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Die Begegnung

Natalia hat gerade alles hinter sich gelassen, die Wohnung, die kaum gekannten Nachbarn und die Aussichtslosigkeit in dieser Stadt eine Arbeit zu finden. Sie kommt gerade von dem Treffen mit ihrem Hausverwalter, der ihre alte Wohnung abgenommen hat. Es gab doch mehr Mitzunehmen, als sie gedacht hatte. Ihr ganzer Rucksack ist vollgestopft mit Allerlei Resten aus der Wohnung. Unter anderem den kleinen Topf, den sie lange schon vermisst hatte und dank des Verwalters ganz oben in einem Küchenschrank wiedergefunden hat oder die alte Decke aus ihrer Heimat in Russland, die achtlos im sonst leeren Keller lag.

Ihr Fahrrad muss sie jetzt auch mitnehmen, den ganzen weiten Weg mit dem Zug zu ihrer neuen Wohnung. Zum Glück hat das Fahrrad einen Drahtkorb am Gepäckträger, sonst wüsste sie nicht, wie sie die drei kleinen Pflanzen auch noch transportieren sollte.

Der Verwalter war nett und hatte nichts beanstandet. Kein Wunder, hatten sie und ihr Mann doch Wochenlang alles ausgeräumt und renoviert, damit sie ihre Kaution auch bekommen würden.

Vitali, ihr Mann ist schon in der neuen Wohnung, er musste seine neue Arbeitsstelle schon antreten und konnte nicht mit ihr zusammen zur Wohnungsübergabe mitkommen. Natalia fängt erst in zwei Monaten ihre Praktikumsstelle bei einem kleinen Botanik-Betrieb an. Es ist nicht ganz das, was sie in Russland studiert hat, aber besser als wieder nur zu Hause zu sitzen und gelegentlich zum Sprachkurs zu gehen. Sie braucht den Kontakt zu Menschen, anderen Menschen als nur ihren Mann.

Nicht, dass sie ihn nicht lieben würde, Natalia liebt ihren Mann sehr, aber ohne weitere Bekannte oder Verwandte in Deutschland sind sie auf sich gestellt und verbringen die meiste Zeit zusammen. Sie bemühen sich deutsch zu lernen und wollen auch untereinander deutsch sprechen, aber schon nach ein paar Sätzen fallen beide wieder in ihr gewohntes Russisch zurück. Damit können sie sich doch besser ausdrücken, alles ist spontaner und man kämpft nicht um jedes Wort.

Auch streiten kann man so besser, oder versöhnen, so wie es vor ihrer Abfahrt war.

Vitali wollte Natalia nicht alleine fahren lassen, er wollte mitkommen, doch sie bestand darauf, damit er seine Arbeit nicht gleich mit einem Fehltag anfing. Nachdem sie ihn überzeugt hatte, dass sie es auch allein schaffen würde, hatten sie am Abend vor ihrer Abfahrt schönen Versöhnungssex.

Natalia hatte sich gut auf die Fahrt vorbereitet und die Verbindungen selber herausgesucht.

Dabei konnte sie gleich noch etwas Deutsch lernen. Sie will es lernen, damit sie auch mit anderen Reden kann. Natalia braucht das Gespräch mit anderen Menschen, wie eine Pflanze das Licht. Wenn sie davon zu wenig hat hungert sie förmlich danach. Sobald sie etwas davon bekommt spürt sie die Energie in sich und wächst daran.

Jetzt sitzt Natalia am Bahnhof und wartet auf den Zug. Es ist eine kleine Regionalbahn mit der sie auch das Fahrrad mitnehmen kann.

Allerdings muss sie zweimal umsteigen.

Sie sitzt in der Sonne und genießt die warmen Strahlen auf ihrer Haut. Noch fast eine halbe Stunde muss sie auf den Zug warten, aber langweilig wird ihr nicht, weil sie ihren E-Book-Reader dabei hat. Auf dem sind ihre Lieblingsromane aufgespielt. Die russischen Klassiker, aber auch die neuen Liebesromane von ihrer Lieblingsautorin.

Natalia bedauert es, dass sie nur auf russisch drauf sind, sie würde auch mal einen Roman auf deutsch lesen wollen, damit sie ihre Sprache verbessern kann.

Doch bisher hat sie sich nur an deutsche Märchen gewagt, die sind nicht so lang und lassen sich gut lesen, weil sie im Grunde in einer für Kinder verständlichen Form geschrieben sind. Aber einen ihrer Liebesromane auf deutsch zu lesen, das würde Natalia sich zutrauen.

Ein Mann setzt sich neben Natalia und schaut neugierig zu ihrem E-Book-Reader. Sie bemerkt ihn zunächst nicht, da sie nur auf das Display starrt und ganz in der erotischen Welt eingetaucht ist.

„Nah, das ist ja interessant, ein Kindle in weiß, das habe ich noch nie gesehen. Ich wusste gar nicht, das es sowas gibt“, spricht Michael, der Mitvierziger sie unvermittelt an.

Natalia bemerkt erst nach ein paar Sekunden, dass sie gemeint war hebt den Kopf um zu sehen wer da mit ihr spricht.

Der große, dunkelhaariger Mann, mit Brille und einem freundlichem Lächeln im Gesicht schaut sie an und scheint auf eine Unterhaltung aus.

Bisher kam es selten vor, dass Natalia einfach so in der Öffentlichkeit angesprochen wurde. Sie hatte das immer auf die kühle reservierte Zurückhaltung der Deutschen geschoben, doch dieser Mann scheint anders zu sein.

„Was haben sie nicht gesehen?“, fragt Natalia mit ihrem starken russischem Akzent zurück, weil sie nicht genau hingehört hat und doch wissen will, was er meint.

„Na, so ein E-Book in weiß. Das sieht ja klasse aus, meines ist Schwarz“, erklärt Michael und kramt in seinem Rucksack herum und zieht seinen eigenen E-Book-Reader heraus.

„Sehen Sie, meines ist schwarz und… oh, ihres ist etwas schmaler am Rand, ist das der neue Kindle?“

„Ja, ist neu. Vor halbem Jahr gekauft“, erklärt Natalia.

„Sie lesen russisch darauf? Was nicht alles mit diesem Teil geht“, wundert sich Michael und geht mit seinem Kopf etwas dichter an das Display. Er hat zwar eine neue Brille auf, kann aber damit nach dem langen Tag im Büro vor dem Computer schon gar nicht mehr richtig gucken.

Seine Augen müssen sich erst auf die fremden Schriftzeichen fokussieren. Er kann sie nicht lesen, aber bewundert die schärfe der Auflösung.

Natalia bemerkt es und dreht das Display freundlicherweise in seine Richtung, damit er es besser sehen kann.

„Schön scharf ist der Font. Lesen Sie nur russisch oder auch deutsche Bücher?“, will er gleich weiter wissen.

„Meistens russisch, manchmal deutsche Bücher. Aber dann nur Märchen.

„Märchen? Kennen Sie die Romane ‚Das Lied von Eis und Feuer‘? Also, die Bücher zu ‚Game of Thrones‘? Das sind Märchen für Erwachsene. „

„Ja kenn ich, aber habe ich nicht. Nur deutsche Märchen, weil ich lerne noch Deutsch. „

„Wie lange sind Sie schon in Deutschland, wenn ich mal fragen darf?“

„Zwei Jahre. „

„Dafür sprechen Sie aber gut deutsch“, bemerkt Michael und lächelt ihr aufmunternd zu.

Natalia weiß, dass es als Kompliment gedacht ist, aber sie sieht auch das er ehrlich und offen zu ihr ist. Sie freut sich darüber und vergisst für diesen Moment ihre Liebesgeschichte. Hier bietet sich ihr eine Gelegenheit mehr zu lernen, als durch Märchenlesen.

„Danke, aber ich muss mehr Praxis haben, mehr sprechen. Ich will immer, aber geht nicht. „

Da Natalia ihren Reader zugeklappt hat, erkennt Michael, dass sie sich lieber mit ihm unterhält, als weiterzulesen.

Kurz entschlossen sagt er: „Ich bin Michael, und wie heißt du?“

„Natalia“, antwortet sie knapp und hält ihm die Hand hin.

Michael ergreift ihre Hand und merkt gleich wie sanft sie zudrückt. Er schaut Natalia jetzt zum ersten Mal direkt ins Gesicht und hält die Hand eine Sekunde zu lange fest, so dass Natalia sie von sich aus herauszieht. Michael bemerkt seinen Fouxpas und nimmt seine Hand auch schnell wieder zurück.

Natalia erkennt, dass jetzt ein Bruch in die Unterhaltung gekommen ist, damit sie wieder in Gang kommt bemerken sie: „Ich lerne immer mit Vokabeltrainer. Da sind schlechte Wörter, die ich nicht kann. „

Erfreut, dass Natalia weiter mit ihm spricht, geht Michael darauf ein und schwärmt seinerseits: „Ja, den finde ich auch gut. Ich lese oft englische Bücher. Man kann mit dem Reader gut die unbekannten Wörter erklären lassen.

Irgendwann habe ich dann diesen Vokabeltrainer entdeckt. Da waren alle Wörter, die ich nicht kannte enthalten. Schon eine tolle Sache. „

Eine Durchsage kündigt den Zug für ihr Gleis an. Beide erheben sich und Michael bemerkt, das Natalia ein Fahrrad und einen großen Rucksack dabei hat. Er hat nur seinen kleinen Rucksack dabei, darum deutet er auf Natalias und schlägt vor: „Ich nehme deinen Rucksack und du das Fahrrad, okay?“

„Okay, der ist aber schwer“ merkt sie an.

„Das dachte ich mir schon, gerade darum. „

Natalia denkt: „Es gibt sie ja doch noch, die Gentelemänner. Wenn nur mehr so währen. „

Beide stehen nebeneinander und beobachten den einfahrenden Zug.

„Wir müssen sehen, wo das Fahrradabteil ist, man kann nicht überall mit dem Fahrrad einsteigen“, erklärt Michael wie zu sich selbst und geht schon zur Tür, die gerade an ihnen vorbeigefahren ist.

Gekonnt steht er als erster vor der Tür des angehaltenen Zuges und wartet auf die Türfreigabe.

Das grüne Blinken erschient und er drückt auf den Türknopf. Mit einer Kopfbewegung zur Seite prüft er, wo Natalia ist. Zum Glück ist sie ihm gefolgt und steht direkt neben ihm. Ihre Blicke treffen sich wieder. Sie zeigt ihm ein Siegeslächeln, das er ihr zurückgibt.

Als die Tür sich öffnet, drängen schon die Fahrgäste aus dem Zug.

Für sie ist hier Endstation.

Michael geht als erster in den Zug und stellt sich vor eine Reihe Klappsitze, die den Platz markieren, an denen die Fahrräder stehen dürfen.

Natalia nimmt zum ersten Mal das Fahrrad in einen Zug mit und ist etwas unsicher und ungelenk beim Einsteigen. Die hinter ihr wartenden Fahrgäste drängen links an ihr vorbei, um scharf rechts vor ihr doch in die andere Richtung zu gehen.

Natalia erschreckt sich und muss die Handbremse vom Fahrrad sogar ziehen, damit sie einem jungen Mann mit dem Vorderrad nicht gegen die Beine rollt.

Michael bekommt diese Situation mit und spottet kopfschüttelnd: „Manche können einfach nicht abwarten. Als ob der Zug ohne sie losfährt. „

Natalia klappt den Fahrradständer aus und stellt das Rad ab, dann dreht sie sich um und will sich zu Michael setzen.

„Du muss das Fahrrad anschließen, damit es nicht umkippt“, bemängelt er und zeigt auf ein Zeichen an den hochgeklappten Sitzen.

Natalia nickt verständig und macht sich daran, das Fahrradschloss um eine Stange und durch den Rahmen zu fädeln. Nachdem sie das Fahrrad dichter herangezogen hat und sie das Schloss erneut durchfädeln musste, gelingt ihr das Anschließen.

Michael beobachtet Natalia dabei. Als sie hinterher ihren Kopf hebt und sich endlich zu ihm setzt, schenkt er ihr ein breites Grinsen. Sein Lächeln erwidernd und in der Gewissheit alles richtig gemacht zu haben, lässt sie sich auf den Klappsitz fallen und greift zur kleinen Wasserflasche in ihrem Fahrradkorb.

Sie dreht die Flasche auf und trinkt durstig ein paar Schlucke, um ihren trockenen Mund zu befeuchten. Sie wundert, sich, ob nur ihr so warm ist oder andere es auch so empfinden.

Wie zur Bestätigung greift Michael auch zu seiner Wasserflasche am Rucksack und leert sie auf einem Mal, sein Augen wandern zu den Pflanzen im Korb auf dem Gepäckträger.

„Du hast ganz schön viel dabei, sogar Pflanzen, sehe ich.

„Ich musste alles aus Wohnung mitnehmen. Die hatten wir vergessen. „

„Mitnehmen? Warum mitnehmen?“

„Ich habe heute Wohnungsabgabe gehabt. Ich musste alles mitnehmen. Auch aus dem Keller“, erklärt sie ihm.

„Merkwürdig. Ich glaube… Warte mal! Hast du in einer Wohnung der DeWo gewohnt?“

„DeWo, ja ich,… Wohnung war von DeWo“, antwortet Natalia und merkt plötzlich, dass sie nervös wird.

„Woher kennt Michael die DeWo und wie kommt er darauf?“, fragt sie sich.

„Ich habe heute, gerade eben eine Wohnung übernommen. Von der DeWo. Jetzt sag noch, das der Verwalter, Herr Erich, auch bei dir war?“

„Erich, ja Lutz. War heute bei mir. Hat die Wohnung abgenommen“, bestätigt sie seine Vermutung.

„Wow, wie klein die Welt wieder ist!“

„Der war auch bei dir?“

„Ja, ich zieh jetzt hier her.

In die Hamelnerstraße. „

„Hamelnerstraße, ja ich habe gewohnt in Hamelnerstraße. „

Michael saß da und blickt Natalia staunend an. Seine Gedanken rasen. Warum zieht sie jetzt weg, wenn er gerade da hinzieht? Er glaubt nicht, dass es auch noch ihre Wohnung ist, in die er jetzt einzieht, es gibt noch mehrere freie Wohnungen in der Straße, aber sicher ist er sich nicht.

„Welche Hausnummer hast du gewohnt?“, will er wissen, um sich zu bestätigen.

„Hausnummer 13″

„Nein, ich zieh in die 13 ein, vierte Etage. „

„Neh, zweite, haben wir gewohnt. „

„Wir? Bist du verheiratet?“

„Ja, mein Mann ist schon in neue Wohnung und Arbeiten, ich mache bald Praktikum. „

Michaels Blick wandert zu Natalias rechten Ringfinger. Da sieht er auch schon den goldenen Ring an ihm stecken.

Er hatte sich nichts ausgerechnet, aber so wie seine Glückssträhne gerade lief, ist es nur konsequent, wenn eine Frau, mit der man sich nett unterhalten kann, schon vergeben ist, oder wie in diesem Fall sogar gerade wegzieht.

Michael wird gerade wieder Single und muss nach einer langen Beziehung erst wieder lernen, wie man flirtete. Er hatte immer schon gute Manieren, aber damit allein kann man in der heutigen Zeit, bei den selbstbewussten Frauen, kaum noch punkten.

Um so schöner findet er die bisherige Konversation mit Natalia. Sie scheint gebildet und wissbegierig zu sein und ist zudem noch sehr hübsch und trifft seinen Geschmack ins Schwarze. Sie ist zwar viel jünger als seine letzte Beziehung, aber alles andere stimmt.

„Schade“,denkt Michael. „Fast hätten wir zusammen in einem Haus gewohnt. Dann hätte ich bestimmt öfter mit Natalia sprechen können. “ So fühlt er langsam die Enttäuschung aufkommen und hadert mit seinem Schicksal.

Doch dieses Gefühl dauert nicht lange. Michael will die Gelegenheit nutzen und seine eingerosteten Flirtkünste aufpolieren.

Er erinnert sich an seinen alten Klassenkameraden, der ihm einen Rat gegeben hatte: Suche an der Frau nach etwas, das ihr wichtig erschient und nutze es um ihr zu schmeicheln.

Michael will nicht wieder mit dem E-Book Reader anfangen, sondern sucht nach etwas persönlichem an ihr.

Dazu schaut er zunächst auf den Boden, dann wandern seine Augen zu Natalias Schuhe. Es sind einfache Sportschuhe. Ihre Jeans liegt eng an und zeigt ihre runden Waden.

Auch nichts, womit man einer Frau schmeicheln kann. Sein Blick wandert weiter und bleibt an ihren Fingernägeln hängen. Schöne gleichmäßig gefeilte und in aprikot lackierte Fingernägel scheinen ihr wichtig zu sein. Sie pflegt ihre Hände. Ihre Haut sieht glatt und sehr weich aus.

Michael erinnert sich an ihren Händedruck, aber spürt ihn nicht mehr.

Mit seiner linken Hand streicht er über die Innenfläche seiner rechten Hand und ertappt sich dabei ihren Händedruck zu imitieren. Im Nachhinein findet er es leicht erregend und dazu noch Natalias perfekten Finger und Fingernägel.

Michael spürt wie sich in seiner Hose etwas regt. Ein peinlicher Moment ist das Letzte, was er sich jetzt leisten will.

Also schnell damit aufhören und weiter flirten.

„Deine Fingernägel sehen sehr gepflegt aus, das gefällt mir. „

Natalia hält ihre zehn Finger vor sich gespreizt und schaut selbst bewundernd darauf.

Michael merkt wie sich neben ihm eine andere Person bewegt. Abgelenkt von ihr wandert sein Blick kurz hinüber und er sieht wie eine junge Frau ihn beobachtete und die Mundwinkel dabei missbilligend verzieht.

Sie hat seinen Flirtversuch mitbekommen und fand ihn offenbar zu plump.

Natalia allerdings gefiel es.

„Das habe ich von meiner Babuschka… Oma gelernt. Sie kann das gut. Ich versuche auch so gut zu sein. Babuschka ist tot. Nur noch Mama und Papa leben, aber in Russland. „

„Schade, aber damit hast du eine schöne Sache von ihr geerbt“, stelzt Michael heraus und könnte sich augenblicklich für die dumme Bemerkung selber ohrfeigen.

„Welch Sache geerbt? Ich verstehe nicht“, kam auch schon die Quittung.

„Ich meinte deine Fingernägel. „

„Ach, ja…. Jaja. Schön, nicht?“

So wird das nichts, stellt Michael fest und will das Thema wechseln, als ihr Handy klingelt.

Natalia schaut aufs Display und meldet sich auf Russisch.

Michael kann kein Russisch und ist für die Dauer abgemeldet.

Er vermutet aber Natalias Mann am anderen Ende.

Bald würde Michael aussteigen müssen und ärgert sich über die ungenutzte Zeit mit Natalia. Er würde gerne noch weiter mit ihr reden und überlegt ernsthaft noch eine weitere Station mitzufahren.

Doch in dem Moment legt Natalia schon auf und lächelt ihn um Entschuldigung bittend an: „Das war mein Mann. Er ist gerade von Arbeit gekommen. Er wollte wissen, ob alles okay ist.

„Und? Ist alles okay? Auch mit dir?“, fragt Michael gleich nach, um nochmal ihr Lächeln zu sehen.

„Da, alles gut“, antwortet Natalia und hat tatsächlich nochmal ihr bezauberndes Lächeln aufgesetzt.

Zufrieden mit seinem Erfolg sagt er anschließend: „So, ich muss jetzt hier aussteigen…. „

„Was, schon?“, beschwert sich Natalia und macht dabei ein ernstes Gesicht.

Sie ist jetzt selber etwas enttäuscht und wünscht sich nicht so lange mit ihrem Mann telefoniert zu haben.

Dann hätte sie mehr Zeit für das Gespräch mit Michael gehabt.

„Ja, leider. Ich wünsche dir noch eine schöne Weiterfahrt und alles Gute für die Zukunft. Schade, das du ausziehst, wenn ich gerade einziehe. Es hat mir Spaß gemacht“, verabschiedet sich Michael und greift nach seinem Rucksack.

„Ich fand das auch schön. Schade. Wenn du früher eingezogen, wir wären vielleicht nicht weg“, bedauert auch Natalia die Umstände.

Michael denkt: „Da ist was Wahres dran, aber wie das Schicksal es will, soll es nicht sein. „

Gleichwohl zuckt er nur leicht mit den Schultern und merkt selbst wie seine Stimmung etwas getrübt ist.

Er dreht sich zur Tür und wartet darauf, dass der Zug anhält. Kurz davor schaut er nochmal zu Natalia und sieht, dass sie auch zu ihm guckt. Er kneift die Augen leicht zusammen, um sie besser zu erkennen und sieht tatsächlich eine kleine Träne in ihrem Auge.

Aber so soll sie ihn nicht hinterher gucken. Er lächelt sie an und zeigt ihr den Kopf zu heben.

Langsam schiebt Natalia ihren Kopf nach oben, ein Stück, dann noch eines und versucht dabei auch zu lächeln, dabei muss sie aber die Lippen zusammenkneifen und Michael sieht wie eine Träne über ihre Wange rollt.

Am liebsten würde Michael zu Natalia gehen und sie in den Arm nehmen, doch in dem Augenblick bremst der Zug und kommt zum Stehen.

Michael muss sich festhalten und kurz darauf öffnen sich die Türen.

Auf dem Bahnsteig bleibt Michael noch stehen und schaut Natalia in dem davonfahrenden Zug hinterher.

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