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Die Rose von Shenzen

Diese Geschichte konzentriert sich auf die Beziehungen und Konflikte der Protagonisten und Sex gibt es nur einmal. Wer Hardcore-Stories möchte, braucht also nicht weiterzulesen.

Die Rose von Shenzhen

I.

André Lebel hatte etliche Jahre als Simultandolmetscher im diplomatischen Dienst gearbeitet und sich in vorgerücktem Alter auf einen ruhigeren Posten als Sprachlehrer zurückgezogen. Er beherrschte nicht nur seine Muttersprache vollendet, sondern auch ein so perfektes Oxford-Englisch, dass man ihn in den USA bisweilen für einen Briten gehalten hatte, ein ebenso tadelloses Hochdeutsch und kastilianisches Spanisch.

Putonghua, das moderne Hochchinesisch, das er nicht ganz ohne Akzent sprach, war seine nächste Herausforderung, ohne dass er es zunächst geplant hatte, aber nach dem Tod seiner Frau war er mit 64 Jahren auf Reisen gegangen, um seine Einsamkeit auszufüllen und dabei dem Reich der Mitte verfallen, wobei er bald nicht mehr nur Sprachstudien betrieb.

Als klassisch gebildeter und vielseitig interessierter Mann hatte er sich auch mit den historischen Forschungen der Annales-Schule befasst, die nicht Herrscher oder Kriege, sondern das Alltagsleben der Menschen zum Gegenstand hat, wobei ihn vor allem faszinierte, wie vielfältig und komplex das Staatsleben unter der offiziellen Ebene ist und die Leistungen wie vieler Menschen zusammengebracht und koordiniert werden müssen, um auch nur eine einzige vernünftige Regierung möglich zu machen, gar nicht zu reden von allen anderen Errungenschaften der Zivilisation.

Nun wollte er wissen, ob dies eine europäische Eigenheit ist oder eine generelle Bedingung des Zusammenlebens und dazu ging er nach China, denn das Klischee besagt ja, dass dort alles anders wäre.

Ohne seine eigenen Veröffentlichungen vorwegzunehmen, darf hier schon gesagt werden, dass das Prinzip zwar auch in Asien gilt, sich aber in anderen Formen ausdrückt und André eine Weile brauchte, um die Muster zu erkennen. Als Anschauungsobjekt hatte er sich den dicksten Brocken überhaupt ausgesucht: die Mega-Metropolregion im Perlflussdelta, die aus elf miteinander verwachsenen Millionenstädten besteht — die gigantischste urbane Region, die Menschen jemals geschaffen haben.

Ein bescheidenes Apartment in einer dieser Riesenstädte, genauer gesagt in einem der alten Stadtviertel von Shenzhen, war für den gut situierten Ausländer leicht zu finden gewesen und sein Vermieter Herr Fa hatte zuerst mit Verblüffung reagiert, weil eine Langnase sich überhaupt für diese rein chinesische und eher ruhige Wohngegend interessierte anstatt für die betriebsamen neuen Bezirke, in denen das grosse Geld gemacht wird, aber bald lernte er, den alten Herrn zu respektieren und schickte bisweilen sogar seinen Sohn Chunhe zu ihm, um den Jungen mit Wissen bekannt zu machen, das es in den Schulen nicht gab.

Nun war André 68 Jahre alt, ungeachtet seiner weissen Haare immer noch rüstig und mit 1,98 m eine wahrhaft imponierende Gestalt, wenn er durch die Strassen wanderte, seine Sinne nach allen Richtungen hin offen hielt und die kaum fassbare Komplexität seiner Umgebung auf sich wirken liess, denn dies war seine Art von Forschung: selbst zu riechen, zu fühlen und zu schmecken, wie das Alltagsleben abseits der glitzernden Prachtbauten und Touristenattraktionen verlief.

Wie das alles funktionierte, angefangen beim Zement, der die Mauersteine der Häuser zusammenhielt — in welchem Verhältnis waren seine Bestandteile gemischt? Wo wurde er produziert? usw. — bis hin zum Verhalten der einzelnen Menschen — zahlten sie ihre Steuern, weil sie es tun mussten oder aus patriotischer Begeisterung heraus? Gab es ein Mittleres zwischen diesen Extremen? Und wie lebten sie, wenn alle Verpflichtungen erfüllt waren, wo verbrachten sie den Rest ihrer Zeit?

„Wenn wir je eine Zeitmaschine bekommen“, hatte Chunhes Schuldirektor gesagt, „nehme ich diesen Mann mit in die Song-Dynastie.

Eine solche Detailbesessenheit ist genau das, was den Überlieferungen von damals fehlt. “

André hatte das Kompliment mit einem Schmunzeln entgegen genommen, ehe er seine Streifzüge fortsetzte, denn es gab auch in der Gegenwart noch Einiges zu entdecken.

Man nehme nur diesen Laden. Die Eingangstür wirkte wie gewöhnliche Ware aus dem Grosshandel, aber der obere Teil des Türrahmens zeigte einige Schnitzereien, die ganz und gar nicht dazu passten, denn sie waren viel zu fein ausgearbeitet, um…

Der Gedanke brach plötzlich ab und André blinzelte unsicher, als seine gesamte Wahrnehmung erzitterte.

Schliesslich konnte er sich wieder konzentrieren und ein beinahe idiotisches Lächeln ging über sein Gesicht, als er merkte, was ihn so verwirrt hatte.

Mae Sheng, 28, stolze Eigentümerin des Ladens und ein rassiges Frauchen mit 1,70 m Körpergrösse und leicht rötlichen Haaren, erwiderte das Lächeln routiniert, denn sie war es gewöhnt, die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen.

Dabei ahnten die Glotzer noch nicht einmal, was ihnen entging: Zur Arbeit trug Mae ihre langen Haare hochgesteckt, so dass die Blicke zuerst an ihrem Schmollmund und in zweiter Linie an den sinnlichen Augen hängen blieben, die schlanke Taille oder die durchtrainierten Beine waren unter der Arbeitskleidung nur zu ahnen, ebenso die makellos geformten Brüste in 85C, aber wenn sie nach einem Zehn-Stunden-Tag die verschwitzten Sachen abwarf und dann vor dem Spiegel ihre Haarpracht ausschüttelte, gab es kaum einen herrlicheren Anblick im ganzen Stadtviertel.

Fiel dann auch noch die Hose, wäre mancher Mann seinerseits geradezu auf die Knie gefallen, um die rasierten Beine, schönen Waden und sorgsam gestutzten Schamhaare mit ehrfürchtigen Küssen zu bedecken und manche andere Frau wäre geplatzt vor Neid.

Ihre Intelligenz und Geschäftstüchtigkeit — sie führte den Laden nicht nur, sondern hatte das kleine Unternehmen auch aufgebaut und dabei alle Höhen und Tiefen der Selbstständigkeit überlebt — fielen bei solchen Betrachtungen meist unter den Tisch und wenn es die Leute zu sehr übertrieben, wies Mae mit einem spöttischen Unterton darauf hin, dass weder Männer noch Frauen etwas von ihr zu befürchten hätten, denn sie sei vergeben.

Ihr Freund, ein Handwerker, hatte sich unter dem Einfluss der amerikanischen Kulturindustrie und als Rebellion gegen seine konservativen Eltern eine Weile „Joe Shen“ genannt, bis ihn das Überlegenheitsgehabe der Yankees zu sehr abstiess und er wieder zu seinen Wurzeln zurückkehrte, ein Trend, der seit den 2000ern verstärkt zu beobachten ist.

„Auch eine Modeerscheinung kann den richtigen Weg zeigen. Mein Name ist Shen Xiaoqiu“, hatte er eines Morgens mit grimmiger Entschlossenheit gesagt und dabei war es geblieben.

Diese Entschlossenheit hatte Mae angezogen und sie bis in sein Bett geführt, gleichzeitig war sie der Anlass zu einem scheinbar kleinen Konflikt, der die Zukunft hätte ahnen lassen können.

„Es ist falsch, dass du dir einen amerikanischen Vornamen gibst“, hatte er nach einigen Wochen gesagt, als der erste Rausch verflogen war.

„Du solltest Sheng Bao heissen. “

Im Chinesischen steht der Familienname an erster Stelle, daher diese Reihenfolge.

Bao hat mehrere Bedeutungen, je nach dem Kontext und als Frauenname heisst es „Juwel“. Obwohl das zu unserer Freundin gepasst hätte, hatte sie sich dagegen entschieden.

„Meine Eltern haben mich Mae genannt und ich bleibe Mae. “

Das hatte Xiaoqiu geschluckt, denn Respekt gegenüber den Eltern und den Vorfahren allgemein hat in China ebenfalls einen hohen Stellenwert.

„Für mich bleibst du mein Juwel“, hatte er gesagt und sie in die Arme geschlossen, womit er sein Maximum an Zärtlichkeit aufbot.

Nun glaubten beide, glücklich zu sein und ihre Umgebung bestärkte sie darin.

„Shen und Sheng … hmmm. Shen-Sheng aus Shenzhen. Passt gut zusammen“, hatte eine Nachbarin gescherzt.

Auch in einer Welt der stetigen Veränderungen geht es übrigens nicht unendlich hoch hinaus, das hatte Mae bei einigen Rückschlägen als Geschäftsfrau gelernt und so waren ihre Ziele bescheiden — den Laden am Laufen halten, einige Rücklagen für Notfälle bilden, vielleicht einmal Kinder.

Dass der Mann nicht perfekt war und beispielsweise nichts von Romantik verstand, musste sie dann wohl hinnehmen.

Bei diesem Kompromiss verblieb noch eine Menge unerfüllter Sehnsucht in ihrer Seele, die sie für gewöhnlich verdrängte. Sicher, hin wieder fragte sie sich, wie es wohl mit einem anderen Mann sein würde, vielleicht einem von denen, die sie durch das Schaufenster hindurch anstarrten so wie dieser grosse Alte gerade jetzt, aber das war auch schon alles.

II.

Es wäre gelogen, wenn man nun sagen wollte, André habe sich der Frau „wie magisch angezogen“ genähert. Er stand einen Moment auf dem Bürgersteig wie erstarrt, hatte sich dann aber wieder gefasst und betrat den Laden.

Kaufte eine Kleinigkeit, plauderte mit der Verkäuferin, kaufte noch etwas.

Mae hörte ihre Angestellte kichern.

Nun, Quan Pingfen kicherte oft und manchmal beneidete Mae die Jüngere um ihr unbeschwertes Gemüt, allerdings musste sie zugeben, dass dieser Weisse gut aussah und eine kultivierte Stimme besass, die viele Frauen attraktiv finden würden.

Sie hob das Lenovo-Tablet mit der Liste ihrer Warenbestände vor die Brust wie einen Schutzschild und schob sich etwas näher an die beiden heran.

Beobachtete mit einer Präzision, wie sie keine Überwachungskamera aufbringen konnte.

Fing gelegentlich einen Blick des Mannes auf…

Die Türglocke unterbrach den Zauber, als zwei neue Kunden eintraten. Pingfen entschuldigte sich mit einem letzten strahlenden Lächeln bei André und kümmerte sich dann um die Anderen.

Der alte Herr nahm die Einkaufstüte vom Tresen, trat dann, als hätte er etwas vergessen, zu Mae heran und fragte nach einem Softdrink in einer bestimmten Geschmacksrichtung, mit dem man Cocktails mixen konnte. Mae antwortete mit Sachkenntnis und Freundlichkeit, denn der Mann wirkte auf Anhieb sympathisch, erstarrte jedoch, als ihre Ohren plötzlich eine Einladung zu einem solchen Cocktail vernahmen.

Schlagartig verschloss sich ihr schönes Gesicht, so dass André erschrak, denn er wusste die Zeichen zu deuten: Chinesen sind gut darin, ihre Gefühle zu verbergen, lächeln selbst bei Schmerzen, weil sie andere Leute nicht mit ihren Schwächen belästigen wollen; wenn sie aber nicht mehr lächeln, hat man etwas gefährlich falsch gemacht.

Statt Angst zeigte Andrés Gesicht jedoch nur Besorgnis, denn er konnte sich vor dieser Frau nicht fürchten.

„Ich bin vergeben“, antwortete Mae schliesslich mit einer Ruhe, als spräche sie nur übers Wetter.

Für den Hauch einer Sekunde wirkte André so verwundet wie ein grosses gutmütiges Tier, das man grundlos getreten hat.

Dann kehrte sein Lächeln zurück und erst jetzt fühlte Mae den Stich in ihrem Herzen.

„Ich gratuliere“, hörte sie ihn sagen, ehe er sich mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete und Mae, die sich ihrer Logik nicht mehr sicher war, trat rasch ins Hinterzimmer des Ladens, um nicht vor den Augen anderer Leute die Fassung zu verlieren. Mit zittriger Hand legte sie das Tablet auf den Schreibtisch, sank in den Stuhl und krampfte beide Hände um die Armlehnen…

André hatte unterdessen die Strassenbahn genommen, um buchstäblich Abstand zu gewinnen, wanderte dann gedankenverloren durch den Lianhuashan-Park und liess sich schliesslich auf einer Bank nieder, um den Blick über einen Teich schweifen zu lassen.

Der unter chinesischen Frauen verbreitete Glaube, europäische Männer seien generell romantischer als einheimische, nährt sich aus der Tatsache, dass chinesische Männer eine Beziehung, ja sogar eine Heirat nur wie einen Geschäftsabschluss behandeln und von Liebe keine Rede ist. Das wiederum ist eine noch nicht überwundene Folge des Maoismus, der die alten Überlieferungen zerstören wollte, so dass die lange Tradition der qualvoll schönen Liebesgedichte aus alter Zeit und die Diskussion über den Sinn und Unsinn gemeinsamer Selbstmorde von unglücklich Liebenden seit den 1950ern abgerissen sind — romantische Gefühle galten damals als bourgeois und des neuen Menschen nicht würdig.

Mae wusste darüber nur flüchtig Bescheid, denn dass die alten Bücher neuerdings wieder gedruckt und gelesen werden dürfen, reicht noch nicht aus, um die damit verbundene Bildung wieder zu beleben. Dennoch war sie überzeugt, dass diese Stimme mit dem leichten französischen Einschlag wunderbar klingen würde, wenn sie ein Gedicht vorlas…

Auch hier gibt es eine Parallele zu Europa, wusste der Forscher in André. Dort wie hier in China gab es einmal den Brauch, die Schönheit von Frauen in den poetischsten Ausdrücken zu beschreiben, die man nur finden konnte und das gefiel den Frauen so sehr, dass sie regelrechte Wettbewerbe darum veranstalteten, heute dagegen beschränken sich die Männer auf Formeln wie „geile Titten“ und ähnlich abstossendes Zeug, was auch dazu führte, dass die Frauen ihrerseits diese Poesie nicht mehr kennen und mit Verwirrung reagieren, wenn sie etwas davon erleben.

André Lebel, der mit Smartphone und Tablet umgehen konnte wie nur je ein Teenager und auch ansonsten hervorragend mit dem 21. Jahrhundert zurechtkam, war nichtsdestoweniger ein Anhänger der alten Künste.

Sie ist wie eine Rose, überlegte er. Voll erblüht, zart und schön…

Man sollte ihr Blumen schenken, mit einer Karte, die einen derartigen Satz enthält.

Was denke ich da? Sie sagte doch, sie ist vergeben…

Das Flirten liegt den Franzosen im Blut und André war weiss Gott kein Kostverächter — eine von Fa Chunhes Lehrerinnen beispielsweise hatte ihn einmal um eine Nacht mit unverbindlichem Sex gebeten und mehr davon bekommen, als sie zu hoffen gewagt hatte — aber dieses Gefühl war anders, wie er die Sache auch drehte und wendete.

Schliesslich zückte er sein Smartphone.

„Ich muss Ihnen etwas verkaufen, die Chefin beobachtet uns“, hatte Pingfen mit ihrem schelmischen Kichern gesagt. Nun brauchte er nur online ins Gewerbeverzeichnis von Shenzhen zu gehen und die Adresse des Ladens einzugeben, um den Namen dieser Chefin herauszufinden.

Sheng, Mae, geboren am 26. 06. 1986.

Mein Gott, sie könnte meine Enkelin sein, zwang er sich zu denken, aber auch das änderte nichts, denn er wollte diese Frau.

Sie war vierzig Jahre jünger und er wollte sie trotzdem in die Arme nehmen, küssen, lieben und nie mehr loslassen…

III.

Er wahrte die Contenance, indem er tatsächlich zuerst Blumen schickte und zwar ein Dutzend rote Rosen mit einer selbst geschriebenen Karte.

Der geborene Italiener „Giovanni B. „, Inhaber des Blumenladens, war von den grenzenlosen Möglichkeiten des modernen China angezogen worden und zur Abkürzung seines Namens hatte ihn das Lied „Johnny B.

“ von den Hooters inspiriert, als er nach einer Möglichkeit suchte, sich von von anderen Händlern abzuheben, denn so riesig China ist, seit die Menschen dort beginnen, wieder Romantik zu lernen, ist auch die Konkurrenz auf dem Blumenmarkt enorm.

Zumindest im Fall von André funktionierte die Strategie, denn der hatte den Lieferdienst auf seinen Streifzügen entdeckt und von dem Besitzer und dessen Frau viele aufschlussreiche Dinge darüber gehört, wie man sich in China erfolgreich akklimatisiert.

Nun verdienten die beiden etwas an ihrer Offenheit und lächelten sich überdies vergnügt zu, weil sie wussten, was Rosen bedeuten.

Als Mae am nächsten Tag vom Grossmarkt zurückkam und Pingfen ihr die vor einigen Minuten von „Giovannis Flower Power“ abgegebene Sendung überreichte, sah sie mit deutlicher Verblüffung auf den kleinen Umschlag mit ihrem Namen, der zwischen den Rosenstengeln steckte.

„Ihr Freund wird romantisch, Frau Sheng“, kicherte die Verkäuferin.

Erfreut, aber auch unsicher, was sie davon halten sollte, nahm Mae den Strauss mit in ihr Büro, öffnete dort den Umschlag und las den Text auf der Karte, der den Wunsch ausdrückte, die schönste Rose von Shenzhen möge ihre kleinen Schwestern als Zeichen der Liebe annehmen.

Die wénzì-Zeichen waren nicht etwa gedruckt, sondern mit äusserster Sorgfalt gemalt. Seit wann beherrschte Xiaoqiu so etwas? Sie kannte doch seine Handschrift — ah, natürlich: Bestimmt hatte er auch den Text beim Lieferservice schreiben lassen.

Als sie jedoch die Karte umdrehte und die auf der anderen Seite abgedruckte Anschrift las, erstarrten ihre Finger.

André Lebel

Strasse des Sieges von Xuzhou 75

Futian, Shenzhen 518048

Maes Gesicht erglühte nicht weniger als die Rosen selbst, als sie schlagartig begriff, wer diesen Strauss wirklich geschickt hatte und dass dieser Mann durchaus der Typ sein konnte, der eine Grusskarte selbst beschriftete…

Das ist falsch, rief eine Stimme in ihr.

Ich habe ihm doch gesagt, dass ich nicht mehr zu haben bin.

Warum fühlt es sich dann so wunderbar an?, fragte eine andere.

Sie atmete den Duft der Blumen und erschauerte.

Einige Stunden später zum Ladenschluss erwartete sie heute Xiaoqiu, der sie zu einem Rockkonzert abholen wollte. Normalerweise kam er gemütlich herein, fragte nach Mae, wenn er sie nicht vorne antraf und Pingfen deutete in so einem Fall mit einem Grinsen auf die Bürotür.

Bisher hatte er es auch für witzig gehalten, an der offenen Tür „Klopf klopf“ zu sagen.

Jetzt dagegen stürmte er herein wie gehetzt und Maes Lächeln, mit dem sie seinen Eintritt begleitete, verblasste angesichts dieser Hektik schneller als sonst.

„Deine Verkäuferin sagte, ich hätte dir Blumen geschickt…?“

Irritation lag in seinem Tonfall und ein Hauch von Misstrauen, das sich noch zu verstärken schien, als er die Vase sah, in die Mae die Rosen gestellt hatte.

„Sieh es dir selbst an, sonst glaubst du mir nicht“, sagte seine Freundin und reichte ihm arglos die Karte.

Die Reaktion eines erwachsenen Mannes, der sich seiner Liebe sicher ist, hätte nun etwa in erhobenen Augenbrauen bestanden und in einem zärtlichen Scherz wie „Nanu, meine Liebe, wem hast du denn da das Herz gebrochen?“

Shen Xiaoqiu dagegen war zwar nach der Zahl seiner Jahre erwachsen, aber nicht in seiner Persönlichkeit.

Rasende Eifersucht sprühte aus seinen Augen, er zermalmte die Karte förmlich zwischen den Fingern und trat einen Schritt auf sie zu.

„Wer ist der Kerl?!“

Seine Stimme war so rauh, dass Mae impulsiv zurückwich, aber sie war immer noch mehr verwundert als erschrocken.

„Ich kenne ihn nicht“, erwiderte sie leichthin, ohne zu ahnen, dass nun im Kopf ihres Freundes ein ganz anderes Programm ablief, das nichts mehr leicht nehmen konnte.

„Du hast ihn doch auch angemacht! Wie könnte er sonst von Liebe reden?“, brüllte die Stimme, die sie einst „mein Juwel“ genannt hatte.

„Unsinn“, erwiderte Mae nach einigen Sekunden in immer noch beherrschtem Tonfall.

„Sei vernünftig. “

„Hat ihr euch was geschrieben? Zeig mir dein Telefon!“

Nun hatte sie genug und schrie ebenfalls.

„Bist du besoffen, Mensch? Komm‘ mal wieder runter!“

Xiaoqiu prallte zurück, fegte die Blumenvase vom Tisch, die am Boden zerkrachte, dann herrschte eine furchtbare Stille, in der sie einander anstarrten und schliesslich stürmte der Mann hinaus und knallte die Ladentür hinter sich zu.

Mae stand noch einige Sekunden starr, seufzte dann und wollte Lappen und Besen holen, als Pingfen ängstlich um die Ecke spähte.

„Frau Sheng?“

Mae nahm sich zusammen und setzte ein beruhigendes Lächeln auf.

„Alles in Ordnung. “

Quan Pingfen bewunderte ihre Arbeitgeberin für ihre stetige Zielstrebigkeit und Vernunft, so dass sie sie ohnehin nicht weiter bedrängt hätte und sie wusste auch genug über Beziehungen, um zu erkennen, dass man bei manchen Dingen besser schwieg, also zog sie sich lautlos zurück.

IV.

Um die Mittagszeit des nächsten Tages beschloss Mae, dass es unvernünftig sei, zu schmollen. Sie griff zum Smartphone und schickte Xiaoqiu eine Messenger-Nachricht: Hast du Zeit?

Ein überschwängliches Für dich immer oder ein sofortiger Anruf in diesem Tenor wären nun wohl angemessen gewesen, aber er sendete nur Hast du denn welche für mich?
Mae schloss kurz die Augen, als erneut Frustration in ihr aufsteigen wollte.

Manchmal benahm er sich wirklich wie ein verzogenes Kind — aber immerhin, er hatte geantwortet.

M: Natürlich. Ich liebe dich.

X: Können wir uns treffen? Heute abend?

M: Wann und wo?

X: Bei Ladenschluss. Ich hole dich ab.

Am Abend hatte Mae sich hübsch zurechtgemacht und es schien sich zu lohnen, denn Xiaoqius Augen leuchteten, als er sie sah und zum ersten Mal, seit sie sich kannten, brachte er heute eine Blume mit, eine wunderschöne Orchidee.

Mae schluckte überrascht und gerührt, stellte sie in eine langstielige Vase und liess sich dann in die Arme nehmen und küssen.

Seine Zunge stiess besitzergreifend in ihren Mund und er hielt sie minutenlang fest, ging mit seinen Händen über ihren ganzen Körper, wie um zu zeigen, dass es ihm allein zustand, diese Frau zu berühren.

Anschliessend führte er sie zum Essen aus und beide waren an diesem Abend nervös, lachten ein wenig zu viel, um sich darüber hinwegzutäuschen, denn sie sahen noch nicht, dass das Auftreten eines zweiten Mannes nur eine Entwicklung in Gang gesetzt hatte, die ohnehin unvermeidlich gewesen war und sich auch aus einem beliebigen anderen Grund hätte entzünden können.

Xiaoqiu hatte eine unerwartete Bedrohung gesehen und war auf Kampf ausgerichtet. Nun kam er nicht damit zurecht, dass es gar keinen Feind gab oder zumindest keinen, den man körperlich angreifen konnte, aber von den subtileren Aspekten dieses Spiels, vom Flirten mit einer Frau, selbst wenn man schon mit ihr geschlafen hatte bis hin zu eleganten Rededuellen mit einem Rivalen, verstand er nichts. Frau im Bett, Ziel erreicht, lautete seine Auffassung und dass eine Beziehung auch nach Monaten, ja nach zehn oder zwanzig Jahren noch zerbrechen kann, weil sie den Beteiligten nichts mehr gibt und dass man dieser Gefahr rechtzeitig entgegen arbeiten muss, indem man etwa die Frau von Neuem erobert, wollte nicht in seinen Kopf.

Die Orchidee war eine oberflächliche Reaktion gewesen, mit der er nur Fernsehkitsch nachahmte und das Stück kaufte, das die Verkäuferin empfahl, etwa so, wie wenn er auf der Arbeit ein Bauteil, das nicht ganz passte, mit der Feile bearbeitete, ohne weiter darüber nachzudenken, was in beiden Fällen die Gefahr barg, eine tiefer liegende Ursache zu übersehen.

Auch Mae ignorierte in diesem Moment den Riss zwischen ihnen, denn Xiaoqiu war stark und vertraut, das wollte sie nicht verlieren und mit dem Rest glaubte sie fertig zu werden wie bisher.

Nun von „beiderseitiger Schuld“ zu sprechen, ergäbe keinen richtigen Begriff von der Sache, es sei denn, man wollte es den beiden ankreiden, Menschen zu sein und menschliche Schwächen zu haben. Treffender ist „ein Mangel an Harmonie“, womit wir die chinesische Philosophie bewundern dürfen, die diesen Punkt schon vor Jahrtausenden definierte und der weitere Verlauf entfaltete sich nach den Gesetzen der Tragödie, in der alle Mühen des Protagonisten, das Unglück zu vermeiden, eben dieses Unglück herbeiführen.

Der Grund: Disharmonie zwischen Menschen führt dazu, dass eine Spannung entsteht, die vom normalen Verhalten der Beteiligten nicht ausgeglichen werden kann und da unser Paar sein Verhalten nicht änderte, sondern die Kluft mit Normalität überbrücken zu können glaubte, was etwa so klug ist, wie mit einem gebrochenen Bein Marathon zu laufen, war die Entladung der angesammelten Energie unvermeidlich.

Eine Bemerkung Maes über weisse Schwäne auf einem Werbeplakat, als sie nach dem Essen durch die Stadt schlenderten, fachte das unter der Oberfläche schwelende Misstrauen in Xiaoqiu von neuem an.

„Weiss“, das verbanden seine Neuronen unterbewusst mit „weisser Mann“, dann mit „Rivale“ und ein ganzes Jahrzehnt an Chauvinismus, hinter dem sich Xiaoqiu vor der Komplexität der wirklichen Welt versteckte, fiel auf die gerade erst gebaute Brücke herunter.

„Du träumst wohl immer noch von deinem weissen Kavalier“, fauchte er und fühlte sich bestätigt, als Mae heftig errötete. Dass er sie gerade beleidigt hatte, entging ihm völlig.

„Unsinn“, wiederholte sie automatisch das Wort vom Vortag.

„Ich habe von diesen Tieren gesprochen. “

Sie wollte auf das Plakat deuten, sich dazu halb umdrehen, aber er hielt ihre Hand plötzlich mit Gewalt fest, packte mit der Linken noch zusätzlich ihr Handgelenk und riss sie zu sich heran. Das wiederum löste in Mae einen Verteidigungsreflex aus und sie verpasste ihm mit ihrer freien Hand eine schallende Ohrfeige.

Irgendwo begann jemand zu lachen, jemand anders applaudierte und erst jetzt wurde den beiden wieder bewusst, dass sie sich auf einer öffentlichen Strasse befanden, zusammen mit Hunderten von anderen Menschen, von denen etliche in der Nähe interessiert zusahen.

Einige dieser Zuschauer wirkten sogar angespannt, wie bereit zum Eingreifen, falls Xiaoqiu nun ernsthaft gewalttätig werden sollte.

Sein Puls ging nur allmählich wieder nach unten, aber er liess sie los und Mae trat einen Schritt zurück. Der Gesichtsverlust für sie beide war gewaltig, das wussten sie als Han-Chinesen nur allzu gut, doch bedeutete er nichts gegenüber dem, was sie sich gerade angetan hatten, ohne zu begreifen warum und auch der nicht besonders redegewandte Xiaoqiu empfand ihrer beider Sprachlosigkeit in diesem Augenblick als das Schrecklichste.

Schliesslich wehrten sich ihre Beinmuskeln dagegen, ewig so stehenzubleiben, davon bezwungen, wendeten sie sich wortlos voneinander ab und gingen in verschiedenen Richtungen davon, wobei diejenigen Zuschauer, die nahe genug standen, um entweder Maes oder Xiaoqius Gesicht zu sehen, hastig den Weg freigaben.

V.

Einen Tag später herrschte immer noch Funkstille zwischen ihnen und es wirkte wie eine Ironie des Schicksals, dass Xiaoqiu bei seinem ersten Eifersuchtsanfall nur Maes Telefon hatte sehen wollen.

Wusste er nicht, dass man mit einem Tablet ebenfalls kommunizieren kann?

Um 17 Uhr 49 summte das Lenovo und Maes Augen wurden gross.

Es war ebenfalls eine Instant-Messaging-Nachricht: Darf ich es wagen, mit Ihnen zu sprechen? André Lebel.

Wie von selbst tippten ihre Finger die Antwort: Sie haben es gerade gewagt. Und nun?

Die Frage, woher er ihre Online-Adressen kannte, wäre Zeitverschwendung gewesen.

Wahrscheinlich konnte man sie über Baidu finden — Mae hatte sich nie die Mühe gemacht, das nachzuprüfen — und zu behaupten, sie sei gar nicht die Gesuchte, wäre allzu lächerlich.

Ich bitte Sie, mich zu treffen. Heute um 20 Uhr vor dem Teehaus auf dem Lotusberg.

Mae verharrte, Intelligenz und Schlagfertigkeit liessen sie jäh im Stich.

Als die Zeitanzeige am Rande des Bildschirms um eine Minute weitersprang, schrak sie zusammen.

Sie musste antworten.

Ich denke darüber nach.

Anschliessend schloss sie den Messenger und löschte den Cache. In den folgenden Minuten fühlte sie wieder diese verfluchte Unschlüssigkeit, die sie schon bei Andrés Blumensendung erfasst hatte. Sie redete sich ein, es sei falsch, diesem Fremden noch einmal zu begegnen und erwog gleichzeitig, dass eine solche Begegnung die Gelegenheit wäre, ihn durch einen Appell an die Vernunft loszuwerden, um die Sache nicht noch schlimmer zu machen.

Mag es Kitsch für Touristen sein oder nicht, der Lotusberg im Lianhuashan-Park heisst wirklich so und es führt eine recht bequeme Treppe hinauf.

Das ebenfalls eher kitschig wirkende Teehaus wie auch der Platz davor waren belebt, aber Andrés hochgewachsene Gestalt ragte deutlich aus der Menge hervor und sein warmherziges Lächeln hätte man als Suchscheinwerfer verwenden können.

„Danke, dass Sie gekommen sind. “

Seine Hand deutete voraus auf den Kiesweg und sie folgte der Einladung, ging eine Minute schweigend neben ihm her.

„Mae…“, begann er dann und ihre Nervosität — woher kam dieses Gefühl überhaupt? — fiel ihm ins Wort.

„Stehen wir uns so nahe?“

„Nein“, antwortete er leise, „aber ich habe gehofft, Sie würden es mir nicht übel nehmen. “

Wieder herrschte einige Augenblicke Schweigen.

„Ich — ich habe mich in Sie verliebt“, platzte er dann heraus.

„Seit Tagen kann ich an nichts anderes mehr denken. “

„Und daraus leiten Sie nun das Recht ab…?“

André atmete schwer, setzte von Neuem an.

„Nein. Ich habe keinerlei Anrecht auf Sie, Frau Sheng. Schon dass Sie mit mir sprechen, ist ein Geschenk und Sie küssen zu dürfen, wäre der Himmel. “

Mae fühlte ihr Herz pochen, denn solche Komplimente hatte sie niemals zuvor gehört.

„Sie dürfen es nicht“, sagte sie endlich.

„Auch wenn ich mich wiederhole, ich bin vergeben. Verstehen Sie dieses Wort?“

Damit hätte das Gespräch beendet sein sollen und ein Teil von Mae hoffte, dass es so wäre, aber André wagte einen jener Vorstösse, zu denen uns nur die Liebe treiben kann.

„Sie sehen nicht glücklich aus, wenn Sie das sagen.

Lieben Sie diesen anderen Mann?“

Ein anderer Teil von Mae fühlte sich zu André hingezogen und ihre Gewissenhaftigkeit rang mit diesem Gefühl.

„Allein für diese Frage wird er Sie umbringen“, lautete schliesslich ihre Antwort, mit der sie der Frage unbewusst auszuweichen versuchte.

„Und Sie — Mae?“, fuhr er fort und wagte sich mit der erneuten Verwendung ihres Vornamens noch weiter in die Gefahrenzone, „was werden Sie tun?“

Mae blieb stehen, wandte den Blick ab, sah den Franzosen erneut an und sagte schliesslich in einem Tonfall, der zwischen Fordern und Flehen lag: „Herr Lebel, in Ihrem eigenen Interesse, vergessen Sie mich.

Dies war jedoch ein psychologischer Fehler, denn André, der nun nichts mehr verlieren konnte, trat näher und ergriff die Frau an beiden Händen.

„Niemals. Mae Sheng, ich werde dich vielleicht nie besitzen, aber auch nie vergessen. Dein Freund kann mich töten und noch mit meinem letzten Herzschlag werde ich dich lieben. “

Sein Gesicht schien auf das ihrige herunterzufallen, seine Arme rissen sie an sich, dann fühlte Mae den drängenden Kuss, in dem sie unter anderen Bedingungen mit Wonne zerschmolzen wäre und Andrés Hand, die über ihren Rücken nach unten glitt, sein Knie, das sich zwischen ihre Beine schieben wollte, fühlte das Begehren seines grossen, warmen Körpers und wie sich ihre Vernunft in nichts aufzulösen drohte, wollte sogar, dass es geschah…

…und konnte doch nicht anders, als den Kopf zurückzuwerfen, den Kontakt ihrer beider Lippen zu unterbrechen und in ihrer Verzweiflung zum Angriff überzugehen.

„Verschwinden Sie, alter Mann“, zischte sie, entwand sich ihm und stiess ihn zurück.

„Gehen Sie und nähern Sie sich mir nie wieder. Keine Blumen, keine Nachrichten, nichts!“

Einige grauenhaft lange Sekunden sah er sie an und Mae — bereit, diesem Weissen nun mit voller Wucht in den Unterleib zu treten, wenn nichts anderes helfen sollte — fühlte, wie in ihm etwas zerbrach.

Dann verbeugte er sich wortlos und ging.

Als er ihr den Rücken zuwandte, liefen unserer Freundin die Tränen übers Gesicht.

VI.

Nach einer Weile kämpfte Mae ihren inneren Aufruhr nieder und fuhr zur Wohnung ihres Freundes, wollte ihm sagen, was geschehen war und damit ihre Liebe beweisen, aber das Opfer, das sie gebracht hatte, erwies sich als wertlos, denn Xiaoqiu wollte nicht einmal zuhören.

Er hatte alles Vertrauen in sie verloren und Mae brauchte eine Viertelstunde vergeblichen Redens, bis sie das zu ahnen begann.

„Wie soll ich dich überzeugen?“, rief sie schliesslich — und das Universum hielt den Atem an.

Seine Antwort offenbarte einen Kontrollwahn, der alle Grenzen sprengte.

„Heirate mich und bleibe für immer bei mir. Sei eine Hausfrau, keine Ladeninhaberin. Dann begegnest du ihm nie wieder und auch keinen anderen falschen Männern.

Mit offenem Mund sah sie ihn an. Das konnte er doch nicht ernst meinen.

Aber seine fanatisch glühenden Augen zeigten nur zu deutlich, dass er wirklich meinte, was er sagte. In diesem Augenblick fürchtete sie sich vor ihm.

Keine Theorie und keine Ausbildung können uns auf eine solche Situation vorbereiten. Jedes lebende Wesen überwindet sie aus eigener Kraft oder es zerbricht daran.

Bei Mae war es die selbe Kraft, mit der sie gegen alle Widerstände und Rückschläge ihren Laden aufgebaut hatte, eine Kraft, die in früheren Jahrhunderten abwertend als „der Trotz eines dummen Mädchens“ beschrieben wurde und heute als „die Power einer Selfmade-Frau“ gilt.

Das bedeutete, dass sie jeden anderen Mann, der ihre Existenz derart bedrohte, auf der Stelle niedergeprügelt hätte, aber Xiaoqiu? Sie liebte ihn doch…

„Das kann ich nicht“, flüsterte sie endlich.

„Bitte versteh‘ das. “

„Ich verstehe, dass du mich nicht liebst! Aber du gehörst mir!“

Selbst sie zu schlagen, hätte nicht dümmer sein können als diese beiden Sätze. Antworten trieben durch Maes Kopf, die alle gepasst hätten und doch wieder nicht, schliesslich begriff sie, dass Worte an diesem Punkt sinnlos waren und wenn sie sich jetzt ihrer Liebe sicher gewesen wäre, hätte sie diesen Mann in einem verzweifelten Rettungsversuch geküsst.

Stattdessen liess sie ihn stehen, liess alles Weitere unausgesprochen und stürmte aus der Wohnung. Auf dem nächsten Treppenabsatz hörte sie, wie über ihr die Tür aufgerissen wurde.

„Mae?“

Sie blieb nicht stehen.

„Mae!!“

Schrille Verzweiflung mischte sich in diesen Ruf.

Dann klappte die Haustür zu.

VII.

Am nächsten Tag hatte André im Blumenladen eine einzelne gelbe Rose an Mae in Auftrag gegeben, diesmal tatsächlich ohne eine Karte, denn Worte erschienen jetzt überflüssig.

„Giovanni B. „, der die Blumensprache nicht nur kannte, sondern sie lebte und atmete, hatte diese Bestellung mit tiefer Betroffenheit angehört und sich anschliessend geweigert, dafür Geld zu nehmen.

Seine romantische Seele erkannte ein blutendes Herz auf einen Kilometer Distanz und als dieser besondere Kunde den Laden wieder verliess, da wankte Giovanni zur Kasse, an der seine Frau Giulietta mit bebenden Lippen zugesehen hatte, sie kam ihm auf halbem Weg entgegen, beide umarmten sich und weinten.

Anschliessend nahm André seine Wanderung durch die Stadt wieder auf, auch wenn er diesmal nicht viel von seiner Umgebung wahrnahm. Die Bewegung würde ihm vielleicht helfen, den Schmerz zu verarbeiten.

Um ihn herum tobte indessen das Leben. Das moderne Shenzhen hat gelegentlich noch Probleme mit der Luftverschmutzung, ist aber ansonsten eine Stadt wie jede andere auch, laut, schrill und voller Lebenshunger, in der Tag und Nacht ineinander übergehen.

Es war noch nicht ganz 19 Uhr, doch die grellbunten Vergnügungsviertel waren schon so belebt, wie es nach dem Klischee höchstens gegen Mitternacht sein sollte.

André verharrte für einen Moment, als ein Liedchen, das er nur zu gut kannte, aus einer offenen Kneipe erklang: „Poupee de son“.

Es war jedoch nicht France Galle, die da sang, das hörte der Kenner sofort heraus. „Karaoke Classics“ verkündete eine Leuchtreklame.

Ohne nachzudenken, ging André hinein.

Für eine Weile sass er nur schwermütig an der Theke und hielt sich an einem „B 52″-Cocktail fest, während mehr oder weniger gut gesungene Imitationen über ihn hinwegplätscherten. Bei manchen, die in seiner eigenen Jugend erschienen waren, fühlte er sich schlagartig alt, ein Gefühl, das er kaum je zuvor gekannt hatte.

Dann trat der Ansager auf die Bühne und zog eine junge Frau mit sich, die sichtbar nervös wirkte.

„Meine liebe Kollegin Nelly möchte heute mal nicht nur die Drinks servieren“, verkündete er mit jenem berufsmässig enthusiastischen Tonfall, mit dem er auch den Weltuntergang angepriesen hätte.

„Sie hat lange für die Rolle der Christine aus Phantom der Oper geübt. Wie ist es also, Leute? Haben wir hier jemanden, der bei dem berühmten Duett ihr Partner sein möchte?“

André hob den Kopf.

Verlegene Gesichter ringsum.

„Sag‘ es ihnen selbst, Kleines“, rief der Ansager und drückte Nelly das Mikrofon in die Hand. Sie schluckte mehrfach.

„Kommt schon“, schepperte es dann aus den Lautsprechern. „Ihr dürft den Text ja ablesen und so viel Englisch können wir doch alle. “

André rutschte vom Barhocker und hob die Hand.

„Ablesen ist nicht nötig.

Ich kenne die Rolle“, sagte er in die erwartungsvolle Stille hinein.

Ohne ein weiteres Wort trat er auf die Bühne und nahm das zweite Mikrofon entgegen. Der Ansager rannte zum anderen Ende des Raums, schaltete etwas am Mischpult und hob in einer internationalen Geste den Daumen nach oben.

Nellys Stimme hatte vor Aufregung kieksig geklungen, es war offenkundig, dass sie keinerlei Bühnenerfahrung besass — und dann konnte man beobachten, wie die unverwechselbare Melodie aus dem Musical ihren Zauber entfaltete.

Wie sich die junge Frau im Scheinwerferlicht verwandelte.

Exakt im richtigen Moment passte sie sich der Musik an und ihre helle Stimme liess die Membranen der Lautsprecher erzittern.

„In sleep he sang to me, in dreams he came,

that voice which calls to me and speak my name…“

Das gesamte Publikum starrte mit offenen Mündern zur Bühne.

War das noch die selbe Person?

Es spielte keine Rolle. Die Magie wirkte im ganzen Raum und durch die offene Tür bis auf die Strasse hinaus, wo einige Passanten überrascht stehen blieben.

Ein anderer Sänger hätte unter diesen Umständen seinen Einsatz verpasst, wäre völlig von seiner Partnerin hingerissen gewesen.

Nicht so André Lebel.

Selbstverständlich hatte er den Roman von Gaston Leroux gelesen, auf dem dieser moderne Mythos basiert, er hatte sogar das Gefühl gehabt, das Phantom zu verstehen, lange bevor ein junger Schnösel namens Andrew Lloyd Webber sich des Themas angenommen hatte und nun sang André diese Rolle aus übervollem Herzen.

„… and though you turn from me, to glance behind,

the phaaaantom of the opera is there, inside your mind. “

Nelly hatte erwartet, dass dieser Weisshaarige sie mit den Augen ausziehen würde, wie es alle anderen Männer taten, aber sein Blick ging an ihr vorbei in eine unendliche Ferne.

Er sah nur Mae vor sich und er sang für Mae.

Für eine Liebe, die auf ewig verloren schien.

Der tosende Beifall des Publikums bedeutete ihm denn auch nichts, aber selbst im Schmerz wahrte er die Form und küsste Nelly die Hand, ehe er die Bühne verliess und durch den Hinterausgang der Bar verschwand oder besser verschwinden wollte, denn der Besitzer des Lokals eilte ihm nach.

„Mein Freund“, rief er im Laufen, „warten Sie.

André verharrte mit einem trüben Lächeln.

„Das — das war fantastisch“, japste der dicke Herr Bian, als er André einholte und schüttelte ihm kräftig die Hand.

„Wer sind Sie? Ich bringe Sie ganz gross raus!“

„Ich?“, erwiderte der alte Herr mit einer Stimme, über der die Trauer lag wie Rauhreif im späten Herbst.

„Ich bin niemand.

Zeigen Sie mir nur den Hinterausgang. “

Bian Delong erbebte am ganzen Körper und seine Fantasie glaubte, das leibhaftige Phantom vor sich zu sehen.

Dann verbeugte er sich, so tief seine Körperfülle es zuliess und deutete in die gewünschte Richtung.

Nachdem er schliesslich seine Fassung wiedergefunden hatte, ging er zurück, um das Publikum zu beruhigen.

VIII.

Als die gelbe Rose ankam, hatte Mae sie mit zitternden Fingern entgegen genommen, den Laden früher als sonst geschlossen und Pingfen den Rest des Tages frei gegeben.

Ihre sonst so fröhliche Angestellte war den Tränen nahe, denn ebenso wie Giovanni und Giulietta hatte sie die Ereignisse voller Mitgefühl verfolgt und gehofft, dass es doch noch irgendwie zu einem Happy End kommen würde.

Nun sass Mae in ihrer Wohnung über den Geschäftsräumen und fühlte sich wie gerädert von ihren widerstreitenden Gefühlen. In diesem Zustand der Unsicherheit hätte sie Wochen verharren können, vielleicht Monate, aber ihr gesunder Körper und nicht weniger gesunder Verstand wollten sich das nicht gefallen lassen.

Rationalität allein half allerdings nicht.

Dann ist es eben irrational. Dieser Fremde berührt etwas in mir, etwas, das bei Xiaoqiu gar nicht da ist.
Aber Xiaoqiu braucht mich. Und er macht es mir ja auch nicht schlecht.

Wenn er doch nur nicht so tolpatschig wäre. Wenn er…

Wenn, wenn, wenn…

Er ist nicht so.

Dieser letzte Gedanke tat besonders weh. Sie war mit diesem Mann zusammengewesen, hatte ihn näher an sich herangelassen als jemals zuvor einen Menschen, um dann festzustellen, dass er nicht das war, was sie brauchte und es nie sein würde.

Mae streifte die Schuhe und die Oberbekleidung ab, tigerte unruhig durch die Räume und liess sich wieder auf die Couch fallen, zwang sich dort, gleichmässig und tief zu atmen und die Beine lang auszustrecken.

Dann liefen ihre Gedanken in eine andere Richtung.

Ein Orgasmus sollte in manchen Situationen dabei helfen, sich zu entspannen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Mae und ihre Freundinnen hatten viel über diese Vorstellung gekichert, aber jetzt brauchte sie genau das und dachte endlich, dass sie ja nichts zu verlieren hätte.

Entschlossen fasste sie sich in den Slip — zornig, verkrampft und nicht im Geringsten erregt.

Drängte ungeachtet dessen ihre Finger durch die gestutzen Schamhaare.

Merkte schliesslich, wie es ihr doch zu gefallen begann.

Reizte sich bis zum Siedepunkt und schrie leise auf.

Xiaoqiu verdiente eher Mitleid als Zorn, überlegte sie weiter, als sie einige Minuten später tatsächlich wieder klar denken konnte.

Er war ja kein schlechter Mensch, nur weil er nichts von Frauen verstand, sondern hatte gehandelt, wie er es gelernt hatte und würde sich „nur“ damit abfinden müssen, dass das nicht genügte.

Vielleicht lernt er in den nächsten Jahren etwas.

Aber ich kann nicht warten — ich will nicht warten! Ich will jetzt einen Mann, der weiss, was er an mir hat.

Einen Mann wie André.

Ach, wie den André, den du zurückgewiesen hast? Das fällt dir früh ein, meine Liebe.

Damit war alles gesagt und um sich nun darüber klar zu werden, wie sie diese Erkenntnisse in die Tat umsetzen sollte, zog Mae sich wieder an und streifte durch die Stadt, bis ihr Körper ein ebenso reales wie unromantisches Bedürfnis anmeldete: Hunger.

Beinahe dankbar für diesen Einbruch der Wirklichkeit ging sie zum nächsten Schnellrestaurant und nahm zum Essen die schärfste Sosse, die es gab. Der köstlich-feurige Geschmack war auch genau das Richtige, denn er holte sie vollends auf den Boden zurück.

Einige Strassen weiter an einem kleinen Konfuziustempel geriet sie in eine Touristengruppe, musste sich mit einiger Anstrengung aus dem Gedränge herausarbeiten und trat in den Schatten der Mauer, um Atem zu schöpfen, schreckte aber beinahe zurück, als sie ein unförmiges Bündel sah.

Dann entspannte sie sich wieder, als aus dem Bündel ein freundlich grinsendes Gesicht auftauchte. Es war ein Bettler, der es sich auf den Treppenstufen des Tempels bequem gemacht hatte und so ein Mann konnte Mae nach dem, was sie gerade hinter sich gebracht hatte, nicht mehr erschrecken.

Mit einem schweren Seufzer lehnte sie sich gegen die Wand.

Der Bettler mochte in ihrem Gesicht gelesen haben, wie aufgewühlt sie war und kicherte nun.

„Was ist es, kleine Schwester? Ein Mann?“

Mae hätte beinahe laut gelacht. Dieser Bursche konnte froh sein, dass er die Einzelheiten nicht kannte…

„Zwei Männer“, erwiderte sie schliesslich, denn etwas in ihr drängte zum Reden.

„Und du kannst du dich nicht entscheiden?“

„Viel schlimmer, ich habe mich bereits entschieden: den einen will ich nicht und den anderen habe ich verloren.

„Wodurch verloren? Ist er tot?“

„Ich habe ihn verjagt. “

„Dann fang‘ ihn wieder ein. “

„Wie denn? Ich war ja so dumm! Ich habe ihm einen Tritt gegeben wie einem räudigen Hund und — und nun ist er weg. Wahrscheinlich wird er sich mit einer anderen Frau trösten, die nicht so blöd ist. “

Der alte Bettler schmunzelte.

„Nun, das ist immer das Selbe, über Jahrtausende hinweg. “

Sie sah ihn irritiert an.

„Auch der einzige Rat, den man dir geben kann“, fuhr er dann fort, „ist noch immer der Gleiche: Folge deinem Herzen — und wenn dir das zu altmodisch klingt, sogar die amerikanischen Superhelden in den Marvel-Comics sagen das. Wenn du also diesen zweiten Mann willst, dann hole ihn dir und wenn du ihn über Länder und Meere verfolgen müsstest.

Mit einem erneuten Kichern richtete er sich auf und schlurfte davon.

Unsere Freundin stand da wie vom Donner gerührt und starrte ihm nach.

Der alte Bettler…

Mae wäre die Letzte gewesen, die ihre kulturelle Prägung verleugnete: im chinesischen Volksglauben erweisen sich Bettler häufig als geheimnisvolle Helfer, verkleidete Kaiser oder gar Götter und die Protagonisten dieser Geschichten sind gut beraten, auf solche Leute zu hören.

Aber sie hatte nie damit gerechnet, einmal eine derartige Hilfe zu brauchen, geschweige denn, sie tatsächlich zu bekommen. Wäre es möglich, dass er recht hatte…?

Dass sie sich zu diesem Zeitpunkt schon entschieden hatte und der Bettler ihr nur den letzten Impuls gab, wollen wir bei der Legendenbildung ignorieren.

Auf jeden Fall rannte sie los, sprang in ein freies Taxi.

„Zur Strasse des Sieges von Xuzhou!“

IX.

Sie stieg aus dem Wagen und drückte den Klingelknopf.

Wartete.

Drückte noch einmal.

Wartete.

Begann, auf und ab zu gehen, zum Ende der Strasse und wieder zurück, immer wieder auf und ab.

Gelegentlich kamen andere Fussgänger vorbei, aber es geschah nichts weiter, so dass ein Beobachter hätte fragen können, ob diese Frau sich vielleicht auf der Strasse ansiedeln wollte, wenn sie so viel Gefallen daran fand, die Aussenwände irgendwelcher Häuser anzustarren.

Dann näherten sich langsame Schritte aus einer Querstrasse und Mae erstarrte.

Mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht drehte sie sich schliesslich um.

„André…“

Als ob sie von ihren Schuhen vorwärts gezogen würde, ging sie der grossen, aber nun gebeugt erscheinenden Gestalt mit dem weissen Haar entgegen.

Verharrte.

Ging weiter.

Begann zu rennen.

„André!“, weinte ihre Stimme, als er sie auffing.

„Mae!“

Er hob sie empor, drückte sie an sich.

Schluchzend, keuchend, abgerissene Worte stammelnd, wankten sie gegen die Hauswand, taumelten dann ins Haus hinein und zum Fahrstuhl.

Nun erst ging in einer bestimmten Wohnung das Licht an, zeigte die Schattenrisse von zwei Menschen hinter den vorgezogenen Gardinen.

Dann verschmolzen nicht nur diese Schatten.

André, der sein Glück kaum fassen konnte, küsste Mae immer von Neuem, wühlte sein Gesicht in ihr aufgelöstes Haar, presste sie an sich, dass sie kaum noch Luft bekam und trug sie schliesslich ins Schlafzimmer hinüber, wo sie aufs Bett fielen, ohne einander loszulassen.

Nun aber nahm der Mann sich Zeit, riss der Frau nicht etwa hektisch die Kleider vom Leib, sondern küsste jedes Stück einzeln herunter, langsam, voller Zärtlichkeit, nur gelegentlich mit den Fingern nachhelfend, wenn die Verschlüsse seinen Lippen nicht nachgeben wollten, dabei jeden Moment auskostend und den Duft ihrer Haut atmend.

Auch jetzt brauchte es keine Worte mehr. Fast verzweifelt pressten sie sich nach dem gegenseitigen Ausziehen aneinander, rollten keuchend über die Laken, dann begann André das Spiel von neuem, reizte Mae von den Ohrläppchen bis herab zu den glatten Oberschenkeln mit Lippen und Zunge, ging wieder nach oben, um an ihren Brustwarzen zu saugen, kostete schliesslich ihre Lustgrotte, was sie wimmern liess, bis sie die Beherrschung verlor und sich über ihn wälzte.

Jetzt wollte sie es auf ihre Weise, wollte ihn reiten und besitzen.

Sie fuhr mit den Fingern durch sein dichtes Brusthaar, küsste ihn dann nacheinander auf den Mund, auf die Brustwarzen, den Bauch, die Hoden.

Umfasste seinen hoch aufragenden Schaft mit beiden Händen, fuhr mit der Zunge über die pulsierende Ader darauf und die dick angeschwollene Eichel.

Richtete sich endlich in sitzende Stellung auf, hob ihr Becken an und führte ihn in sich ein.

Verharrte einige Sekunden, um ihn ganz zu spüren und André verstand und bewegte sich in diesem Moment ebenfalls nicht, erfreute sich nur am Hineingleiten in ihre feuchte Wärme.

Dann langte er mit beiden Händen nach oben, umfasste ihre schönen Brüste und schliesslich begann der Ritt, zuerst langsam und geniesserisch, dann mit steigender Erregung der Frau immer schneller, bis sie mit einem hellen Schrei über dem Mann zusammensank.

Maes Schweisstropfen fielen wie ein salziger Regen auf den Geliebten herunter, während er sie zärtlich festhielt und ihre Haare streichelte. Sie schob sich an ihm empor, als ob sie ihn mit ihrem ganzen Körper massieren wollte, bis ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren, sie sich abermals küssen konnten und ihre Zungen miteinander spielen.

Irgendwann rieb André seinen „kleinen Freund“ an ihren Oberschenkeln und an ihrer Spalte, Mae fühlte seine bleibende Härte und richtete sich mit einem entzückten Glucksen wieder auf, ritt ihn noch einmal und zwang ihn schliesslich mit konvulsivischen Bewegungen ihrer Scheidenmuskulatur zum Erguss, während Urlaute aus seiner Kehle hervorbrachen und die Frau von einem zweiten Orgasmus erschüttert wurde.

Nachdem nun ihre erste Begierde gestillt war, nahm sich auch Mae mehr Zeit für den nächsten Akt. Sie war weder Yoga-Meisterin noch in „Tantra-Sex“ ausgebildet oder welches Klischee man asiatischen Frauen sonst anhängt; was sie allerdings beherrschte, war eine Massagetechnik, die sie von ihrer Grossmutter gelernt hatte und die den Mann zuerst entspannt und dann wieder heiss macht.

Dabei kam ihr zustatten, dass André trotz seines Alters gut in Form war, seine langen Fussmärsche durch die Stadt und die ebenso wohlschmeckende wie gesunde chinesische Küche hielten ihn fit.

Er brauchte nicht lange, um wieder steif zu werden, aber dies allein war ja nicht das Ziel.

Maes Fingerspitzen spielten an seinen Nervenenden, schickten kleine Lustschauer von Kopf bis Fuss durch seinen Körper, dann musste er sich auf den Bauch legen und sie fuhr an seinem Rücken fort.

Als ihre Finger die Rückseite seiner Unterschenkel in Flammen zu setzen schienen, glaubte er, es nicht mehr ertragen zu können, stöhnte laut auf, wälzte sich halb herum und haschte nach ihr, aber sie wich mit einem liebevollen Grinsen aus, näherte sich ihm dann wieder und reizte ihn gnadenlos weiter.

„Mae“, stiess er schliesslich hervor, „Mae, mein Liebling, du bringst mich um!“

„Umbringen? Oh nein, mein Lieber, so leicht kommst du nicht davon. Dreh‘ dich um. “

Wieder in Rückenlage, ragte Andrés Schaft empor, als hätte er in dieser Nacht noch keine Frau berührt und Mae senkte nun ihren Schmollmund darüber und speichelte ihn gründlich ein, ehe sie sich abermals auf ihm niederliess.

„Anal“, forderte sie diesmal, André schluckte und umfasste dann seine Erektion mit einer Hand, um sie vorsichtig an ihren Hintereingang heranzudirigieren. Mae entspannte sich völlig, half ihm damit und liess ein wonnevolles Stöhnen hören, als der Druck auf ihren Ringmuskel zu gross wurde und er ebenso stark wie behutsam in sie fuhr.

Dann begann sie sich erneut auf und ab zu bewegen, praktizierte einen Akt, der von Tausenden weisser Frauen als unmöglich bezeichnet worden wäre und diesmal blieb es nicht bei einem Lustschrei.

Sie bog den Oberkörper rückwärts und ihre Brüste waren in dieser Position für André unerreichbar, aber seine Fingernägel gruben sich in ihre Pobacken, verstärkten ihren Schwung und sie fuhr sich zusätzlich mit der Hand an die Klitoris, tobte wie eine Rasende über ihm und jagte sich in den ersten multiplen Orgasmus ihres Lebens.

Als er sich danach aus ihr zurückzog, bereitete sogar diese Bewegung ihr noch ein Erregungsgefühl, das sie nicht für möglich gehalten hätte, dann kippte sie langsam und erschöpft auf ihn herab, sank von ihm herunter auf die die Matratze und er zog sie an sich und hielt sie fest.

Ganz fest.

Xiaoqiu hatte Sex als „Beweis für Liebe“ gesehen, als ob man so etwas in einem Aktenvermerk festhalten könnte, mit André dagegen war er die Krönung dieses Gefühls, also weniger und mehr zugleich und Mae versank in dieser Nacht in unbeschreiblichem Glück…

X.

Und jetzt muss ich mit Xiaoqiu Schluss machen, dachte sie am nächsten Morgen und sagte das auch André.

Die Sache musste offen und ehrlich zu Ende gebracht werden und das bedeutete, noch einmal mit Xiaoqiu zu sprechen. Kein Brief, erst recht keine SMS, wie es so viele andere taten, um sich vor der direkten Auseinandersetzung zu drücken, sondern sie würde ihm in die Augen sehen und ihm sagen, dass es vorbei war.

André begleitete sie natürlich und als Kavalier der alten Schule hätte er es sogar übernommen, mit seinem glücklosen Rivalen zu reden, aber Mae lehnte das ab.

„Da muss ich alleine durch. Warte unten auf mich. “

Es war albernes Machogehabe, aber auch André konnte nicht aus seiner Haut.

„Eine halbe Stunde“, sagte er in völligem Ernst, „dann trete ich die Tür ein. “

Sie küsste ihn noch einmal, ehe sie hineinging.

Xiaoqiu war zu Hause, sass mit einem Bier in der Hand vor dem Fernseher und wäre die Szene nicht so deprimiert gewesen, hätte man über diese Klischeehaftigkeit lächeln können.

Vielleicht hätte er Maes Entschluss sogar jetzt noch ins Wanken bringen können, wenn er sich anders verhalten hätte — demütiger, bittender — aber er fühlte nur seinen verletzten Stolz, der von der Panik, wieder allein zu sein, noch angeheizt wurde.

„Du wirst diesen gweilo verlieren“, schrie er sie an.

„Er wird dich ficken und wegwerfen!“

„Ich hatte ihn bereits verloren“, war die Antwort.

Die Verblüffung reduzierte seine Lautstärke deutlich.

„Wa — was?“

Mae lächelte traurig.

„Du hast mir wegen der roten Rosen eine Szene gemacht. Weisst du auch, was eine gelbe Rose bedeutet?“

„Hä?“

„Abschied. “

Nun lag wirklich Stille über der Szene, während Xiaoqius Hirn sich vergeblich bemühte, das Gehörte zu begreifen.

„André hat mir gestern Nachmittag eine gelbe Rose geschickt“, fuhr Mae schliesslich fort, „das Symbol des Verzichts und des Abschieds. “

„Aber — aber — aber wenn…“

Vollkommen verwirrt brach er ab. Sein Weltbild ging aus den Fugen.

„Du meinst, wenn ich nicht in seinen Armen liege, könnte ich doch bei dir bleiben? Nein, Shen Xiaoqiu, so einfach ist das nicht.

Sie holte tief Atem und Xiaoqiu starrte sie an, ohne sich rühren zu können. Nie war sie ihm so schön erschienen wie in diesem Augenblick, als der Schmerz die ganze Kraft ihrer Seele herausforderte.

„Ich habe geglaubt, dich zu lieben, das war ein Irrtum, den ich mir eingestehen musste und es wäre unredlich, wenn ich es dir verschweigen würde. Ich habe mir André gestern abend zurückgeholt, weil ich ihn will und meine Beziehung mit dir ist zu Ende, für immer.

Leb‘ wohl. “

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel und damit der Bann brach, hörte sie noch, wie er mit einem verzweifelten Aufbrüllen gegen die Wand schlug und dann noch einmal und noch einmal. Sie musste sich zwingen, nicht davonzurennen, sondern einigermassen langsam zu gehen.

André erwartete sie an der Strassenecke, wo er nicht weniger unruhig auf und ab ging als sie in einer anderen Strasse am Abend zuvor.

Mae kam mit gemessenen Schritten heran, diesmal lief er ihr die letzten Meter entgegen und sie liess sich erschöpft und gleichzeitig befreit in seine Arme fallen.

Xiaoqiu starrte durch einen Riss in der Gardine hinab und sein Herz setzte für einige Schläge aus, als die beiden sich küssten und dann Hand in Hand davongingen.

Manche Männer wären an diesem Punkt mit blutiger Rache über die Liebenden hergefallen, andere hätten sich in die Bucht des Perlflusses gestürzt, um wenigstens ihrer eigenen Qual ein Ende zu machen.

Aber Mae hatte ihn richtig eingeschätzt, Xiaoqiu war kein schlechter oder gar grausamer Mensch und erfüllte weder das eine Klischee noch das andere.

Mit starren, tränenlosen Augen und einem vom Schmerz verwüsteten Herzen wankte er zurück auf die Couch, sass fast eine Stunde lang da wie apathisch — und blieb am Leben, mit der Möglichkeit, etwas zu lernen.

Ende.

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