sekunden später stand sie ganz auf und kam langsam auf uns zu.

Erst jetzt nahm sie langsam Hautfarbe an, selbst ein schwarzer Bikini mit einigen Blumenornamenten bildete sich an den Stellen, die dafür vorgesehen waren.

Denice sah uns mit großen, petrolfarbenen Augen an. Augen, in denen man ertrinken konnte, so unendlich tief und vielleicht auch etwas traurig. Es war schwer zu beschreiben. Der ganze Gesichtsausdruck hatte etwas Trauriges an sich, obwohl man auch so etwas wie Neugierde zu entdecken meinte. Dabei war es aber Andrea diejenige, die Denice zu interessieren schien. Mir gab sie nur einmal ihre Hand, die fast kraftlos zu sein schien. Ihre schmalen Finger lagen wie gekochte Nudeln in meiner Hand.

Andrea hingegen betrachtete sie wesentlich aufmerksamer, sagte aber kein Wort.

„Ihr glaubt ja nicht, wie schwer es ist jemanden kennenzulernen, wenn man eine Freundin wie Denice hat“, meinte Michelle, sah Denice dabei aber mit einem weichen Blick an, als wenn sie ihr etwas verzieh.

Michelle war die Art Mensch, die nicht lange fackelten. „Und? Was treibt euch auf dieses Eiland? Was ist an euch so Besonderes? Über die Fähigkeit von Denice brauchen wir uns ja nicht mehr unterhalten, das habt ihr ja selber gesehen.

Also bei mir ist das einfacher, ich kann keine Angst verspüren. Eine Eigenschaft, die es nicht wirklich oft gibt, aber dann auch nicht wieder so selten ist. Bin eigentlich nur wegen Denice hier. Ohne mich wäre sie niemals hierher gekommen. „

„Tja, geht mir fast genauso“, meinte ich, „bin auch nichts Besonderes und kann ebenso wenig mehr als andere, wir sind wegen meiner Frau hier!“

Damit sah ich zu Andrea herüber die immer noch die Hand von Denice festhielt und ihr in die Augen schaute.

Man konnte sofort sehen, dass zwischen den beiden etwas Besonderes war. Vielleicht weil Andrea eine andere Hautfarbe als normal hatte oder weil sie beide, extrem andere Menschen waren.

„Ach ja“, sagte ich zu Michelle, da Andrea anscheinend die Frage nicht gehört hatte.

„Andrea, meine Frau ist medizinisch gesehen tot!“

Michelles Kopf rückte mit einem Ruck in meine Richtung und sah mich einen Moment seltsam an, dann meinte sie nur: „Sieht dafür, dass sie tot ist, aber noch super aus!“ Dabei sah sie wieder zu den beiden herüber und ein Lächeln kam über ihre Lippen.

„Na, da hat Denice wohl endlich jemanden gefunden. Man hat es nicht gerade leicht mit ihr. Deine Frau scheint die Erste auf dieser Insel zu sein, die neben mir Zugang zu Denice bekommt, wie immer das auch aussieht. „

Irgendwann lösten sich die beiden voneinander und Andrea sah aus, als wenn sie aus einem Traum erwacht war. Sei schüttelte einmal ihren Kopf und sah dann lächelnd zu mir herüber.

Ein paar Minuten später saßen wir am Stand und unterhielten uns, als wenn wir schon ewig Freunde wären.

Zumindest was Michelle anging. Sie war das genaue Gegenteil von Denice. Sprudelte geradezu vor Lebenslust über, während Denice nur dasaß und sich kaum bewegte. Trotzdem war es faszinierend sie anzusehen, denn so manches Mal wanderte eine Art Welle über ihren Körper und formte zusätzlich verschiedene Muster auf der Haut. Das einzige was sich farblich nicht zu verändern schien, waren die Augen. Ihre Farbe blieb, wie sie war, alles andere an Denice konnte anscheinend jede Farbe annehmen.

Sogar ihre Haare waren davon betroffen. Es fiel einem erst später auf, dass sie ungewöhnlich dick zu sein schienen. So nahm ich an, dass sie nicht vollkommen aus totem Gewebe waren, wie bei normalen Menschen.

Es wurde ein kurzweiliger Nachmittag. Denn zumindest Michelle und ich amüsierten uns köstlich. Sowohl Andrea und Denice waren in sich zurückgezogen.

Später fuhren wir mit unseren Wagen hintereinander zurück und verabschiedeten uns vor der Einfahrt zu ihrem Haus.

Dann fuhren wir weiter.

„Nette Mädels“, meinte ich und riss damit Andrea aus einer seltsamen Stimmung.

„Was hast du?“, fragte ich Andrea. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, meinte Andrea. „Als ich die Hand von Denice hielt und ihr in die Augen sah, meinte ich eine unendliche Traurigkeit zu bemerkten. Nicht nur zu sehen, sondern es schien auf mich übergehen zu wollen. Es drang über ihre Finger in mich hinein und ich konnte einfach nicht mehr klar denken.

Dabei habe ich jedes Zeitgefühl verloren. Nachdem sie ihre Hand zurückgezogen hat, wusste ich nicht, ob Sekunden oder Stunden vergangen waren. Außerdem hatte ich das Gefühl gehabt, weder hier noch irgendwo gewesen zu sein. Schon merkwürdig. „

Wir waren inzwischen am Haus angekommen und sah Andrea an. „Also ich hatte eher das Gefühl einige al dente gekochte Nudeln, in der Hand zu haben!“

Das hätte ich nicht sagen sollen.

Andrea knuffte mich mit ihrem Ellenbogen sehr stark in die Seite und meinte während sie Ausstieg: „Grober Klotz. So etwas kann doch nur von euch Männern kommen. Also wirklich. Kein wenig sensibel, legt ihr eure Gefühle eigentlich ab und zu auf einen Amboss und schlagt mit einem großen Hammer drauf?“

Dann drehte sie sich um und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen auf unser Haus zu. Dann verschwand sie darin und mir war klar, dass es mich eine Menge Kraft kosten würde, das wieder auszubügeln.

Warum musste man sich auch nur immer wieder in so eine Situation bringen.

Wenn man es genau sah, passten Frauen und Männer wirklich nicht zusammen. Eigentlich sollte man sie immer zehn Jahre voneinander Trennen und dann für einen Monat aufeinander los lassen. Damit würde sich zumindest die Art erhalten.

Wir Männer könnten dann wieder auf unser Territorium verschwinden, uns gegenseitig die Köpfe einschlagen, sowie schmatzen und furzen soviel und wo wir wollten.

Die Welt wäre für uns in Ordnung. Sicher, primitiv, aber warum nicht?

Mir kam ein Bild hinter die Augen, worüber ich grinsen musste. Ich sah drei Männer auf einem Sofa vor einem Fernseher sitzen. Der eine bohrte sich gerade mit Genuss in der Nase, der in der Mitte hob sein Gesäß an und ließ schallend einen knattern. Der Dritte öffnete gerade seine Hose, um sich nach dem Verzehr einer supergroßen Tüte Chips und einem Liter Bier Luft zu verschaffen.

Das zittern in der Luft, welches durch einen immensen Rülpser verursacht wurde, den er jetzt ausstieß, hing noch sekundenlang in der Luft.

Alle drei sahen sich daraufhin an und lachten schallend, während sie sich auf die Schenkel klopften und Speichelfäden aus den Mundwinkeln rannen.

Welch ein niveauloses Paradies. Genau das Richtige für die armselige Hälfte der Menschheit.

Mit diesen Gedanken ging ich ebenfalls ins Haus und behielt damit recht, das es mich einige Zeit und Anstrengung kostete, alles wieder geradezubiegen.

Kapitel 21

In der nächsten Zeit fragen Andrea und ich uns noch, wer in dem von uns aus gesehen rückwärtigen Haus wohnte. Es war kleiner als unseres und schien nicht bewohnt zu sein, zumindest hatten wir noch nie jemanden dort gesehen. Aber seitdem wir Denice kannten, war uns klar, dass dies nicht hieß, dass dort auch keiner war. Immerhin würden wir sie wahrscheinlich nicht einmal sehen, wenn sie zwei Meter vor uns auf dem Boden gelegen hätte, so wie am Strand.

Wir mussten uns daran gewöhnen, dass vieles nicht so war, wie es schien.

So manches Mal sah ich aus dem hinteren Fenster unseres Hauses, konnte aber nichts sehen, was auf die Anwesenheit eines Bewohners schließen ließ. Selbst in der Nacht war keines der Fenster erleuchtet. Entweder waren die Fenster so gut abgedunkelt, dass man kein Licht sah oder es war einfach keines an.

Meine Neugierde war so sehr geweckt, dass ich es einfach herausbekommen musste.

Also fuhr ich, während Andrea weg war, die Straßen so entlang, dass ich schon wenige Minuten später vor den Eingang des Hauses kam.

Auch hier machte es einen verlassenen Eindruck. Der Garten war sich selber überlassenen und hätte wirklich Pflege nötig gehabt. Er war verwildert und nur der schmale Weg zur Straße schien ab und zu freigemacht worden zu sein. Ansonsten gab es nichts zu sehen, bis auf die Tatsache, dass sich in dieser Straße jeder an dieser Art Gartenpflege beteiligte.

Nicht ein Grundstück, weder auf dieser noch auf der anderen Seite, wurde gepflegt.

In dem Moment, als ich weiterfahren wollte, öffnete sich plötzlich die Tür. Heraus trat oder besser gesagt joggte eine junge Frau, bei deren Anblick mir die Spucke aus dem Mundwinkel herauslief. Hätte ich nach einer idealen Frau gesucht, wäre sie es gewesen. Alles schien dort zu sein, wohin es gehörte, und entsprach genau dem, was ich mir gewünscht hätte.

So sah meine Traumfrau aus und nicht anders. Sicher, Andrea war genau das, was ich immer gewollt hatte, aber wenn ich dieses Wesen vorher gekannt hätte, dann wäre vielleicht alles anders verlaufen.

Kaum einen Schritt hinter der Tür gab sie dieser noch einen kräftigen, nicht gerade weiblichen Tritt mit einem Fuß und sie flog mit einem lauten Knall zu. Aber das schien ihr vollkommen egal zu sein, denn ohne darauf zu achten, ob die Tür wirklich zu war, setzte sie ihren Weg fort.

Ohne mich zu beachten, lief sie relativ schnell an mir vorbei, wobei ich ihren Körper noch genauer zu sehen bekam. Das Ergebnis war nicht nur dasselbe, sondern bestärkte mich darin, hier meine Traumfrau zu sehen. So jung und körperlich fit wie sie hatte sie noch eine ganz andere Ausstrahlung für mich.

Während sie an mir vorbei lief, konnte ich meinen Blick nicht von ihr wenden. Dieses gelang mir erst, als sie aus meinem Blickwinkel verschwand.

Das Letzte was ich sah, war ihr perfekter Hintern, der mir wie zum Gruß, noch einmal zuwackelte. Erst dann schüttelte ich einmal meinen Kopf und es kam mir vor, als wenn ich aus einem Schlaf erwacht wäre.

Ich beschloss noch ein Weilchen dort zu bleiben und sah mir unser Haus an, welches man durch die Bäume hindurchsehen konnte, die überall standen und Schatten spendeten. Alleine die Tatsache, dass es hier wohl sicher nicht oft regnete, ließ das Unkraut in seinem Garten nicht noch mehr werden.

Somit beschränkte es sich eigentlich auf die ersten fünfzig Zentimeter des Bodens.

Aus dieser Entfernung sah unser Haus nicht so groß aus, wie es von Näherem wirkte. Allerdings spielte das auch keine Rolle.

Ich ging noch ein wenig weiter, um alles aus einem anderen Winkel zu sehen. Auch Häuser der Koslowskis und von Denice und Michelle war gut zu sehen. Dann ging ich die Straße etwas entlang, da ich mir noch andere Häuser anschauen konnte.

Ich war neugierig, wie sie hier wohl aussahen, konnte aber kaum einen Unterschied zu denen in unserer Straße erkennen bis auf die ungepflegten Gärten.

Die ganze Exkursion dauerte allerdings länger als ich dachte, denn ich ging ein ganzes Stück weit. Als ich dann zurückkam und gerade in den Wagen eingestiegen war, kam die junge Frau wieder um die Ecke. Jetzt war sie gewaltig am Schnaufen und recht verschwitzt. Das hatte ihrem Aussehen nur wenig geschadet, denn obwohl ihre Haare nicht mehr so saßen wir zuvor, hatte das keine Auswirkung auf ihre Erscheinung.

Ihre Schritte waren nicht mehr so leichtfüßig wie zuvor und sie stampfte fast an mir vorbei, was mich aber nicht davon abhielt, sie weiterhin anzuhimmeln.

Sie lief den Weg entlang bis zu ihrer Tür und öffnete diese, ohne sie aufschließen zu müssen. Sie war also die ganze Zeit lang offen gewesen. Also machte sie sich keine Sorgen darüber, ob jemand kommen würde, um ihr etwas wegzunehmen. Wobei ich mich wirklich fragte, ob so was wie Diebstahl oder Einbruch hier überhaupt vorkam.

Wohl eher nicht, da es so etwas wie Geld nicht gab und man auch ansonsten nichts vermissen musste. Wenn man es haben wollte, bekam man es normalerweise auch. Eine Bestellung reichte dazu.

Dann schlug die Tür hinter ihr zu. Verschwunden war sie und kam nicht wieder heraus. Auch hörte man nichts mehr von ihr. Das Haus lang wie zuvor vollkommen still da und nichts deutete auf seinen Bewohner hin.

Fast enttäuscht fuhr ich wieder zurück denn selbst, als ich mir noch eine Stunde genehmigte, tauchte diese himmlische Erscheinung nicht mehr auf.

Kapitel 22

Als ich nach Hause kam, war Andrea bereits wieder zurück. Sie war an diesem Tag nicht sonderlich gut drauf. Die Untersuchungen nervten doch ein wenig, besonders weil sie sich im Moment auf nichts Spezielles bezogen. Einige der Experimente waren geradezu langweilig und Andrea konnte einfach nicht erfassen, wozu sie gut sein sollten. So manches Mal hätte sie sich nicht gewundert, wenn jemand mit einer Banane vorbeigekommen wäre.

Aber das musste wohl so sein. Was ihr allerdings noch mehr auf die Nerven ging, war, dass sie laufend gepiekst wurde. Ein ums andere Mal wurde ihr Körperflüssigkeit abgenommen. Ob aus ihren Adern die Flüssigkeit, die statt roten Blutes hindurchfloss oder auch andere. Spritzen waren ihr schon immer ein Graus gewesen. Leider machte sie ihr Zustand nicht schmerzunempfindlich, sonst hätte sie es weniger gestört.

Aber was tat man nicht alles oder ließ es mit sich machen, wenn es das Ticket zum weiteren Verbleib in diesem Paradies bedeutete.

Später erzählte ich ihr von meiner Entdeckung, wer in dem Haus wohnte, ohne allerdings zu erwähnen, wie sehr mir die Frau gefallen hatte. Ich versuchte zumindest meine Begeisterung für sie zu verbergen, was mir aber nicht sonderlich gut gelang. Andrea bemerkte es trotzdem, bekam aber ein leicht sarkastisch wirkendes Lächeln auf die Lippen.

„Glaubst du wirklich, ein solch junges und gut aussehendes Ding hat etwas für so einen alten Mann wie dich übrig? Oder meinst du wirklich, sie hat einen Vaterkomplex? Was ihr Männer immer denkt.

Wahrscheinlich hat sie extra ihre Reize spielen lassen um dich zu ärgern!“ Dann lachte Andrea mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen auf. Dabei dachte sie darüber nach, wie sie es in ihrer Jugend gemacht hatte. Eben auch nicht anders. Den Männern die Köpfe verdrehen und sie dann abzuservieren, wenn diese sich Hoffnung machen. Eine sehr beliebte Freizeitgestaltung in ihrer Jugend.
Lachend und mit dem Kopf schüttelnd verließ Andrea den Raum und ließ mich mit hängendem Kopf sitzen.

Sie hatte ja so recht und ich verfluchte Mutter Natur dafür, dass sie uns Männer Augen gegeben hatte, die etwas sehen konnten, was sie dann niemals bekommen würden. Das war nicht fair.

Auf der anderen Seite hatte ich schon alles, was ich mir jemals erträumt hatte. Eine Frau, die ich liebte und sie mich. Was wollte ich mehr. Auf der anderen Seite….

Nein, nicht gut. Nicht darüber nachdenken.

Absolut nicht, alleine der Gedanke war schon verwerflich. Trotzdem konnte ich die nächste Nacht kaum schlafen. Die Frau, die ich gesehen hatte, blieb mit in meinen Gedanken und ließ sich nicht aussperren. Dabei kam sie mir mit der Zeit unwirklich vor. Je länger ich darüber nachdachte, umso perfekter kam sie mir vor. Und gerade das machte mich stutzig. Konnte es überhaupt so etwas geben.

Auf der anderen Seite lebten Milliarden Frauen auf dieser Erde, warum nicht die Frau überhaupt für mich und das in einem Haus hinter dem Unsrigen.

Gut, weit hergeholt, aber durchaus möglich.

Solche und ähnliche Gedanken rannen mir von Stunde zu Stunde durch den Kopf und ich konnte nicht schlafen. Wenn ich die Augen aufmachte, war es stockdunkel, und wenn ich sie schloss, sah ich nur sie immer und immer wieder vor mir. Gar nicht gut. Überhaupt nicht gut.

Irgendwann gegen frühen Morgen schlief ich dann doch ein und es war nur gut, dass Andrea wieder einen Termin bei den Wissenschaftlern hatte.

So konnte ich so lange schlafen, wie ich wollte. Immerhin hatte ich es wirklich nötig. Ich brauchte meinen Schlaf.

Lange schlief ich nicht, sondern war schon drei Stunden später wieder wach und fühlte mich wie zerkaut und wieder ausgespuckt. So dauerte es eine halbe Stunde und einen großen Becher Kaffee, bis ich wieder vollständig in dieser Welt angekommen war. Danach ging ich kalt duschen, da mir meine Klamotten am Leib klebten.

Dann ging ich auf die Veranda vor unserem Haus, setzte mich in den darauf stehenden Schaukelstuhl und nahm ein gutes Buch zur Hand, was ich in der Hausbibliothek gefunden hatte. Es lenkte mich von anderen Gedanken ab, allerdings fanden die Worte keinen Eingang in meinen Verstand. Ich las sie zwar, aber der Sinn blieb zwischen Augen und Hirn stecken. Schon wenige Seiten später klappte ich das Buch wieder zu, denn es hatte einfach keinen Sinn.

Das Gelesene blieb nicht hängen und ich hätte nicht wirklich sagen können, was in dem eben gelesenen Text gestanden hatte.

So saß ich nur da und schaukelte langsam vor und zurück, sah dabei in die Ferne, ohne wirklich etwas zu sehen. Doch dann nahm ich auf dem Grundstück der Koslowskis eine Bewegung war. Es war Karel, der wieder einmal zwischen seinen Blumen hockte und sie versorgte. Da ich sowieso nichts zu tun hatte, stand ich auf und schlenderte quer über unsere Grundstücke und stand schon wenig später bei Karel.

Dieser drehte sich zu mir um und begrüßte mich herzlich wie immer.

„Hallo“, sagte er, „Was führt dich zu uns herüber. Möchtest du einen Kaffee oder was anderes zu trinken?“

Ich kann nicht sagen, warum, aber ich hatte, einen unheimlichen Appetit auf ein kaltes Bier. An dem Tag war es fast unerträglich warm und ich fühlte mich ausgetrocknet.

„Hmmm, wenn du ein schönes, kaltes Bier hättest, wäre das super!“, antwortete ich ihm.

Er stand drehte sich auf dem Hacken um und verschwand im Haus. Nur eine Minute später kam er wieder heraus und hielt zwei Flaschen in der Hand. Dann winkte er mich zu sich auf ihre Veranda. Hier saßen wir auf sehr bequem gepolsterten Stühlen.

„Ob das Bier schön ist, kann ich nicht sagen, aber es ist kalt!“, sagte er grinsend, prostete mir zu und wir nahmen einen ersten tiefen Schluck von dem wirklich gut gekühlten Bier.

Dieses kam zwar fast postwendend durch die Hautporen wieder aus dem Körper heraus, trotzdem schmeckte es so gut, wie selten zuvor.

Nach dem zweiten Schluck sah mich Karel an und meinte: „Was führt dich zu mir? Du siehst nicht so aus, als wenn du nur wegen des einen Bieres hier bist. „

Ich druckste etwas herum und wusste nicht genau, wie ich das Gespräch beginnen sollte.

„Nicht leicht zu sagen“, sagte ich zu ihm gewandt, „aber kannst du mir sagen, wer dort im Haus hinter uns wohnt?“

Da ich bei der Frage direkt in Karels Gesicht sah, konnte ich sehr gut sehen, wie sich sein Gesicht zu einem schelmischen Lächeln verzog.

Dabei glaubte ich geradezu zu spüren, die er die Antwort genussvoll in die Länge zog. Er stellte seine Flasche auf einen kleinen Tisch neben sich und lehnte sich langsam zurück.

„Warum fragst du? Ist dir dort was Besonderes aufgefallen?“ Bei diesen Fragen hatte sich sein Lächeln fast noch verstärkt und seine Augen sahen nicht mehr mich an, sondern weit in die Ferne, als wenn er durch mich hindurchsehen konnte.

„Och, nur so.

Man möchte doch wissen wer so um einen herum wohnt!“, sagte ich so lapidar wie möglich, denn ich wollte meine Begeisterung und Neugierde möglichst verbergen. Doch ich hatte sofort den Eindruck, als wenn Karel mich durchschaut hatte. Er schnalzte einmal mit der Zunge, nahm noch einen Schluck von seinem Bier und setzte zum Reden an.

„Tja, das ist so eine Sache. Wenn du mich fragst, wer dort wohnt, dann kann ich dir zum Beispiel den Namen sagen.

Sasha. Weiter wird es schwierig!“

Karel machte wieder eine künstliche Pause, um die Spannung und Dramatik, noch weiter zu steigern. Aber immerhin wusste ich jetzt den Namen, auch wenn es mich nicht wirklich weiter brachte.

„Gefährliche Sache sich mit Sasha zu beschäftigen. Immerhin ist Sasha das einzige Wesen hier auf der Anlage, welches von den Wissenschaftlern gemieden wird. Keine Experimente, keine Versuche. Lebt hier weil geholt, aber nicht wieder losgeworden.

Viel zu gefährlich.

Anfangs hat man mit Sasha Versuche gemacht, aber nur wenige, denn die Leute, die sich mit Sasha beschäftigten, hatten schon wenig später extreme Probleme.

Ach ja, warum fragst du eigentlich. Erzähl mir nicht, dass du nur fragst, wegen einer guten nachbarschaftlichen Beziehung. Am besten du bekommst Sasha nicht zu sehen!“

„Zu spät!“, sagte ich uns sah dabei in die Ferne mit dem Bild von Ihr vor den Augen.

„Ich habe sie gestern gesehen. Darum bin ich ja hier. Was ist mit ihr los?“

„Ja, was ist mit Sasha los. Eine schwere Frage. In der Straße wohnt übrigens niemand mehr, und wenn Sasha das Haus verlässt, gehen alle möglichst schnell, möglichst weit weg!“

So langsam ging es mir auf die Nerven, warum Karel mir nicht endlich die Wahrheit sagte. „Und?“, fragte ich, „hast du sie auch schon einmal gesehen und wenn ja, sieht sie nicht fantastisch, geradezu überirdisch aus?“

„Ja, ich habe Sasha auch schon einmal aus der Nähe gesehen.

Leider. Obwohl ich jetzt schon so lange auf dieser Erde weile, habe ich zuvor noch nie so etwas Schönes gesehen!“

Wieder wurde Karels Blick glasig.

„Aber Jungchen, das ganze hat einen gewaltigen Haken!“, wieder eine künstliche Pause, „was du da siehst, ist nicht so, wie du denkst. Sasha ist ein Es. Keine sie, kein er. Ich werde versuchen es dir zu erklären.

Wenn ein Mann Sasha sieht, dann glaubt er das Schönste zu sehen, was er jemals in seinem Leben erblickt hat.

Wenn eine Frau Sasha sieht, glaubt sie den schönsten Mann ihres Lebens zu sehen. Niemand weis wirklich, was Es ist und wie Es wirklich aussieht. Es treibt die Menschen unter umständen in den Wahnsinn, da viele glauben, nachdem sie Es gesehen haben, könnte nichts schöneres mehr kommen. Sasha ist auch ein Wesen, welches sich daraus einen Spaß macht und seine Gabe, wie immer es dies auch macht, einsetzt. Mehrere Wissenschaftler haben sich mit Sasha beschäftigt, konnten aber ihre Arbeit nicht beenden.

Entweder trieb Es sie in den Wahnsinn, zumindest wenn sie länger mit Sasha arbeiteten. So bekamen sie keine Chance ihre Experimente zu machen. Sie waren so abgelenkt, dass dieses nicht ging. Dann versuchte man es mittels eines Raumes, in dem keiner anwesend war und alles nur über Computer gesteuert wurde. Sasha kam aber nie in dem Raum an. Einer der Leute, die ihn abholten, verfiel sofort dem Wahnsinn. Der Zweite hängte sich mit einem glückseligen Lächeln am nächsten Baum auf, während Sasha dabei anteilnahmslos zusah.

Seitdem wagt es keiner mehr, sich Es zu nähern. Ich sage extra ES, weil keiner hier mehr weis. So gesehen wohnt ihr hier mehr als gefährlich. Warum man euch nicht zuvor gewarnt hat, ist mir ein Rätsel. Entweder wurde es vergessen oder es hat einen anderen Hintergrund, den wir nicht kennen. Ich kann dir nur Raten, dich von Sasha fernzuhalten!“

„Wie sah es denn bei dir aus?“, fragte ich Karel nur aus Neugierde.

„Ich versuche es aus so gut wie möglich aus meinem Gehirn zu verbannen, aber es gelingt mir nicht immer. Schlaflose Nächte hatte ich bereits genug und ich möchte darüber nicht weiter sprechen, da es die Erinnerungen wieder weckt. Ich hoffe du verzeihst mir. „

Danach saßen wir noch eine ganze Weile auf der Veranda und die Zeit tickte dahin. Beide sahen wir wahrscheinlich dabei aus, als wenn wir Engel gesehen hätten.

Glückselig halt, träumend von einer Frau, die es nicht gab. Später tranken wir noch ein weiteres Bier, was einem bei den Temperaturen recht schnell in den Kopf stieg. So ging ich später mit leicht wankendem Schritt zu unserem Haus zurück und versuchte nicht nach dem anderen Haus zu schauen, worin etwas wohnte, was ich begehrte. Ob real oder nicht, schien dabei kaum eine Rolle zu spielen.

Andrea war in zwischen wieder angekommen und erkannte sofort an meinem leicht schwankenden Schritt, dass ich etwas getrunken hatte.

Sie übersah es aber oder sprach mich zumindest nicht darauf an.

„Ich muss dir etwas erzählen!“, fing ich an und erzählte Andrea von meiner Unterhaltung mit Karel. Sie hört mir geduldig zu und schüttelte manchmal leicht mit dem Kopf. Als ich dann geendet hatte, kamen ihr die gleichen Fragen in den Sinn. Warum hatte man uns nichts gesagt und warum ließ man uns so nah an Sasha überhaupt einziehen. Wir würden bei Gelegenheit danach fragen!

Wir kamen nur zu einem Schluss, den wir irgendwie gut fanden.

Hier befand sich etwas auf der Anlage, was sich nicht erforschen ließ. Sasha zeigte der Wissenschaft eine Grenze, die sie nicht übertreten konnten und genaugenommen freuten wir uns darüber, dass es so etwas gab. Es war die Schlange in diesem Paradies.

Kapitel 23

Am nächsten Tag verbrachen wir wieder einen Tag am Strand. Wir trafen uns mit Michelle und Denice. Michelle wie immer aufgedreht und anscheinend für jeden Spaß zu haben, Denice im wahrsten Sinne des Wortes fast nicht zu sehen, wobei einem jetzt etwas auffiel.

Sicher sie konnte sich der Umgebung anpassen. Was sie aber nicht verändern konnte, waren ihre Augenfarbe. Wenn man wusste, wonach man suchen musste, war es gar nicht so schwer sie zu finden. Besonders am unifarbenen Sandstrand fielen die Augen sofort auf, denn sie wirkten wie zwei Murmeln im Sand. Somit war mir klar, dass wenn sie sich verstecken wollte, dann am besten vor einem eher bunten und unruhigen Hintergrund, mit dem sie verschmelzen konnte.

Ein Boden mit Blättern darauf oder ein Untergehölz machte sie fast unsichtbar.

Trotzdem, wenn wir mit ihr Verstecken gespielt hätten und sie hätte es darauf angelegt, wäre sie sicher kaum zu finden gewesen. Man wäre eher auf sie drauf getreten, als sie zuvor zu sehen.

Wieder fiel mir auf, dass Denice die Nähe von Andrea suchte. Warum konnte ich nicht sagen, Andrea hatte mir deswegen keine konkrete Antwort geben können.

Dies beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit. Selbst Andrea fühlte sich zu Denice hingezogen. Vielleicht war die Lösung ganz einfach, denn beide hatten eine außergewöhnliche Hülle, wenn auch vollkommen entgegengesetzt.

Irgendwann gingen wir dann alle baden. Michelle wieder einmal voraus. Sie rannte ins Wasser und sprang dann mit einem eleganten Kopfsprung hinein. Andrea ging einfach hinein. Sie brauchte nicht schwimmen, wenn sie nicht wollte und es machte ihr sehr viel Spaß, über den Meeresgrund zu laufen.

Dabei war es wirklich sehr von Vorteil, nicht atmen zu müssen.

Denice hingegen zögerte ein wenig, stand nur am Saum des Wassers und nur die Ausläufer der Wellen umspülten ihre Füße.

„Kannst ruhig reinkommen!“, rief Michelle zu ihr herüber. „Sind im Moment keine Haie da!“

Darauf lachte sie und schwamm ein gutes Stück weiter hinaus.

Moment mal, dachte ich nur, was heißt: Im Moment sind keine Haie da? Hieß das, dass normalerweise hier welche rum schwammen? Wirklich keine schöne Vorstellung.

Doch entweder mochten die Viecher Michelle nicht oder es waren wirklich keine da. Also ging ich weiter in das herrliche Nass hinein.

Die Aufforderung an Denice ließ sie dann doch zögerlich in das Wasser gehen und ich traute meinen Augen nicht, als ich zu ihr zurücksah. Dort wo das Wasser sie berührte, schien sie durchsichtig zu werden. Ihr Körper verschwand einfach im Nichts. Schon war sie bis zum Bauchnabel im Wasser und es schien so, als wenn nur ihr Rumpf auf den Wellen tanzte.

Sie nahm also wirklich die durchsichtige Farbe des Wassers an, und zwar so stark, dass man sie einfach nicht mehr sehen konnte. Wie Glas im Wasser. Ob sie dabei einen anderen Brechungsindex hatte, konnte ich nicht sehen, aber die Wahrscheinlichkeit war groß. Wenn also das Licht in einem bestimmten Winkel auf sie traf, musste man sie doch wieder sehen können, zumindest ihre Oberfläche. Also ging ich langsam in einem Halbbogen um sie herum, und als ich den richtigen Winkel hatte, konnte ich ihren durchsichtigen Körper tatsächlich im Wasser schwimmen sehen.

Wirklich erstaunlich.

Inzwischen war Michelle wieder zurückgeschwommen und tauchte jetzt tief herunter. Hier sah sie sich nach Andrea um, die sich einen Moment auf den Meeresgrund gesetzt hatte und dem Getier zusah, welches um sie herumschwamm. Doch nicht lange und sie kam mit Michelle an die Oberfläche.

Im brusthohen Wasser kam es dann wenig später zu einer Wasserschlacht. Oder besser gesagt zu einer Schlacht zwischen Michelle Andrea und mir.

Denice war wieder aus dem Wasser gestiegen und färbte sich wieder ein. Hierbei schien es ihr eine Freude zu machen, immer neue Kollektionen von Bikinis und Schwimmanzügen auf ihrer Haut entstehen zu lassen und es war fantastisch, ihr dabei zusehen zu können. Bei dieser Gelegenheit fiel einem erst auf, dass sie vollkommen nackt sein musste, denn sonst hätte es nicht funktioniert. Doch daran dachte man normalerweise nicht. Wenn man in Zeitschriften einmal gesehen hat, wie naturgetreu Bodypainting aussehen kann, dann kam man normalerweise nicht auf die Idee.

Bei Denice fiel es nur auf, da sie sich nicht umziehen musste, um einen kompletten Wechsel ihrer Garderobe vorzunehmen. Ein Gedanke oder was immer sie dafür tun musste und schon trug sie ihre Traummode. Zumindest zweidimensional. Bei Bikinis merkte man es nicht, doch ich glaubte nicht, dass ein Abendkleid möglich wäre.

Eine Weile später saßen wir wieder im weichen Sand und Andrea schluckte erst einmal zwei Liter Wasser, während die anderen beiden dabei zusahen, wie sich ihre Haut wieder entknitterte.

„Wow“, sagte Michelle, „der Trick wäre gut gegen Cellulitis und Falten. Ich hoffe du bist hier, damit die Wissenschaft heraus bekommt, wie das geht. Einfach etwas Wasser trinken und schon wieder makellose Haut. Der Traum jeder Frau!“

An die Anwendungsmöglichkeit hatten wir noch nicht gedacht. Für einen Lacher war es aber auf alle Fälle gut. Sogar Denice lachte leise mit, obwohl sie mit den Dingen anscheinend keine Probleme hatte.

Zumindest sah sie immer aus, als wenn sie gerade erst aus dem Ei gepellt worden wäre. Vielleicht war es aber auch so, dass sie mit den Farben viel kaschieren konnte. Aber um dieses zu überprüfen, hätte ich ihre Haut erforschen müssen. Doch ich glaubte zu wissen, dass sie nicht davon begeistert gewesen wäre, einmal ganz zu schweigen von Andrea. Sie war wegen meiner Verzückung für Sasha schon ein wenig sauer gewesen, obwohl sich das inzwischen von selber geklärt hatte.

Doch ich musste es ja nicht auf die Spitze treiben.

Da fiel mir auf einmal etwas ein. „Sag mal Michelle“, begann ich, „was hast du da vorhin von Haien gesagt? Es war jetzt nicht das erste Mal, das wir im Wasser waren. Aber davor hat uns auch keiner gewarnt. „

„Wie jetzt?“, fragte sie, „hat man euch das nicht gesagt, als ihr hier angekommen seit? Ich meine, Sicherheitsregeln etc.

? Sie warnen sehr eindringlich vor den Haien. Es sollen hier sogar schon große Weiße gesehen worden sein. Uns macht das aber nichts aus. Sie können Denice nicht sehen und ich habe keine Angst davor, wie vor gar nichts. Außerdem habe ich hier noch nie welche gesehen, weder einen großen Weißen, noch überhaupt einen. Sie sollen hier sogar so gefährlich sein, dass es hier keine Surfbretter oder Boote gibt. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“

Jetzt wo sie es sagte, wurde es mir erst bewusst.

Obwohl es hier ein Paradies für Wassersport sein musste, war niemand auf dem Wasser. Gut, ich machte keinen Wassersport, von daher war es für mich kein Verlust, aber doch sehr merkwürdig.

Doch diese Sache vermieste uns nicht den Tag. Wir unterhielten uns noch den ganzen Tag, erzählte von unserem Leben und die Merkwürdigkeiten, die uns begegnet waren. Dabei fiel mir wieder einmal auf, dass ich dazu eigentlich nichts zu sagen hatte.

Es sei denn, mir fiel etwas ein, was Andrea vergaß. Doch alles drehte sich nur um ihre Person. Bei Michelle war es ähnlich. Sie konnte zwar ein paar Sachen erzählen, die recht lustig oder merkwürdig waren, aber ansonsten war sie eher ein Sprachrohr für Denice. Sie saß oder lag mit uns im Sand und bestätigte höchstens einmal eine Sache die Michelle vortrug. Dabei kam allerdings auch heraus, dass Denice gar nicht so schüchtern war, wie sie uns immer vorkam.

Sie konnte aufgrund ihrer Tarnung recht einfach Menschen beobachten. Andere würden sagen bespitzlen. Wenn man es nicht wusste, dann konnte sie mit jemandem in einem Raum sein, ohne dass dieser es bemerkte. Oder anders gesagt konnte sie Mäuschen spielen, wovon sie schon seit ihrer Kindheit, regen Gebrauch machte. Wovon andere träumten, war für sie einfach. Für sie wurde es nur dann peinlich, wenn sie zum Beispiel husten oder niesen musste. Dann flog ihre Tarnung schneller auf, als ihr lieb gewesen wäre.

So kam es, dass sie zum Beispiel ein paar Mal aus fremden Schlafzimmern flüchten musste. Sie war halt neugierig und bei einigen, ihr bekannten Menschen, konnte sie sich nicht zurückhalten. Auch wenn sie inzwischen zu einer Meisterin der Bewegungslosigkeit geworden war, wenn Mutter Natur einen Reflex bei ihr auslösen wollte, dann tat sie es auch.

Als dann eine Gesprächspause eintrat, sagte Andrea auf einmal: „Jetzt will ich es aber wissen“, und stand auf.

Dann ging sie mit schnellem Schritt zum Wasser und war schon wenige Sekunden später verschwunden.

Nach einer halben Stunde war sie immer noch nicht wieder da. Selbst nach einer Stunde konnte wir kein Anzeichen auf ihre Rückkehr erkennen. Michelle schwamm zwar einmal etwas weiter hinaus und tauchte dann ab, konnte sie aber nicht finden. Dafür war es schon zu tief unter ihr und ohne Maske konnte sie sowieso nicht viel erkennen.

Also kam sie zurück und wir warteten weiter.

Nach insgesamt drei Stunden sahen wir auf einmal Andreas Kopf durch die Wasseroberfläche stoßen. Sie ging wesentlich langsamer als sonst, denn sie war merklich abgekühlt. In ihren Händen zappelten zwei Langusten, die sie wohl auf ihrem Weg entdeckt hatte.

„Keine Haie da!“, sagte sie langsam, da sie sich erst in der Sonne wieder aufwärmen musste. „Nicht einmal Kleine.

Wie du schon gesagt hast. “ Dabei sah sie in Richtung Michelle. „Aber leckere Sachen, die einem da unten fast über die Füße laufen. Frischer geht es nicht!“

Später saßen wir zu viert auf unserer Veranda und die Tiere verfärbten sich in ihr typisches Rot, als sie auf dem Grill landeten. So saßen wir noch eine ganze Weile dort und löffelten das weiße Fleisch mit ein wenig Stangenbrot in uns hinein.

Lecker!
Kapitel 24

Andrea musste nach den ersten Wochen nicht mehr jeden zweiten Tag zum Untersuchen, sondern nur noch, wenn sie von einem der Wissenschaftler gebraucht wurde. Anscheinend hatte sie erst einmal alles, was sie brauchten, und knabberten an den Proben herum. Was sie dabei fanden oder auch nicht, darüber bekam man keine Nachricht. Auch was sie dann mit den Ergebnissen machten, wurde uns nicht mitgeteilt. Selbst Kalle wusste das nicht, denn er arbeitete an einem anderen Projekt.

Wer dann aber mit den gespeicherten Ergebnissen etwas anfangen konnte, das wusste er auch nicht. Immerhin mussten die dann zumindest ein ähnliches Vorwissen wie er haben, denn sonst konnten sie damit auch nichts anfangen.

Das hier etwas nicht stimmte war klar. Es gab zu viele Fragen, die nicht beantwortet wurden. Hierzu gab ich zum Beispiel Fragen in unser Computersystem ein. Vollkommen naiv fragte ich nach, ob ich ein kleines Segelboot haben könnte, weil ich gerne segeln gehen wollte.

Die Antwort war lapidar gehalten und erst jetzt wurde uns mitgeteilt, dass es zu viele Haie in der Umgebung gab. Das war zumindest im Moment nicht richtig, das wussten wir genau. Auch auf die Frage, wann wir Menschen wie Andrea treffen würden, kam nur die ausweichende Antwort, dass dies im Moment noch nicht möglich wäre.

Warum war das nicht möglich? Ich hatte keine Ahnung.

An einem der Vortage war ich einfach nur ziellos mit dem Wagen durch die Gegend gefahren und hatte mir alles angesehen.

Es glich sich vieles und so wurde die Fahrt eher langweilig. Die Menschen, die mir über den Weg liefen, sahen fast alle wie normale Menschen aus und ich konnte eigentlich nicht unterscheiden, ob es Menschen waren, die zum Personal gehörten, den wissenschaftlichen Abteilungen angehörten oder Versuchsobjekte waren. So nannte ich zumindest Andrea und die anderen Wesen inzwischen. Anders kam es mir auch nicht vor.

Was mir ebenfalls auffiel, war zuerst gar nicht so einfach zu erkennen und man kam erst drauf, wenn man drauf achtete.

Es waren keine Kinder da. Ich sah zumindest keine. Hier musste es aber Kinder geben, denn nicht alle konnten wirklich steril sein. Ob die Versuchsobjekte nun zeugungsfähig waren, kann ich nicht sagen, aber hier waren auch andere Paare unterwegs und die waren nicht alle in fortgeschrittenem Alter. Also, wo waren die Kinder?

Das war allerdings eine Frage, die ich sogar von Kalle beantwortet bekam. Sie waren in einer Art Internat auf der Insel.

Es waren nicht viele, aber sie wohnten nicht bei den Eltern, konnten aber jederzeit dorthin, um sie zu besuchen oder am Wochenende oder in den Ferien bei ihnen zu wohnen. Schwangerschaften vom Personal wurden nicht gerne gesehen und im Normalfall kam es auch nicht vor, da es eine Klausel im Vertrag verbot. Gut, Verbote sind eines und die Realität das andere. Manchmal gab es eben Unfälle.

Anders war es bei den Versuchtobjekten.

Hier wurde es zwar nicht gefördert, sonder eher nicht behindert. Im Gegenteil. Die Wissenschaftler freuten sich sehr darüber. Konnten sie doch hier die natürliche Weitergabe einer Eigenschaft erforschen, wenn diese dann weitergegeben werden konnte. Wenn dies nicht geschah, wurden sie wie alle Kinder in einer sehr guten Ausbildung geschult. Wenn möglich in den wissenschaftlichen Disziplinen, die auf der Insel vorkamen. So zog man sich den eigenen Nachwuchs heran. Waren sie für diese Ausbildung nicht geeignet, blieben noch viele andere Jobs auf der Insel übrig.

Da Arbeit jeglicher Art hier das Gleiche einbrachte, nämlich sorgenfrei leben zu können, spielte das keine wirkliche Rolle. Offen blieb nur die Frage, was mit denen geschah, die nicht auf der Insel bleiben wollte. Diese Möglichkeit wurde allerdings nicht beantwortet, da es noch nie vorgekommen sein soll.

Dabei stellte sich mir eine neue Frage, was wenn Andrea und ich hier weg wollten oder jemand anderes.

Die Frage wurde mit einer Gegenfrage beantwortet.

Die hieß:

Warum soll man einen Ort verlassen, an dem man alles hatte, an dem einem kein Wunsch verwehrt blieb?

Ich konnte es nicht lassen und fragte ebenfalls gegen: Ich möchte aber wieder Skifahren!

Die Antwort auf diese Frage blieb man mir schuldig. Der Kasten, in den ich meine Frage getippt hatte, blieb stumm.

Na gut, ich wollte ja gar nicht Skifahren, konnte es nicht einmal und mochte auch die Berge nicht sonderlich, aber hätte doch sein können.

So langsam wurde mir immer deutlicher klar, dass etwas in diesem Paradies nicht stimmte. Aber das würde ich noch herausbekommen. Immerhin hatte ich ja jede Menge Zeit. Ich musste nirgends hin, hatte keine Verpflichtungen und die Insel war nicht so groß, dass man sie nicht vollständig erkunden konnte. Und genau das würde ich tun. Immerhin hatte ich noch lange nicht alles gesehen und so machte ich mir einen Plan. Da ich durch meine Wanderung ungefähr wusste, wie groß die Insel war, teilte ich sie auf einer Art Karte in Sektoren auf.

Hier war ich zwar auf die Hilfe meiner Fantasie angewiesen, aber das war für mich kein Problem, die hatte ich.

So war ich die nächsten Tage immer unterwegs, wenn Andrea keine Lust hatte, etwas zu unternehmen oder einfach nicht da war.

Kapitel 25

Als Erstes lief ich die unmittelbare Umgebung ab, vermied aber der Straße von Sascha, näher zu kommen. Ich machte einen möglichst großen Bogen darum, denn wenn es irgendwo etwas zu entdecken gab, dann nicht da.

Ich glaubte nicht, dass sich ausgerechnet dort etwas Interessantes befand. Dafür war es den Menschen viel zu gefährlich. Wer möchte schon, dass er morgens aufwacht und noch nicht weiß, dass er sich wenig später selber an einen Baum hängt.

Doch in der unmittelbaren Umgebung fand ich nichts. Die nächsten Straßen hatten genauso wenig Interessantes zu bieten wie unsere eigene. Also schnappte ich mir bei der nächsten Gelegenheit unser Fahrzeug und fuhr die weitere Umgebung ab.

Doch schon bald stellte ich fest, dass auf unserer Hälfte der Insel nur Wohnhäuser standen. Sehr langweilig.

Da war das Zentrum schon interessanter. Bis jetzt waren wir nur dort gewesen, wohin man uns gebracht hatte. Doch jetzt fuhr ich den gesamten Komplex ab und kam unter anderen an der Schule vorbei. Ich erkannte sie allerdings nur, da gerade als ich daran vorbeifuhr, die Pausenklingel läutete.

Das Gebäude war ein ebenfalls längliches Haus, was sich von den wissenschaftlich genutzten, kaum unterschied.

Der einzige Unterschied waren größere Fenster und eine Uhr, die über dem Haupteingang hing. Hier hatte sich wohl jemand von älteren Schulgebäuden etwas abgeschaut.

Als ich die Klingel hörte, trat ich sofort auf die Bremse, denn das wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Heraus kamen wohl dreißig Kinder in jeder Altersstufe. Mehr nicht, das Verbot schien recht gut zu funktionieren. An den Kindern konnte man nichts Außergewöhnliches entdecken.

Zumindest oberflächlich nicht. Entweder waren sie alle normal oder es fiel einem einfach nichts auf. Da ich davon ausging, dass die meisten Veränderungen auch nicht sichtbar waren, konnte ich es also auch nicht unterscheiden.

Nach zwanzig Minuten klingelte es wieder und die Kinder gingen wieder ins Gebäude. Dann trat wieder Stille ein, die einem zuvor gar nicht so aufgefallen war. Das Lachen der Kinder hatte den Ohren einfach mal wieder gut getan.

Die Umgebung war sonst immer ruhig, was einem erst jetzt richtig auffiel.

Ansonsten gab es auch hier nichts Besonderes zu sehen.

Die Sektoren auf meiner provisorischen Karte, füllten sich immer weiter mit roten Kreuzen. Ich mahlte sie immer dann dort hinein, wenn ich mir sicher war, dass ich alles gesehen hatte und nichts Besonderes dabei herausgekommen war.

Zum Schluss blieb eigentlich nur noch der Teil übrig, in dem unter anderem der Flugplatz oder besser gesagt, die Piste angelegt war.

Als wir angekommen waren, hatten wir keine Zäune gesehen, also ging ich davon aus, dass es frei zugänglich war.

Als ich einmal um die Insel gegangen war, hatte ich die Piste nicht sehen können denn sie war von Urwald eingerahmt worden und nicht einsichtig.

Diesen Teil der Insel nahm ich jetzt in Angriff, musste aber feststellen, dass es gar nicht so einfach war. Zum Flughafen führte nur eine Straße, und als ich an der Piste ankam, war dort nicht viel zu sehen.

Vor dem Hangar stand solch eine Maschine, wie die uns hergebracht hatte. Der Tower schien nicht besetzt zu sein, den nicht einmal das auf dem Dach sitzende Radargerät, drehte sich. Also erwartete man auch niemanden. Weiter hinten stand im Gegensatz zu der kleinen Passagiermaschine eine größere. Sie war eher dickbäuchig, diente also mehr dem Transport, als der Geschwindigkeit. Was auch daran zu erkennen war, dass sie mit Propellern angetrieben wurde.

Ich hatte mich sowieso schon gewundert, wie sie die Waren, die sie benötigten, auf die Insel brachten.

Einen Hafen hatte ich bei meiner Umwanderung nicht gesehen. Das erklärte aber zumindest das leise Brummen, welches ich ab und zu in der Nacht hörte. Diese Turboprop Maschinen waren recht leise, nicht umsonst wurden Drohnen ebenfalls meistens mit diesen Antriebssystemen ausgerüstet. Leise und effektiver im Energieverbrauch.

Zwei Dinge wunderten mich an der Maschine. Erstens erklärte dies noch lange nicht, wie alles auf die Insel kam, denn dafür war sie viel zu klein.

Sicher, man konnte eilige Dinge damit transportieren, aber nicht die Mengen, die man hier brauchte. Das Zweite, was mich dann noch mehr beschäftigte war, die Farbe des Flugzeugs. Damit meinte ich nicht direkt die Farbe, denn sie war dunkelgrau. Gut, warum nicht, sollte doch jeder so ein Ding streichen, wie er wollte, von mir aus in Baby Rosa und Blau. Was mich störte, war die Tatsache, dass die Maschine keine Kennung hatte.

Jedes Flugzeug hatte eine, damit man sie identifizieren konnte.

Diese war in einem Verzeichnis eingetragen und man konnte diese immer, an bestimmten Stellen des Fliegers lesen. Welche Vorschriften es auch immer dafür gab, aber unter den Flügeln und am Heckleitwerk war das soweit ich wusste vorgeschrieben. Hier war es nicht so. War dies eine der geheimen Maschinen von den ich schon einmal gelesen hatte. Sie sollten angeblich im Auftrag einiger Regierungen fliegen, wenn es darum ging, etwas geheim zu halten. Sie flogen nur nachts und dann sehr tief.

Waren dann eher so etwas wie Geister in der Nacht, da sie nicht einmal Positionslichter hatten. Und wenn ich jetzt noch genauer hinsah, konnte ich wirklich keine erkennen. Allerdings waren die auch so klein, dass ich sie auch übersehen konnte.

Ich drehte mit meinem Fahrzeug und wagte nicht mehr weiter zu fahren. Aus irgendeinem Grund hielt ich mich von diesem Ort fern, meinte in meinem Inneren den Drang zu verspüren, nicht gesehen zu werden.

Von wem auch immer. Ich wusste nur eins, ich würde zurückkommen. Dafür war es viel zu interessant, um es nicht zu erforschen.

Ansonsten war auf dem Weg zum oder vom Flugplatz nichts zu sehen. Eben Urwald, der einem schon auf wenige Meter die Sicht nahm.

Wieder Zuhause angekommen erzählte ich Andrea von meinen Entdeckungen. Sie sah mich an und verstand anscheinend nicht wirklich, worauf ich hinaus wollte.

Aber wenn es mir Spaß machte, dann sollte ich halt den Detektiven spielen. Eigentlich hätte mich mir mehr Reaktion von ihr gewünscht, denn ich hatte mehr Interesse dafür erwartet. Aber was nicht ist, ist halt nicht. Kann man niemanden zu zwingen.

Kapitel 26

An diesem Abend trafen wir uns mit den Koslowskis, Michelle und Denice zum Grillen. Zu diesem Zweck hatten wir uns diverse Grillspezialitäten liefern lassen und ich stand an einer überdimensionalen Feuerwanne, über die ein Rost befestigt war, auf dem so viel Fleisch gegrillt werden hätte können, dass man damit eine Kompanie Soldaten mit satt bekommen hätte.

Aber das war egal, ich bin ein Mann und Männer brauchen groß. Nicht kleckern, klotzen ist angesagt und so stand ich mit Karel vor dem entfachten Grillfeuer und wir schwitzten, was das Zeug hielt. Das Feuer war so groß, dass wir locker zwei Schweine darauf hätten zubereiten können.

Egal, spielte keine Rolle, Hauptsache Feuer und ein kühles Blondes in der Hand und eine Fleischportion, die mehr als über den Hunger ging.

Mehr war gar nicht nötig, um uns Männer glücklich zu machen. So dauerte es noch recht lange, bis das Feuer soweit runter gebrannt war, bis wir wirklich die ersten Stücke auflegen konnten. Hätten wir es zuvor getan, wären sie innerhalb von Minuten verbrannt. Lecker, außen schwarz, innen roh. Bei Steak vielleicht gewünscht, aber bei anderem nicht sonderlich. Wer schon einmal in rohes Geflügelfleisch gebissen hat, der weiß, was ich meine.

So standen Karel und ich am Feuer, wo wir hingehörten und die Frauen deckten den Tisch, um darauf die selbst gemachten Salate zu drapieren.

Ehrlich gesagt brauchte ich das nicht. Ein Stück herzhaftes Fleisch direkt vom Grill auf die Faust und essen, das war Männersache.

Aber was sollte man tun. Um den häuslichen Frieden zu wahren, nahm Mann sogar in kauf mit Messer und Gabel essen zu müssen. Dazu einen gut platzieren Lob über die Salate und genießerisch verdrehte Augen und schon war die Sache geritzt. Die Frauen hatten was sie wollen, die Männer das ihre.

Friede, Freude, Eierkuchen.

Dazu kam die herrliche Stimmung. Es war inzwischen dunkel geworden und neben den Kerzen, die wir aufgestellt hatten, leuchteten nur noch die Sterne über uns. Romantisch sagen die einen, Weiberkram die anderen. Ich werde mich hüten dabei zu sagen, was ich darüber dachte.

So saßen wir nach dem Essen da und unterhielten uns weiter über alles Mögliche, wobei der fließende Alkohol die Stimmung weiter anheizte.

Besonders Karel kam in Fahrt und wir bogen uns teilweise vor Lachen, wenn er Geschichten erzählte, die aus längst vergangenen Zeiten berichtete. Stoff hatte er sicher für zehn Bücher, was aufgrund seines Alters auch nicht weiter schwer war.

Dabei wurde einem erst richtig klar, was die beiden schon alles erlebt haben mussten und was neben dem lustigen, was er zum Besten gab, alles an negativen Erinnerungen da sein musste. Über viele Dinge machte man sich keine Gedanken.

Zum Beispiel hatten sie nie lange an einem Ort bleiben können, denn es wäre irgendwann aufgefallen, dass sie anscheinend ewig lebten. Dies wiederum war im Mittelalter von großer Bedeutung, da Menschen die anders waren schnell mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurde und das bedeutet nichts Gutes. Die Feuer hatten die beiden oft gesehen und wurden durch sie immer wieder ermahnt, vorsichtig zu sein. Man saß halt lieber, wie an diesem Abend ,lieber am Feuer, als darin.

Die Feuer verloschen und sie überstanden den Wahn.

Doch es kamen noch mehr Dinge dazu, woran man als normaler Mensch nicht dachte. Sie konnten sich nirgends polizeilich melden. Also hatten sie später auch keine Papiere und konnten sich aus diesem Grund auch nicht ausweisen. Also mussten diese gefälscht werden, denn gemeldet zu sein und dann fast ewig zu leben, fiel dann doch auf. Heutige Computersysteme würden sofort einen Fehler melden, selbst wenn man es schaffen würde, dort unbemerkt hineinzukommen.

Es liefen halt nicht viele Menschen dort draußen rum, die älter als 120 Jahre alt waren.

Das führte einen dazu, dass man seine Papiere fälschen lassen musste und Fälschungen waren teuer und kaum zu bekommen, wenn man in dieser Szene nicht ansässig war. Dafür machte es den beiden unheimlich Spaß, sich jedes Mal neue Namen zu geben. Somit war Koslowski auch nicht ihr wirklicher Name, aber den verrieten sie genauso wenig, wie ihr tatsächliches Alter.

Die beiden konnten einem irgendwie leidtun, auch wenn sie das hatten, was man eigentlich für sich selber wollte. Sie hatten niemals eine längere Beziehung eingehen können, niemals eine Familie gründen dürfen. Es wäre aufgefallen. Obwohl es sich sicher lustig angehört hätte, wenn er von seinem Urururururenkel gesprochen hätte.

Auf der anderen Seite, wenn man genau drüber nachdachte, auch sehr traurig. Alle seine Ahnen wären vor ihnen gestorben und wer möchte schon seine Kinder sterben sehen, denn ihr Alter war nicht genetisch bedingt und konnte so auch nicht weitergegeben werden.

Hatten jedenfalls die Wissenschaftler auf dieser Insel herausbekommen.

Eigentlich wussten weder Katja noch Karel, warum sie nicht alterten. Jedenfalls nicht so schnell. Soweit sie sich daran erinnern konnten, waren sie bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr ganz normal gewesen. Nichts deutete darauf hin, dass sie anders waren. Ihre Mutter starb kurz nach ihrer Geburt und ihr Vater war nicht bekannt. Zumindest hatte ihre Mutter nie jemandem davon erzählt. Also kannten die beiden ihre Eltern nicht.

Weitere Geschwister hatten sie nicht gehabt.

Sie kamen bei ihrem Großvater unter der in ärmlichen Verhältnissen lebten und sie eigentlich nur brauchte, um selber zu überleben. Hier mussten sie hart arbeiten, was sie allerdings schon gewohnt waren. Sie hatten schon als Kinder auf den Feldern mitarbeiten müssen und so etwas wie Bildung nie genossen. Brauchten sie auch nicht, denn für das, was sie taten, mussten sie nichts lernen. Was sie zum Überleben an Wissen brauchten, brachte man ihnen nebenbei bei.

Ein Feldarbeiter musste nicht mehr wissen als das, was ihm ein Leben ermöglichte.

Doch irgendwann starb ihr Großvater und sie erbten alles, was er hatte und das war wenig genug. Da es langsam auffiel, dass die beiden nicht älter zu werden schienen, machten sie sich mit dem wenigen, was sie hatten auf den Weg und verschwanden das erste Mal in ihrem Leben, in eine ungewisse Zukunft.

Die nächsten Jahre blieben sie auf Wanderschaft, sahen sich die Welt an und arbeiteten nur dann, wenn sie etwas zum Essen brauchten.

Es war eben auch die Zeit, wo sie bemerkten, dass sie anders waren. Ihr Alterungsprozesse war fast zum Erliegen gekommen. Jahrzehnte vergingen ohne das es den beiden wirklich anzusehen gewesen wäre. Auch wenn sie es nicht verstanden, blieb ihnen nichts anderes übrig als es zu akzeptieren.

Zuerst blieben sie aber noch der Gegend treu, in der sie geboren worden waren. Heute würde man sagen, sie wuchsen im hintersten Teil von Polen auf.

Eine Gegend, in der eigentlich nichts war, nichts passiere und von der weiteren Welt so weit abgeschieden war, dass sie dachten, dass es überall so sein würde. Noch aus dieser Zeit resultierte ihr leichter, polnisch klingender Akzent. Der in allen Sprachen vorkam, die sie in der langen Zeit gelernt hatten, müssen. Ob Englisch, Französisch, Spanisch oder Deutsch. Alles ging ihnen flüssig von den Lippen, wenn auch zumeist in einer älter klingenden Weise.

Wie wir nun am Tisch saßen gaben sie uns so manche Kostprobe davon, und wenn ich sie in einem uralten Deutsch reden hörte, konnte ich mir die vergangene Zeit fast vorstellen.

Alles hier aufzuschreiben, was die beiden erzählen ist nicht möglich. Hierfür müsste man ein eigenes Buch scheiben, trotzdem werde ich ab und zu noch darauf zurückkommen.

Was ich an diesem Abend zusätzlich noch lernte, war, wie man Denice knackt. Die Lösung war ganz einfach. Alkohol. Das Zeugs drehte sie um 180 Grad herum. War sie sonst immer das schüchterne Mädel neben Michelle, taute sie mit jedem Glas mehr auf, das sie trank.

Sie lachte und war richtig fröhlich, so wie ich sie zu vor noch nie gesehen hatte.

Zum Schluss begann sie selber noch von einigen Abenteuern zu erzählen, die sie aufgrund ihrer Fähigkeit erlebt hatte. Ein wenig davon hatte Michelle uns ja schon erzählt, aber es aus ihrem Mund zu hören, war noch besser. Sie konnte sehr lebhaft und blumig erzählen, was sie alles gesehen hatte. Dabei stand sie sogar manchmal auf und machte alles so vor, wie es gewesen war.

Dabei stand sie nicht nur so da, wie sie es in Erinnerung hatte, sondern gab dabei ihre Gedankengänge zum Besten.

Erstaunlich war dabei, dass sie aufgrund des Alkohols ihre Fähigkeit nicht mehr so gut im Griff hatte. So zeichneten sich ihre Emotionen auf ihrer Haut ab. Damit wurde sie einem Chamäleon noch ähnlicher. Ärgerte sie sich, dann wurde sie sprichwörtlich schwarz oder dunkelrot. Dabei huschten dann zusätzlich Muster über ihren Körper, die allerdings jetzt nicht mehr so geordnet über ihre Haut huschten.

Sie waren leicht verzerrt, aber man konnte noch erkennen, was es sein sollte. Wenn sie also davon erzählte, dass sie vor Wut gekocht hätte, dann konnte man sehen, wie sich Flammenzungen bildeten und flackernd über ihren Körper wanderten. Ein anders Mal erzählte sie von einer Wiese, in dessen langem Gras sie sich versteckt hatte. Zur Untermalung des Ganzen wurde sie urplötzlich grün. Nicht nur dass. Sie ließ sogar verschiedene Blumen auf sich wachsen und ahmte das sich im Wind wiegende Gras nach, indem sie ihren Körper dazu, in eine entsprechende Bewegung brachte.

Zum Schluss fragte sie noch: „Wollt ihr Mal was Gruseliges sehen?“

Klar wollten wir das, denn in unserer Stimmung konnten uns nichts mehr schocken. Hatte ich jedenfalls gedacht.

„Klar!“, riefen wir. Nur Michelle nicht, sie kannte sicher was kommen würde und drehte sich ein wenig ab.

Denice stelle ich so in das wenig Licht, was noch vorhanden war, damit wir sie besser sehen konnten, dann sah es aus, als wenn sie sich konzentrierte.

Sie stand nur da und wurde auf einmal immer heller, bis sie vollkommen weiß war. So gesehen sah sie nicht viel anders aus als Andrea. Aber damit war sie noch nicht fertig. Erst jetzt konnten wir sehen, dass es noch weiter ging.

Allmählich hatte man den Eindruck, als wenn ihre Haut transparent wurde. Es sah so aus, als wenn man ein Pergamentpapier auf etwas legte und diese hindurchschien. Hier war es aber kein Bild oder eine Schrift.

Weiter ging dieser Vorgang und schon eine Minute stand sie vor uns und die Haut war so durchsichtig geworden, als wenn sie gar nicht mehr da gewesen wäre.

Vor uns stand ein Wesen, in das wir hineinschauen konnten. Ein Organismus an dem man, wie an einem medizinischen Modell alles erkennen konnte. Doch noch weiter hinein. Nicht nur die Haut war durchsichtig, sondern auch die Organe. So konnte man die einzelnen Knochen, das Herz hinter dem Brustkasten und die Gedärme bei ihrer Arbeit sehen.

Dies blieb sogar so, als sie sich langsam zu drehen begann. Es war nicht gruselig, sondern einfach nur faszinierend. Noch nie hatte ich gesehen, wie sich ein lebender Körper bewegte, in dem man hineinschauen konnte. Erst jetzt sah man, wie die einzelnen Muskeln in ihr arbeiteten, wie sie die Beine in Gang setzten oder die Arme hoben.

Doch als wir meinten die Show sei vorbei, hatten wir uns getäuscht. Als sie sich einmal um die Achse gedreht hatte, stand sie wieder mit dem Gesicht zu uns und wir konnten sehen, wie sich die Gesichtsmuskeln zu einem Lächeln verzogen.

Dann begann noch ein anderer Prozess. Andrea stupste mich in die Seite, als sie es sah. Selbst die Muskeln begannen jetzt zu verblassen und nicht nur das. Alles Gewebe begann sich aufzulösen, wurde zuerst undeutlich, dann verschwand es vollkommen. Zum Schluss stand nur noch ein Skelett vor uns in dessen Schädel nur noch ihre Augen steckten, die jetzt zuerst ein wenig rollten, dann starr auf uns gerichtete wurden. Als wenn das nicht genug wäre, legte sie plötzlich ihren Schädel in den Nacken und stieß ein Lachen aus, welches wie kurz vor dem Wahnsinn klang.

Ich muss zugeben, dass es mir jetzt doch eiskalt den Rücken herunterlief.

Was ich dabei noch unheimlich faszinierend fand, war die Tatsache, dass sie selbst in diesem Zustand ihre Augen nicht verschwinden lassen konnte. Diese steckten in den Augenhöhlen und machten das Ganze doch gruselig. Ohne das wäre es vielleicht gar nicht so toll gewesen.

Das fast hysterische Lachen brach plötzlich ab.

Ihr Kopf wandte sich wieder uns zu und dann drehte sie sich einmal unheimlich schnell im Kreis herum. Als sie die Drehung vollendet hatte, stand sie jetzt schwer atmend vor uns. Innerhalb einer Sekunde hatte sich alles wieder in die für sie normale Art gewandelt. Leicht schwankend kam sie wieder an den Tisch und setzte sich hin. Dabei wusste ich nicht, ob das Schwanken von dem Alkoholkonsum oder von der Anstrengung kam, die diese Show sicher gekostet hatte.

„Schade!“, sagte sie noch nebenbei, „hätte euch gerne noch mehr gezeigt. Michelle hasst es, wenn ich das mache. Aber ich bin heute einfach nicht mehr in der Lage, auch noch die Knochen verschwinden zu lassen. Sieht lustig aus, wenn nur noch meine Augenbälle in der Luft rumhüpfen!“

Denice hatte eindeutig zu viel getrunken. Ich glaubte ihr das aufs Wort, was sie sagte, aber ohne Alkohol hätte sie es sicher niemals getan.

Da wir sowieso schon soweit waren, fragte ich sie etwas, was mir schon lange auf den Lippen lag und sie jetzt sicher beantworten würde.

„Sag mal Denice!“, begann ich langsam. „Ziehst du eigentlich nie etwas an?“

„Warum sollte ich? Ist doch schön warm hier und ich habe doch meine Modekollektion immer dabei. Warum soll ich mich auf ein Kleidungsstück beschränken, wenn ich mir jederzeit etwas anderes zurechtbasteln kann.

Außerdem mag ich die Luft an meinem Körper und finde Bekleidung einengend. „

Das hatte eine gewisse Logik. Man sparte außerdem eine Menge Geld, wenn man Klamotten kaufen müsste, was hier auf der Insel nicht nötig tat.

„Außerdem kann ich das hier auf der Insel, denn hier ist es nicht so eng, dass laufend Menschen mit mir zusammenstoßen. Ich mag es nicht berührt zu werden!“, dabei machte sie eine Art Schmollmund und ihr Kopf sank langsam auf den Tisch.

Eindeutig zu viel Alkohol und dazu die vermuteten Anstrengungen der Vorführung forderte seinen Preis. Wenige Sekunden später lag ihr Kopf auf dem Tisch und sie war eingeschlafen.

Das war dann der Moment, wo wir unser Treffen beendeten. Es war inzwischen mehr als spät bzw. früh geworden und wir wurden allmählich Müde. Andrea natürlich nicht. Sie schien den Alkohol nicht zu merken, den sie getrunken hatte. Wohl eine Folge der Umwandlung ihres Gehirns.

Jetzt kam nur die Frage auf, wie wir Denice nach Hause bekamen. Einer von uns musste sie tragen, und da Michelle das nicht konnte, genauso wie Andrea und die Koslowskis blieb diese Aufgabe für mich übrig. Doch wie trägt man ein Mädel, das vollkommen nackt ist?

Michelle meinte nur dazu: „Nackte Mädels trägt man so, wie man auch angezogene tragen kann. Vorzugsweise auf dem Arm und nicht wie einen nassen Sack über die Schulter.

Ich nehme an das du ein Gentleman bist!“ Dabei sah sie mich durchdringend an.

Ich nickten nur und hob Denice vorsichtig hoch. Es war schon etwas komisch, das muss ich schon zugeben. Ihre Haut, die ich an meiner fühlte, war glatt, sehr glatt. Fast wie die Oberfläche einer Gefriertüte, und da sich zwischen unseren Hautflächen fast augenblicklich etwas Feuchtigkeit bildete, wurde sie geradezu glitschig. Ich musste sie sehr gut festhalten, als ich sie trug, damit sie mir nicht aus den Armen flutschte.

Sie war zum Glück sehr leicht und als ich sie in Begleitung von Michelle nach Hause brachte, zogen wieder Muster über Ihre Oberfläche, wobei sich die Geschwindigkeit immer wieder änderte.

Michelle sah mich an, als sie merkte, dass ich dieses Schauspiel in meinen Armen beobachtete.

„Sie träumt!“, kam es von Michelle als Erklärung. Da waren wir aber schon am Haus angekommen. Ich brachte sie noch in ihr Schlafzimmer und legte sie dann vorsichtig auf das Bett, dann verabschiedete ich mich von Michelle und trat meinen Rückweg an.

„Na du nackte Frau Träger!“ kam mir Andrea entgegen. „Wer hätte gedacht, dass ein so alter Mann wie du, so etwas noch erleben durfte!“

Dann lachte sie, während wir uns umarmten. „Schöner Abend gewesen!“, sagte ich zu Andrea und sie stimmte mir mit einem Nicken zu. Dann gingen wir ins Bett, wobei Andrea sich auf ihre Seite setzte und ihren E-Reader nahm. Das Letzte was ich sah, war ihr zufriedenes Lächeln.

Ob es vom schönen Abend kam oder von dem, was sie gerade las, kann ich nicht sagen. Aber eines wusste ich genau:

Ich liebte sie!

Kapitel 27

Andrea ließ mich lange schlafen. Als ich aufwachte, war sie jedenfalls nicht da. Wahrscheinlich war sie einmal mehr für irgendwelche Experimente abgeholt worden, denn im Haus konnte ich sie ebenfalls nicht finden. Doch ich hatte mich getäuscht. Als ich auf die Veranda kam und mich in der schon gut angewärmten Luft gähnend streckte, kam sie um das Haus herum.

Sie war hinter dem Haus gewesen, wo ich sie nicht vermutete hatte. Normalerweise war sie dort nie und ich fragte mich schon, was sie dort gemacht hatte.

Sie hatte ein gewisses Lächeln auf den Lippen, was sie immer dann aufsetzte, wenn sie mich ärgern wollte. Ich kannte das schon zu genüge. Dieses Lächeln bedeutete nichts Gutes und zeigte schon an, dass sie den Schelm in sich trug. Als sie mich sah, kam sie auf mich zu, stand einen Augenblick vor mir und fing an leise vor sich hin zu feixen.

Dann drehte sie sich von mir ab, sah mir dabei aber immer noch in die Augen. Dies hielt sie durch, bis sie an der Haustür angekommen war und dann richtig anfing zu lachen, als wenn sie sich nicht halten könnte. Dann verschwand sie im Haus und ließ mich wie einen begossenen Pudel stehen. Ich musste ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut haben, war aber richtig froh darüber, dass mich niemand so gesehen hatte.

Da ich jetzt richtig neugierig geworden war, ging ich ebenfalls mit hängendem Kopf ins Haus und zu Andrea.

Da sie recht geräuschvoll in der Küche am Arbeiten war, wusste ich sofort, wo sie war. Sie schien wirklich mehr als gute Laune zu haben. Sie pfiff fröhlich vor sich hin, und als sie mich so mit hängendem Kopf sah, konnte sie nicht anders und prustete von Neuem los.

Langsam fand ich es langweilig und lächerlich. Also fragte ich: „Was los? Heute einen Clown gefrühstückt oder was?“

Nur langsam kam sie wieder zur Ruhe.

Dann hörte sie auf einmal mit dem lächerlichen Gehabe auf und meinte nur: „So so, Sasha ist also eine wunderschöne Frau?“ Dann lachte sie wieder los.

Jetzt setzte ich mich auf einen Stuhl und sah Andrea verständnislos an.

Kaum hatte sie sich wieder beruhigt meinte sie: „Als du gestern eingeschlafen bist, hast du im Traum von Sasha gesprochen, hast sie über den grünen Klee gelobt. Außerdem hast du vermittelt, dass sie das einzige Wesen auf dieser Welt wäre, wofür es sich lohnen würde zu leben.

War mir das peinlich. Es wir wirklich nicht gut, wenn man im Traum spricht und jemanden neben sich hat, der immer wach ist.

„Du hast mich wirklich neugierig auf Sasha gemacht und so bin ich heute Morgen, ganz früh zu dem Haus von Sasha geschlichen und habe mich auf die Lauer gelegt. Irgendwann musste Es ja rauskommen.

Nach etwas mehr als drei Stunden ist Es dann aus dem Haus gekommen.

Nach dem Bericht von dir und anderen musste Sasha ja geradezu eine Lichtgestalt sein. Da es sich in den Gehirnen der Menschen breitmachte und nur das schönste suggerierte, was der Mensch sich vorstellen konnte, habe ich wirklich etwas erwartet.

Na ja, wie soll ich es sagen. Ich für meinen Teil hätte zumindest einen Adonis erwartet oder einen David, wie der von Michelangelo. Kam aber nicht und das hat nichts damit zu tun, dass er mich nicht gesehen hat.

Ich stand nämlich auf und Es konnte mich genau sehen. Spätestens jetzt hätte ich eine Verwandlung sehen müssen, denn ich ging langsam auf Sasha zu und Es sah mich kommen.

Doch das Einzige was geschah, war etwas ganz anderes. Sasha hätte eine andere Reaktion von mir erwartet. Vielleicht einen verträumten Blick, vielleicht eine Geste der Anbetung, aber das bekam Es von mir nicht. Bei mir scheint es nicht zu funktionieren, immerhin ist mein Gehirn vollkommen anders als eure und er konnte wohl nicht andocken, seine Bilder bei mir unterbringen.

Zum Schluss hat Es sich abgedreht und ist sehr schnell ins Haus zurückgegangen. Es weiß jetzt, dass es bei mir mit dem Trick nicht landen kann und ich glaube, dass macht Es Angst. „

„Wie jetzt?“, fragte ich, „du konntest Sasha so sehen, wie Es wirklich ist?“

„Das kann dir nicht wirklich sagen“, meinte Andrea, „Aber es kann sich mir nicht so zeigen, wie es das gerne hätte.

Sashas Zauber findet bei mir keine Angriffsfläche. Ich sehe Sasha anders als du und die anderen!“

Nicht das ich jetzt neugierig wurde, aber ich musste es einfach wissen. „Was ist Sasha denn nun eigentlich? Mann oder Frau, alt oder jung, dick oder dünn…?“

„Weißt du, warum ich die ganze Zeit gelacht habe? Sasha ist wirklich nicht das, was du gesehen hast, mehr verrate ich dir aber nicht. Das bleibt mein Geheimnis.

“ Dann sagte Andrea etwas mit einer Stimme, die direkt aus einem Grab zu kommen schien: „Ich will dich leiden sehen, will das Du dir den Kopf zermarterst über das, was ich weiß. „Dann begann Andrea wieder schallend anzulachen und drehte sich wieder um.

Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Andrea spielte mit mir und ich musste leider zugeben, dass sie dazu ein Recht hatte. Immerhin war sie meine Frau und ich in ein Trugbild vernarrt.

Na toll. Ich musste leider zugeben, dass sie mich damit quälen durfte.

Kapitel 28

Am nächsten Tag machte ich mich wieder auf den Weg, auch noch den Rest der Insel zu erforschen. Nur noch die nähere Umgebung des Flughafens blieb übrig, der Rest war mir inzwischen bekannt.

Andrea wollte nicht mit. Sie wollte lieber ein wenig ausruhen und entspannen, denn sie fühlte sich ein wenig ausgelaugt.

Woran genau das lag, wussten wir nicht.

Also fuhr ich mit unserem Wägelchen Richtung Landepiste, hielt aber eingebührendem Abstand davon an und fuhr so weit es ging vom Weg abseits, in das Dickicht. Ich wolle nicht, dass jemand den Wagen hier parken sah. Danach verwische ich noch so gut wie möglich die Spuren, die zum Wagen führen. Erst dann sah ich mich um und ging dann ohne wirklichen Plan, einfach durch den dicht zugewachsenen Teil der Insel.

Es war nicht einfach, laufend musste ich über umgestürzte Bäume klettern und verhakte mich immer wieder, in dem Unterholz oder an diversen Dornen. Diese waren anscheinend nur dafür gemacht worden, mich aufzuhalten. Doch mit der Zeit wusste ich in etwa wie ich mich verhalten musste, um nicht unnötig Zeit damit zu verplempern, mich losmachen zu müssen. Gut das ich mir eine grobe Bekleidung angezogen hatte, die dazu in einem grünlichen Ton eingefärbt war. Keine wirkliche Tarnkleidung, aber wer sich schon einmal im Wald aufgehalten hat und sich dort versteckt hat, der weiß, wie man schnell mit dem Hintergrund verschmelzen kann.

Besonders wenn man sich ruhig verhielt und sich nicht bewegte, war man auf den ersten Blick hin kaum auszumachen.

Klar, so perfekt wie Denice bekam man das nie hin, aber es reichte vollkommen, nicht gleich entdeckt zu werden.

So streifte ich in einer möglichst geraden Linie durch das Unterholz, entdecke aber nichts wirklich Interessantes. Dafür entdecken andere Wesen meine Anwesenheit und begannen mich zu piesacken. Es fühlte sich schon wenig später so an, als wenn alles, was stechen konnte, nur darauf gewartet hatte, dass so ein unwissender Kerl wie ich hier entlanglief.

Während von oben ein Angriff aus der Luft stattfand, angeführt von Millionen Mücken versuchte alles mögliche andere von unten in mein Hosenbein zu kriechen. Hätten bloß noch kleine Tümpel oder Pfütze mit Blutegeln gefehlt. Hätte mich aber nicht mehr gewundert.

So graste ich die eine Seite der Straße ab und kam bis zum Flugplatz, der wieder vollkommen ruhig dalag. Nur die Transportmaschine war inzwischen verschwunden. Sie musste wirklich sehr leise gewesen sein, denn ich hatte ihren Abflug nicht gehört.

Auf der Rollbahn selber stand nicht ein Flugzeug mehr und auch der Hangar war vollkommen leer.

Dann ging ich den Weg zurück, allerdings um einiges versetzt, um möglichst viel von dem Gelände durchschritten zu haben. Doch das brachte auch nichts Neues hervor, denn ich kam irgendwann in der nähe meines Fahrzeugs wieder aus dem Dickicht und war genauso schlau, aber um ein paar Striemen reicher. Jede Stelle, die nicht durch den groben Stoff meiner Bekleidung bedeckt gewesen war, hatte etwas abbekommen und selbst die bedeckten, hatte sich so mancher Dorn gebohrt.

Übrig blieb jetzt nur noch der Dschungel, auf der anderen Seite der Straße. Da es mir noch nicht zu spät erschien, nahm ich mir auch noch diese Seite vor. Immerhin war es sozusagen das Finale meiner Exkursionen und ich wollte jetzt damit Schluss machen. So wie es aussah, gab es einfach nichts Interessantes mehr auf diesem Eiland. Also ging ich jetzt mit einem Stock bewaffnet und eher gelangweilt durch den nächsten, letzten Abschnitt meiner Entdeckungstour.

Ich hatte mir inzwischen angewöhnt einen Stock hochzuhalten, und zwar so, dass er etwa vierzig Zentimeter vor meinem Kopf aufragte. Das hatte einen gewaltigen Vorteil. Ersten teilte er schon einmal das Grün auf Kopfhöhe, was sich mir in den Weg stellte und zweitens blieben an diesem Stock die ganzen Spinnweben hängen, die mir sonst ins Gesicht geraten wären.

An das Gefühl konnte ich mich einfach nicht gewöhnen.

Laufend hatte ich die Weben auf meinem Gesicht und musste sie wegwischen. Einmal davon abgesehen, dass ich es nicht mochte, wenn darin noch eine Spinne hing. Nichts gegen diese mehr als nützlichen, achtbeinigen Krabbler, aber die sollen sich nicht auf mir versammeln, zumal ich nicht wusste, ob ein unangenehm werdendes Exemplar dabei sein könnte. Ich wurde schon genug gestochen, da musste ich nicht auch noch gebissen werden.

So ging ich eher mürrisch eine gedachte Linie entlang und entdeckte nichts.

Gar nichts. Weit und breit nichts als grün in grün. Am Flughafen angekommen drehte ich jetzt wieder um und ging relativ dicht zur Straße entlang. Gerade so weit davon entfernt, dass man die Straße nicht mehr sehen konnte.

Nur hundert Meter von der Landpiste entfernt konnte ich zwar nichts Verdächtiges sehen, dafür aber hören und spüren. War der Waldboden normalerweise sehr weich und verschluckte die Schritte, wurde dies auf einmal vollkommen anders.

Der Boden war auf einmal betonhart und ich meinte, so etwas wie ein Echo zu hören.

Sofort blieb ich stehen. Und trat etwas fester mit einem Fuß auf. Sofort merkte ich, dass es steinhart unter mir war, dazu wieder dieses leichte Echo, als wenn es unter mir hohl war.

Sofort war meine Neugierde geweckt. Ich begann das Areal zu erkunden, über das der seltsame Boden ging.

Es stellte sich heraus, dass es bis kurz vor die Straße ging und etwa vier Meter breit war. Ansonsten war nichts damit los, es sah einfach so aus, als wenn es ein überwuchertes Stück Beton war.

In dem Moment, als ich darüber nachdachte, was es sein könnte, hörte ich auf einmal ein Flugzeug näher kommen. Es war relativ leise und ich mache mich wieder zum Flughafen auf, die Landung zu beobachten.

Kaum war ich am Rand des Dschungels angekommen, versteckte ich mich halb hinter einem Baum und war mir sicher, das mich niemand sehen konnte, solange ich mich nicht schnell bewegte.

Dies war keine Minute zu früh oder spät, wie immer man das auch sah.

Das Flugzeug setzte fast lautlos auf und ich erkannte die Transportmaschine ohne Kennung, die ich schon kannte. Zumindest sah sie so aus, konnte aber auch eine gleiche Maschine sein.

Wenn es mehrere gab, konnte man sie mangels Kennung nicht unterscheiden.

Weich setzte sie auf und sie musste gewaltig gebremst werden, um noch auf der Landebahn zum Stehen zu kommen. Sie war anscheinend wirklich so ziemlich das Größte, was hier landen konnte, denn sie blieb nur etwa zwanzig Meter, vor dem Ende der Piste stehen.

Dann drehte sie behäbig in Richtung Hangar, blieb aber davor stehen und es öffnete sich sofort eine Heckklappe.

Diese fuhr herunter und es kamen ein Paar Männer daraus hervorgesprungen. Diese waren in grüne Overalls gekleidet und gehörten anscheinend zur Crew, denn sie begannen sofort mit dem Ausladen der Maschine. Ich wunderte mich schon, was dort alles hineinpasste. Ärgerlich war nur, dass man nur wenig davon erkennen konnte, was in den Kisten und Kartons war. Wohl die Hälfte der Fracht bestand aus Lebensmitteln, der Rest blieb meiner Neugierde verborgen. Diese war von der Verpackung her vollkommen neutral.

Nicht daran wies auf den Inhalt hin.

Ein ansonsten wohl hinter dem Hangar parkender Lastwagen fuhr vor und lud einige der Kisten mit Lebensmitteln auf und fuhr wenig später die Straße entlang. Dabei war ich richtig froh, dass ich meinen Wagen gut versteckt geparkt hatte, denn spätestens jetzt wäre er aufgefallen.

Ich konnte mir in etwa ausrechen, wie lange es dauern würde, bis er wiederkommen würde, und blieb deswegen weiter sitzen, den wenn ich mich jetzt bewegt hätte, wäre ich sicher irgendwem der Leute bei dem Flugzeug aufgefallen.

So standen oder saßen sie nur relativ gelangweilt dort herum, rauchten mal eine Zigarette oder quatschten miteinander und schienen ebenfalls auf die Rückkehr des LKW zu warten, um weitermachen zu können.
Etwa zu der Zeit, die ich berechnet hatte, fuhr der LKW wieder vor und holte die restlichen Lebensmittel ab und verschwand sofort wieder.

Jetzt standen nur noch die Sachen herum, die ich nicht identifizieren konnte.

Doch auch die wurden abgeholt.

Der LKW kam wieder und die Sachen wurden nun langsam und relativ vorsichtig darauf verladen. Als dies endlich passiert war, stieg aber kein Fahrer ein. Die Leute aus dem Flugzeug gingen wieder durch die hintere Klappe in das Flugzeug und dieses drehte fast auf der Stelle um dann, leichter als zuvor, fahrt aufzunehmen und abzuheben.

Nur noch eine Minute konnte ich sie leise hören und mit den Augen verfolgen, dann drehte sie in einer steilen Kurve ab und verschwand, als wenn sie nie da gewesen war.

Jetzt stand der LKW vollkommen verlassen da und ich wollte schon hingehen, um mir das Ganze einmal anzusehen, doch ich hatte ein Gefühl, was mich davon abhielt.

Und das war auch gut so, denn nur fünf Minuten später kam einer der Inselwagen über die Straße gefahren der mit zwei Personen besetzt war. Einen davon erkannte ich sofort. Michael war aufgrund seiner Haut auch kaum zu verwechseln.

Den anderen kannte ich nicht. War mir vollkommen unbekannt, aber man konnte nicht jeden auf der Insel kennen, so klein war sie nun auch nicht.

Am LKW angekommen stieg Michael aus und der andere Wagen fuhr wieder zurück. Michael wartet, bis dieser über die Straße verschwunden war, und kletterte jetzt in den Lastwagen.

Dieser drehte auf der Landebahn und fuhr jetzt ebenfalls die Straße entlang. Allerdings relativ langsam, als wenn er etwas Zerbrechliches transportierte.

Kaum war er in die Straße eingebogen und aus meinem Sichtfeld, stand ich auf und folge ihm vorsichtig durch den Wald.

Es war inzwischen dämmrig geworden und wie immer würde die Nacht sehr schnell hereinbrechen. So musste ich mich beeilen, um nicht durch den vollkommen dunklen Wald zu stapfen. Es war trotzdem nicht schwer dem Lastwagen zu folgen, denn er fuhr wirklich langsam und man konnte das Geräusch des Motors, in der Stille des Waldes, sehr gut hören.

So hörte ich auch auf einmal, dass er stehen blieb. Das war in etwa in der Gegend, wo ich auf den harten Untergrund getreten war. Sofort blieb auch ich stehen. Ich wollte dem Wagen nicht zu nah kommen und eventuell von Michael überrascht werden.

Da ich jetzt stand und mich nicht bewegte, konnte ich ein Leichtes vibrieren spüren, welche durch den Boden ging. Dazu sah ich dann auf einmal, wie sich der Boden anhob.

Nicht dort wo ich stand, sondern gerade so weit vor mir, dass ich es sehen konnte. Wenig später konnte ich dann aber beobachten, dass er sich nicht anhob, sondern auseinanderklappte.

Dann hörte das Vibrieren wieder auf und ich hörte den Wagen anfahren. Das Geräusch des Motors bekam auf einmal einen anderen, hohl klingenden Ton, als wenn er in eine Röhre fuhr, dann wurde er leiser und das Vibrieren des Bodens setzte wieder ein.

Jetzt hielt es mich nicht mehr auf meiner Stelle. Ich ging relativ schnell auf die Stelle zu, an der der Boden aufgeklappt war, und konnte noch mit ansehen, wie er wieder vollkommen flach wurde und so aussah, als wenn nichts gewesen wäre.

Der LKW hingegen war wie vom Erdboden verschluckt. Diesmal konnte man den Ausdruck ernst nehmen, denn der LKW war ja wirklich in den Boden gefahren.

Jetzt sah ich mir die ganze Sache noch genauer an und entdeckte, als ich mich hinhockte und den Boden berührte, dass sich die Pflanzen darauf merkwürdig anfühlten. Sie waren zwar in etwa auch so wie die in der Umgebung, hatten aber einen leicht anderen Farbton. Doch das war nur so gering, das es einem zuerst gar nicht auffiel. Es hätte auch ein Schattenspiel sein können.

Die Pflanzen waren nicht echt, dienten also nur der Tarnung für diese Klappe.

Wäre ich nicht darauf getreten und hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, wäre ich nicht drauf gekommen.

Doch was sollte das alles. Es wurde immer mysteriöser. Alles, was ich bis jetzt erfahren und gesehen hatte, war wie ein undeutliches Puzzle, in dem noch zu viele Teile fehlten, um ein Bild daraus erkennen zu können. Aber auch das würde ich noch herausfinden. Das Rätsel lag vor meinen Füßen und ich würde es lüften.

Davon war ich überzeugt. Zeit genug hatte ich dafür.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis ich meinen Wagen wiederfand. Ich hatte ihn so gut versteckt und es war inzwischen so dunkel geworden, dass ich wirkliche Mühe damit hatte, ihn zu entdecken.

Kapitel 29

Wenig später saß ich mit Andrea auf der Veranda und erzählte ihr, bei einem wirklich guten Glas Wein, von meiner Entdeckung.

Sie hörte mir sehr interessiert zu und war dann ebenfalls der Meinung, dass es seltsam wäre, was hier passierte. Sie würde mich darin unterstützen herauszubekommen, was hier hinter den Kulissen los war.

Noch passierte allerdings nicht viel. Auch wenn ich jetzt fast täglich zum Flughafen fuhr, konnte ich nichts Besonderes mehr entdecken. Entweder kam kein Flugzeug mehr oder ich verpasste es immer. Immerhin war ich ja die meiste Zeit des Tages nicht an der Piste.

Auch kam ich mit der Klappe oder dem Deckel nicht klar, wie ich es auch immer nennen sollte. Sie blieb verschlossen, obwohl ich mir viel Mühe damit gegeben hatte, einen Hebel oder Ähnliches zu entdecken. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, da es hier so etwas Primitives wie einen Hebel gab. Dafür, dass diese im Verborgenen bleiben sollte, hatte es sicher andere Mechanismen.

Wenn ich also nicht auf meinen Beobachtungsposten war, den ich inzwischen im Schlaf finden konnte, dann waren Andrea und ich meistens am Stand oder genossen die ruhige Zweisamkeit zuhause.

Michelle und Denice waren inzwischen recht oft bei uns und gern gesehene Gäste. Denice war am Anfang noch immer sehr schüchtern und besonders nach dem besagten Abend. Doch das legte sich mit der Zeit und wir konnten uns sowohl mit Michelle, als auch mit Denice sehr gut unterhalten.

Besonders peinlich war ihr dabei, dass ich sie an dem Abend bzw. Morgen nach Hause getragen hatte. Diese Vorstellung war ihr nicht gerade angenehm, denn sie war sich sehr bewusst, dass sie keine Faden am Leib trug.

Wir bekamen heraus, dass es ihr dabei nicht nur um die frische Luft auf der Haut ging und auch nicht nur um die Wärme. Sie erzählte uns, dass sie mehr als empfindliche Haut hatte. Von daher scheuerte der Stoff und sie mochte dieses Gefühl überhaupt nicht. Zum anderen mochte sie keine Kleidung, da sie sich nicht verändern ließ. Solange sie nackt war, konnte sie, bis auf ihre Augen alles farblich verändern.

Hatte sie jedoch etwa an, ging das nicht mehr.

Außerdem kam sie gerne zu uns herüber, was nicht an mir lag, sondern an Andrea. Schon von der Sekunde an, als sie Andrea das erste Mal gesehen hatte, wusste sie genau, dass sie beide irgendwie zusammengehörten. Denice fühlte sich in Andreas Gegenwart einfach nur wohl und komischerweise beschützt. Sie meinte, dass Andrea eine Art Schutzschild um sich herum trug und sobald sie hinter diese Grenze trat, ging es ihr einfach besser.

Dann hatte sie den Eindruck, als wenn nichts auf der Welt ihr etwas anhaben könnte.

Michelle, der verkörperte Gegensatz von Denice, hatte für so etwas nicht viel übrig. Es schien bei ihr sowieso kaum etwas zu geben, was sie Luft holen ließ. Sie war immer auf Zack und man hätte sie festbinden müssen, damit sie einmal länger als zehn Minuten still sitzen würde.

Am liebsten wäre mir ein Mittelding von beiden gewesen, aber das war wohl nicht möglich.

Wer die eine von den beiden nahm, musste die andere mit ertragen. Wie rum man es auch betrachtete. Es kam immer das Gleiche dabei raus.

Kapitel 30

Ich fragte mich manchmal, ob den anderen Bewohnern auch etwas aufgefallen wäre, aber wenn ich das Thema ankratzte, traf ich immer auf Unverständnis.

Dieses Unverständnis kam nicht daher das sie es besser wussten, sondern weil wirklich niemandem etwas aufgefallen war.

Blieb man hier auf der Insel brav und immer in seiner Ecke, passierte wirklich nicht viel, um nicht zu sagen, gar nichts.

Heute ist etwas Seltsames passiert, wobei das Wort seltsam es nicht richtig trifft. Andrea und ich machten einen großen Spaziergang, der weit über das hinausging, was wir sonst taten. Wir hatten einfach Lust dazu zu laufen und so machen wir einen Schritt vor den anderen, ohne müde zu werden.

Es war einer der Tage, wo man meinte, die Welt läge einem zu Füßen und nichts, aber auch wirklich nichts, könnte einen aufhalten. Das war eigentlich nichts Besonderes und spielt in der Sache selber auch kaum eine Rolle. Seltsam wurde es dann nur, als wir nach Hause kamen.

Als wir die zwei Stufen zur Veranda hinauf gingen, stolperte ich auf einmal und wäre hingefallen, wenn Andrea sich nicht ungemein schnell zu mir umgedreht und nach meinen beiden Händen gegriffen hätte.

Ihre Hände hielten die meinen unheimlich stark fest und es gelang ihr, mich vor dem Sturz zu bewahren. Auch dies war noch nicht da Seltsame. Außergewöhnlich war, dass ich eine Art Energiefluss von Ihr feststellte, der auf mich überging.

Ich kann es schwer beschreiben. Es war eine Art Energiestrom, der von ihren Händen über meine Arme in meinen Körper gelangte und sich dort kurzweilig breitmachte, ähnlich einem lang gezogenen Stromschlag ohne Scherzen.

Dann verschwand dieses Gefühl sofort wieder, als ich stabil auf meinen eigenen Beinen stand.

Andrea und ich sahen uns verwirrt an und ich konnte an ihrer Reaktion sehr gut erkennen, dass sie es ebenfalls gemerkt hatte.

„Was war das denn?“, fragte sie mehr zu sich selber als zu mir. Wahrscheinlich ahnte sie, dass ich es ihr auch nicht sagen konnte, denn dafür standen mir selber zu viele Fragezeichen auf die Stirn geschrieben.

„Keine Ahnung!“, meinte ich nur und löste meine Hände aus ihren. Beide sahen wir uns unsere Handflächen an, als wenn wir erwarteten, dass dort die Lösung stand. Aber hier war keine Lösung. Alles sah so aus wie immer, es war keine Veränderung zu erkennen.

Noch einmal streckten wir uns unsere Hände entgegen und hielten uns gegenseitig fest, aber die vorige Erscheinung kam nicht wieder. Wir hielten uns einfach nur fest, ohne das die Reaktion von zuvor noch einmal einsetzte.

Das verwirrte uns dann doch fast genauso. Das, was eben passiert war, musste also einen anderen Auslöser haben. Wenn es darauf ankam hinzufallen, dann konnte ich es schlecht immer wieder wiederholen. Das würde sicher nicht funktionieren.

Da wir dies nicht gleich heraus bekamen, gingen wir erst einmal ins Haus und ich nahm nach dem langen Spaziergang erst einmal ein ausgiebiges Essen zu mir. Währenddessen saß Andrea mit am Tisch und sah gedankenversunken in ihr Glas, aus dem sie ab und zu einen Schluck nahm.

Dann stellte sie auf einmal ihr Glas auf den Tisch und meinte nur: „Gib mir mal deine Hände!“

Ich zögerte erst etwas, da ich gerade dabei war ein Stück kaltes Huhn in mich hinein zu schieben und bekanntlicher Weise war das mit den Fingern, noch am besten zu machen. Also wischte ich mir meine Hände notdürftig und wenig gentlemanlike an meiner Hose ab und strecke ihr meine noch leicht fettigen Griffel entgegen.

Es störte sie nicht, denn sie griff sofort nach diesen und hielt sie wenig später fest umschlungen.

Zuerst passierte rein gar nichts. Ich spürte nur ihre Handflächen an den meinen die aber immer kräftiger zupackten. Sie hielten mich so stark fest, dass unsere Haut geradezu gegeneinander gepresst wurde und sich ein leichter Schweißfilm dazwischen bildete.

Dann meinte ich etwas zu spüren, was zuvor nicht da gewesen war, wobei ich nicht wusste, ob es nur Einbildung war.

Immerhin wünschte man ja, dass etwas passierte und das konnte einiges in einem Auslösen. Doch dann spürte ich es genauer. Es war ein leichtes kribblen, ähnlich, als wenn einem die Hände einschliefen, aber nicht so unangenehm. Ich will nicht sagen, dass es ein schönes Gefühl war, aber zumindest nicht abstoßend.

Während es jetzt langsam etwas stärker wurde, sah ich Andrea an die vor mir saß und in einer anderen Welt zu sein schien.

Man konnte ihr förmlich ansehen, wie sie sich konzentrierte. Die Augen kamen dabei fast aus den Höhlen und drehten sich nach oben, das fast nur noch das weiße zu erkennen war. So gesehen ein mehr als unheimlicher Anblick, aber da Andrea es manchmal zum Spaß machte, um mich ein wenig zu erschrecken, kannte ich es schon und war nicht darüber überrascht. Doch hier war es etwas anderes. Sie machte es nicht aus Spaß.

Das Kribbeln wurde stärker und setzte sich jetzt langsam über meine Arme weiter fort.

Dabei konnte ich genau fühlen, wie weit es gekommen war, denn es hinterließ eine seltsame Art von Wärme, ohne wirklich warm zu sein. Vielleicht vergleichbar mit Alkohol, der selber nicht warm is,t aber das Gefühl erzeugt.

So krabbelte dieses Gefühl langsam meine Arme entlang, bis es fast die gesamten Arme erreicht hatte, dann verschwand es plötzlich wieder, als wenn es nie da gewesen wäre.

Andrea kippte fast nach vorne, als ich sie los lies.

Es hatte sie anscheinend so stark erschöpft, dass sie diesen Zustand einfach nicht mehr aufrechterhalten konnte. Auch wenn dieses Mal das Gefühl nicht so stark wie auf der Treppe gewesen war, so war es keine Einbildung gewesen. Das wussten wir jetzt genau.

Als Andrea sich fünf Minuten lang erholt hatte, sah sie mich mit großen Augen an und meinte nur: „Wow, schon abgefahren. Ich frage mich wirklich, wozu das gut sein soll und was hat das überhaupt zu bedeuten?“

Ich wusste es nicht und zuckte nur mit den Schultern.

„Keine Ahnung, aber wir können ja versuchen es heraus zu bekommen. Muss ja keiner wissen. Ich glaube es ist besser, wenn du es den Wissenschaftlern nicht erzählst. „

Mit diesem Vorschlag war Andrea mehr als einverstanden, denn diese Entdeckung hätte wesentlich mehr Stunden in den Labors bedeutet, davon waren wir überzeugt.

Andrea wurde nur noch relativ selten abgeholt und so hatten wir viel Zeit für uns und unsere eigenen Experimente.

Diese waren aber nicht nur auf uns beschränkt. Hatten wir doch von Anfang an bemerkte, dass Denice eine besondere Beziehung zu Andrea hatte und wir wollten natürlich herausfinden warum. Sie hatte zwar schon gesagt, dass sie sich in Andreas Gegenwart beschützt vorkam, aber wir wollten mehr wissen.

Zuvor übten wir beide weiter. Andrea entwickelte so etwas wie Routine damit und wurde immer besser. Von Tag zu Tag konnte sie das Gefühl schneller und intensiver erzeugen.

Obwohl wir nicht wussten, wozu es gut war oder bewirkte, fanden wir die Selbstexperimente sehr interessant und konnten damit nicht mehr aufhören. Sobald Andrea ihre verbrauchte Energie wieder aufgebaut hatte, hielt sie schon wieder meine Hände in den ihren.

Nach einigen Tagen konnte sie das Gefühl in mir innerhalb weniger Sekunden erzeugen. Dabei kam es nicht nur schneller, sondern drang auch weiter in mich ein und wurde intensiver. Außerdem lernte ich, dieses seltsame Gefühl zu lieben.

Es vermittelte etwas von beschützt sein, so wie Denice es beschrieben hatte.

Als Denice dann einmal zu uns herüber kam, wollte Andrea sie damit überraschen. Zuerst hielt sie Denice nur an beiden Händen fest, ohne ihre neu erworbenen Fähigkeiten an Ihr auszuprobieren. Obwohl sie gar nichts tat, hielt Denice einfach nur ruhig fest, stand bewegungslos da und sah so aus, als wenn sie in einer anderen Welt wäre.

Was dann passierte, hätten Andrea und ich niemals für möglich gehalten.

Andrea setzte Ihre Fähigkeit dann doch ein, aber das hatte auf Denice eine unerwartete Wirkung. Vielleicht waren die Empfindungen einfach zu stark oder etwas anderes.

Plötzlich schrie Denice auf und verkrampfte vollkommen, wechselte auf einmal mehr als hektisch ihre Farben und es sah so aus, als wenn sie laufend starke Stromstöße bekam und an eine Leitung kleben geblieben wäre. Sie war nicht mehr in der Lage los zu lassen, krümmte sich vor Andrea und sank langsam zu Boden.

Andrea war ebenfalls nicht mehr in der Lage ihre Hände zu lösen. Sie sah mich auf einmal mit einem schmerzerfüllten Gesicht an und ich sprang auf, um den beiden zu helfen. Als ich dann versuchte ihre Handflächen voneinander zu lösen, sah es so aus, als wenn sie zusammengewachsen wären. Selbst als ich die vollkommen verkrampften Finger voneinander gelöst hatte, waren die Handflächen miteinander verschmolzen, als wenn man Klebstoff dazwischen geträufelt hätte.

Nur mit Gewalt konnte ich diese voneinander trennen, wobei sich die Haut der beiden weit von den Handflächen selber entfernte. Erst als die Flächen etwa fünf Zentimeter voneinander entfernt waren, lösten sie sich voneinander.

In diesem Moment brachten sowohl Denice als auch Andrea vollkommen kraftlos zusammen. Erst eine viertel Stunde später waren sie in der Lage sich wieder zu erheben. Doch was ich niemals vermutet hatte, war zu erkennen.

Beide sahen irgendwie glücklich aus, obwohl es ausgesehen hatte, als wenn sie Scherzen gehabt hätten.

Beide setzten sich nur mühsam an unseren Tisch und Denice atmete tief durch.

Jetzt konnte ich es nicht mehr aushalten. „Was war los?“, fragte ich gerade heraus. „Kann man schwer beschreiben“, sagte Andrea. „Als wir uns ganz normal an den Händen hielten, war es so wie immer, als ich dann meine Kräfte aktiviert habe, war das ein unbeschreibliches Gefühl.

Es war, als wenn wir miteinander vereinigt würden. Ich konnte Denice fühlen, fühlte das Leben in ihr, ihre Kraft und wurde mit ihr zu einem Wesen. Und wie war es bei dir?“, fragte Denice und sah sie dabei an.

„Also zuerst einmal hättest du es mir sagen können, was du vorhast“, sagte Denice und sah Andrea vorwurfsvoll an.

„Entschuldige Denice, aber wärst du auf das Experiment eingegangen, wenn du es gewusst hättest? Ich weiß doch, wie ängstlich du bist.

Ich wollte es einfach wissen, ob du es auch fühlen kannst. Mein Mann fühlt es auch, aber nicht so wie du. Wesentlich geringer und ich habe einfach nicht vermutet, dass du darauf so stark reagierst. „

„Ist jetzt auch egal. Vorbei und vergessen, aber das nächste Mal bitte mit Vorwarnung“, sagte Denice und sah ein zustimmendes Nicken von Andrea.

„Was ich gefühlt habe, ist einfach kaum zu beschreiben.

So wie du mich gespürt hast, habe ich dich gespürt, und da du wirklich vollkommen anders bist als ich, war es sehr verstörend. Darum habe ich mich gewaltig erschrocken. Stelle dir mal vor, als du noch normal warst, plötzlich zu spüren von einem Moment auf den anderen, so gut wie klinisch tot zu sein. Es war nicht schlimm in dem Sinne kam nur sehr überraschend. Immerhin konnte ich mich nicht darauf vorbereiten. Aber jetzt weiß ich wenigstens, wie du fühlst, wie du bist und ich danke dir dafür.

Es war ein wirkliches Erlebnis. Ich frage mich nur, was passiert wäre, wenn Fabian uns nicht auseinander gebracht hätte?“

Das wussten wir nicht und wollten es eigentlich auch nicht mehr ausprobieren. Wir vermuteten ein hohes Risiko, was wir aber nicht benennen konnten. Alles war Neuland für uns drei.

Einen Tag später versuchten wir es mit Michelle. Sie stand aber nur da und sah gelangweilt in die Gegend.

Bei ihr passierte nichts, wirklich gar nichts, so sehr sich Andrea auch anstrengte. Vielleicht war ihre Gefühllosigkeit daran schuld, immerhin kannte sie keine Angst.

Die Experimente zwischen Andrea und mir wurden immer intensiver und die Erfahrungen, die ich dabei machte, waren auf der einen Seite verwirrend, auf der anderen sehr interessant.

Sicher war Denice ein besseres Medium, wenn es um die Feinheit der Gefühle ging, die Andrea aussendete, doch gerade darin lag auch das Problem.

Andrea konnte ihre Fähigkeit nicht so stark kontrollieren, wie es für Denice nötig gewesen wäre. Empfand ich etwas als negativ, dann warf es mich nicht sofort aus der Bahn. Bei Denice war das anders. Sie reagierte wesentlich stärker darauf.

Trotzdem konnte ich feststellen, wie Andreas Fähigkeiten fast täglich an Stärke zunahmen. Wobei sie nicht nur die Stärke immer weiter anheben konnte, auch das, was sie übertrug, konnte sie inzwischen steuern.

Sie konnte negative und positive Gefühle auslösten. Doch dabei blieb es nicht. Sie konnte sogar direkt auf die Organe gehe. Ob sie dies über das Gehirn tat oder sich direkt auf das jeweilige Organ aufloggte, konnten wir nicht sagen. Trotzdem war es erstaunlich, wie sie einen Körper beeinflussen konnte.
Doch gerade diese Fähigkeit machte Andrea am meisten Sorge und sie mochte es nicht gerne tun. Auf der eine Seite fühlte sie dann sozusagen die lebenden Organe, die sie selber so nicht mehr besaß, zum anderen konnte dies sehr gefährlich werden.

Denn ein einziges Mal loggte sie sich auf mein Herz auf. Dies jetzt Steuern zu können war so machtvoll, dass sie sofort davon die Finger ließ. Sie war sich sicher, dass sie mein Herz hätte stoppen können und das machte ihr große Angst insbesondere deshalb, weil sie nicht wusste, ob sie etwas auch wieder rückgängig machen konnte.

Also ließe wir diese Art der Manipulation und konzentrierten uns mehr auf andere Möglichkeiten.

Trotzdem wurde sie immer mächtiger. Schon nach ein paar Wochen konnte sie in mir innerhalb weniger Sekunden Gefühle auslösen, die so intensiv waren, dass ich sie selber gar nicht hätte erzeugen können. Von euphorisch bis vollkommen depressiv. Beides keine sonderlich schönen Gefühle, da über alles Maß überzogen.

Denice kam ab und zu einmal zu uns herüber, vermied es aber Andrea zu berühren. Sie hielt sich gerne in der Nähe von Andrea auf, kam aber nicht mehr auf Tuchfühlung.

Was sie allerdings bemerkte war, dass die Ausstrahlung die Andrea umgab, sich ausgedehnt hatte. Was diese zuvor noch auf einen relativ kleinen Raum beschränkt gewesen, konnte Denice sie jetzt schon etwa fünf Meter von Andrea entfernt spüren. Das war mehr als erstaunlich, immerhin konnte ich es nur fühlen, wenn ich Andrea berührte und dann auch nur, wenn sie es wollte.

Auch die Wissenschaftler hatten anscheinend direkt nichts bemerkt, sonst wären ihr Experimente wohl sicher auch noch in eine andere Richtung gegangen.

Aber diese hatten sich nur auf Andreas körperlichen Fähigkeiten beschränkt. Der Geist war ausgelassen worden.

Ich weis nicht mehr warum, aber an einem Tag war Andrea ungemein sauer auf mich. Dies gab ihr den Anlass sich an mir auszutoben. Sicher war es nicht die nette Art sich ihrer Fähigkeiten zu bedienen, aber es zeigte uns deutlich, was für eine Macht sich in Andrea befand und wir waren erst am Anfang unserer Studien.

Wie weit es noch gehen konnte, wussten wir nicht, konnten nicht einmal ahnen, wann wir den Zenit erreicht hatten. Ein Ende war noch nicht abzusehen.

Auf alle Fälle war sie so sauer auf mich, dass sie mir als Erstes ein paar wirklich üble Gefühle schenkte, doch das war noch nicht alles. Hatte sie zwar zuvor mehr oder weniger geschworen sich nicht an meinen Organen zu vergreifen, brach sie für dieses eine Mal ihren Schwur.

Es dauerte nur wenige Sekunden und es begann mich, an den unmöglichsten Stellen zu jucken. Besonders am Rücken, genau dort, wo man selber einfach nicht ankam, wurde es übel. Dies verging aber nicht, als ich mich von ihr löste, sondern, blieb weiterhin bestehen.

Es war zum verrückt werden. Ich riss mir mein T-Shirt vom Leib und begann mich mit dem Rücken an allem zu schrubbeln, was mir Linderung brache. Andrea sah mir dabei nur mit einem mehr als gemein wirkenden Lächeln zu und genoss ihre Rache.

Erst zwei Stunden später erlöste sie mich von dieser Qual. Trotzdem hatte ich noch tagelang damit zu kämpfen, den ich merkte noch lange Zeit das Brennen, des wund gescheuerten Rückens. Dagegen konnte Andrea nicht tun, zumindest sagte sie das. Davon war ich jedoch nicht überzeugt. Ich glaube, dass es ein Teil ihrer Rache war.

Während der Zeit unserer Experimente fuhr ich des Öfteren zu dem Flugplatz, konnte aber nichts wirklich Neues oder Aufregendes entdecken.

Ich kannte zwar mit der Zeit in etwa die Stunden, in denen Flugzeuge landeten, oder starteten, aber das brachte mich auch nicht weiter. Zumeist waren es die Transportmaschinen, die ich schon kannte. Ob immer dieselbe oder eine andere, konnte ich nicht sagen. Keine Kennung, keine Unterscheidung. Doch da meistens dieselben Menschen an Bord waren ging ich davon aus, dass es nicht sehr viele von diesen gab.

Auch wenn Michael ab und zu einen Transport wieder unter die Erde brachte, so hatte ich nichts davon, denn ich wagte es nicht, ihm in die verborgene Welt zu folgen.

Wusste ich doch nicht, ob ich dort wieder herauskam. Außerdem wusste ich nicht, was er mit mir tat, wenn ich dabei entdeckt wurde.

Also ließ ich es und konnte mir leider die Fragen nicht selber beantworten die mir im Gehirn rumspukten und die waren nicht weniger geworden, sondern lagen als großer, fast nicht mehr zu übersehender Haufen in meinem Kopf.

Aber da ich mit Andrea genug zu tun hatte, hatte sich mein Interesse mehr auf sie verlagert und wir genügten uns in der Zeit gegenseitig.

Andrea wurde noch seltener abgeholt. Sie konnten anscheinend nicht mehr viel mit ihr anfangen und das war auch gut so. Andrea ging es nämlich langsam mehr als auf die Nerven, die immer wieder gleichen Tests mit sich machen zu lassen. Routine ohne einen Nutzen, für sich daraus ziehen zu können.

Kapitel 31

Nur ein einziges Mal wurde es noch interessant. An einem Tag wurde sie nicht in das Labor gebracht, sondern wurde von einem Mann etwas gefragt, der sich zwar als Wissenschaftler ausgab aber für Andrea nicht in diese Kategorie gehörte.

Er war eher so etwas wie ein Psychologe, aber unter dem Aspekt gute Verhörtechniken anwenden zu können. Gut, es war kein Verhör, aber wenn man sich mit seinen Fragen vertraut machte, wollte er auf einen bestimmten Punkt hinaus.

Zuerst unterhielten sie sich vollkommen zwanglos und ohne Zusammenhang über die Anlage selber dann tastete er sich aber langsam aber sicher auf etwas anderes heran. Seine Fragen verschoben sich auf unsere unmittelbare Umgebung und kamen dann schlussendlich, bei unseren Nachbarn an.

Das Gespräch über die Koslowskis war kurz, die über Denice im speziellen länger, Michelle hatte keinen Gesprächsinhalt, war vollkommen ausgegrenzt und uninteressant. Zum Schluss kam der Mann, wie nebensächlich auf Sasha. Allgemeine Fragen über Es folgten. Was Andrea von Es hielt, ob ihr Mann, also ich auf Sasha reagierte und ob sie mit Sasha zurechtkam.

Andrea wollte sich diesem Gespräch entziehen und log den Mann einfach an.

Sie sagte ihm, dass weder sie noch ich diesen Sasha jemals gesehen hätten und er sich bei uns noch nicht sehen lassen hätte.

Andrea tat zumindest so, als wenn Sasha ein Mann wäre, denn wenn sie ihn nicht als Mann oder Frau tituliert hätte, wäre es aufgefallen.

Die Enttäuschung des Mannes war im anzusehen. Er hatte sich das Gespräch anscheinend anders vorgestellt, konnte dies natürlich nicht zugeben, denn dann wäre sein Interesse aufgeflogen.

Da Andrea dieses Thema wieder angeschnitten hatte, fragte ich sie natürlich selber wieder über Sasha aus, doch sie war immer noch nicht dazu bereit, mir das Geheimnis zu verraten. Doch man merkte ihr an, dass sie sich mit Sasha mehr beschäftigte als sie zugab.

Vor allem die Frage, warum sich dieser Mann dafür so interessierte. Wahrscheinlich wollte man Sasha endlich los werden, wusste aber immer noch nicht wie.

Einmal davon abgesehen, fragte sich Andrea wirklich, wenn es rauskam, dass sie nicht von Sasha manipuliert werden konnte. Was dann. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es den anderen etwas genützt hätte. Sie hätte zu Sasha hingehen können und sagen: „Lass das!“, aber ehrlich gesagt hatten wir Zweifel daran, dass Sasha auf diese Forderung einging. Warum auch. Es ging Es gut, hatte alles was Es brauchte und würde seinen Status sicher auch verteidigen, gegen wen oder was auch immer.

Was wollten sie also damit erreichen? Sollte Andrea zu Sasha hingegen und aus dem Weg schaffen, wie immer da auch aussah? Wir wussten es nicht, konnten es uns in unseren Träumen auch nicht vorstellen.

Auf der anderen Seite fragten wir uns auch, ob Sasha nicht einmal nützlich werden könnte, wofür auch immer, immerhin ging hier auf dieser paradiesischen Insel nicht alles mit rechten Dingen zu. Alleine bei dem Gedanken, solch mächtige Wesen wie Andrea, Sasha und in gewissen Sachen auch Denice bei sich zu haben, war schon recht beeindruckend.

Würden diese Menschen zusammen agieren, waren sie kaum zu stoppen.

Wenn man sich das einmal vor Augen hielt, wurde einem erst recht bewusst, was sich hier auf der Insel aufhielt. Und nicht nur die Drei, immerhin waren hier noch wesentlich mehr Menschen mit irgendwelchen Fähigkeiten vereint, die wir nicht kannten. So gesehen eine Truppe mit ungeahnten Möglichkeiten, die zusammen agierend sicher so etwas wie eine Armee ergeben würde. Wenn man sich darüber bewusst wurde, kam einem blitzartig ein Gedanke in den Sinn, der einen wieder zum Anfang aller Fragen führte.

Wer finanzierte dieses Projekt und wofür brauchte man die Ergebnisse. Oder hätte man die Frage nicht anders stellen, sollen nämlich nicht danach, wofür man sie brauche, sondern vielleicht sogar missbrauchte. Immer mehr kam einem in den Sinn, das man sich viel zu leichtfertig darauf eingelassen hatte, auch wenn es im ersten Moment recht gut erschienen war.

Wir würden über diese Frage einmal mit den anderen, als auch mit Kalle sprechen.

Schon einen Tag später trafen wir uns abends zum Grillen und wir warfen unsere Fragen wie zufällig in die Runde. Dabei kam heraus, dass sich eigentlich schon alle diese Frage gestellt hatten, waren aber auf verschiedene Lösungen für sich gekommen.

Die Koslowskis waren zwar ebenfalls der Meinung, dass etwas nicht stimmte, aber hatten die Frage schon lange zu den Akten gelegt. In der langen zeit ihres Lebens war es ihnen nie besser gegangen.

Keiner fragte etwas, keinen interessierte es wirklich, dass sie anders waren. Sie meinten nur, dass sie halt mit den Wölfen heulten und sich weiter keine Gedanken mehr machen würden.

Michelle sah alles ehr als Herausforderung, obwohl sie nicht wusste, wo diese sein sollte. Nur Denice war ebenfalls besorgt. Sie war nicht auf den Kopf gefallen und sah ebenfalls, was um uns herum passierte. Zumindest hatten wir also aus diesem Gespräch herausgefunden, dass alle ähnlich dachten wie wir, aber damit unterschiedlich umgingen.

Kapitel 32

Am nächsten Morgen sagte Andrea beiläufig zu mir:“ Schatz, ich gehe mal eben zu Sasha rüber, ich frage Es mal danach, wie Es das sieht. Komme gleich wieder!“

Kaum gesagt verschwand Andrea auch schon und ich blieb in unserem Bett, wie ein begossener Pudel sitzen. Das hätte ich jetzt nicht von Andrea gedacht.

Zwei Stunden später kam sie vor sich hin pfeifend wieder und grinste mich an, als sie mich am gedeckten Frühstückstisch sitzen sah.

Wenn ich gesagt hätte, dass ich neugierig wäre, dann wäre da vollkommen untertrieben gewesen. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, kurz vorm Brechen.

Andrea war ich solchen Sachen gemein. Ja, anders kann man es nicht ausdrücken. Sie kam wie beiläufig herein, schnappte sich die Kanne Kaffee, goss sich das heiße Getränk langsam in ihre übergroße Tasse ein und sah mich dann fast verständnislos an.

„Und?“, fragte ich.

„Es hat sich ganz schön erschrocken, als ich vor der Tür stand“, sagte Andrea mit einem Schmunzeln. „Aber es hat sich sehr gelohnt, immerhin bin ich jetzt um einiges schlauer. Sehr viel schlauer und ich bin mir sicher, dass dir nicht gefallen wird, was ich dir gleich erzähle. „

„Ach ja, soll dich von Sasha grüßen. Es bedauert jetzt ein wenig dich so verwirrt zu haben, immerhin bis du mein Mann.

Wenn Es das vorher gewusst hätte, dann wäre es anders ausgegangen. Es ist davon ausgegangen, dass du einer der Leute bist, die Es beseitigen wollen. „

Jetzt nahm Andrea einen tiefen Schluck des schwarzen Gebräus und setzte neu an.

„Es ist in gewissem Maße darüber erschreckt, dass ich von ihm nicht beeinflussbar bin und Es ist davon ausgegangen, dass ich geschickt wurde Es zu beseitigen. Von daher war unsere Vermutung gar nicht so weit her geholt.

Aber das Ganze hatte noch einen anderen Hintergrund. Alleine das wir hier Wohnen, hängt schon mit Es zusammen. Als wir hier untergebracht wurden, hatte das zwei Gründe, davon waren wir überzeugt. Zum einen, um auszuprobieren, ob ich gegen Es einsetzbar bin, das haben wir aber schon selber herausbekommen. Der andere Grund bist du mein Schatz. „

Daraufhin folgte wieder die künstlich in die Länge gezogene Spannung die Andrea so liebte.

„Also, wenn das eine nicht funktionierte, dann wenigstens das andere.

Das andere war, dich aus dem Weg zu schaffen. „

Das saß jetzt wirklich und ich sah Andrea mit großen Augen an.

„Wie jetzt?“, fragte ich verblüfft. „Was habe ich denn damit zu tun?“

„Na, ganz einfach, dich braucht hier keiner. Du bist für die verantwortlichen Leute hier nutzlos, immerhin kannst du nichts Außergewöhnliches. Sasha meinte, dass du nicht der Erste gewesen wärst, der auf dieser Insel auf einmal gestorben wäre.

Immerhin wäre das die eleganteste Lösung gewesen. Man hätte Sasha die Schuld geben können und wäre sauber aus der Sacher heraus gekommen. Ich wäre alleine gewesen und sicher hätte sich jemand gefunden, der dem System treu gewesen wäre, und hätte sich in der schweren Zeit, um mich gekümmert. Ein einfaches, abgekartetes Spiel. Eines, was auf dieser oder der anderen Seite aufgehen könnte und beides Mal standen die Gewinner schon fest.

Des weiteren sollen wir vorsichtiger mit den Koslowskis sein.

Sie sind sicher nette und zuvorkommende Nachbarn, aber sie sind in diesem System so fest verankert, dass sie keine Fragen mehr stellen werden und dieses auch noch nie getan haben. Hier in diesem Haus haben schon öfter Paare gelebt, wobei ein Teil des Paares normal gewesen war. Die Koslowskis haben die Leute kommen und gehen gesehen, werden aber niemals etwas dazu sagen. Sie schweigen und dieses Schweigen macht sich bezahlt. Nicht in barer Münze, aber man lässt sie in Frieden.

Bei Denice und Michelle sieht das anders aus. Die sind noch nicht lange genug hier, um den häufigen Wechsel ihrer Nachbarn feststellen zu können. Die vorigen Bewohner dieses Hauses haben sich kurz vor Ihrem Einzug gegenseitig umgebracht. Warum auch immer. Danach stand das Haus eine ganze Weile leer. „

„Sasha ist nicht bösartig, nur traut Es keinem mehr über den Weg. Von daher wehrt Es sich mit allen Mitteln, wenn jemand unbekanntes in die Nähe kommt.

Sollte Es noch einmal auf dich prallen, immerhin sind wir ja Nachbarn, dann wird Es dich so weit wie möglich verschonen. Ganz abstellen kann Es das ganze nicht. Du wirst Es trotzdem nicht so sehen, wie Es ist. „

Ich blieb erst einmal einen Moment nachdenklich sitzen, vielleicht sogar etwas geschockt. Immerhin hatte meine Frau mir gerade erzählt, dass man mich vielleicht für etwas umgebracht hätte, wofür ich nichts konnte. Das war nun keine Nachricht, die ich erwartete oder mir gar gewünscht hätte.

Es bestärkte mich allerdings in der Absicht, die ich schon länger in mir trug.

War es unter diesen Umständen tragbar weiterhin auf dieser Insel zu bleiben. Und wenn nein, wie kam man hier weg?

Ich wusste, nicht wo wir hier waren, es gab keine Boote oder Ähnliches und fliegen konnte ich auch nicht. Einmal ganz davon abgesehen, dass man uns wohl auch kein Flugzeug zur Verfügung gestellt hätte, darüber war ich inzwischen überzeugt.

Wir saßen in einem goldenen Käfig und ich war mir nicht sicher, was wir machen sollten.

Ich teilte diese Gedanken mit Andrea, die inzwischen ebenfalls auf diese Gedanken gekommen war. Die Parole hieß also: Flucht! Denn wir waren und ebenfalls darüber im Klaren, dass man uns nicht freiwillig gehen lassen würde.

Hier stellte sich dann die erste Frage. Wer war vertrauenswürdig, einmal von uns beiden abgesehen.

Die Koslowskis schieden anscheinend aus. Sie würden zumindest nichts für uns tun, ob sie gegen uns agieren würden, konnte ich nicht sagen.

So waren die Menschen übersichtlich, denn wir vertrauen konnten. Denice sicher, Michelle würde alles als ein großes Abenteuer sehen, war aber irgendwie an Denice gebunden und würde sicher mit ihr gehen. Blieb noch Kalle. Was war mit ihm?

Auf der einen Seite ein jahrelanger Freund von uns, aber was war in den Wochen mit ihm passiert, seitdem er hier war.

Hier hatte er alles, was er sich als Wissenschaftler nur wünschen konnte. Schon alleine das war es Wert, unserem Plan zumindest nicht zuzustimmen. Konnten wir es also darauf ankommen lassen und ihn mit in unsere Gedanken aufzunehmen.

Wir wussten es nicht und würde ihn ganz vorsichtig danach fragen.

Blieb noch Sasha. Es war zwar nicht direkt jemand, den ich unbedingt dabei haben musste, aber Es hatte ebenfalls seine Probleme.

Immerhin musste er Tag für Tag damit rechnen, dass dort jemand kam und Es beseitigte. Von daher ging ich fast davon aus, dass Es auf unserer Seite stand. Es sei denn, Es arbeitete doch für die andere Seite und wir hatten das nur noch nicht erkannt. Woher sollten wir wissen, ob Es uns nicht anlog. Immerhin war er indirekt für mehrere Tote verantwortlich, das konnte man nicht von der Hand weisen. Auch wenn wir nicht wussten, wie viele.

Dazu hätten wir die Koslowskis fragen müssen, die hätten es zumindest, was die Nachbarn anging, sagen können. Aber das war keine gute Idee, wie Andrea herausgefunden hatte.

Kapitel 33

Schon für den nächsten Abend luden wir Kalle zum Essen ein. Es wollte ein ungezwungener Laberabend werden, eben nur so. Zumindest sagten wir es ihm.

Als er kam, sah er aus wie immer, obwohl es mir so vorkam, als wenn er etwas bedrückter wirkte, auch meinte ich einige Falten, Sorgenfalten mehr in seinem Gesicht zu entdecken.

Aber das konnte auch täuschen.

Also saßen wir zusammen am Tisch und Andrea hatte etwas selber gekocht, was Kalle besonders gerne mochte. Zumindest war das einmal so gewesen. Dabei war es gar nicht so leicht gewesen, das essen so hin zu bekommen, denn Andreas Geschmacksnerven hatten sich verändert. Aber da ich beim Kochen mithalf, konnte ich es abschmecken.

Unsere Unterhaltung war zuerst einfach gestrickt. Sie bezog ich auf alte Zeiten und wir lachten viel.

Dann schafften wir es das Gespräch, langsam aber sicher auf die Insel selber zu bringen. Dabei merkten wir wieder, dass Kalle sich verändert hatte. War seine Stimmung vor wenigen Wochen noch euphorisch gewesen, so merkte man jetzt, das dem nicht mehr so war. Er meinte nur, dass es hier zwar unwahrscheinlich tolle Möglichkeiten gäbe zu forschen, aber er eigentlich nicht wirklich damit zu tun hatte. Die wirklich interessanten Projekte waren ihm nicht zugänglich, ebenso nicht die Ergebnisse.

Zum Beispiel habe er einmal versucht herauszubekommen, was die Forscher über Andrea wussten, aber da herrschte Schweigen im Walde. Keines der Computersysteme gab darüber Auskunft. Die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen schienen nicht einmal einen Austausch der Informationen zu betreiben. Alle Ergebnisse wurden in die verschiedenen Medien eingegeben, die zur Verfügung standen, wurden aber hier nicht ausgewertet.

Wohin diese gingen und ob sie überhaupt auf der Insel blieben, war ihm nicht bekannt.

Vor einigen Tagen wurde es ihm dann zu langweilig und er fragte die Verantwortlichen, ob er nicht ein eigenes Projekt bekommen könnte. Immerhin wäre er qualifiziert genug, nicht nur irgendwelche Proben zu untersuchen.

Daraufhin hatte er vor zwei Tagen tatsächlich ein Projekt zugesprochen bekommen. Leider nichts was mit Andrea zusammenhing, auch wenn er darum gebeten hatte. Sie hatten ihm sogar die Verantwortung für ein Projekt gegeben, was er ganz alleine betreuen durfte.

Das war zwar nicht unbedingt das, was er gewollt hatte, aber jetzt konnte er nicht mehr ablehnen. Immerhin hatte er ja um so etwas gebeten.

Andrea fragte Kalle: „Sag mal, was ist das denn für ein Projekt?“

Kalle antwortet: „So genau kann ich das auch nicht sagen, aber ich soll morgen die Unterlagen dafür bekommen. Das Projekt hat nur einen etwas seltsamen Namen und damit kann ich noch weniger anfangen.

Vielleicht könnt ihr ja was mit Projekt Sasha 23 anfangen?“

Andrea und ich sahen uns einem Moment an und uns ging wohl gleichzeitig ein Gedanke durch den Kopf, der wirklich nicht abwegig war.

Man wollte Kalle los werden, das lag jetzt auf der Hand. Sasha kannte ihn nicht und würde es auch nicht erlauben, dass jemand etwas über Es herausbekam. Wie diese Forschung ausgehen würde, war klar.

Nur was sagte die 23 aus. War es wirklich schon der 23 zigste Versuch an Sasha heranzukommen oder war Kalle der 23 zigste der dabei draufgehen sollte? Wir wussten es nicht.
So vorsichtig wie möglich, versuchten wir Kalle jetzt beizubringen, was ihn erwartete. Da wir keinen Grund hatten, ihn zu belügen und schon so lange Freunde waren, glaubte er uns, was wir ihm erzählten. Er konnte sich das alles im ersten Augenblick nicht wirklich vorstellen, aber je mehr er darüber nachdachte, umso deutlicher wurde es.

Er war genauso entbehrlich wie ich. Nur ein Beiwerk um Andrea zu bekommen und um ihn dann zu beseitigen.

Zweifel waren ihm schon länger gekommen, denn vieles war ihm verschlossen geblieben und war nicht so, wie es am Anfang schien. Als Beispiel nannte er Michael.

Es war ihm nur nicht gleich aufgefallen, aber Michael war nicht das, was er vorgab. Er hatte ihn nur selten gesehen, eigentlich nur dann, wenn wir ebenfalls dabei gewesen waren.

Hatte der doch zuvor noch erzählt, dass es mehrere von Andreas Art auf der Insel geben würde, waren Kalle nur Andrea und Michael jemals unter die Augen gekommen. Und selbst dabei hatte er noch Zweifel, da Michael anders war als Andrea. Sicher, seine Haut war ebenso bleich, pigmentlos wie die von Andrea, aber das war anscheinend auch die einzige Übereinstimmung. Auch wenn er es sehr gut verbergen konnte, er schien zu atmen. Nicht viel, fast gar nicht, aber es war da.

Außerdem hatte Andrea so etwas wie eine Aura die Kalle sich nicht erklären konnte, doch bei Michael was davon nichts zu spüren. Das habe er aber nie in seiner Gegenwart erwähnt.

Na toll, selbst Kalle merkte genauso wie Denice eine Art Ausstrahlung bei Andrea, nur ich nicht. Ich schob es aber darauf, dass es bei mir eine Art Gewöhnungseffekt war. Immerhin war ich jeden Tag sehr lange mit ihr zusammen.

Vielleicht hätte ich es bemerkt, wenn wir uns nicht gekannt hätten oder lange Zeit auseinander wären.

Es war an der Zeit Kalle mit in das Boot zu holen. Wir erzählten ihm jetzt unverblümt und direkt, was wir vorhatten, dass wir von dieser Insel fliehen wollten.

Zuerst sah er uns misstrauisch an, als wenn er darauf wartete, dass wir einen Scherz gemacht hatten, aber als er merkte, dass es nicht so war, runzelte er seine Stirn.

Man konnte förmlich sehen, wie es hinter seinem Schädelknochen arbeitete, wie seine Gedanken durch seine Synapsen rasten.

Obwohl zumindest ich gedacht hatte, dass dieser Denkprozess bei Kalle länger dauern könnte, hatte ich mich getäuscht. Kaum eine halbe Minute später, in der er wahrscheinlich mehrere Optionen durchgegangen war, hellte sich sein Gesichtsausdruck merklich auf und er sah uns abwechselnd in die Augen.

„Ich komme mit. Lasst es mich wissen, was euch eingefallen ist und ich werde zusehen, ob mir ein Gedanke dazu kommt.

Es muss einfach möglich sein. „

Andrea meinte daraufhin: „Ach ja, ich werde Sasha sagen, was los ist, damit Es dich nicht ausversehen in die ewigen Jagdgründe schickt, wenn Es erfahren sollte, dass man dich auf Es angesetzt hat. Wüsste zwar nicht, wie Sasha das erfahren sollte, aber besser ist es, Sasha das vorher zu sagen. „

Daraufhin sagte Kalle zu Andrea: „Also irgendwie hast du mich auf Sasha neugierig gemacht.

Du weißt doch nun, was Es ist, dann kannst du es mir ja verraten. „

Andrea lächelte Kalle an. „Mein Mann weiß es nicht und ich werde es dir auch nicht sagen, denn Sasha möchte es nicht. Es will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Wer das nicht respektiert, muss mit den Kosequenzen rechnen.

Also“, sagte Andrea zu Kalle, „Was willst du? Dass ich ihm von dir erzähle, oder willst du selber heraus bekommen, was Es ist? Willst du wirklich den Weg freimachen, für Projekt Sasha 24?“

Kalle verzog ein Gesicht wie zwanzig Tage Regenwetter.

Als Forscher und Mediziner war er von Zuhause aus neugierig, und wenn dort etwas war, was es zu erkunden gab, dann machte man das auch. Etwas nicht anzutasten war dabei fast tabu. In diesem Fall sah er es aber dann doch ein und gab sich mit Andreas Antwort, zwangsweise zufrieden.

„Gut, dann werde ich mich morgen in die Lektüre vertiefen und mal sehen, was die Unterlagen über Sasha so aussagen.

Ich befürchte fast mehr, dass dort fast nur Fragen stehen, die es zu beantworten gibt. Antworten werden dort nur wenige stehen. Trotzdem werde ich es so lange wie möglich herauszögern, das Projekt wirklich in Angriff zu nehmen. Das Studium am lebenden Objekt wird wohl ausfallen!“

Andrea und ich nickten in Kalles Richtung. Dann stand er auf und verabschiedete sich bei uns. Nachdenklich wie zuvor verließ er das Haus. Sicher hatte er sich unter diesem Abend etwas anderes vorgestellt.

Jetzt ging er mit mehr oder weniger großen Sorgen zurück, die er zuvor zumindest so stark nicht gehabt hatte. Projekt Sasha 23 würde niemals stattfinden, dass stand jedenfalls fest, zumindest nicht auf dieser Insel. Vielleicht würde es eine andere Möglichkeit geben.

Kapitel 34

Die nächsten Tage verbrachten wir damit, die Möglichkeiten zu sammeln, die uns einfielen. Dabei blieben uns nicht viele Möglichkeiten. Immerhin saßen wir auf einer Insel und da war die Auswahl beschränkt.

Entweder ein Boot oder Ähnliches oder ein Flugzeug. Anderes kam nicht infrage. Doch woher sollte man ein Boot nehmen, wenn es keines gab, zumal wir nicht einmal hätten sagen können, in welche Richtung wir fahren müssten. Unsere Ausgangslage war mehr als ernüchternd.

Wir befanden uns auf einer Insel, von der wir nicht wussten, wo sie war. Die einzige Angabe war, dass sie sich im Süden befand. Wir brauchten ein Transportmittel für mindestens sechs Personen, welches nicht wiedergefunden werden konnte.

Von daher vielen solche Sachen wie Flöße schon einmal vollkommen aus. Boote oder Schiffe hatten wir noch keine gesehen, wären aber zumeist auch nicht besser gewesen. Blieb ein Flugzeug oder Hubschrauber übrig. Doch keiner von uns konnte damit umgehen und es wäre sicher auch nicht viel besser gewesen, denn auch hierbei wussten wir nicht wohin. Blieb nur ein Flugzeug deren Besatzung eine Ahnung davon hatte, wie man wohin kam. Zumindest musste man einen Kapitän haben, der sich auskannte und dazu gewillt war, uns zu fliegen.

Wobei natürlich der Wille des Kapitäns durchaus auch manipuliert werden konnte. Freiwilliger Zwang oder zwanghafte Freiwilligkeit blieb dabei offen und eigentlich vollkommen egal. Der Zweck heiligte die Mittel. Sasha konnte sicher sehr schnell dafür sorgen, dass sich jemand dazu bereit erklärte. Hätte aber nicht selber mitfliegen können.

Eine übersahen wir bei der Möglichkeit. Die Flugzeuge waren alle ohne Kennung. Das heißt, es gab sie eigentlich gar nicht.

Auf einem normalen Flugplatz konnte man also nicht landen und für einen kleinen Sportflugplatz, waren die Transportmaschinen nicht geeignet. Landen konnten sie nur auf dem freien Feld oder auf einem Flughafen, von dem sie kamen. Ersteres wollte ich mit einer solchen Maschine aus verständlichen Gründen nicht und das Zweite viel ebenfalls aus. Man wollte nicht vom Regen in die Traufe kommen.

Blieb nur die kleine Maschine, die uns zum Beispiel hierher gebracht hatte.

Doch die kam nur in unregelmäßigen Abständen, auf die man sich nicht verlassen konnte. Wir konnten uns schlecht auf den Flughafen stellen und auf die Maschine warten, sondern hätte diese sozusagen kapern müssen.

Doch sechs Personen fielen irgendwann auf, wenn sie sich dauerhaft in der Nähe aufhielten. Selbst wenn sie sich versteckten, konnten sie nicht die ganze Zeit wegbleiben. Besonders bei Kalle würde es auffallen und auch die Koslowskis würden irgendwann etwas mitbekommen.

Ob sie dieses gegen uns verwenden würden, wussten wir nicht.

Es blieb schwierig. Denice und Michelle fiel auch nichts Besonderes ein. Kalle war auch nicht produktiver. Was er uns aber mitteilte war, was in der Akte Sasha stand. Zumindest nannten wir es so.

Es war so ähnlich wie wir es befürchtest hatten. Es stand nicht viel darin und das was darin stand, stimmte nicht einmal. Nach der Akte war Sasha erst eine Woche auf der Insel und noch nicht untersucht worden.

Die Betreuung und Aufnahme in den Schoß der Familie fiel also in Kalles Aufgabenbereich. Er sollte sich mit Sasha in Verbindung setzten und sich ein genaues Bild über Es machen. Dass dieses Bild unweigerlich tödlich enden würde, konnte man natürlich nicht mit in den Text schreiben.

Also war es eine unbeschriebene Akte, in der noch nicht mehr vorhanden war, als der Name und ein paar Anweisungen, welche Ergebnisse man von Kalle erwartete.

Diese Lektüre war so dünn, dass Kalle alles in der Akte innerhalb von einer halben Stunde gelesen und verinnerlicht hatte.

Jetzt wurde es schwer sich der Aufgabe zu entziehen, denn es gab eigentlich nichts mehr, was ihn von der Ausführung seiner Forschungen abhielt. Natürlich bis auf die sagenhaften Kopfschmerzen, die er auf einmal bekam. Es müssen wirklich fürchterliche Schmerzen gewesen sein, denn sie hielten ihn tagelang von der Arbeit ab.

Doch lange würde das nicht gut gehen. Vielleicht eine Woche, aber sicher nicht viel mehr.

In der Zwischenzeit musste uns einfach etwas einfallen, aber so wie das immer ist, fällt einem dann erst recht nichts ein.

Kapitel 35

Dann kam mir nur so eine Idee, die ich mit Michelle und Denice absprechen wollte. Dazu luden wir sie zu uns ein und ich erklärte es zwischenzeitlich Andrea.

Wenn wir schon keinen Fluchtplan hatten, war es sicher gut, den Feind, so nannte ich die anderen auf der Insel inzwischen, besser kennenzulernen. Hierzu hatte ich mir überlegt, dass es gut wäre zu wissen, was unter der Erde war. Immerhin kam jeden Mittwoch die Transportmaschine. Dazu hatte ich es noch nie erlebt, dass Michael dann nicht in den Tunnel fuhr.

So stellte ich mir vor, dass Denice doch die geeignete wäre, einmal nachzuschauen, was dort unten war.

Um ganz ehrlich zu sein, hatte ich vergessen, dass Denice im nüchternen Zustand, alles andere als eine Abenteuerin war. Schüchtern wie fast immer saß sie da und hatte schon jetzt Angst davor, in diesen Tunnel zu laufen. Schließlich war dort alles unbekannt, und da selbst ich nicht wusste, wie man dort wieder herauskam, war das Risiko recht groß.

Während Denice eine abwehrende Haltung annahm, war Michelle wie immer das genaue Gegenteil.

Sie empfand es als eine interessante Abwechselung vom Alltag und drängte Denice geradezu mitzumachen. Sie alleine könnte das nicht, denn dazu bräuchte sie die Fähigkeit von Denice.

Da Michelle die war, die bei den beiden die 51 Prozent Meinungsmehrheit hatte, stimmte sie sofort zu und Denice musste wohl oder übel klein beigeben. Was ich nicht wusste war, dass die beiden in solchen Situationen ein relativ eingespieltes Team waren, denn sie machten sich ihre beiden Fähigkeiten gegenseitig zunutze.

Was Denice nicht hatte, bekam sie von Michelle und was Michelle nicht konnte, das übernahm Denice, wenn auch nicht gerade gerne. Aber was tat man nicht alles für die Freundin.

Also war es schneller abgemacht als gedacht. Der Mittwoch war morgen, von daher war es gut, dass die Entscheidung schnell vonstattenging.

Schon am nächsten Morgen saßen wir im Wagen und fuhren Richtung Flugplatz. Dann versteckte ich meinen Wagen und wir huschten zu der versteckten Einfahrt.

Dann warteten wir geduldig.

Eine Stunde später hörte ich das leise Brummen der Transportmaschine und wenig später den Lieferwagen, der in die Siedlung fuhr. Wie immer brachte er erst ein paar Waren weg, bevor die letzte Ladung kam, um die sich nur Michael kümmerte. Auch wenn er jetzt beim ersten Mal nicht am Steuer saß, war ich mir sicher, dass er noch kommen würde.

Als der Lastwagen dann zurückkehrte, wurde ich bestätigt, denn jetzt saß Michael am Steuer.

Danke seiner fast weißen Haut, konnte man das sehr genau erkennen.

Noch zwei Mal fuhr der Wagen hin und her. Dann wurde es spannend. Und genau das merkte Denice auch. Sie hielt sich zitternd an Michelle fest die selber gespannt verfolge, was weiter geschah.

Noch bevor wir den Lastwagen hörten, knirschte es auf einmal im Boden und die schweren Deckplatten hoben sich langsam an, um den Weg in die Tiefe freizugeben.

Erst als sie fast komplett geöffnet waren, hörten wir das Brummen des LKW.

Dieser bog ab und war schon wenige Sekunden später dabei, den Weg nach unten anzutreten. Kaum war er in der Röhre, stand Michelle auf und zog Denice hinter sich her, die so aussah, als wenn sie es sich noch einmal anders überlegt hätte. Aber das duldete Michelle nicht. Sie ging einfach weiter und verschwand schon wenige Sekunden später aus meinem Blickfeld, während sich die Deckplatten langsam wieder schlossen.

Ich hatte gesagt, dass ich hier so lange warten würde, bis sie wieder zurückkommen würden. Wann das allerdings sein würde, konnte ich nicht sagen, denn ich hatte noch nie gesehen, wann der Wagen wieder an die Oberfläche kam. Das konnte in wenigen Stunden, oder auch erst in ein bis zwei Tagen sein. Dabei hoffte ich nur, dass es nicht so lange dauern würde. Andrea wusste, wo ich war, von daher konnte von der Seite aus nichts passieren.

Die Zeit wurde lang, sehr lang. Hier bewahrheitete sich wieder, dass die Zeit umso langsamer verging, je mehr man darauf wartete. Stunde um Stunde verging ohne das irgendetwas vor sich ging. Sorgen machte ich mir nicht wirklich, denn Michelle war nicht auf den Kopf gefallen, wenn auch etwas übermütig und Denice musste man erst einmal finden.

Es war schon dunkel, als die Luke auf einmal wieder aufging.

Sofort hörte ich das leise Brummen des LKW Motors und sah schon die langen Leuchtfinger der Scheinwerfer die aus dem Boden zu strahlen schienen.

Kaum war die Luke offen fuhr der Lastwagen heraus und die Klappe ging langsam wieder zu.

Gerade noch im letzten Moment sah ich zwei Schatten in der Dunkelheit, die hervor schlüpften und auf mich zuhielten.

„Lass und hier verschwinden!“, hörte ich Michelles Stimme und schon waren wir auf dem Weg zum Auto.

Hier sahen wir uns noch einmal um und ich fuhr ohne Licht hervor. Erst ganz kurz vor der Siedlung machten wir sie an und fuhren geradewegs nach Hause.

Auf der Fahrt zurück sagten wir nichts, weder Denice, die sowieso nicht viel sprach und selbst Michelle nicht, die sonst wie ein Wasserfall plappern konnte.

Bei uns angekommen stiegen wir aus und gingen ins Haus.

Hier erwartete uns Andrea, die mich neugierig ansah. Ich zuckte aber nur mit der Schulter und sie wusste, dass ich ebenfalls noch nichts gesagt bekommen hatte.

Die beiden setzten sich hin und ich werde einmal versuchen zu erzählen, was sie erlebt hatten.

Als sie hinter dem LKW in die Röhre geschlüpft waren, hatten sie fast direkt hinter der Luke eine Einbuchtung gefunden in der sie sich verstecken konnten.

Hier warteten sie ab, bis sie den Motor des LKW nicht mehr hören konnten, erst dann verließen sie ihr Versteck und gingen so leise wie möglich weiter nach unten.

So wie sie es erzählten, ging es noch ein ganzes Stück so weiter, bis der Tunnel seine Krümmung verlor und dann fast waagerecht noch einmal weiter ging. Beleuchtet war das Ganze nur mit einer roten Notbeleuchtung. Erst am Ende des Tunnels konnten sie dann helleres Licht erkennen.

Langsam und vorsichtig gingen sie weiter und erkannten dann auf einmal eine Kamera an der Decke, die aber im Moment nicht in ihre Richtung zeigte, sich aber langsam um die eigene Achse drehte. Ab jetzt wurden sie vorsichtiger und standen dann direkt unter der Kamera, um sich ein wenig zu beraten. Dabei konnte sie die Kamera nicht sehen, denn sie standen direkt darunter und somit in einem toten Punkt. Ab jetzt war ihre Taktik klar.

Denice verschwand solange es ging soweit von der Bildfläche, wie es ging. Es musste schon etwas befremdlich ausgesehen haben, wenn immer mal wieder zwei Augenbälle durch die Luft hopsten und mal hier und mal dort etwas suchten.

War dann die Luft rein konnte Michelle nachkommen, denn Denice wusste ja, wonach sie suchen musste. Weitere Kameras befanden sich auf ihrem Weg, aber wenn diese sie nicht sehen konnten, dann gab es auch keinen Alarm.

Zumindest waren es keine Infrarotkameras, dann wäre es schwieriger geworden.

So arbeiteten sich die beiden weiter vor, bis sich vor ihnen ein mehr als großer Raum öffnete. Er war einigermaßen hell beleuchtet und die beiden staunten nicht schlecht, als sie die Anlage sahen.

Auf ihrer rechten Seite waren große Lagerräume, die alles enthielten, was man sich vorstellen konnte. Hier unten war also das logistische Herz der Anlage.

Die paar Waren, die mit dem Flugzeug kamen, konnte die Insel nicht am Leben erhalten, das wusste ich, aber hatte nie herausbekommen, woher die anderen kamen.

Die beiden konnten jetzt unter anderem Teile des Personals sehen, die oben in den Restaurants arbeiteten oder anderen Tätigkeiten nachgingen. Es gab schließlich viele Dinge des täglichen Lebens die erledigt werden mussten. Hier unten fuhren sie mit kleinen Gabelstaplern herum und verschwanden in mehreren Tunneln, die wahrscheinlich direkt zu den entsprechenden Gebäuden führten.

Wohin allerdings der LKW gefahren war, konnten die beiden nicht erkennen. Der war nicht mehr zu sehen.

Die Neugierde trieb die beiden weiter. Sie schlüpften weiter durch die unterirdische Anlage. Die hier verstauten Waren konnten nicht alle mit dem einen LKW hierher gebracht werden, das war klar. Doch woher kamen sie.

Die Lösung des Rätsels ließ etwas auf sich warten, aber die Michelle war neugierig genug, auch das rausfinden zu wollen.

Und wo Michelle war, war auch Denice.

Sie vernahmen auf einmal einen Duft von Wasser, Salzwasser und sie schlichen einen Tunnel entlang, der wieder leicht anstieg.

Was sie dann sahen, ließ ihren Atem einwenig stocken. Dort unten war eine Art unterirdischer Hafen, in dem tatsächlich ein U-Boot lag. Keines der großen Atomangetriebenen, sondern ein kleineres, was aber den Anschein machte, als wenn es umgebaut worden wäre.

Es wirkte etwas breiter als normal und konnte damit sein Volumen vergrößern. Oder anders gesagt, es eignete sich zum Transport von allem, was man brauchte. Und genauso war es dann auch. Aus einer Luke auf der oberen Seite kamen per Laufband die Dinge des täglichen Bedarfs. An diesem Tag schien Toilettenpapier hoch im Kurs zu stehen, denn eine Großpackung nach der anderen verließ den Bauch des Bootes und wurde dann auf bereitstehende Paletten gestapelt.

Dann kamen die kleinen Gabelstapler und holten sie ab.

Die beiden mussten ein wenig grinsen, denn der Anblick von Toilettenpapier und U-Boot in Kombination, sah schon etwas seltsam aus. Man hätte eher Torpedos oder anderes Kriegsgerät vermutete, zumindest bei diesem Boot, denn es war eindeutig eines, was der Marine zuzuschreiben war. Dies bekräftigte sich dann, als ein Mann der Besatzung aus dem Boot kam und eine Uniform trug, die zumindest nicht so aussah, als wenn sie nur Zierde war.

Also gehörte es einer Streitkraft, wobei es uns nicht einmal wunderte. Irgendwie hatten wir so etwas schon vermutet und so war es nicht wirklich überraschend. Wer sonst konnte solche Gelder aufbringen für ein Projekt mit diesen Ausmaßen. Wer hatte sonst so große finanzielle Mittel?

Doch lange konnten die beiden nicht dort bleiben, denn wenn sie nicht entdeckt werden wollten, dann mussten sie sich langsam zurückziehen, auch wenn sie den LKW vorerst nicht sahen.

Weiter wollten sie sich nicht vorwagen. Immerhin hatte sie schon einiges entdeckt, was uns zwar selber in dem Sinnen nicht weiter brachte, aber sehr interessant war. Jetzt wusste man immerhin, wer einem als Feind gegenüberstand. Von daher waren auch die Flugzeuge ohne Kennung kein Wunder mehr. Auch wenn selbst normale Militärmaschinen eine Kennung trugen, war das nicht wirklich nötig. Sie konnten auch ohne diese weltweit landen, wenn sie zu den eigenen Streitkräften gehörten. Immerhin gab es viele Flughäfen des Militärs.

Zurück huschten die beiden den gleichen Weg, wie sie gekommen waren und da sie alle Kameras kannten, waren sie relativ schnell wieder an der Luke. Hier setzten sie sich wieder in ihr erstes Versteck und warteten ab.

Stunden später kam der LKW wieder und sie warteten, bis er wieder draußen war. Dann schlüpften sie im letzten Augenblick heraus, um nicht doch noch im Rückspiegel gesehen zu werden.

Das ist in etwa die Kurzfassung von dem, was sie erzählten. Es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten, die aber nicht von Wichtigkeit sind.

Lange saßen wir schweigend da. Wenn wir fliehen würden, wie auch immer, hatten wir es mit einem Gegner zu tun, der eigentlich übermächtig war. Das würden wir kaum schaffen.

Unsere Planung war relativ weit am Boden angekommen. Wir konnten einfach nicht sehen, wie wir es schaffen sollten.

Kein Flugzeug, kein Boot. Super!

Kapitel 36

Weitere Tage vergingen und uns fiel nichts wirklich Neues ein. Eigentlich hätte uns es nicht ausgemacht zu warten, wir hatten Zeit. Nur Kalle nicht. Es konnte nicht fortlaufend Kopfschmerzen haben und bei einem anderen Gebrechen, hätte er sich für seine Genesung keine bessere Gegend aussuchen können. Um ihn herum nur Spezialisten, die alles heilen konnten, was irgendwie ging.

Andrea hatte mit Sasha über die Problematik gesprochen aber Es war nicht dazu bereit, sich erforschen zu lassen.

Andrea bekam allerdings auch nicht heraus, warum nicht. Immerhin hätte Es zu bestimmten Sachen einwilligen können, keine speziellen, Standardsachen halt. Aber das lehnte Es entschieden ab. Auch wenn man Es fragte, woher Es eigentlich kam, sagte Sasha nichts. Alles blieb im Verborgenen, wobei nur Andrea in der Lage war, überhaupt einen Zugang zu Es zu finden. Wenn auch nur mit sehr mäßigem Erfolg.

Kalle hatte inzwischen eines der beiden Häuser neben Sashas, heimlich in Beschlag genommen und führte von dort aus seine Beobachtungen aus.

Sasha wusste natürlich durch Andrea, dass er da war. So konnte er aber seine Fähigkeiten in die Richtung so weit dämpfen, dass Kalle nichts abbekam. Dieser musste natürlich schwören über einen bestimmten Punkt nicht weiter an Sasha heran zu kommen, was Kalle mehr als dankend schwor. Inzwischen war ihm nämlich aufgegangen, wie sehr seine ach so netten Kollegen darauf aus waren, ihn in seinen Bemühungen zu unterstützen.

Ein Teil meinte, dass es sicher gut wäre, Sasha direkt anzugehen, sozusagen zu überraschen und Nägel mit Köpfen zu machen.

Andere kamen dann doch mehr auf die Anschleichtaktik. Je mehr Kalle auf seine Kollegen hörte, umso absonderlicher wurden die Vorschläge. Als er dann doch schaffe sein Lager in dem Haus nebenan aufzuschlagen, waren einige doch sehr verblüfft. Sie waren wohl davon ausgegangen, dass Kalle nur noch wenige Stunden zu leben hätte, wenn überhaupt. Dass er sich aber tageweise dort aufhalten konnte und seine Studien fortsetzte, war eine Art Wunder. Ob es wirklich Anerkennung einer Leistung war, sei einmal dahingestellt.

Jetzt hatte Kalle wieder mehr Ruhe. Er sagte zu jedem, der es hören wollte oder auch nicht, dass seine Aufzeichnungen ebenfalls in dem Haus wären, doch so sehr die Neugierde der Kollegen in ihre Gesichter gemeißelt war, so sehr lehnten sie es entschieden ab, wenn Kalle sie zu sich einlud, um seine Ergebnisse mit ihm durchzugehen. Sie meinten zwar, er könnte diese ja einmal mitbringen, aber um ihn zu besuchen, hätten sie alle keine Zeit.

Spätestens jetzt war Kalle sich darüber klar, dass er hier keine Zukunft hatte. Doch wie lange er noch dieses Schauspiel durchhalten konnte, wusste er nicht. Hier wurden genauso Ergebnisse gefordert, wie auch bei allen anderen Experimenten.

Doch noch reichten seine Ausreden um Ruhe zu haben, zumindest solange er sich in dem Haus verbarg. Genauso war es dann auch, denn das Einzige was er tat war schnurstracks zum Haus zu gehen und sofort darin zu verschwinden.

Die Fenster zu Sashas Haus waren so verhangen, dass er keinerlei Sicht zu Sasha hatte. Dort angekommen legte er sich erst einmal ins Bett und verschleif die meiste Zeit des Tages. Dann machte er sich etwas zu essen, um dann eine längere Pause mit lesen zu verbringen.

Pünktlich zu einer bestimmten Zeit war er damit fertig und verließ das Haus ohne einen Blick auf Sashas Haus zu werfen. Es war abgemacht worden, wann Kalle zu dem Haus ging und wann er wieder verschwand.

Solange er sich daran hielt, hielt sich Sasha ebenfalls an die Abmachung. Von daher konnten sie sich nicht einmal zufällig treffen. Man ging sich halt aus dem Weg, was besonders für Kalle auch das Beste war.

Kapitel 37

Es hatte sich fast eingebürgert, dass unsere Nachbarn und wir uns an einem Tag der Woche zum Grillen trafen. Da wir in der Mitte wohnten, war unser Haus das Ziel.

Jeder brachte etwas mit und es kam uns vor, als wenn wir wieder in unserer Jugend angekommen wären. Immerhin hieß es damals Buddelparty. Man hatte halt kein Geld dafür gehabt, viele Leute zu beköstigen.

Auch wenn es hier etwas anders Gelegene war. Hier brachte man halt das mit, was einem am besten schmeckte und so manches Mal aßen wir Dinge, die wir ohne die anderen niemals hätten, kennen gelernt. Besonders die Koslowskis brachten fast immer etwas Besonderes mit.

Sie waren in ihrem Leben schon so weit herumgekommen, dass es kein Wunder war, dass wir von vielem noch nie gehört hatten, geschweige denn davon gegessen hätten.

Dieses Mal war es nichts wirklich Besonderes aber trotzdem sehr schmackhaft. Sie hatten selber Salate gemacht, die sie aus dem Orient kennengelernt hatten. Selbst dort waren sie eine Zeit lang gewesen und hatten diese Rezepte mitgebracht. Viele Bestandteile waren bekannt, aber in ungewöhnlicher Kombination.

Datteln oder Feigen waren oftmals eine der Grundzutaten. So war ich überrascht, wenn hier überaus reife Datteln mit eher säuerlichen Milchprodukten gemischt wurden. Es waren dann die starken Gegensätze, die einem eine Explosion nach der anderen im Mund verursachte.

Hier wurde das Grillen dann vollkommen nebensächlich, obwohl ein schönes Stück Fleisch, zu dieser Attacke gegen die Geschmacksnerven, fast beruhigend wirkte. Und nicht nur das, es harmonierte sogar so manches Mal.

Ich hätte mir niemals einfallen lassen, dass die süße von Datteln mit dem Fleisch zusammenging. War das Fleisch sogar in einem Feigen- oder Dattelmus eingelegt und karamellisierte über dem Grill, dann wurde es zu einem Gaumenschmaus.

Schade war nur, dass man nicht viel davon essen konnte, denn es verklebte einem sozusagen den Mund und Magen. Danach war ein kaltes Bier, eine willkommene Abwechselung.

Wenn wir dann gegessen hatten, saßen wir in einer Runde zusammen und es war fast schon üblich, dass Karel mindestens eine Geschichte zum Besten gab.

Die beiden hatten zwar die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, untergetaucht zu leben, aber ab und zu ging zumindest Karel los, weil es ihm zu langweilig erschien. So erzählte er dieses Mal von einem Ausflug, den er nicht vergessen würde.

Er nannte es Ausflug. Katja meinte, dass es wohl eher eine längere Flucht war, weil Karel dann für eine lange Zeit verschwand und sie sich immer große Sorgen, um ihn machte.

Diese Zeit konnte dann durchaus einmal mehrere Jahre lang sein.

Karel, der sich zum Beispiel immer schon für die Seefahrt begeistert hatte, konnte es zum Beispiel nicht lassen, sich als Seemann anheuern zu lassen und zur Zeit der Segelschiffe, konnte so eine Fahrt schon einmal ein oder zwei Jahre dauern.

Aber zuerst erzählte er an diesem Abend eine ganz andere Geschichte, die so befremdlich klang, weil man damit geschichtlich etwas anfangen konnte.

Die beiden waren wieder einmal unterwegs gewesen und machten sozusagen eine Rundreise durch Europa. Sie kamen gerade in Frankreich an, als sie hörten, dass etwas in Paris los wäre. Da sie der Hafer stach, wollte sich Karel die Stadt wirklich einmal ansehen. Selten genug kam er in eine der Großstädte dieser Zeit. Also marschierten sie Richtung Paris und waren sehr darüber erstaunt, welcher Aufruhr in der Stadt herrschte. Es dauerte eine ganze Zeit, bis sie begriffen, dass das Volk sich gegen ihren König aufgelehnt hatte.

Die Bastille war gestürmt worden und das Volk hatte die Regierung übernommen. Da sich jetzt alles so frei anfühlte, spülte es die beiden mit in den Taumel der Freiheit. Wer so dachte wie das Volk, bei dem könnte man sicher besser leben, als woanders. So zumindest hatten sie gedacht. Doch wie die Geschichte lehrt, war die Freiheit nur kurz und schneller als gedacht wurden diese Freiheit wieder zu einem neuen Gefängnis.

Außerdem störte sich gerade Katja an dem Geschrei der Menschen, nach immer mehr Blut.

Karel war dabei, als die Bastille langsam abgetragen wurde. Von dem Gebäude nahm er einen Stein mit und behielt ihn immer bei sich. Dieser erinnerte ihn immer daran, wie schnell eine Freiheit wieder in ein Gefängnis umgewandelt werden konnte.

Ich glaubte mich daran zu erinnern, als wir bei ihnen im Haus gewesen waren, einen Stein in einem Glaskasten auf dem Klavier gesehen zu haben.

Karel bestätigte mir das, als ich ihn danach fragte.

An sich kein besonderer Stein, aber einer mit Bedeutung. Das machte ihn zu etwas Besonderem.

Die beiden gingen wieder, bevor der Wahn seine Hände nach jedem ausstreckte, der anders war als andere. Sie wollten ihre Köpfe gerne behalten, und auch wenn sie schon so alt waren, unsterblich waren sie deswegen noch lange nicht.

Die nächsten Jahre lebten sie mal hier, mal dort ohne lange irgendwo zu bleiben.

Die Zeit ging ins Land aber an ihnen vorbei. Sie genügten sich selber und waren glücklich, über ein Jahrhundert blieb es bei ihnen ruhig. Selbst der Erste Weltkrieg ging an ihnen vorbei, ohne wirklich Spuren zu hinterlassen. Doch irgendwann war es Karel zu viel geworden.

Wieder einmal ging er in Richtung Wasser, etwas was ihn niemals losgelassen hatte. Schiffe waren seine Passion und er kannte sich damit aus. Dazu hatte er von etwas gehört, was es zwar schon länger gegeben hatte, aber erst jetzt wirklich soweit entwickelt war, dass er es unbedingt testen wollte.

Er machte eine Ausbildung bei der Marine, die er dank seiner jahrhundertelanger Erfahrung aus dem Ärmel schüttelte und mit Bravour bestand. Und schon konnte es los gehen, Leute wie er wurden gebraucht, denn der Zweite Weltkrieg hatte Bedarf an Menschen wie ihm. Da kam es nicht darauf an, wer oder was er war. Danach fragte kaum noch einer, denn Menschen wie Karel waren sehr gefragt.

Schon ein Jahr später war er Kommandant auf einem U-Boot.

Kapitänleutnant mit eigenem Kommando. Zu dieser Zeit sehr gefragt, denn es gab nicht mehr viele Menschen, die dieses wollten oder die Fähigkeit dazu hatten.

Als Karel dies erzählte, gingen alle unsere Köpfe ruckartig in seine Richtung. Er nahm es zwar wahr aber konnte sich keinen Reim darauf machen. Jetzt waren wir mehr als gespannt auf seine Geschichte. Wir wollten alles darüber wissen, quetschten ihn geradezu darüber aus.

Nicht dass er lebensmüde gewesen wäre, aber die lange Langeweile in den letzten Jahrzehnten machte sich jetzt bemerkbar.

Er brauchte Adrenalin im Blut, musste, wie er sagte, das Leben spüren. So wurde er einer der verwegensten Kapitäne auf den U-Booten seiner Zeit. Natürlich unter einem anderen Namen, den ich allerdings tatsächlich schon einmal gehört hatte.

Wenn es irgendwo etwas zu versenken war, war er mit seinem Boot meistens an Ort und Stelle. Leider liefen die Torpedos nicht immer so, wie sie sollten, sonst hätte er noch mehr Schiffe versenkt, als in seiner Statistik stand.

So manches Mal war ein Zerstörer hinter ihm her, aber er schaffte es immer wieder, diesen zu entkommen. Selbst als das erste Mal ein Sonar Ping an die Außenhülle schlug, konnte ihm dies keinen Schrecken einjagen. Sicher wurde es jetzt wesentlich schwieriger dem Feind zu entkommen, aber irgendwie schafften seine Mannschaft und er es immer wieder.

Dies endete erst, als sein Boot in einem Hafen von Fliegern versenkt wurde. Seine Leiche fand man nie, denn er setzte sich jetzt ab, da er es langsam müde war, zu kämpfen.

Es war die längste Zeit, die er jemals von Katja getrennt gewesen war und sie hatte schon geglaubt, dass er gestorben war. Seitdem hielt sie ihn so fest wie möglich. Sie wollte ihn nicht doch noch verlieren.

Kapitel 38

Als schon alle gegangen waren, saßen Andrea und ich noch lange draußen und unterhielten uns leise. Wir diskutierten das, was Michelle und Denice sicher auch beschäftigte.

Unter der Erde war ein U-Boot, hier oben ein Kaleu, der genau das konnte, was wir suchten. Nur wussten wir nicht, wie wir ihn dazubekommen konnten, für uns zu sein. Immerhin wussten wir nicht, ob wir ihm vertrauen konnten. Das würden wir aber sicher noch heraus bekommen. Er war die einzige Chance, die wir sahen. Mehr Alternativen gab es für uns nicht. Alles oder nichts, Wein oder Wasser.

Doch selbst wenn Karel mitmachte, wie kamen wir an das U-Boot heran.

Wir konnten wohl kaum einfach anklopfen und man würde uns aufmachen.

Aber trotzdem schmiedeten wir einen Plan in dem Karel die große unbekannte in der Rechnung war. Trotzdem konnte es funktionieren, wenn jeder nach seinen Fähigkeiten eingesetzt wurde.

Doch zuerst kam es alles anders, als wir es jemals gedacht hätten.

Einen Tag später waren Andrea und ich an den Strand gegangen und wollten uns einfach nur einmal treiben lassen.

Also nichts tun außer Ausspannen und an nichts denken, die Zeit mit uns verbringen. Wir gingen den Stand entlang und waren einfach nur glücklich miteinander. Wie die kleinen Kinder sprangen wir immer wieder ins Wasser, spritzten uns gegenseitig nass und drückten uns gegenseitig unter Wasser. Eigentlich bei einer Frau wie Andrea sinnlos, aber Spaß machte es trotzdem.

Dann lagen wir am Stand und sonnten uns. Andrea tankte die Wärme während es mir bald zu langweilig und warm wurde.

Also beschloss ich, mich im Wasser abzukühlen und etwas zu schwimmen. Gut, ich bin kein guter Schwimmer, aber für ein wenig rumpaddeln, reicht es vollkommen. Also ging ich ins Wasser und schwamm etwas weiter raus. Haie gab es nicht, das wussten wir und somit machte ich mir keine Gedanken darüber. Doch plötzlich streifte etwas an meinem Bein entlang.

Zuerst dachte ich, dass es eine Täuschung gewesen wäre, aber schon wenige Sekunden später wusste ich, dass es nicht so war.

Die Schmerzen waren enorm und ich verkrampfte sofort, als wenn meine Muskeln sich in Stahl verwandelt hatten. Ich wollte schreien, aber kein Wort kam über meine Lippen.

Qualle dachte ich noch, als ich schon unter Wasser geriet. Ich sah die Luftblasen aus meinem Mund nach oben steigen und konnte nichts dagegen tun. Sah, wie der kostbare Sauerstoff meinen Körper verließ und in silbrig glänzenden Kugeln, der Oberfläche entgegen stieg.

Obwohl ich wusste, dass ich nicht mehr lange zu Leben hatte, war ich relativ ruhig.

Selbst die Schmerzen, die ich gespürt hatte, verblassten und eine seltsame Ruhe trat um mich ein. Zum Schluss spürte ich nur noch, wie mein Rücken den Grund des Ozeans berührte. Dann gingen die Lichter aus und ich verfiel in einen ewigen Schlaf.

So hätte es sein sollen, aber es kam anders. Eine Art traumloser Schlaf umfing mich. Ein Zustand, den ich nicht beschreiben kann. Keine Empfindungen mehr, keine Erinnerungen, nicht mehr existent.

Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Ich weis nicht einmal mehr, ob ich überhaupt noch ich war. Eigentlich war ich gar nichts mehr. Nur noch eine leblose Hülle am Grund eines Ozeans, der auf seine Verwesung wartete. Wahrscheinlich hätte mein Körper, diese Hülle aus Gewebe und Knochen, noch einigen anderen Lebewesen zur Nahrung gedient, aber mehr auch nicht.

Dieser Zustand, sofern es überhaupt einer war, endete plötzlich und unerwartet. Fast mit Widerwillen kam ich zurück.

Wie aus dem Nichts erschien ein Licht vor mir und ich meinte schon, das dies jetzt das Licht sei, was so viele Menschen schon gesehen haben wollen. Sozusagen das Tor zur Unendlichkeit, verschmelzen mit der Ewigkeit, doch es war anders.

Das erkannte ich, als ich das Bild deutlicher sah. Ich lag auf dem Stand und Andrea kniete breitbeinig über mir, wobei sie die Augen geschlossen hatte und meine Hände, in den ihren hielt.

Je weiter ich wieder in die Wirklichkeit zurückfand, umso deutlicher fühlte ich, wie gewaltige Energieströme durch Andreas Hände in die meinem flossen und sich dann in meinem ganzen Körper verteilten. Diese Energieströme wurden immer heftiger, wurden zu einem Brennen welche meinen ganzen Körper durchflutete. Es tat weh, mehr als das, aber trotzdem konnte ich nicht schreien. Kein Wort kam über meine Lippen.

Hatte ich im Fernsehen doch immer gesehen, wie die Rettungskräfte Menschen wiederbelebt hatten.

So mit Armen bewegen und Wasser spucken. Aber nichts dergleichen. Dabei wusste ich nicht einmal, ob Andrea es überhaupt gekonnt hätte. Sie saß wie erstarrt auf meinem Bauch und hielt nur meine Hände.

Einige Zeit später, die Energie wanderte immer noch durch meinen Körper, gelang es mir endlich den kleinen Finger meiner rechten Hand zu bewegen. Das war der Moment als Andrea ihre Augen öffnete, da sie es gespürt hatte.

Ein eher gequält wirkendes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Mund ab. Dann öffneten sich ihre Lippen und ein leises „Hallo, da sind wir ja wieder!“, drang an meine Ohren. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, fiel sie förmlich in sich zusammen. Alle Muskelspannung verließ ihren Körper und sie lag, wie eine Marionette der man die Fäden durchgeschnitten hatte, auf meinem Bauch.

Wie von selbst fanden meine Hände ihre Haare und ich kraulte diese Gedanken versunken.

Dann versuchte ich mich an alles zu erinnern, aber da war nichts. Wie lange ich weg gewesen war, konnte ich nicht mehr sagen, aber als ich gen Himmel schaute, konnte ich erkennen, dass die Sonne wesentlich weiter gewandert war, als ich es gedacht hätte. Oder anders gesagt, war sie schon fast am Untergehen.

So gesehen musste ich in etwa sechs Stunden weg gewesen sein, denn gegen Mittag war ich ins Wasser zum Schwimmen gegangen.

Eine wirklich lange Zeit und in mir bauten sich immer mehr Fragen auf.

Wie war ich an den Strand gekommen, wie lange hatte Andrea gebraucht, mich wieder zu beleben. Ich wusste es nicht, hatte keine Erinnerung mehr daran. Aber Andrea würde es mir sicher sagen, wenn sie wieder zu sich kam. Schlafen konnte sie nicht, das wusste ich ja bereits, aber sie schien trotzdem in eine Art Schlaf verfallen zu sein.

Vielleicht aus Anstrengung.

So lag ich noch eine Weile so da und fand es wieder einmal spannend und seltsam zugleich, dass ich ihren Herzschlag und ihr Atmen nicht hören oder fühlen konnte. Dies empfand ich immer noch als sehr seltsam. Doch dann fiel mir auf einmal etwas auf, was ich zuvor noch nicht wahrgenommen hatte. Ich spürte keinen Herzschlag, das war bei Andrea normal, aber meinen konnte ich ebenfalls nicht fühlen.

Normalerweise konnte ich ihn sehr genau fühlen, wenn ich auf dem Rücken lag, doch jetzt spürte ich nichts. Ebenso musste ich sehr seltsam geschaut haben, als ich bemerkte, dass ich seitdem ich aufgewacht war, keinen Atemzug getan hatte. Von daher konnte ich auch nichts sagen. Ich versuchte es zwar, aber nur meine Lippen bewegten sich aber es kam kein Ton dabei heraus. Erst als ich bewusst einen Atemzug nahm und die Luft so kontrolliert wie möglich ausstieß, formte ich meine ersten Worte, wobei ich erst einmal das Wasser aus meinen Lungen pressen musste.

Sie waren sehr leise, aber Andrea hatte sie gehört. Sie richtete sich langsam auf und sah dann mit verschwommenen Augen auf mich herab.

„Hallo!“, sagte ich jetzt ebenfalls, was mehr wie ein Hauch über meine Lippen kam und Andreas Lippen formten wieder ein Lächeln, das so süß wie immer auf mich wirkte.

„Was ist passiert?“, fragte ich leise und sah Andrea dabei tief in die Augen.

„Du bist schwimmen gegangen und ich habe das nicht gemerkt. Dann habe ich nach dir geschaut aber dich nicht sehen können. Da ich nicht wusste, wo du warst, hatte ich angenommen, du bist irgendwo hingegangen. Doch nach einer Stunde habe ich mir dann Sorgen gemacht. Ich habe den Stand abgesucht, bin diesen entlang gelaufen und habe nach dir gerufen, konnte dich aber nicht finden.

Dann blieb nur eine Möglichkeit.

Du konntest nur noch im Wasser gewesen sein, entweder abgetrieben oder untergegangen.

Ich bin sofort ins Wasser gegangen und habe nach dir dort unten gesucht, bin aber wohl an einer falschen Stelle gewesen, denn ich habe dich nicht gefunden. Selbst als die Sonne untergegangen war, habe ich noch weiter gemacht, obwohl es keinen Sinn mehr machte. Sehen konnte ich lange nichts mehr. Dann bin ich aus dem Wasser und habe darauf gewartet, dass es wieder hell wird.

Kaum war die Sonne aufgegangen, bin ich wieder ins Wasser. Dann habe ich dich endlich gefunden. Du warst etwas abgetrieben und gerade dabei noch tiefer in die See zu rutschen.

Dann habe ich dich auf den Strand gezogen und wusst nicht mehr, was ich machen sollte. Ich nahm deine Hände und versuchte deinen Körper zu erforschen. Ich suchte in deinen Organen nach Leben, konnte aber keines finden. Da wusste ich, dass es zu spät war, dich ins Leben zurückzurufen.

Dann kam mir eine letzte Idee und die habe ich umgesetzt. Ich wusste nicht, was ich sonst noch machen konnte, ich wollte dich nicht verlieren. Eher wäre ich mit dir gegangen in die Ewigkeit gegangen.

Ich habe deine Hände genommen und dich zu dem gemacht, was ich schon bin. „

Erst jetzt wurde mir klar, was passiert war. Ich war von Andrea nicht widerbelebt worden, was nach der langen Zeit Unterwasser auch gar nicht mehr möglich gewesen wäre.

Ich war durch sie zu dem geworden, was sie schon war.

Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir erst die Tragweite bewusst, was passiert war.

Andrea stieg von mir herunter und ich versuchte aufzustehen. Obwohl noch wackelig auf den Beinen versuchten wir erst einmal zu unserem Auto zu gehen, denn ich wollte verständlicherweise, so schnell wie möglich nach Hause.

Hier angekommen erlebte ich alles, was Andrea schon kannte und wunderte mich über alles, was für sie inzwischen natürlich geworden war.

Es fing schon mit Kleinigkeiten an, schon das Trinken von heißem Kaffee war ein Erlebnis. Ich konnte dabei genau spüren, wie das Getränk meinen Körper von innen heraus aufwärmte und meine Muskeln geschmeidiger machte.

So wurde er Abend und die Nacht zu einem reinen Erlebnis und ich konnte endlich nachfühlen, wie es Andrea ging. Eine Wunderwelt tat sich vor mir auf und ich hatte den idealen Begleiter dabei, dieses zu erkunden.

Doch die Freude hielt nur kurz denn jetzt war etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Eine Flucht von dieser Insel, war nicht mehr aufzuschieben.

Noch war meine Haut relativ braun aber schon in wenigen Tagen, würde es verblassen und mir würden die Haare ausfallen. Gut, das mit den Haaren ließ sich erklären und störte mich nicht sonderlich, da sich sowieso sehr kurz trug. Aber was würde passieren, wenn die Wissenschaftler mitbekamen, dass Andrea ihre Fähigkeit weitergeben konnte.

Alleine die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, waren enorm.

Schon hatte ich Bilder einer Unterwasserarmee vor Augen, die sich jederzeit aus den Fluten erheben konnte. Eine Truppe, die so unsichtbar wäre, wie es nur ging. Jede Streitkraft der Welt hätte solche Wesen gerne gehabt, davon waren wir überzeugt.

Also blieben uns nur noch wenige Tage. Wir mussten unbedingt weg hier.

Uns fiel zwar ein, dass wir beide jetzt einfach weggehen konnten, immerhin wären wir unter Wasser sicher gewesen, aber, da wir nicht wussten wohin wir gehen sollten war das an sich schon problematisch.

Außerdem würde das Wasser sicher noch wesentlich tiefer werden und bei der Kälte dort unten würden wir uns schon bald nicht mehr bewegen können, einmal abgesehen davon, dass wir nichts mehr sehen könnten.

Außerdem wollten wir nicht ohne unsere Freunde gehen, besonders Denice und Michelle, waren uns dafür viel zu sehr, ans Herz gewachsen.

Am nächsten Tag, ober besser gesagt, als es hell wurde, fuhren Andrea und ich an den Strand.

Da ich Andrea an meiner Seite hatte, konnte sie mir alles sehr genau erklären und stand mir mit Rat und Tat zur Seite. Die Veränderungen in mir waren wirklich mehr als gravierend und verwirrten mich ungemein. So gingen wir einen Moment am Strand entlang, und als wie uns sicher waren, dass uns niemand mehr sehen konnte, gingen wir Richtung Wasser. Hier gab mir Andrea eine Chlorbrille, damit ich unter Wasser etwas sehen konnte. Dann gingen wir einfach ins Wasser.

Andrea lächelte mir zu, tat dieses sogar noch, als mir das Wasser bis an die Brust ging und ich eigentlich langsam stehen bleiben wollte. Doch Andrea zog mich sanft aber bestimmt, weiter in die See hinein.

Es war einer der aufregendsten Momente in meinem Leben, und das meine ich wirklich so, als das Wasser über meinem Kopf zusammenschlug, obwohl ich genau wusste, dass ich nicht atmen brauchte.

Trotzdem war es mehr als seltsam, denn insgeheim wartete ich trotzdem darauf, dass mir die Luft ausging. Doch das beklemmende Gefühl blieb aus, wenn langsam aber sicher der Sauerstoff endete. Nichts dergleichen geschah. Das einzige was ich fühlen konnte war, dass es um mich herum kälter wurde und mir die Wärme aus den Gliedern gesogen wurde.

Auch wenn dies sich nicht besonders schön anfühlte, war das was uns dagegen geboten wurde einmalig.

Wenn mir jemand irgendwann einmal erzählt hätte, dass ich mit Andrea Hand in Hand durch das Wasser schweben würde, hätte ich ihn für verrückt gehalten. Aber genauso war es, wobei es besonders schön wurde, als wir noch den letzten Rest von Luft aus unseren Lungen pressten.

Jetzt hatten wir keinen Auftrieb mehr und sanken auf den Boden.

Leicht setzten unsere Füße im weichen Sand auf und wir wanderten langsam, sehr langsam, Händchen haltend, über den Grund.

Jetzt waren wir in einer anderen Welt, und da wir keine Luft ausstießen, wie es bei normalen Tauchern üblich war, sendeten wir auch keine Geräusche aus. Dies veranlasste Fische und das ganze andere Meeresgetier dazu, nicht vor uns zu flüchten, sondern uns eher neugierig anzusehen.

Doch obwohl ich am liebsten noch stundenlang über den Meeresboden gelaufen wäre, konnten wir das nicht, denn schneller als erwartet, merkte ich, wie ich langsamer wurde.

Sicher, es tat nicht weh, war aber irgendwie unangenehm, immerhin schränkte es die Bewegungsfreiheit ein, wenn die Muskeln langsam steif wurden. Es kam so weit, dass ich mich wie ein Ritter in Rüstung fühlte.

Das war die Zeit, in der Andrea zurück an Land wanderte.

War es unter Wasser schön gewesen, so war es an Land fast noch schöner, denn hier schien die Sonne und wärmte uns auf.

Dieses Gefühl hatte ich noch nicht so stark erlebt und suhlte mich geradezu, in den wärmenden Strahlen der Sonne, die auf uns herunter schien.

So langen wir bald zusammen in der prallen Sonne und tankten die Wärme, die uns umgab.

Ich weiß nicht genau, warum, aber ich fühlte, mich auf einmal noch glücklicher als zuvor. Woran das lag, konnte ich nicht sagen. Selbst der Umstand, dass weder Andrea noch ich wussten, was mit uns noch geschehen würde, konnte diesem Gefühl nichts anhaben.

Waren Andrea und ich eine Zeit lang irgendwie körperlich getrennt gewesen, so waren wir jetzt wieder vereint.

Kapitel 39

Später, als wir wieder zuhause angekommen waren, kam mir auf einmal ein Gedanke in den Sinn. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht. Da ich jetzt wie Andrea war, konnte ich sicher auch das machen, was Andrea konnte. Also stahl sich ein fieses Lächeln auf meine Lippen und ich war zu jeder Schandtat bereit und mein Ziel stand schon fest.

Sasha hieß das Ziel. Endlich konnte ich herausbekommen, was Es war und das bescherte mir sehr gute Laune.

Als Andrea diese bemerkte, fragte sie danach und ich grinste sie an und sagte nur: „Sasha!“

Da wusste sie genau, was ich damit meinte. Doch sie hielt mich fest, ließ mich nicht gleich aus dem Haus gehen, um mir Es vorzuknöpfen. Immerhin hatten wir noch eine Rechnung offen, denn auch wenn das Bild schon etwas verblasst war, so sah ich die Traumfrau immer noch vor mir und mir wurde schwer ums Herz, dass ich sie niemals wiedersehen würde.

„Bitte!“, sagte Andrea, „bitte sei Es nicht böse, Es hat es nicht so gemeint. Wenn du Sasha sehen wirst, so wie Es wirklich ist, dann wirst du mich verstehen, wenn ich dir sage, dass du bitte vorsichtig sein sollst. Ich werde mitkommen und Sasha darauf vorbereiten, dass Es dir nicht mehr gefährlich werden kann. Sasha wollte doch niemandem wehtun, man soll Es nur in Ruhe lassen.

Also, ich besteht darauf, dass ich mitkomme, denn du wirst sehen, dass alles anders ist als es scheint.

Da dies alles ein wenig seltsam klang, willigte ich ein und wir gingen durch unseren Garten langsam auf das Haus zu. Kurz bevor wir am Haus ankamen, rief Andrea Sashas Namen und dass sie nicht alleine hier wäre. Sasha solle aber rauskommen, es wäre keine Gefahr für Es vorhanden.

Zuerst tat sich nicht, dann hob sich kurz einer der Vorhänge aber ich konnte leider nichts erkennen.

Zu kurz hatte ich etwas gesehen, was ich nicht für möglich gehalten hätte.

Dann ging die Hintertür auf und Sasha kam heraus.

Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem, was ich zu sehen bekam. Da stand Es nun und ich war mir wirklich nicht sicher, was ich dazu sagen sollte. Eigentlich hatte ich mir Es von Anfang an nicht vorstellen können, aber das was ich sah, hatte mit allen meiner Gedanken nichts zu tun.

Vor mir stand ein menschliches Wesen von relativ kleiner Gestalt das mehr, wie ein Kind aussah, als ein Erwachsener. Wobei ich mich fragte, ob Sasha ein Erwachsener sein musste? Warum also kein Kind. Aber das war noch gar nicht das wirklich Befremdliche.

Sasha war ein geschlechtsunspezifischer Name, genauso wie Andrea, sagte also nicht direkt aus, ob jemand männlichem oder weiblichem Geschlechts war. Doch bei Andrea konnte man das sehen, bei Sasha nicht.

Je länger ich Sasha betrachtete, umso weniger konnte ich mich entscheiden, ob Es männlich oder weiblich war. Alleine durch sein wahrscheinliches Alter von vielleicht zehn Jahren, waren die spezifischen Merkmale noch nicht herausgebildet.

Doch das war nicht alles. Wenn man auf der Straße ein Mädchen oder einen Jungen sah, die in etwa im gleichen Alter waren, dann konnte man sie doch meistens recht gut unterscheiden. Hier war das aber unmöglich.

Rein äußerlich war Sasha ein Es und nichts anderes. Trotzdem war er ein Wesen, was man vielleicht süß nennen sollte. Große Augen, kleine Nase, kleiner Mund. Nur hatte Es nichts davon, wie ein kindlich fröhliches Wesen auszusehen. Sasha sah eher wie das Gegenteil aus. Es sah mich verängstigt an und Sashas Kopf ging immer wieder von mir zu Andrea und zurück.

Auch als Andrea noch einmal bekräftigte, dass ich, als ihr Mann vollkommen vertrauenswürdig wäre, blieb die Haltung mir gegenüber abwehrend.

Hatte ich zuvor noch gedacht, Sasha die Leviten zu lesen, war ich jetzt eher betrübt über das Aussehen. Damit hatte ich nun nicht gerechnet und in mir machte sich eher ein Beschützerinstinkt breit, als eine Angriffshaltung. Wenn man Sasha noch etwas länger betrachtete, ging es sogar für niedlich durch, auch wenn ich dieses Wort nicht gerne für Menschen benutze.

Noch etwas fiel auf, was man aber nur sehen konnte, wenn man genau hinsah.

Um Sasha herum war eine Art Aura, die Es einhüllte und dabei wie ein dünner Strahlenkranz den ganzen Körper umgab.

So etwas hatte ich noch nie gesehen und wunderte mich wieder einmal darüber, was es alles gab.

Andrea fragte Sasha, ob wir näher kommen könnte und Es nickte kaum merklich. Also kamen wir näher an Es heran, und als wir auf etwa zwei Meter herangekommen waren, blieben Andrea und ich stehen.

Jetzt wäre es leicht gewesen, nur noch zwei Schritte und wir wären bei Sasha gewesen, aber das ging nicht. Wie ein Barriere lag etwas zwischen uns, das wir nicht durchbrechen konnten. Vielleicht hing es mit der Strahlung die Sasha umgab zusammen, vielleicht war es auch nur eingebildet, das spielte keine Rolle.

Jetzt musste Andrea nicht mehr so laut reden und das war auch gut so. Es war nicht die Art von Kommunikation, die ich mir wünschte.

Doch wie es jetzt weitergehen sollte, wussten wir auch nicht.

Seltsamerweise machte Sasha den ersten Schritt. Es drehte sich um und winkte uns, damit wir mit Es gingen, wobei schon wenige Sekunden später klar wurde, dass wir mit ins Haus kommen sollten.

Andrea war selber noch nie mit in dem Haus gewesen, von daher wunderte es uns schon, dass es jetzt geschah.

Im Haus angekommen wunderten wir uns nicht schlecht, wie es darin aussah denn viel trister hätte es gar nicht aussehen können.

Das Haus war fast vollkommen leer. Nur in einem Raum hatte Sasha eine Matratze auf den Boden gelegt, auf der ungemachtes Bettzeug lag, als wenn Es gerade erst daraus heraus gekrabbelt wäre. Zu der Matratze waren noch vier Sitzsäcke in einer Ecke platziert, wobei in drei von ihnen große Stofftiere saßen. Nur ein Sitzsack sah so aus, als wenn er benutzt wurde.

Ansonsten war im Raum nichts mehr zu finden bis auf einen niedrigen Tisch, um den die Sitzsäcke gruppiert worden waren.

Sasha ging zu diesen Säcken und hob zwei der großen Stofftiere aus ihrer Position und machte uns Platz, damit wir uns setzen konnten.

Dies taten wir dann auch, und als wir saßen, drehte Es sich um und verschwand in einer Richtung, die sicher zur Küche ging. So ähnlich war es jedenfalls in unserem Haus. Dann hörten wir Sasha herumwerkeln und etwa zwanzig Minuten später kam Es mit drei Pizzen und einer großen Flasche Cola wieder.

Auch wenn es nichts sagte, so war seine Gastfreundschaft gar nicht einmal so übel. Nicht überall bekamen fremde Menschen etwas zu essen und trinken.

Wenige Minuten später saßen wir zusammen und aßen die Pizzen, als wenn wir es immer schon getan hätten. Dabei waren wir die ganze Zeit neugierig aufeinander, zumindest hatte ich den Eindruck, denn Sashas Augen sahen schon wenig später eher interessiert aus, als ängstlich.

Dieses Gefühl hatte wohl abgenommen, da Es mich nicht mehr als ängstigend oder Bedrohung ansah.

Während dieser Zeit beobachtete Andrea uns genau und es schien ihr zu gefallen, was sie sah. Vielleicht hatte sie darauf gehofft, dass es so sein würde, wobei ich nicht sagen konnte, warum. Das lächeln, was sie immer zeigte, wenn sie zufrieden war, umschmeichelte ihren Mund und das nahm ich wiederum wohlwollen wahr.

Plötzlich und unerwartete fiel ich fast aus meinem Sack, denn ich glaubte zu träumen.

Eine kindliche Stimme erfüllte den Raum, obwohl Sasha gar nichts sagte. Das glaubte ich jedenfalls, denn Es bewegte nicht die Lippen. Trotzdem war die Stimme da und ich drehte mich von links nach Recht, während ich noch das letzte Stück Pizza in der einen Hand hielt, um heraus zu bekommen, von woher es kam.

Einen Lautsprecher hätte ich in dem Raum sofort sehen müssen, denn die Wände waren einfach nur weiß gestrichen, und da kein Bild an der Wand hing oder sonst etwas da war, wo man sie hätte verstecken können, konnte ich auch keine entdecken.

Noch während ich mich hin und her drehte, vernahm ich wieder diese Stimme, die jetzt deutlicher wurde und von mir verstanden wurde.

„Guten Tag!“, sagte sie zuerst und dann erst einmal nichts mehr. Dann kam: „Hallo, hörst du mich!“, und ich konnte nur noch „Ja“ sagen.

„Du brauchst nicht zu sprechen!“, sagte die Stimme, „Denken reicht vollkommen aus. „

Ruckartig drehte ich meinen Kopf in Sashas Richtung auf dessen Lippen sich ein Lächeln abzeichnete genauso, wie Andreas umso bereiter wurde, als sie es merkte.

Sasha kommunizierte also nicht per Sprache, sondern umging diese unzuverlässige Art und schickte seine Worte gleich direkt und ohne Umweg in mein Gehirn.

Ein Telepath, ging es mir durch den Kopf und ohne etwas dagegen tun zu können, antworte Sasha mit einem einfachen „Jepp!“

Es konnte mir also nicht nur etwas zuschicken, sondern hörte ebenfalls meine Gedanken. Eine erstaunliche, aber genauso gefährliche Sache.

Immerhin wusste ich ja nicht, wie ich mich davor schützen konnte. Dabei fiel mir erst jetzt ein, dass Es wahrscheinlich schon die ganze Zeit verfolgt hatte, was ich dachte.

Auch das quittierte Es mit einem „Jepp!“ und grinste dabei noch breiter als zuvor.

Ein Teufelskreis, aus dem man nicht mehr herauskam. Böse, sehr böse. Man konnte nichts vor Es verheimlichen, konnte Sasha nichts vorspielen.

Allerdings hatte dieses Spiel zwischen uns beiden einen Vorteil.

Hatte Es zuvor noch sehr traurig geschaut, war diese inzwischen anders geworden, denn durch das Lächeln im Gesicht, wirkte Es fast schon fröhlich.

Auch wenn wir, insbesondere ich gerne noch länger geblieben wären, wollten wir Sasha nicht mit unserer Anwesenheit zu sehr anstrengen. Also verabschiedeten wir uns schon recht bald, wobei wir aber versprechen, mussten wieder zu kommen. Dies zu versprechen war kein Problem, denn Es interessierte mich ungemein und ich meinte etwas wie Einsamkeit zu spüren.

Kaum waren wir wieder zuhause angekommen, hatte ich mehr Frage im Sinn als antworten und wollte sie mit Andrea besprechen. Doch Andrea wusste ebenfalls nicht viel mehr. Sie hatte zwar mit Sasha kommuniziert, aber eigentlich nie lange, wobei eher sie ihre Gedanken an Es geschickt hatte als anders herum. Dass Andrea mir das allerdings nicht vorher gesagt hatte, hielt ich ihr noch lange vor.

Sie war aber der Meinung gewesen, dass sie es viel spannender gefunden hätte, wenn ich es herausbekommen würde.

Außerdem war vor noch wenigen Tagen dazu gar keine Veranlassung gewesen, den ich hätte mich sowieso nicht in der Nähe von Sasha aufhalten können. Das war einer der Gründe, es mir nicht zu sagen. Warum auch. Dieses Wissen hätte mir nichts gebracht. Da musste ich ihr, wie so oft, vollkommen zustimmen.

Die Sache mit Sasha war jetzt also erst einmal geklärt.

Kapitel 40

Als nächstes Ziel war von meiner Seite Karel.

Er oder seine dringend benötigte Fähigkeiten, waren auf unserer Wunschliste ganz weit oben. Doch wie sollte ich etwas aus ihm herausbekommen.

Entweder ich fiel mit der Tür ins Haus, was zwar die einfachste aber zugleich auch die dümmste sein konnte, oder er brauchte sorgfältige Vorbereitung. Dumm war nur, dass wir eigentlich für eine sorgfältige Vorbereitung gar keine Zeit hatten. Inzwischen fielen mir langsam aber sicher meine Haare aus und meine Haut hatte ebenfalls keinen sehr gesunden Anstrich mehr.

Also blieb eigentlich nur Methode Nummer eins. Doch wie sollte ich den beiden dieses sicherlich gewagte Unternehmen schmackhaft machen? Immerhin hatten sie anscheinend keine Veranlassung die Insel zu verlassen.

Trotzdem setzte ich alles auf eine Karte. Es blieb uns nichts anderes übrig.

Schon am Abend des nächsten Tages ging ich zu Katja und Karel herüber und tat zuerst so, als wenn es nur ein Höflichkeitsbesuch unter Freunden wäre.

Dabei hatte ich nur die Jahrhunderte lange Erfahrung der beiden vergessen. Sie merkten relativ schnell, dass ich irgendwas von ihnen wollte.

Irgendwann sagte darum Karel zu mir: „Junge, hör mal, willst du uns nicht endlich sagen, was du wirklich willst? Wenn du so weiter machst, dann wird das heute nichts mehr!“

Damit durchkreuzte er meine Strategie und ich wusste nicht wirklich mehr, wie ich anfangen sollte. Also suchte ich mir in meinen Gedanken die Methode aus, die ich für die am besten geeignete Taktik hielt.

„Ehhmm“, saget ich relativ lang gezogen um noch etwas Zeit zu gewinnen. „Ich wollte eigentlich nur mal fragen, ob du heute noch ein U-Boot fahren könntest?“

Karel sah mich etwas verwirrt an, sagte dann aber: „Wenn es sich nicht um ein modernes Atom-U-Boot handelt, dann denke ich schon, dass ich das noch hinbekommen würde, allerdings nicht alleine. Ich bräuchte noch mindestens drei bis vier Leute dazu. Wieso fragst du?“

Mit dieser Frage war mir klar geworden, dass er nichts von dem U-Boot Hafen unter der Erde etwas wusste.

Das war schon einmal gut so. So war der Moment der Überraschung auf meiner Seite.

Jetzt ließ ich die Katze aus dem Sack, denn ich wollte einfach nicht mehr um den heißen Brei reden, was auf die Dauer sowieso nicht gut gegangen wäre. Also erzählte ich den beiden ohne Umschweife von unserem Vorhaben und ließ auch nichts aus, was wichtig gewesen wäre.

Als ich ihnen alles erzählt hatte was ich geradezu erleichtert, wobei die Spannung in mir wuchs, was folgen würde.

Die beiden sahen mich länger an als sie es sonst sicher getan hätten. Dann meinte Karel.

„Das meiste, von dem was du uns erzählt hast, kenne ich schon. Ist nichts Neues, und das was ich nicht weiß, interessiert mich nicht. Aber was soll ich dazu sagen? Zum einen ist es verrückt, was ihr da vorhabt, auf der anderen Seite geht es mir hier so gut, wie nie zuvor.

Nenne mir dabei nur einen Grund, warum wir beide mitmachen sollten?“
Ehrlich gesagt wusste ich das auch nicht und das war von Anfang an die Schwachstelle meiner Taktik. Ich hatte gehofft, dass sie selber einen Vorteil dabei für sich entdecken würden, aber den gab es anscheinend nicht. Also war alles umsonst.

„Aber mach dir keine Sorgen. Wir werden euch nicht daran hindern oder es anderen verraten, dass ihr hier weg wollt.

Immerhin wird dann hier wieder mal was los sein. Ist doch schon etwas langweilig hier!“

Karel grinste bei dieser Antwort, wobei Katja nur nachdenklich dabei zuhörte. Sie sagte nie viel, hörte aber immer sehr genau zu, davon war ich zumindest überzeugt.

Also war von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten und somit zerschlug sich unser bester und ehrlich gesagt, auch einziger Plan.

Ich verabschiedete mich von den beiden und ging sehr betrübt zurück zu unserem Haus, wo mich Andrea schon erwartete.

Aber da sie sah, wie betrübt ich zurückkam, konnte sie sich das Ergebnis schon vorstellen, ohne das ich es ihr sagte. Der Abend verging entsprechend trübe und wir saßen uns im Prinzip stumm gegenüber und dachten an nichts mehr. Uns wollte einfach nichts mehr einfallen.

Gegen morgen klingelte es auf einmal und ich war mehr als erstaunt, als Katja vor der Tür stand. Sie begrüßte mich und ich lud sie ein, hereinzukommen.

Alleine die ungewöhnliche Tatsache, dass sie alleine zu uns kam, war schon so erstaunlich, dass ich mehr als neugierig darauf war, was sie wollte.

Auch Andrea mache ein sehr erstauntes Gesicht, als sie Katja sah, und sah mich fragend an und ich zuckte mit der Schulter.

„Ich wollte eigentlich nicht lange bleiben!“, sagte Katja, setzte sich aber trotzdem auf einen unserer Sessel, allerdings nur gerade auf die Kante, um ihrem kurzen Aufenthalt Glaubwürdigkeit zu verleihen.

„Also Kinder, ich habe gestern noch lange mit Karel gesprochen. Ich weiß doch, dass er nur abgelehnt hat, weil ich hier bin. Es ist ihm schon lange zu langweilig hier, um nicht zu sagen, er langweilt sich hier noch zu Tode. Ich kenne die Anzeichen genau, wenn es soweit ist, dass er einfach weg muss. Er wird hibbelig und kann kaum noch auf seinen vier Buchstaben sitzen.

Eigentlich hat er nur auf eine Chance gewartet, dieser allgemeinen Langeweile zu entkommen und dann kommst du und gibst ihm eine Chance auf ein Abenteuer.

Wie schon gesagt, er will es eigentlich nicht, weil er sich Sorgen um mich macht, aber das habe ich im heute Nacht ausgetrieben. Ich habe schon immer längere Zeit ohne ihn verbracht und ich glaube nicht, dass mir hier etwas passiert.

Ich wollte euch also nur mitteilen, dass er bereit ist mitzukommen, aber eine Bedingung hat. Er wird nur solange bei euch bleiben, bis ihr in Sicherheit seid, dann wird er zu mir zurückkommen.

Ach ja, wenn es soweit ist und ihr einen Plan habt, dann sagt ihm Bescheid. Den Plan müsst ihr selber machen, damit will er nichts zu tun haben. „

Mit diesen Worten stand sie auf und ging zur Tür, ohne auf uns zu warten. Dabei meinte ich so etwas wie eine Träne, über ihre Wange laufen zu sehen. Da ich nicht so schnell reagieren konnte, hörten wir schon wenig später das klappen unserer Haustür.

Dann herrschte vollkommene Stille im Raum.

Andrea und ich sahen uns an und ich glaubte geradezu zu hören, wie unsere Gehirne wieder auf volle Touren ansprangen. Gedanken kreisten in den Windungen und beide entwickelten wir einen Plan, der funktionieren konnte. Dann verglichen wir diese und waren sehr darüber erstaunt, dass sie fast gleich waren. Nur einige kleine Einzelheiten waren noch aus dem Weg zu räumen und dabei zeigte Andrea eine erstaunliche Kreativität.

Was war mit Sasha. Wenn Es eventuelle ebenfalls mit wollte, wie sollten wir Es mitnehmen. Für uns beiden war das kein Problem, aber für die anderen Flüchtenden. Außerdem war da noch die Frage, wie wir Es an Bord bringen sollten, ohne dass es nicht schon bei dem Betreten des Hafens viel Menschen in den Tod riss. Einmal abgesehen davon war die Frage offen, wenn Es mitkam, wohin wir gehen konnten.

Ansammlungen von Menschen waren nicht der Ort, wohin man jemanden wie Sasha bringen konnte, es sei denn, man wollte ihn als Waffe einsetzten.

Der Gedanke, „als Waffe einsetzten“, hallte dabei immer noch in meinem Kopf nach und machte mich nachdenklich.

Sasha war hier, das war schon einmal klar und ließ sich nicht von der Hand weisen. Aber wie war Es überhaupt hierher gekommen. Es musste doch zuvor irgendwo anders gewesen sein, geboren worden sein.

Doch je länger man darüber nachdachte, umso mehr kam zumindest ich zu der Überzeugung, dass auch hier etwas nicht stimmte. Warum war mir das vorher nicht aufgefallen.

Das musste ich einfach noch herausbekommen und ich teilte Andrea dies mit.

Sie hatte schon ähnliche Gedanken gehabt, aber hatte dieses immer wieder verworfen. Vielleicht wollte sie einfach nicht darüber nachdenken, denn wenn man es sich genau überlegte, konnte Sasha nur von dieser Insel selber und nicht hier hergebracht worden sein.

Aber wie konnte das möglich sein.

Es blieb uns nur eine Möglichkeit dieses heraus zu bekommen. Da wir sowieso noch mit Sasha reden wollten, konnten wir dies gleich noch mit ihm klären.

Kapitel 41

Also gingen wir beide gleich zu ihm hinüber denn wir brauchten uns keine Gedanken darüber machen, ob Es da war.

Bei dem Haus angekommen, kam Es sogleich heraus und begrüßte uns mit wirklich freundlichen Worten und ließ uns ins Haus.

Hier setzten wir uns wieder so hin, wie schon einmal und begannen Sasha über die Lage aufzuklären.

Es hörte uns genau zu und unterbrach uns nicht ein Mal, antwortete erst, als wir fertig waren.

Was dann dabei raus kam, fing erst harmlos an, wurden dann aber zu einer der traurigsten Geschichten, die ich jemals gehört hatte.

Zuerst war Es noch sehr verhalten, freute sich aber darüber, dass wir an Es bei unserer Flucht bedacht hatten.

Dabei war Sasha allerdings mehr als bewusst, dass Es ein Risiko für die darstellte, die mit uns flüchten wollten. Ebenso war das Ziel ein Problem für uns alle, denn wo wollte Sasha schon leben. Alle um ihn herum außer Andrea und ich würden verrückt werden.

Auf der anderen Seite waren Andrea und ich die Einzigen, die es gut mit Es meinten und die es auch in seiner Nähe aushielten. Auch wenn er Andrea und mich erst kurz kannte, wollte er es nicht mehr missen Kontakt zu einem anderen Menschen zu haben.

Es war einsam und wollte nicht wieder alleine gelassen werden, wollte also mit uns mit und hoffte einfach darauf, dass uns etwas dazu einfiel.

Dann berichtete Sasha uns, wie Es hierher gekommen war, wobei ich nicht alles aufschreiben, werde was Es uns übermittelte, denn es würde einfach zu lang werden.

Sasha war wie schon vermutet nicht auf die Insel gebracht worden, sondern hier gezeugt worden. Zumindest war das sein Wort dafür, da Es dies nicht anders beschreiben konnte.

Seine ersten Bilder seines Lebens die sich in sein Gehirn eingebrannt hatten waren elternlos. Es hatte in diesem Sinne nie Eltern gehabt, zumindest keine, die sich um ihn als solche gekümmert hätten. Ob er nun von einem Elternpaar abstammte die besondere Fähigkeiten hatten, konnte Es nicht sagen, aber das sie sich niemals zu erkennen gegeben hatten, das wusste Es genau.

Bis Es etwa acht Jahre alt gewesen war, hatte Es in dem Sinne eine normale Kindheit gehabt und war mit anderen Kindern in die ansässige Schule gegangen.

Doch dann hatte man Es von den anderen getrennt, hatte Es in die verschiedensten Labore gebracht und wieder und wieder untersucht.

Das war mit den anderen Kindern zuvor auch passiert, aber die waren nur kurz untersucht worden und verschwanden dann auf einmal. Sasha hatte sie niemals wieder gesehen und es machte ihn mehr als traurig, denn unter diesen Kindern waren die einzigen Freunde gewesen.

Doch sein Aufenthalt in der Schule war nur noch von kurzer Dauer, beschränkte sich nur noch auf wenige Tage, dann verschwand Es ebenfalls, aber unter die Erde.

Zumindest drückte Sasha es aus, wobei immer mehr auffiel, dass seine Art zu kommunizieren auf eine sehr einfache Art geschah. Sicher war es telepathisch, aber die Wortwahl war sehr einfach. Schon daraus konnte man ableiten, dass Es entweder noch sehr jung war, oder hatte nur selten wirklichen Kontakt mit außenstehenden gehabt, was zumindest jetzt nicht verwunderlich war.

Man merkte Sasha an, wie sehr ihn die Erinnerungen an die folgende Zeit trafen.

Man konnte förmlich spüren, wie die erlebten Emotionen auf einen übergingen.

Sicher, Es konnte uns nicht so manipulieren wie andere Menschen, aber man merkte es trotzdem. Es lag Verzweiflung in der Luft, die sich wie eine elektrische Ladung spüren ließ.

Sasha beschrieb daraufhin, wie Es unter der Erde in eine Art Zelle gesperrt wurde. Dieser Raum war mit einem Bett, einem Stuhl und einen Tisch, sowie einem Schrank ausgestattet gewesen, wobei die Wände vollkommen weiß waren.

Dazu kam nur noch eine an der Decke hängende Neonröhre, die sich aber weder an noch ausmachen ließ. Diese wurde aus der Ferne gesteuert, wobei gleich neben der Lampe eine Kamera angebracht war, die den ganzen Raum ablichten konnte. Beides war in einem Stahlkäfig angebracht und relativ hoch angebracht. Doch man wäre sowieso nicht daran gekommen, da alle Möbel im Boden verankert waren. Das Einzige was man hätte werfen können wäre zum Beispiel eine Rolle Toilettenpapier gewesen, die neben der Kloschüssel hing, die ebenfalls in der Zelle untergebracht war.

Ansonsten war außer der Kleidung, die man trug und in dem Schrank war, nichts da, womit man hätte werfen können.

Allerdings verbrachte man die meiste Zeit nicht in dieser Zelle, denn Es wurde jetzt wieder stundenlang untersucht und es wurden Experimente gemacht die Sasha bis heute nicht verstanden hatte. Später wurde Sasha mehrmals in Narkose versetzt und irgendwas mit ihm gemacht, wovon er nichts mitbekam. Nur wenn Es aufwachte, hatte Es eine Narbe mehr, meistens am Kopf.

Außerdem wurde Sasha immer wieder irgendeine Substanz gespritzt, von der Es nicht wusste was es war. Es versuchte sich dagegen zu wehren, hatte aber keine Chance, entweder wurde Es dabei von mehreren anderen Menschen festgehalten oder mit einem anderen Medikament ruhiggestellt.

Zum Schluss wurde es so schlimm, dass sie Sasha bei vollem Bewusstsein am Kopf operierten, wobei Es so fixiert wurde, dass Es sich nicht einen Millimeter bewegen konnte.

Wenn sie es taten, hatte Es fürchterliche Angst, da Es nicht wusste, was passieren würde. So konnte es passieren, dass sie etwas an Es machten und Es spürte dies sofort. Sie lösten Gefühle wie Hunger aus oder es tat auf einmal etwas weh. Schrecklich wurde es dann, wenn seine Sinne beeinflusst wurden oder gar seine Gefühle. Sie konnten Angst und Freude auslösen oder in für wenige Sekunden blind machen. Dabei hatte Es dann wirkliche Angst, dass dieser Zustand bleiben würde.

Irgendwann machten sie dann einen Fehler, den sie aber nicht gleich bemerkten. In diesem Sinne keinen Fehler für Sasha, sondern für sich selber. Länger hatte Es in den einsamen Stunden in der Zelle bemerkte, dass sich in seinem Kopf etwas veränderte, wobei Es nicht sagen konnte, ob es mit den Operationen zusammenhing. Es konnte geradezu spüren, wie seine Hirnaktivität immer stärker wurde. Dabei machte Es die Entdeckung , dass es anderen Menschen telepathisch etwas mitteilen konnte.

Wenn Es also direkten Kontakt mit jemandem hatte, machte es Sasha unheimlichen Spaß diesen zu erschrecken. Er formte Worte so, dass derjenige meinte, dass jemand hinter ihm stehen würde, dort aber keiner war. Die Reaktion darauf gefiel Es immer mehr. Es war die kleine Rache, die Es bereithielt für jeden, der Es ärgerte.

Irgendwann, bei einer der nächsten Operationen merkte Sasha auf einmal, dass ein unbedachtes Handeln an seinem Gehirn etwas auslöste.

Es fühlte sich an, als wenn sein Kopf zuvor eine unter Druck stehende Flasche gewesen wäre und jetzt jemand den Korken herausgezogen hätte.

Da Sasha sich die letzten Male nicht mehr gewehrt hatte, als man Es abgeholt hatte, war man davon überzeugt gewesen, dass es reichte Es nicht mehr festzuschnallen, sondern es standen nur noch zwei, wenn auch sehr starke Männer daneben, um eingreifen zu können, falls Es nicht ruhig blieb.

An diesem Tag war das ihr Todesurteil, wenn auch nicht gleich. Die Operation verlief anscheinend so, wie man es erhofft hatte und Sasha wurde wieder in seine Zelle gebracht. Hier aktivierte Es seine Kräfte und schaffte es diese zu steigern. Es konnte dies geradezu körperlich fühlen, wie seine Stärke wuchs. Da man Sasha mehrere Tage Ruhe gönnte und nur das Nötigste zukommen ließ, war Es mit sich und seinen Kräften alleine und die stiegen und stiegen immer mehr.

Schon zwei Tage später hatte Es sie aber schon fast nicht mehr unter Kontrolle. Seine Ausstrahlung wurde zu einem Normalzustand und jetzt musste Es gewaltige Energie aufwenden, um es zu unterdrücken. Das brachte Sasha dann den Durchbruch.

Immer, wenn er jemanden hörte, der vor seiner Zelle vorbei ging, drosselte er seine Fähigkeiten so weit es ging, bis er den Schlüssel hörte, der seine Zelle aufschloss.

Die beiden Aufpasser kamen herein und holten Es ab.

Dabei tat Sasha so wie immer und ließ sich in das Labor bringen, wo Es schon so oft gewesen war. Doch in dem Moment, als man Sasha auf die OP-Liege legen wollte, begann die Büchse der Pandora ihren Inhalt auszuschütten.

Der Erfolg war enorm. Alle die in diesem Labor waren wurden sogleich jeder auf seine Art wahnsinnig. Besonders die beiden, die bei Sasha standen, bekamen gleich die volle Entladung seiner Fähigkeiten ab.

Sie stürzten gleich zu Boden, ohne noch ein Wort sagen zu können. Dann drehte sich Sasha um und wollte seine anderen Peiniger strafen, aber das brauchte Es nicht mehr, denn selbst die, die nicht direkt angegriffen wurden, waren dem Wahnsinn verfallen. Sie hatten sich inzwischen selber damit beschäftigt, entweder sich selber oder einen anderen umzubringen.

Sasha sah diesem tun nur gefühllos zu, und als alle unrettbar verloren waren, umspielte ein leichtes Grinsen seinen Mundwinkel.

Es hatte jetzt freie Bahn und begann nach denen zu suchen, die Es auf seiner Liste hatte. Alle, die ihm irgendwann etwas angetan hatten, sollten dafür büßen. Dazu ging Es durch die unterirdischen Gänge soweit Es sie kannte und richtete seinen Zorn gegen alle, die es nach Sashas Meinung verdient hatten. Wie im Rausch ließ er seiner Wut freien Lauf.

Zum Schluss achtete Sasha nicht mehr darauf, wohin er lief und kam an einer Treppe an, die nach oben ging.

Genau dorthin wollte es und so stieg er hinauf. Am Ende der Treppe kam Es an eine Tür, die nicht verschlossen war. Als es sie öffnete, wurde ihm gleich klar, wo Es sich befand.

Diese Tür führte in das Büro des Schulleiters und war Es schon einmal aufgefallen, als Sasha einmal zum Leiter musste.

Sofort war Sasha klar, wohin die anderen Schüler verschwunden waren, die Es niemals wieder gesehen hatte.

Ob sie allerdings noch dort unten waren, wusste Es nicht und wollte auch nicht mehr dort herunter. Also durchquerte Es die Schule, hatte dabei aber nicht bedacht, dass sich seine Fähigkeiten auch hier ausbreiteten.

Ohne es zu wollen, begann ein Massensterben auch hier in der Schule, und als Es diese bemerkte, rannte es so schnell wie möglich aus der Schule, um dies wenigstens etwas teilweise zu unterbinden. Ob es allerdings etwas geholfen hatte, war nicht klar, denn Es konnte ja nicht nachschauen.

Zum Schluss lief Sasha ziellos durch die Straßen, fand das Haus offen, wo er sich bis heute aufhielt, und zog dort sozusagen ein.

Wenig später versuchte man Sasha mehrfach zu einem Zurückkommen zu bewegen, das endete aber immer tödlich. Sasha wäre niemals zurückgegangen und das war auch vollkommen verständlich.

So lebte Es hier in diesem Haus und wurde soweit in frieden gelassen, wie Es dies wollte.

Doch es war ein einsames Leben, und als Andrea zu Sasha gekommen war und seine Fähigkeit ihr nichts anhaben konnte, bekam Es seit langer Zeit wieder Angst. Doch die verringerte sich mit dem Wissen, dass Andrea nicht geschickt worden war, Es etwas anzutun.

Soweit die Geschichte von Sasha in Kurzform. Es erzählt uns zwar noch mehr, besonders über die Leiden, die Es hatte, ertrage müssen. Schmerzen, Einsamkeit und die Ungewissheit über die weitere Zukunft hatten Es ertragen müssen und es war fast ein Wunder, dass Es uns schon nach so kurzer Zeit vertraute.

Vielleicht auch deshalb, weil Es einfach satt hatte, alleine zu sein.

Über eines waren wir uns nun einig, Sasha musste mit uns mit, egal wie, denn irgendwann würde sie ein Mittel finden Es entweder los zu werden oder für Ihre Forschungen in die Finger zu bekommen. Beides würde für Sasha entweder den Tod oder eine vielleicht endlose Folge von weiteren Quälereien bedeuten. Somit waren wir sieben Personen, die sich auf die Flucht machen würden.

Sasha, Kalle, Denice, Michelle, Karel und natürlich Andrea und ich. Katja würde auf der Insel bleiben und war sich sicher, dass ihr nichts passieren würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie ein einer ähnlichen Situation gewesen war und bis jetzt war ihr noch nie etwas passiert.

Wir verteilten die einzelnen Aufgaben und waren schon einen Tag später damit fertig, denn die Zeit drängte.

Meine Haare waren inzwischen alle ausgefallen und meine Haut wurde langsam Weiß.

Es würde nicht mehr lange dauern und es würde auffallen. Was dann mit uns geschah, besonders mit Andrea konnte man sich lebhaft vorstellen. Wenn sie mich so verändern konnte, dann auch andere.

Alleine, wenn ich mir eine Armee vorstellte, die Menschen mit den Fähigkeiten von Andrea, Sasha und Denice ausgerüstet waren, dann wurde mir ganz anders. Wer könnte eine solche Armee auf lange Zeit gesehen aufhalten. Keiner!

Wir mussten also hier weg, egal wie.

Es gruselte uns nur sehr, da wir nicht wussten, was sich hier sonst noch an Menschen aufhielt. Welche weiteren Fähigkeiten waren hier noch versammelt und vor allem, was war noch unter der Erde. War Sasha das Einzige gewesen oder….

Alleine aus diesem Grund änderten wir noch einmal unseren Plan, wir konnten nicht einfach so gehen, ohne diese Frage geklärte zu haben.

Kapitel 42

Zwei Tage später waren wir soweit.

Es war der Tag, an dem normalerweise die Transportmaschine kam. Zuerst hatten wir noch überlegt durch den Eingang in der Schule nach unten zu gelangen, aber das war mit einem zu großen Risiko verbunden. Über die Sicherheitsmaßnahmen über den LKW-Zugang wussten wir dank Denice und Michelle Bescheid. Über den Gang unter der Schule wussten wir nichts. Außerdem wussten wir nicht, wie und ob man über diese Labore zum U-Boot gelangen konnte.

Wir wollten es also anders versuchen.

Frühzeitig genug kamen wir am Eingang für den LKW an und saßen mit klopfendem Herzen dort im Dickicht des Waldes. Wir waren in dem Falle alle außer Sasha, denn wir hatten Es nicht jetzt nicht mitnehmen können. Die Ausstrahlung war zu groß und hätte außer Andrea und mich alle wahnsinnig gemacht. Sasha würde aber auf einem anderen Weg an Bord kommen, dabei hofften wir nur, dass wir Es weit genug von den anderen im Boot platzieren konnten, damit nichts passieren konnte.

Wir hatten die anderen auf die Gefahr hingewiesen aber sie hatten einstimmig erklärt, dass sie mit dem Versuch einverstanden waren. Michelle, die sowieso keine Angst kannte, war es sowieso egal, wobei ich mich geradezu fragte, ob es vielleicht geradezu eine Herausforderung für sie war. Zumindest glaubte ich eine Art leuchten in ihren Augen zu sehen, wenn wir von Sasha sprachen.

Man hätte fast die Uhr danach stellen können, als sie Transportmaschine zu hören war.

Die Geräusche der Propeller verstummten schnell und schon wenig später fuhr der LKW das erste Mal über die Straße Richtung Siedlung. Das wiederhole sich wie gewohnt ein paar Mal, doch trotzdem stieg die Spannung mit jedem Mal, da es sich jedes Mal um die letzte Fahrt handeln konnte.
Die kam dann auch wie vorausgesehen und die Klappe fuhr langsam auf.

Wir schafften es alle hinter dem LKW in den Tunnel zu schlüpfen und verschwanden, wenn auch relativ stark gedrängelt, in der Nische am Anfang des Tunnels.

Jetzt war etwas warten angesagt, denn wir wollten nicht durch Zufall entdeckt werden. Außerdem hatten wir ja Zeit, denn über diesen Weg wollten wir nicht wieder heraus, das stand fest.

Als Erste ging natürlich Denice in den Tunnel, wobei ich mich wieder darüber wunderte, wie sie auf einmal durchsichtig wurde und nur noch ihre Augen durch die Luft hüpften. Hinter ihr dann Michelle, die uns immer Zeichen gab, wenn irgendwo eine Kamera hing oder es sonst etwas zu beachten war.

Das ging ohne Zwischenfälle denn es war den Beiden alles bekannt, bis wir am unterirdischen Hafen ankamen. Hier fanden wir ebenfalls eine Möglichkeit uns zu verstecken und konnten von dort aus alles überblicken.

Soweit hatten wir es also geschafft. Das war aber der leichteste Teil gewesen. Denice schlüpfte zwar hier und dort hin und sah sich alles genau an, konnte aber keinen Weg finden, wie wir zum U-Boot kommen sollten, ohne gesehen zu werden.

Aber das löste sich auch relativ schnell.

Wenn jemand Erfahrung hatte, was Abenteuer betrifft dann wohl Karel. Wir hielten die Luft an, als er einfach aus dem Versteck trat und langsam aber sicher auf das U-Boot zu schlenderte. Er tat dabei, als wenn er dies jeden Tag tausend Mal machte und keiner hielt ihn dabei auf, obwohl er schon vom Äußeren her hier nicht sonderlich gut hinpasste.

Er ging aber nicht direkt auf das Boot zu, sondern hielt sich dabei relativ dicht an der Wand auf, bis er an einem Haufen Kisten vorbei kam.

Dort verschwand er in einem Augenblick, als er meinte, von niemandem gesehen zu werden.

Wir waren darauf gespannt, was er weiter machen würde, denn dieser Teil war so nicht abgesprochen gewesen. Wir hatten uns eigentlich darauf geeinigt, das an Ort und Stelle, situationsbedingt zu entscheiden. Diese Entscheidung war uns nun aus den Händen genommen worden.

Es dauerte eine kleine Weile, als einer der Arbeiter an dem Stapel vorbei lief, um irgendwohin zu kommen.

Da wir wussten, dass Karel dort irgendwo stecken musste, sahen wir natürlich dort hin. Ein Arm kam mit unheimlicher Geschwindigkeit aus dem Stapel geschossen und die daran befindliche Hand legte sich sofort auf den Mund des Mannes, dann würde er mit unheimlicher Kraft nach hinten gerissen und verschwand im Stapel.

Liedschläge später meinte man, einen Spuk gesehen zu haben, denn es lag alles so ruhig da, wie zuvor. Das Einzige, was passierte war, dass Karel etwa zehn Minuten später, vorsichtig um sich schauend, aus dem Stapel stieg und vollkommen verändert aussah.

Auch wenn die Klamotten die er jetzt trug nicht wirklich gut passten, sah er doch aus, wie die anderen Arbeiter hier unten.

Was allerdings mit dem Arbeiter geschehen war, den er für den Bekleidungswechsel gebraucht hatte, wussten wir nicht. Aber ehrlich gesagt, wenn ich überlegte, wo Karel schon alles gewesen war, machte ich mir keine großen Illusionen über dessen Schicksal. Es war wirklich gut, dass Karel auf unserer Seite stand.

Jetzt hatte sich nicht nur Karels Äußeres vollkommen geändert, sondern auch seine Taktik. Jetzt hielt er direkt auf das Boot zu und tat zumindest so, als wenn er ebenfalls arbeiten würde. Mal hier, mal dort stellte er eine herumstehende Kiste um oder machte etwas anderes, was nach Arbeit aussah. Dabei kam er dem U-Boot aber immer näher. Zum Schluss kam er einer geöffneten Ladeluke so nah, dass er ungesehen hineinschlüpfen konnte.

Dann war er nicht mehr zu sehen.

Doch das war erst einmal nicht unsere Sache. Was er dort unten machte, wollte ich ehrlich gesagt gar nicht wissen. Sicher sah er sich das Boot soweit an, wie es ging, um sich einen Überblick zu verschaffen. Wir wollten aber etwas ganz anderes und warteten auf den Moment, wo wir aus unserem Versteck kommen konnten, um uns weiter umsehen zu können. Wir wollten noch nach den beschriebenen Zellen umsehen und mussten dazu in eine andere Richtung.

Aus Sashas Erzählung wussten wir, dass Sie in der Nähe der Schule sein mussten, also irgendwo darunter. Die Richtung kannten wir und uns wurde bewusst, dass es genau die Richtung war, in die der LKW wahrscheinlich weitergefahren war. Zumindest entdeckten wir keinen anderen Tunnel, der in diese Richtung verlief und gleichzeitig groß genug war, um einem LKW-Platz zu bieten.

Zum Glück mussten wir hierzu nicht durch den unterirdischen Hafen laufen, denn dieser Tunnel bog direkt davor ab.

Also liefen wir mehr als vorsichtig aber nicht zu schnell in die Richtung, wobei uns Denice und Michelle wieder als Vorhut dienten.

Hier in diesem Tunnel waren keine Kameras mehr angebracht, was darauf schließen ließ, dass man sich sicher fühlte. Da sich hier auch niemand aufhielt und dieser Tunnel eine leichte Biegung hatte, konnte man uns schon bald nicht mehr sehen und wir atmeten auf, als wir relativ einfach weiter gehen konnten.

Doch nicht lange, denn etwa in der Nähe des angenommenen Schulgebäudes stand auf einmal der LKW in einer rund ausgebauten Höhe, in der er wenden konnte.

Am Ende dieser Höhle war eine große Stahltür, die jedoch offen stand und wir sahen wie mehrere, in weiße Kittel gehüllte Männer, einige Kisten von dem LKW luden und hinter die Tür brachten.

Wie es allerdings danach weiterging, konnte man nicht sehen, denn dahinter war ein Raum mit lauter Regalen, in die die Kisten gestellt wurden.

Michael sahen wir allerdings nicht und das war auch gut so, denn wenn der LKW jetzt wieder gestartet wäre, hätten wir uns nicht vor ihm verstecken können, denn es gab keine Möglichkeit ihm auszuweichen.

Wir sahen dem Treiben solange zu, wie weiter abgeladen wurde, dann war der LKW wohl leer und die Männer verschwanden alle im hinter der Stahltür und wir hörten nichts mehr von ihnen.

Neugierig geworden gingen wir vorsichtig auf die Tür zu, die nicht verschlossen worden war. Hier konnten wir auch erkennen warum nicht, den so, wie es aussah, konnte sie nur von der Seite des Tunnels geöffnet werden. Wenn diese Tür nun zufallen würde, dann kam niemand mehr heraus, auch der Fahrer des LKW nicht mehr. Er hätte eine sehr lange Strecke auf sich nehmen müssen, um wieder hier herkommen zu können.

Ich musste grinsen, als ich den Stein sah, der diese Tür offen hielt. So konnte man die Sicherheitstechnik auch austricksen. Dazu hatte man die Sperrautomatik des Schlosses so manipuliert, dass die Technik meinte, dass die Tür geschlossen war. Es konnten also kein automatischer Alarm ausgelöst werden der anzeigte, dass die Tür offen stand.

Schlecht für die Tür und Sicherheitstechnik, gut für uns.

Der Raum hinter der Tür war schlicht und diente als eine Art Vorraum mit Aufbewahrungsmöglichkeit, sprich mehreren Regalen in denen diverse Kartons warteten, um abgeholt zu werden.

Wahrscheinlich wurden sie dann geholt, wenn der LKW wieder verschwunden war und man Zeit dazu hatte.

Die Neugierde trieb uns weiter bis zu der Tür am anderen Ende des Raums. Hier war ein kleines Fenster eingelassen und man konnte beidseitig hindurchschauen. Wir entdeckten einen längeren Gang dahinter und dass dort niemand war. Praktisch war, dass man auch hier die Sicherheitstechnik außer Funktion gesetzt hatte. Diese Tür lehnte nur an und mit einem kleinen Trick hatte man den Schließmechanismus so manipuliert, dass die Tür nicht mehr zufallen konnte.

Gut, das ich kein Sicherheitsbeauftragter der Anlage war, dann wären spätestens jetzt Köpfe gerollt.

Schon waren wir indem Gang und rochen den typischen Geruch von Bohnerwachs, den ich noch aus Schulzeiten kannte. Dazu kam, dass der Boden mit Linoleum ausgelegt hatte und das verstärkte noch den Charakter von Schule. Es passte einfach, anders konnte man es nicht sagen. Wahrscheinlich eine Schule über uns und hier unten hatte man sich wohl gedacht, dasselbe Material weiter zu benutzten.

Warum auch nicht.

Dann machte der Gang einen Knick und wir hörten ein paar Stimmen.

Wieder schicken wir Denice vor, vorsichtig um die Ecke zu schauen.

Hier gingen mehrere Türen von dem Gang ab und eine davon war geöffnet. So wie es aussah, kamen gerade daher die Stimmen und Denice wagte sich weiter vor.

Es hätte sicher komisch ausgesehen, wenn jemand gerade jetzt zu dem Ausgang oder Eingang, je nachdem wie man es sah, hingesehen hätte, denn ein Augenball schaute vorsichtig um die Ecke.

Doch nicht lange, dann fiel die Tür zu. Mit einem satten Ton fiel sie zu und es war auf einmal Ruhe im Gang. Dann kam Denice aufgeregt zu uns und berichtet uns, was passiert war. Sie war so aufgeregt, dass sie wieder zu sehen war und die Farben auf Ihrer Haut schlierenhafte Muster bildeten, die sich wild ineinander verschlangen.

Sie hatte in den Raum geschaut und gesehen, dass es so ein Raum gewesen war, wie es von Sasha beschrieben worden war.

Es war darin eine Art provisorisches, weiteres Lager eingerichtet worden und hier waren all die Männer inclusive Michael gewesen und stritten sich um irgendetwas. So wie es aussah, waren sie nicht damit einverstanden, wer was trug und diskutierten das erst einmal aus.

Denice fand das es eine gute Chance wäre diese Männer auszuschalten, den die Tür war nur mit einem Holzkeil gesichert gewesen. Ihrer Intuition folgend und mit fast wahnsinnig schlagendem Herz zog Denice den Keil heraus und warf die Tür so kräftig und schnell zu, wie sie nur konnte.

Irgendwie wunderte ich mich über nichts mehr. Ein einfacher Keil war die Lösung, um uns viele Sorgen zu ersparen, dazu kam, das ausgerechnet Denice diese Entscheidung getroffen und dann auch noch ausgeführt hatte. Es war für uns wie ein Wunder und sogar Michelle staunte über Denice, die gleich rot anlief, als sie merkte, wie wir sie anstarrten. Und wenn ich meine, dass sie rot anlief, dann war das wirklich so.

Ihr ganzer Körper wurde so rot wie ein Hummer, der zu heiß gebadet hatte.

Durch diese einfache aber geniale Art hatten wir freie Bahn und mussten uns beeilen, denn wir wussten, nicht wie lange es dauern würde, bis es auffiel. Die Tür konnte man nur von außen öffnen, und ob die Kamera in diesem Raum an war, war fraglich. Immerhin war er zu einem weiteren Lager ausgebaut worden und musste nicht unbedingt überwacht werden.

Zumindest wenn die Sicherheitsmaßnamen funktioniert hätten.

Als wir uns dann weiter in den Gang wagten, hören wir an der Tür wie von innen, wie wild dagegen gehämmert wurde, aber die Tür war so dick und gut gedämmt worden, dass es nur schwach zu uns heraus kam.

Mehrere weitere Türen gingen von dem Gang ab, aber die Türen standen weit auf und waren aus diesem Grund auch nicht besetzt.

Nur die letzten beiden Türen waren geschlossen.

Was uns dahinter erwarten würde, konnten wir nicht sagen, aber wir hatten eine innerliche Hemmung davor, diese zu öffnen. Das wiederum war ein Fall für Michelle. Sie kümmerten solche Gedanken nicht, und da es kein Schloss gab, übernahm sie die Initiative und öffnete die erste Tür.

In dieser Zelle war niemand und wir wunderten uns, warum diese Tür verschlossen war.

Doch dann spürte ich einen Lufthauch und ich wusste, dass doch etwas in diesem Raum gewesen war.

Ich sagte auf einmal einfach: „Hallo!“, und die anderen sahen mich an, als wenn ich nicht ganz dicht gewesen wäre. Doch aus dem Gang, aus dem wir gekommen waren, kam ebenfalls ein, wenn auch verängstigt klingendes „Hallo!“, zurück, als wenn es ein Echo von mir gewesen wäre, nur wesentlich höher. Es war eine Frauenstimme, die ein Unsicheres vibrieren hören ließ.

„Ihr gehört hier nicht her!“ kam die Stimme wieder aus dem Gang. „Woher kommt ihr?“

Lange erklären konnten wir nicht, sagten aber: „Wenn du hier weg willst, komm mit uns, wir wollen ebenfalls hier weg!“

„Ah ha, verstehe“, kam es schon etwas sicherer zurück. „Ist auf alle Fälle besser, als hier zu bleiben. Ich komme mit!“

Auch wenn wir sie nicht sehen konnten, sie war da und wir waren einer mehr.

Aber darauf kam es nicht an.

Blieb die letzte Tür.

Michelle in ihrer unbekümmerten Art griff an die Klinke und öffnete auch diese Tür.

Darin saß ein eher schmächtiger Junge mit tief liegenden Augen und sah uns mit einer abwehrenden Haltung misstrauisch an, erkannte aber recht schnell, das wir nicht das normale Personal hier unten waren. Er senkte langsam seine erhobenen Arme und eine Art neugieriger Blick trat an die Stelle des verängstigten.

„Komm!“, sagte Michelle. „Wir nehmen dich mit!“

Dabei hatte Michelle einen Tonfall aufgelegt, der keine Widerworte duldete. Wie in Trance erhob sich der Junge und kam mit unsicheren Schritten aus der Zelle. Dann sah er sich alle an, die ihm gegenüberstanden und da wir ihm zulächelten, begann er ebenfalls zu lächeln. Dabei konnte man förmlich sehen, dass er erleichtert war. Seine nächsten Schritte waren schon sicherer und dann gingen wir relativ schnell mit ihm und der Stimme aus dem nichts zum LKW, denn wir wollten unser Glück nicht zu sehr strapazieren.

Mehr Zellen hatten wir nicht gesehen und wollten alles andere nicht mehr sehen. Es hätte uns nur Ärger bereiten können, und wenn wir etwas nicht wollten, dann Aufmerksamkeit.

Ich schwang mich in das Führerhaus, denn ich war inzwischen fast genauso bleich wie Michael geworden. Wenn man mich also nicht zu genau ansah, konnte man mich mit ihm sicher verwechseln. So einen fast weißen Kopf gab es nicht alt zu oft.

Die anderen stiegen auf die Ladefläche uns, als sie sich sicher waren, dass die unsichtbare Stimme auch auf der Ladefläche war, machten sie die Plane dicht und ich startete den Motor.

Kapitel 43

Langsam fuhr ich den Tunnel entlang und war wenig später soweit gefahren, dass sich vor mir der Hafen öffnete. Ob Michael manchmal zum U-Boot fuhr um dort selber etwas abzuholen, konnte ich nicht sagen, aber ich nahm es an und fuhr deswegen direkt dort hin.

Da diese anscheinend keiner für verdächtig hielt, konnte ich relativ einfach vor das U-Boot vorfahren, drehte dann, um mit dem hinteren Ende fast gegen die nächste Mauer zu fahren.

Die Gangway war nicht weit weg und ich stieg aus dem Wagen, wobei ich mir noch eine Schirmmütze aufsetzte, die ich im Wagen gefunden hatte.

Es war keine perfekte Tarnung, aber wenn ich sie tief ins Gesicht herunter zog, dann konnte man mich zumindest auf weite Entfernung für Michael halten.

Dann nahm ich neben mir eine Bewegung wahr und sah aber nur zwei Augen, die ebenfalls in Richtung U-Boot sahen.

Denice stand also links neben mir. Doch dann spürte ich ein leichtes Pusten, was in mein rechtes Ohr gelangte. Dazu erklang ein leises Kichern.

Wir waren also nicht nur zu zweit, sondern sogar zu dritt.

Dann setzte ich mich in Richtung U-Boot in Bewegung und stand schon wenig später am Turm, den ich durch ein Schott betrat.

War es zuvor durch die Gabelstapler und anderes Maschinengeräusch relativ laut gewesen, umgab uns auf einmal eine fast gespenstische Stille. Wahrscheinlich war die eigentliche Mannschaft gar nicht an Bord sondern irgendwo anders. Ein oder zwei Mannschaftsdienstgrade hätten vollkommen gereicht, um das Boot zu sichern. Wer sollte dieses Boot schon klauen?

Bei dem Gedanken musste ich grinsen.

Vorsichtig stieg ich den Turm herunter, und als ich unten ankam, stand dort kein anderer als Karel, der mich mit einem breiten Grinsen begrüßte.

„Na, da seit ihr ja, gut wäre es, wenn die anderen auch bald hier ankommen würden. Die Ladung ist fast von Bord und die Mannschaft muss bald wiederkommen. Sind nicht viele, aber das müssen wir uns nicht antun. „

„Die anderen sind draußen im LKW.

Denice kannst du Ihnen Bescheid sagen?“

Ohne eine Antwort zu bekommen, sah ich die beiden Augäpfel im Turm verschwinden.

„Alles ruhig hier. Es waren nur noch zwei andere hier, die machen aber nichts mehr!“

Ich sah Karel an aber der winkte gleich ab.

„Nö, die Leben noch, brauchst dir keine Sorgen machen. Außerdem brauchen wir den einen noch, der ist wichtig. Was ich nicht wusste, ist, dass es dieses Boot keinen normalen Antrieb hat, sondern mit Brennstoffzellen fährt. Super Technik habe mich lange mit befasst.

Leider bekommt man über die Funktion nicht viel raus, schon gar nicht, wie genau es geht. Aber einer der beiden Herren wird sicher dazu bereit sein und dabei zu helfen. Da bin ich mir ganz sicher. „

Erst jetzt sah ich mich richtig um und konnte auf zwei der Sessel im Kommandoraum jeweils Männer sehen, die auf diesen Sesseln saßen und fachgerecht zusammengeschnürt waren. Knebel verhinderten, dass sie etwas sagten.

„Ich habe ihnen gesagt“, meinte Karel leise zu mir, „dass sie sofort tot sind, wenn sie nicht das machen was wir sagen, leider weiß ich nicht ob sie es auch wirklich glauben.

„Och, das haben wir gleich!“, sagte ich und meinte zu der Stimme aus dem nichts, die ich immer noch neben mir wähnte, dass sie sich der beiden annehmen sollte.

Ein Lufthauch traf mich und dann Karel, der sich selber ein wenig überrascht umdrehte.

„Denice?“, kam fragend doch ich schüttelte den Kopf. „Stimmt ja, keine Augen, wer dann?“

Ich hob die Schulter zum Zeichen, dass ich es auch nicht wusste.

Den Erfolg der Operation „Stimme in der Luft“ konnten wir jedoch sehr schnell sehen.

Die beiden auf ihren Stühlen versteiften auf einmal und sahen sich unsicher um. Hin und her gingen ihre Köpfe doch konnten sie nichts sehen. Also gingen Karel und ich zu den beiden herüber und bekamen noch mit, wie eine leicht säuselnde Stimme sagte.

„Ihr werdet nicht merken, ob ich da bin oder nicht.

Doch ich werde da sein, wenn ihr eine Dummheit macht, da könnt ihr euch sicher sein!“

Dann verschwand die Stimme und selbst wir beide wussten nicht, wo sie hin war. Den Lufthauch spürten wir jedenfalls nicht mehr. Nur noch ein leises, fast meckerndes Lachen kam aus einer Ecke des Raums, dann wurde es still.

Dafür kamen die anderen herunter und erfüllten den Raum mit Leben. Das Hallo und die Begrüßung von Karel fielen natürlich freundlich aus und wir merkten erst jetzt, wie viel Glück wir eigentlich gehabt hatten.

Obwohl so nicht wirklich geplant, war es uns trotzdem gelungen und nun mussten wir nur noch hier mit dem Boot raus. Nur noch! Das klang irgendwie einfach, obwohl es sicher nicht so einfach werden würde.

Karel ging jetzt auf die beiden gefesselten Mannschaften zu und wickelte sie förmlich los. Als ich den anderen leise erzählte, wie diese gefügig gemacht worden waren, wunderten sie sich nicht mehr, dass Karel sie jetzt seelenruhig befreite.

Trotzdem merkte man ihm an, dass Karel unter Strom stand. Jede dumme Bewegung hätte sich sicher gerächt.

Wir verteilten uns nun so im Boot, das man uns nicht sehen konnte, wenn man jemand in das U-Boot herunter kam. Dann ruhten wir uns aus.

Es dauerte aber nicht lange, dann kam die Mannschaft zurück. Unser anscheinend gepachtetes Glück war uns noch einmal hold, denn sie kamen nicht alle auf einmal, sondern schön einzeln, höchstens zu zweit.

Wir nahmen sie unten in empfang und keiner hatte auch nur die geringste Chance zu entkommen, obwohl es einer versuchte. Er hatte gemerkt, das mit seinem Kameraden unter ihm, der als Erste abgestiegen war etwas nicht stimmte. Also versuchte er, wieder nach oben zu steigen.

Doch Karel verhinderte das sofort. Er riss den Ersten förmlich von der Leiter und jagte dem anderen geschmeidig wie eine Katze hinterher.

Dann pflückte er diesen geradezu von der Leiter und lies sich mit ihm nach unten fallen.

Kaum prallten die beiden auf, war Karel schon über ihm und schickte ihn in das Land der Träume.

Karel war sicher alt, sehr alt, aber das hatte ihn anscheinend nicht gebrechlich gemacht. Dafür musste ich ihn bewundern. Vor allem wenn ich daran dachte, wie es mir wohl in seinem Alter gehen würde.

Dabei musste ich grinsen.

Irgendwann war die Mannschaft vollzählig, was uns einer der beiden bestätigte, der sich dabei aber aus verständlichen Gründen umsah.
Jetzt warteten wir noch, dass das U-Boot vollkommen entladen war, standen dazu oben im Turm und sahen von dort aus herunter.

Schon eine Stunde später war es soweit. Die Ladeklappen wurden von der Kommandozentrale aus geschlossen und wir machen uns bereit, diesen Hafen zu verlassen.

Die Leinen wurden gelöst, und selbst als das Boot schon langsam zu sinken begann und die Schrauben die ersten Umdrehungen machten, stand ich noch oben auf meinem Aussichtsposten.

Gerade als ich mich durch die Luke nach unten aufmachen wollte, kam ein Trupp Männer in die Höhle gerannt. An der Spitze dieses Trupps rannte Michael, und als er fast am Hafenbecken angekommen war, blieb er stehen und sah zu mir herauf.

Ich konnte nicht jetzt nicht anders.

Ich stellte mich noch einmal stocksteif und gerade hin und salutierte ihm nach unten.

Sein nicht gerade freundlicher Blick verfolgte mein Tun, musste aber dabei zusehen, wie ich mich umdrehte und dann im Turm verschwand.

Schon zwei Minuten später waren wir Unterwasser und eine Außenkamera zeigte uns an, wie wir einen längeren, vollkommen unter Wasser liegenden, schnurgeraden Tunnel entlang fuhren, an dessen Ende es wieder heller wurde.

Die ganze Operation hatte nicht so lange gedauert, wie wir es uns gedacht hatten.

Kapitel 44

Noch war es draußen keine Nacht aber würde es bald werden. Darauf hatten wir auch gesetzt, denn in der Dunkelheit konnten wir noch etwas erledigen, was besser bei Nacht geschah.

Karel hatte inzwischen die Navigation des Bootes übernommen und saß wie eine Spinne im Netz auf der Brücke und gab Anweisungen.

Die meisten Besatzungsmitglieder waren gefesselt und wurden von einem von uns bewacht, obwohl wir es gar nicht mussten. Die Stimme war wieder aufgetaucht und hatte dem Rest der Mannschaft ebenfalls erklärt, was Sache war. Diese machten auch keinen Versuch, etwas zu unternehmen.

So lief alles relativ ruhig ab, wobei Karel genau darauf achtete, was getan wurde. Wenn hier irgendetwas geschah, was nicht richtig war, dann würde er sofort einschreiten. Aber so wie es aussah, geschah das nicht.

Laut der Instrumente fuhren wir recht dicht an der Insel entlang, um dann die Stelle zu erreichen, wo die Straße an den Strand stieß. Hier stoppten wir und ließen uns auf den Grund sinken.

Jetzt begann die Operation Sasha. Es musste in etwa hier sein, denn wir hatten versprochen, Es hier abzuholen. Auftauchen wollten wir nicht, denn wir wollten nicht gesehen werden, obwohl es unwahrscheinlich war, dass hier am Stand noch jemand war.

Auf der anderen Seite war das Personal auf der Insel sicher alarmiert worden, von daher musste man vorsichtig sein, wo es nur ging.

Um Sasha mit an Bord zu bekommen, gingen Andrea und ich in den Bug zu den Torpedorohren, die es auch hier gab. Dann schnappten wir uns jeder eine Sauerstoffflasche und stiegen in eines der Rohre.

Es war ein seltsames Gefühl als dieses hinter uns geschlossen und geflutet wurde, doch als es voller Wasser war ging die Mündungsklappe auf und wir konnten beide aus dem Rohr kriechen.

Kaum waren wir im Wasser, liefen wir in Richtung stand und schon wenige Minuten später tauchten unsere Köpfe über Wasser auf.

Sasha war in der Nähe und von daher wussten wir, als wir Es sahen, dass niemand in der näheren Umgebung war. Es kam auf uns zu und stieg ins Wasser. Dann legten wir ihm eine der Flaschen an und gingen mit Sasha ins Wasser.

Es war noch nie getaucht und hatte Angst, das konnte man fühlen, zumal es dunkel war und das Wasser wie Tinte wirkte.

Doch wir konnten Es beruhigen und sagten, dass Es nur ruhig atmen müsste und am besten die Augen dabei schloss. Erst wenn Es wieder an der Luft sei, sollte Sasha die Augen wieder aufmachen.

Es wurde ruhiger als wir Es förmlich auf das Wasser legten und langsam weitergingen.

Als das erste Mal das Wasser über den Kopf schwappte, versuchte Es noch einmal hoch zu kommen, aber dann zwang Es sich wahrscheinlich selber ruhig zu bleiben und so konnten wir langsam in die Tiefe gehen.

Ich ging voran und hielt dabei die Füße fest und Andrea hielt den Kopf in ihren Händen.

So wanderten wir förmlich auf das Boot zu, dass wir schon bald erreichten. Sasha hatte sich anscheinend mit der Situation angefreundet und die gleichmäßig aufsteigenden Luftblasen verrieten uns, dass Es regelmäßig atmete.

Am U-Boot angekommen schoben wir es mit den Füßen zuerst in die Röhre und Andrea kletterte hinterher.

Erst dann kam ich nach, obwohl es inzwischen recht eng geworden war.

Durch ein Klopfzeichen machten wir uns bemerkbar und die Mündungsklappe schloss sich.

Das Ausblasen des Rohres war schnell erledigt und schon waren wir wieder an der Luft, die Sasha sehnlichst erwartete. Als Es aber dann bemerkte in welch einem beengten Raum Es war, brauchten wir unsere ganzen Künste, um Es zu beruhigen.

Aber nicht lagen, denn da ging der Verschluss automatisch auf und wir konnten herausklettern.

Für uns lagen trockene Sachen bereit und wir zogen uns um.

Sasha sah sich dann um und stellte fest, dass ihm dieser Raum nicht gefiel. Er war zu eng und erinnerte an die Zelle, wenn auch die Wände aus Stahl waren. Aber leider konnten wir Sasha nichts anders bieten, immerhin war das voraussichtlich der einzige Raum, der Es von den anderen so weit trennte, das diese überleben konnten.

Als wir Sasha dann erklärten, dass wir ebenfalls hier in diesem Raum schlafen würden, war Es beruhigt, denn somit war Es nicht alleine.

Wenig später hob das Boot vom Grund ab und nahm Kurs auf die offene See.

Inzwischen waren uns natürlich bekannt, wo wir waren und wohin wir wollten. Dazu stand uns aber noch eine längere Fahrt, bevor die wir jetzt so schnell wie möglich angehen wollten, denn wir wussten, nicht wie lange es dauern würde, bis wir verfolgt wurden.

Doch wahrscheinlich wurden wir gar nicht verfolgt, den aus der Luft würden wir nicht zu entdecken sein, und bis irgendwelche Jagd-U-Boote hier sein würden, wären wir schon weit weg. Weit genug, um uns nicht mehr zu finden.

Dazu gingen wir auf maximale Tauchtiefe und die energiesparendste Geschwindigkeit.

Die Fahrt wurde sehr ruhig, denn wie Mannschaft verhielt sich ausgesprochen friedlich, was aber sicher auch daran lag, das die Stimme immer wieder zu ihnen kam und erschreckte.

Dazu kamen natürlich auch so seltsame Gestalten wie Andrea, Denice und ich, die natürlich auch noch ihre Wirkungen taten.

Drei Wochen später kamen wir an unserem Ziel an. Ich werde natürlich nicht sagen, wo dies ist, denn es dient zu unserem Schutz.

Denice und Michelle verabschiedeten sich zuerst und nahmen den Jungen mit, den wir in der Zelle gefunden hatten. Er hatte die ganze Fahrt lang nichts gesagt und wir hatten ihn in Ruhe gelassen.

Trotzdem waren wir uns sicher, dass wir uns wiedersehen würden. Ob schon zu dieser Gelegenheit oder später wussten wir nicht, aber die Stimme hörten wir ab diesem Tag auch nicht mehr.

Kalle stieg ebenfalls aus und wollte nach Hause fliegen. Hier würde er den Kampf gegen die Machenschaften auf der Insel aufnehmen. Was immer dabei auch rauskommen würde, wir wünschten ihm dafür alles Gute.

Als letztes, als Andrea bereits mit Sasha durch das Torpedorohr ausgestiegen war, stand ich noch einen Moment bei Karel und fragte ihn, was er denn jetzt machen würde.

Er war sich noch nicht sicher, würde aber über Umwegen wieder zurückfahren und Katja abholen. Inzwischen könnte er das Boot selber und alleine fahren, von daher war es für ihn fast so etwas wie ein Wohnmobil. Er würde noch ein Stück die Küste entlang fahren und dann der Mannschaft empfehlen von Bord zu gehen, da er nicht wüsste, was mit der Stimme los wäre. Sie sei ihm außer Kontrolle geraten und sie sollten besser sehen, von Bord zu kommen.

So oder so ähnlich wollte er sie los werden und ich war mir sicher, dass es ihm gelingen würde.

Wir standen dann noch einen Moment am zweiten Torpedorohr, was ich für mich ausgesucht hatte.

Dann kroch ich hinein, und als Karel gerade den Knopf drücken wollte, um dieses zufahren zu lassen, konnte ich nicht anders und fragte ihn: „Sag mal Karel, wie alt bist du wirklich?“

„Hmmmm“, sagte er, als wenn er in Gedanken war, und sah dabei in eine Ferne, in die ich nicht sehen konnte.

„Sagen wir mal so, Kleopatras Nase war nicht süß, sondern ein ganz schöner Zinken!“

Mit diesen Worten grinste er mich an und drückte auf den Knopf.

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