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Ist Pornografie Kunst ?

Irgendwie haben wir Deutschen die Angewohnheit, immer alles genau katalogisieren, verschubladen, definieren zu müssen, damit wir dann all denjenigen, die dieser Definition dann nicht gerecht werden, das dann schön unter die Nase reiben können. Als Künstler, der einfach nur loslegt und nicht weiter über so etwas nachdenken will, empfindet man das natürlich als störend, nervend, einengend. Es hat aber auch ein paar Vorteile. Zum einen findet man schneller seine Zielgruppe. Zum anderen hilft es, die eigene Ausrichtung gegen zuviel Inkompetenz von aussen zu verteidigen.

Unter diesen Umständen ist es geradezu überfällig, für die Begriffe „Erotik“ und „Pornografie“ auch mal Definitionen zu finden, die den Begriffen auch gerecht werden. Rosettenfreak versuchte dies kürzlich, indem er Pornografie als „Selbstzweck“ und Erotik als „Mittel zum Zweck“ deklarierte. Seiner Meinung nach liese sich dadurch schon ein Unterschied feststellen. Meiner Meinung nach lässt sich ein derartiger Unterschied aber so sehr herbei- wie auch wieder wegdiskutieren. Henry Miller gilt für ihn z.

B. damit nicht als pornografischer Schriftsteller.

Genau das brachte mich aber zum Nachdenken, in doppelter Hinsicht.

Erstens ist Henry Miller sehr wohl pornografisch. Nicht nur, aber auch. Und mit Verlaub, er ist verdammt gut darin. Ich erinnere mich an eine Stelle in „Nexus“, wo er seine Liebste eine Geschichte erzählen lässt, die „eine Mischung aus Fantasie und Realität“ darstellte, wie er meinte. Abgesehen davon, dass es eine der besten Wichsfantasien ist, die ich je gelesen habe war das für mich absolut faszinierendste an der Geschichte, dass man nicht genau erkennen konnte, ob die Frau das ganze als brutale Vergewaltigung erlebte oder es nur in ihrer Fantasie — und damit von ihr gewollt — stattfand.

Ich kann genau genommen noch nicht einmal sagen, was mir lieber wäre. Gerade dieser schmale Grad zwischen Konsens und Nichtkonsenz, genau an der Grenze, war es, der den Kick, die Faszination dieser Geschichte ausmachte.

Zweitens, und das ist keinesfalls abwertend gemeint, schrieb Henry Miller immer aus und zum puren Selbstzweck. Er schrieb drauflos, was ihm einfiel, was ihm passierte, wie er es fühlte, immer frei und ungezwungen aus dem Bauch heraus.

Ich finde es schon komisch, dass man auf die Idee kommt, nur weil er auch über andere Sachen schrieb, er nur deshalb jetzt ein erotischer Schriftsteller sei. Denn von dem, was da so passierte, und wie er es vollkommen ohne Drumherum und ohne viel gefühlsmässiges Federlesen aufschrieb, gabs nur wenig Unterschiede zu rein pornografischen Schriften. Entweder messen wir hier also mit zweierlei Mass — oder wir sagen ganz klar, dass Henry Miller sehr wohl pornografisch und in diesem Metier sogar ein Meister war.

Das wiederum zwingt uns natürlich etwas zum Umdenken. Pornografie, so denken wir immer noch, ist Dreck, Müll, wie auch immer, jedenfalls weniger wert als Erotik. Deswegen, und nur deswegen, nennen wir Henry Miller auch „erotisch“ statt „pornografisch“. Wir wollen ihn eben in seiner unbestreitbaren Kunst nicht abwerten. Dabei ist es unsere eigene Schuld, dass wir das so sehen. Ist es wirklich so einfach? Ist Pornografie schlechte Erotik zum puren Selbstzweck, vollgespickt mit diskriminierenden Vorurteilen über Schwarze und Frauen, und im Gegensatz dazu Erotik gute, qualitative Pornografie mit Lebensbejahung und ohne Diskriminierung / Frauenfeindlichkeit?

Mir persönlich ist das jedenfalls zu eingefahren, zu ungenau.

Man könnte es auch anders sagen: Wenn Pornografie nur schlechte Erotik zum Selbstzweck ist, brauchen wir den Begriff eigentlich nicht. Mehr noch: es schliesst aus, dass es sowas wie qualitative Pornografie überhaupt gibt. Und da hört’s bei mir auf. Es gibt gute und schlechte Pornos. Es gibt Szenen in Pornos, wie zum Beispiel eine mit John Holmes und Seka, die, obwohl in den 70ern gedreht, selbst heute noch mehr erregt als 90% dessen, was heutzutage auf den Markt geschmissen wird.

Man könnte auch sagen, dass besagte Szene durchaus ergreifen kann. Die Behauptung, das sei eben Erotik, zieht nicht: trotz Handlung ist „Blonde Fire“ selbst heute, 31 Jahre nach Veröffentlichung, immer noch ein Pornofilm. Selbst nach unser liberalen Vorstellung davon. Und dass, obwohl John Holmes in einem Interview mal meinte, er könne sich durchaus vorstellen, dass ein derartiger Film irgendwann mal in der Zukunft zur Primetime (also nach der Tagesschau) gezeigt wird.

Mein Vorschlag wäre deshalb, das ganze Mal anders zu benennen.

EROTIK IST DIE DARSTELLUNG SEXUELLER VERHEISSUNG.

PORNOGRAFIE IST DIE DARSTELLUNG SEXUELLER ERFÜLLUNG.

Zugegeben, das wird all denjenigen gegen den Strich gehen, die jetzt meinen, dadurch würde Erotik ab- und Pornografie aufgewertet. „Verheissung“ klingt für uns zu sehr nach Mogelpackung, „Erfüllung“ klingt hingegen nach 1000 PS, nach dem Buffetteller, auf den wir doppelt soviel raufmachen , wie wir letztendlich essen. Wir wollen alles, sofort und bitte in der Maximalstvariante.

Wenn wir kotzen, ist es perfekt.

Eine derartige Sichtweise ist aber ziemlich begrenzt. Ein kleines Beispiel soll das verdeutlichen.

„Er schob seinen Schwanz vor, er schob ihn zurück Er schob seinen Schwanz vor, er schob ihn zurück Er schob seinen Schwanz vor, er schob ihn zurück Sie stöhnte, er auch. Er schob seinen Schwanz vor, er schob ihn zurück Er schob seinen Schwanz vor, er schob ihn zurück“

Mal ehrlich, hat sie das ganze erregt? Zugegeben, man könnte das ganze mal als Textexperiment versuchen und dazu schreiben „Lieber Leser, stellen sie sich bei nächsten Text bitte einen 30-Zentimenter-Schwanz und bei der Frau das Gesicht und die Titten von Jenna Jameson vor.

Wir haben auf jegliche weitere Beschreibung verzichtet, um der Geschwindigkeit gerecht zu werden. “ Ich behaupte, es würde das ganze keinesfalls erregender machen. Obwohl unsere Protagonisten hier gerade ihre Erfüllung erleben. Nur wir tun es eben nicht. Wir wissen nicht einmal, dass wir es sollten.

Jetzt die andere Variante:

„Während er immer wieder kraftvoll in sie hineinstiess, als ob er sie aufspiessen wolle, und Geräusche von sich gab, als ob er seinen letzen grossen Kampf erleben würde, spürte sie den herannahenden Orgasmus mit einer Wucht in ihren Körper, als ob sie explodieren würde.

Merken sie was? Der Text klingt sicher übertrieben, aber eigentlich ist dasselbe passiert wie oben. Durch Verwendung von Elementen, die mehr VERHEISSEN, als tatsächlich passiert, wird erstmal deutlich, wie erfüllend besagte Szene für beide gewesen sein muss.

Die sexuelle Verheissung ist das Salz in der Suppe der sexuellen Erfüllungsfantasie. In der Verheissungsfantasie hat die Frau grosse Brüste, die uns soviel versprechen, das uns beim blossen Lesen das Wasser im Munde zusammenläuft.. In der Erfüllungsfantasie fassen wir diese Brüste dann auch an, oder sie werden uns um die Ohren geschleudert, dass wir eine Gehirnerschütterung davon bekommen.

Natürlich wird mancher jetzt protestieren, und behaupten, dass damit jede Sexszene automatisch zur Pornoszene wird. Man muss aber auch mal umgekehrt fragen, warum wir in normalen, erotisch wirkenden Sexzenen die Darstellung von Brüsten erlauben, uns die Darstellung eines Penis oder einer Vagina hingegen verbitten. Ein Penis kann eben auch erigiert sein, eine Vagina feucht. Eindeutige, ungeschminkte Anzeichen von sexueller Erfüllung. Wer genau hinguckt, wird merken, dass bei der Erotik, die uns das Fernsehen noch zugesteht, mehr sexuelle Verheissung als Erfüllung im Spiel ist.

Sexuelle Erfüllung wird uns schon seit Ewigkeiten als dreckig verkauft, und das mit so einer Vehemenz, dass wir jetzt schon selber sagen, dass guter Sex dreckig sein MUSS.

Was ich interessant finde, ist: die Bibel enthält auch durchaus Erotik. Sei es in schriftlicher oder, bei manchen Bibeln, in bildlicher Form. Dennoch geht diese Erotik nie über die Verheissung hinaus. Erfüllungsfantasien wird man in der Bibel hingegen vergeblich suchen. Erfüllung ist, nach ihrer Definition das, was uns nach unseren Leben erwartet.

Also nicht allzu viele Gedanken darüber machen. Sonst kommen wir noch auf die Idee, die Erfüllung in diesem Leben zu suchen. Was natürlich nicht im Interesse des Glaubens sein kann.

Womit wir zu dem kommen, was an Pornografie eben Kunst ist. Man müsste annehmen, dass jeder ganz genau wisse, was seine Erfüllung ist. Was aber, wenn er das gar nicht weiss? Was, wenn er, weil z. B. sein Kopf nur noch an die Arbeit denken kann, er früher oder später einsehen muss, dass die Erfüllungsfantasien anderer Leute viel viel besser sind, und er anfängt, sie zu konsumieren, sie als Anregung aufzunehmen?

Ich erinnere mich da an eine Szene aus „True Anal Stories 9″ von Rocco Siffredi, wo Gabriella Kerez ein bischen herumläuft in Roccos Haus, unschlüssig, ob sie tatsächlich Sex haben will, dann am Pool von Svetlana (oder Meridian, wie sie sich auch nennt) so verführt wird, dass sie feucht wird, dann aber doch erstmal von weiten zuguckt, wie Svetlana von 3 Männern genommen wird, sich irgendwann dann aber doch bereit erklärt sich nehmen zu lassen, und dann auch, aber gleich heftig, genommen wird.

Das faszinierende an der Szene ist, dass das Ganze so authentisch rüberkommt, dass man nicht genau weiss, ob die Szene vorchoreographiert wurde, oder tatsächlich so stattgefunden hat, mit all den dargestellten Gefühlen. Ich habe mir später noch andere Videos mit besagten Pornostars angeguckt, aber nirgendwo kamen sie so ausdrucksstark und echt herüber wie in dieser Szene.

Egal was man über solche Szenen denkt: Solche Fantasien muss man erstmal haben. Man muss sie auch erstmal darstellen können.

Für uns Literaten heisst das: in Worte fassen können. Und zwar so, dass man auch seine Leser mitreisst. Das primäre Ziel einer solchen Fantasie bleibt dabei immer die Darstellung der sexuellen Erfüllung, egal wie sie verfasst ist.

Dieses Ausleben, grenzüberschreitend, ungeachtet aller gesellschaftlichen Normen, rüttelt aber auch irgendwann an unserer Bereitschaft zur Toleranz. Und ich red hier nicht nur von Vergewaltigungsfantasien, die, ob es uns nun gefällt oder nicht, eben auch Erfüllungsfantasien sind.

Interessanterweise werden reine Vergewaltigungsbeschreibungen nicht annähernd so stark kritisiert wie solche, wo bei dem Opfer irgendwann Einverständnis mit dem Täter herrscht. Während sich der Autor mit diesen Kniff von der Einseitigkeit seiner Fantasie befreien und den Vorwurf der Frauenverachtung entgehen will, wird ihm genau das von manchen Kritiker vorgeworfen. Es werden also die Normen der Realität angesetzt, wo man selbige in der Geschichte doch mal links liegen lassen wollte.

Man stelle sich jetzt mal folgende Situation vor: Eines Tages erscheint im deutschen Lit eine Geschichte namens „Nadia und die Skinheads“, geschrieben von einem User namens DaisyDeutsch.

Sie handelt von einen schwarzen Mädchen, welches von 3 Skinheads brutal vergewaltigt wird. Und offen zugibt, dass sie das geil findet. Das ganze ist in einem so grottenschlechten Deutsch mit so hanebüchenen grammatikalischen Konstruktionen geschrieben, dass DaisyDeutsch gnadenlos von unseren wortgewandten Kritikern als dämlicher Neonazi entlarvt wird, der, wie man sieht, einfach die Schule nicht geschafft hat, und froh sein kann, wenn man ihn mit seiner rassistischen Fantasie nicht demnächst den Schädel einschlägt.

DaisyDeutsch outet sich dann: sie ist eine schwarze Südafrikanerin, die nur begrenzt Deutsch kann, auf ziemlich harten Sex im allgemeinen und deutsche Jungs in ganz besonderen steht.

Skinheads hat sie nur deshalb in ihrer Geschichte eingebaut, weil sie gelesen hat, dass Skinheads rassistisch und das brutalste sind, was Deutschland zu bieten habe. Das ist als harter Fick natürlich eine Herausforderung. Klar, im realen Leben möchte sie sowas nicht erleben. Aber ist ja nur eine Fantasie, warum die Aufregung?

Die Frage ist berechtigt. Zumal es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass ein derartiger Text jemals von einem Neonazi geschrieben wird.

Ein Neonazi, der auf Sex mit schwarzen Mädchen steht, ist kein Neonazi mehr. Ich rede da aus Erfahrung.

Vielleicht sollten wir bei der Bewertung von sexuellen Erfüllungsfantasien mal den ganzen gesellschaftlichen Erwartungs-Mist genauso links liegen lassen wie es der Autor tut, und nur bewerten, wie der Gedanke und das Gefühl der sexuellen Erfüllung rüberkommt. Hier wird die stumpfsinnige Vergewaltigungsfantasie immer schlechter da stehen als der gefühlvolle Durchschnittsfick. Es sei denn, es gelingt jemanden eine derartig erregende und sich an der Konsens-Grenze langschlängelnde Fantasie wie bei Henry Miller in „Nexus“.

Zugegeben, mancher wird den Begriff „sexuelle Erfüllungsfantasie“ trotzdem nicht mögen. Weil der Begriff viel zu hochtrabend ist für etwas, was mit „Wichsfantasie“ eigentlich schon hinreichend beschrieben ist. Wer jedoch eine Wichsfantasie mit Anspruch schreiben will, kann diese jetz schön hochsnobistisch mit einem intellektuell verheissungsvollen Titel verpacken. Vor allem aber: er weiss jetz etwas besser, worauf’s ankommt.

Hoffe ich zumindest.

PS: Rosettenfreak, das soll hier kein Affront gegen dich sein.

Ich schätze deine Kommentare sehr stark. Mir geht’s nur um etwas mehr Klarheit, und darum, Potentiale aufzuzeigen.

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