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Der erste Kuss

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Warnung: NO SEX, NO LOVE, JUST ROMANCE

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Der Strohsack, in meinem Etagenbett, roch ausgesprochen gut. Er war frisch gefüllt worden, als unsere Klasse, nach dem langen Wandertag, eintraf.

Drei Tage wandern, um den Bodensee, war angesagt.

Nach dem ich mir die richtige Schlafkuhle gewühlt hatte, war es aber schon Zeit, wieder raus aus diesem gemütlichen Nest zu kommen.

Das frühe Abendessen war angesagt. Meine Klassenkumpels und ich, waren hungrig, wie Wölfe. So ein Wandertag schlaucht.

Das Essen war eher — ahm — sättigend, denn gut. Erbsensuppe mit Speck. Fetten Speck. Dürr, wie wir alle waren; in den späten Vierzigern, war das noch gang und gäbe, fett zu essen. Fett gab’s leider kaum.

Die Kumpel behaupteten sie seien Müde, nur Rainer und ich, wollten noch etwas lesen.

Um Halbneun wurde aber einfach das Licht ausgeschaltet.

Ich war sauer. Zu Hause darf ich beliebig lange lesen. Papa sagte dazu nur „komm mir aber bloß nicht und will eine Entschuldigung für die Schule!“ Wollte ich auch nie, ich hatte ja Vernunft. Aber jetzt hatte ich eine Idee, ich wollte einfach noch ein wenig draußen rumbummeln. Ich schlich raus — unbemerkt.

Unsere Herberge lag bei Hagnau, oben am Hang.

Man hatte, vom Garten, vor dem Haus, einen schönen Blick auf den Überlingersee und auch auf den Obersee.

Der Garten war etwas verwildert, eigentlich eher untypisch bei den Alemannen. Ganz außen war eine Mauer, verschieden Büsche wuchsen dort, es boten sich aber auch schöne, kuschelige Plätze zum hinsetzen. Die Beine, über die Mauer, ins tiefe Nirgendwo baumelnd, hockte ich mich hin. Hinter dem Obersee war grade der Vollmond aufgegangen und warf einen silbernen Streifen ins Schwäbische Meer.

Damals hatte man noch etwas Sinn für Romantik. Auch als Mann. Ich zog meinen Pullover über die nackten Knie, die aus meiner Lederhose ragten und lehnte mich an den Stamm des Baumes, der da, halb durch die Mauer gedrungen, meinen Sitzplatz nach rechts abschloss. In der Ferne hörte ich gar eine Nachtigall schlagen. Die gibt’s Daheim nicht. Ich kannte den Klang aber, von Oma in Konstanz.

Ich begann, vor mich hinzuträumen.

Ich dachte an eine Geschichte, die ich vor einer Woche, in einem dieser Buchläden, mit nur gebrauchten Büchern, von meinem Taschengeld kaufte. Eine Mark fünfzig. Fast die Hälfte meines Wochenbudget. Gebrauchte Bücher, sann ich nach; wer gebraucht schon Bücher. Die sind da, um gelesen zu werden, nicht um sie zu gebrauchen. Gebrauchen, brauchen, mir fiel dazu nur Klopapier ein. Bei uns zu Hause gab es da, an einem Nagel, nur Zeitungspapier. Das zu schneiden und aufzuhängen, war meine Aufgabe.

Ein Buch zum Arschputzen zu gebrauchen wäre mir nie gefallen.

Dann fiel mir ein, warum ich gerade jetzt an dieses Buch dachte, dort gab es auch so eine Szene wir hier. Auch an einem See, auch bei Vollmond, eigentlich gab es da nur einen Unterschied, der Bursche dort hatte ein Mädchen neben sich.

Der Gedanke daran, berührte mich etwas seltsam: Warum sollte ich ein Mädchen in den Arm nehmen? Eines dieser langhaarigen Wesen, die da miteinander ständig am rumkichern sind? Die Rot im Gesicht werden, wenn man sie mal, notgedrungen, anspricht und prompt kein Wort rausbringen?

Ich schüttelte mich vor Abscheu und murmelte wohl vor mich hin: „Ein Mädchen im Arm? Ich glaub ich spinne.

Mein letzter Wille, Mädchen mit Brille!“

„Ich trag doch keine Brille“, hörte ich da plötzlich eine leise Stimme. Eine Mädchenstimme. Kaum mehr als einen Meter weg. Jenseits meines Anlehnbaumes. Ich sprang erschrocken auf. Ja, da saß ein Mädchen. Im fahlen Mondlicht sah sie sogar recht nett aus. Blond, schlank, in einem weißen Kleid mit viel Spitze, einen Blumenkranz aus Margariten im Haar und lächelnd.

„Ich bin die Inge, und wer bist du?“, sagte sie.

Ich konnte bei dem schwachen Licht nicht erkennen, ob sie errötete, wie das bei Mädchen so üblich ist. Na gut, wer gefragt wird, hat zu antworten: „Ich bin der Horst, und mit dem Schulausflug hier. Kann aber noch nicht schlafen. „

Das Mädchen — nein, Inge stand auf, kam zu mir, gab mir die Hand und sagte: „Nett, dass ich dich hier treffe. Ich wohn hier. Bei schönem Wetter sitze ich abends gerne hier draußen.

Darf ich mich zu dir setzten?“

Ich schnupperte erst mal. Nein, Inge scheint keine dieser nach billigem Duftwasser riechenden Schnecken zu sein. Man scheint mit ihr sogar reden zu können. „Wenn du hier wohnst, hast du sicher auch das Recht hier zu sitzen, wo du willst. Auch neben mir“, dabei deutete ich höflich auf meine Seite des Baumes.

Inge kam, fasste mich an der Hand, schob mich an meinen alten Platz, und hockte sich einfach neben mich.

„Ich freu mich, heute Abend doch noch etwas Unterhaltung zu haben. Dabei hatte ich mich so gefreut, dass wir heute eine ganze Jungsklasse zur Übernachtung haben — aber keiner kam auch nur raus in den Garten. Abendessen und schon verschwand alles!“

„Wir hatten einen langen Marsch hinter uns, von Konstanz her“, versuchte ich zu erläutern.

„Lang?“, lachte Inge leise. „Von Konstanz nach Staad war da noch das Längste, dann Fähre und bis hier nach Hagnau ist es doch nur ein Katzensprung, wenn ihr nicht über die Burg, oben rum gelaufen seid.

„Lach du nur, wir sind die ganze Strecke gelaufen, über den Berg, dann nach Bodman, danach Überlingen, Meersburg …“

„Oh,“ gestand nun Inge. „Das ist wirklich ein weiter Weg. Deswegen habt ihr heute dann wohl solchen Hunger gehabt. Jetzt begreif ich‘ s. „

Sie rückte ein wenig an mich ran, ich konnte kaum mehr ausweichen. Dann war sie schon wieder am quasseln, Frauen sind so, hab ich mal gelesen.

„Und was hast du gegen Mädchen mit Brille?“, fragte sie.

„Ach so, dieser blöde Satz … Entschuldige, das war nur ein blöder Spruch, wie wir Jungs sie halt manchmal draufhaben. Nochmals, entschuldige, er war keinesfalls gegen dich gerichtet. Ich wusste ja nicht mal, dass du da warst“, entschuldigte ich mich.

„Und warum murmelst du dann sowas?“

Oh Weib, dein Name ist Neugier. „Ich musste, bei diesem hübschen Blick, bei Vollmond, über den See, unwillkürlich an ein Buch denken, das ich grad gelesen hab.

Da gibt es auch so eine Szene, nur, der Mann hat ein Mädchen im Arm, behauptete er liebe sie und sie küssten sich dann auch noch. Später wird es dann aber doch noch interessant. Er wurde ein berühmter Musiker und sie begleitete ihn auf seinen Reisen. Sie heirateten natürlich. Das war wohl die Folge dieser Knutscherei im Vollmond. „

„Und du magst es nicht, geknutscht zu werden?“, fragte Inge grinsend. Das konnte ich sogar im Mondlicht erkennen.

„Puh“, ließ ich Luft ab. „Küssen ist ja nichts Besonderes, meine Tanten, die Omas, halt die ganzen Weiber in der Familie, fallen da auch dauernd über mich her … aber Heiraten will ich nicht. Ich muss auch erst was werden und dann will ich was von der Welt sehen. „

„Wenn du nichts gegen das Küssen hast, würdest du dann mich küssen wollen?“, schockierte mich Inge.

„Wenn du das unbedingt haben musst, bitte!“, und schon beugte ich mich zu ihr rüber.

Küssen war ein leichter Dank dafür, dass ich doch noch eine Unterhaltung gefunden hatte, wenn auch mit einem Mädchen.

Sie schlang ihre Arme um mich und drückte ihre Brust an mich. Ich umschlang sie ebenfalls und — dann küssten wir uns. Viel länger als mich die Tanten küssten und — oh Wunder — ich fand es gar nicht so widerlich.

Warum aus Inges Augen aber silberne Tränen runterliefen, das verstand ich nun gar nicht.

Als Kavalier küsste ich sie ihr weg, dann nochmals auf den Mund.

Endlich lösten wir uns wieder.

„Wie alt bist du eigentlich?“, kam leise ihre Frage.

„Im nächsten Monat werde ich Vierzehn“, antwortet ich wahrheitsgemäß.

„Ich bin noch nicht so alt, werde aber schon übermorgen Dreizehn. Und jetzt hab ich sogar schon einen Jungen geküsst. Nun ist es aber Zeit, nach Hause zu gehen.

Ich werde sicher schon vermisst. „

Ich geleitete sie zu ihrer Haustür. Davor küssten wir uns nochmals, dann ging ich zum Schlafsaal. Aus meinem Schlaf wurde leider nicht viel; ich träumte von Inge. Von Inge und meinem ersten Kuss.

Wir wanderten weiter, Inge sah ich nie mehr wieder. Das Buch aber, das las ich nochmals — und dachte gerne an Hagnau zurück. Ich las es mehrmals … Später, als ich das Wort Sex kannte, besonders intensiv.

Ach Inge ….

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