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Barbara

Am 4. Dezember ist Barbaratag.

Seit Jahren habe ich sie dann besucht, um ihr zum Namenstag einen Strauß Kirschzweige zu schenken. Nein, sie war nicht streng gläubig. Es war mehr ein Gag. Im letzten Jahr lief das Treffen allerdings anders ab, als in den Jahren zuvor.

Als ich abends ankam war ihre Wohnung noch dunkel. Auch auf mein Klingeln kam keine erkennbare Reaktion. Ich glaubte nur ein dumpfes Poltern gehört zu haben.

Merkwürdig! Wir waren fest verabredet. Und Barbara war immer zuverlässig! Okay, das berühmte akademische Viertel nahm sie oft und gerne in Anspruch. Aber: Sie war eine Frau! Sie war die Frau meiner Träume! Seit zwanzig Jahren war ich in sie verliebt! Aber gesagt, oder gezeigt habe ich es ihr nie!

Wir gingen schon gemeinsam in den Kindergarten. Damals war sie für mich nur eines „dieser doofen Mädchen“.

Rothaarig, frech und spielte mit Puppen. Am liebsten: Familie. Ich sollte dann immer den Vater spielen. Mann! Fand ich das blöd!

In der Grundschule liefen wir nur nebeneinander her, wir nahmen uns kaum zur Kenntnis. Das änderte sich erst im Gymnasium. Hier war auf einmal durch andere Jungen mit Ärger zu rechnen. Sie wurde wegen ihrer roten Haare gehänselt. Eine besonders unangenehme Clique war sogar zu körperlichen Attacken übergegangen.

Ich war nicht der Stärkste in unserer Alterklasse, aber ich konnte mich wehren, und ich trat recht selbstsicher auf.

Also wurde ich fast automatisch ihr Beschützer.

In Laufe der Zeit wurde ich — immer wenn sie Kummer hatte — ihre Anlaufstelle. Sie sprach von mir als ihrem „Nenn-Bruder“. So wie der Freund ihres Vaters für sie der „Onkel Heinz“ war, also eine „Nenn-Onkel“, so war ich also ihr „Nenn-Bruder“.

Wir waren 15 Jahre alt, als mein bester Freund Thomas entdeckte, dass Barbara ein Mädchen war, bis dahin galt sie für uns nur als Kumpel, als Mitglied unserer Clique.

Folglich wurde sie seine Freundin. Und damit war sie für mich sofort tabu, obwohl ich auch gerade feststellen musste, dass ich gerne an seiner Stelle gewesen wäre.

Wir waren 22 Jahre alt, als die beiden heirateten. Natürlich war ich Trauzeuge. Und immer noch Kummerkasten und Nenn-Bruder. Thomas gehörte nicht unbedingt zu den treuesten Zeitgenossen. So kam es, dass meine Schulter so manches Mal ziemlich durchnässt wurde.

Wir waren 28 Jahre alt, als die Scheidung ausgesprochen wurde.

Thomas ging als Manager seiner Firma nach Fernost. In den Jahren darauf kamen seine Grüße aus Korea, Nepal, Laos und Kambodscha. In Laos heiratete er (dem Chaoten eine Laotin!) und bekam sechs Kinder. Er blieb dort. Nur Brief-, E-Mail- und SMS-Kontakt blieb erhalten.

Barbara zog aus dem großen Haus in der Landeshauptstadt wieder hierher zu uns aufs Land. Nur zwei Häuser weiter auf meiner Straße fand sie eine Bleibe. Dennoch war der Kontakt eher sporadisch.

Sie schien noch jahrelang unter der Scheidung zu leiden. Sie war nicht bereit für neue Beziehungen.

Nur meine Schulter wurde immer noch gerne zum Anlehnen und Befeuchten genutzt.

Mit ihren (und meinen) mittlerweile 35 Jahren war sie eine absolute Schönheit. Wie schon gesagt: rothaarig! Wie noch nicht gesagt: ein Vollweib! Nicht zu schlank! Aber wunderbar gerundet! Ich liebte sie mehr denn je. Aber ich rechnete mir auch nun noch keine Chance aus.

Nein! Ich war kein Adonis! Aber sie war eine Aphrodite! Wie hätte das passen sollen!

Wenn ich an sie dachte, dachte ich in Superlativen.

Sie trug ihre Haare lang. Sie reichten, obwohl sie stark gewellt waren, in dunkel-kupferroten Kaskaden bis über ihren wohl geformten Po. Sie endeten erst in der Mitte ihrer Oberschenkel.

Ihre strahlenden Augen faszinierten mich immer wieder aufs Neue mit ihrem intensiven Grün.

Wer da nicht an eine Tigerin dachte, der hatte keine Phantasie.

Ihre vollen Lippen leuchteten immer in einem kräftigen Rotton. Nie sah ich sie anders als mit Lippenstift. Nie begegnete ich ihr, ohne sie eigentlich sofort küssen zu wollen.

Ihr Busen war eine Offenbarung. Ich fragte mich immer, wie man mit diesem Gebirge noch aufrecht gehen konnte. Ihre Brust war so ausladend, dass sie von hinten betrachtet, noch an den Oberarmen vorbei zu sehen war.

Viele Menschen, vor allem Frauen, empfanden das als zu viel des Guten. Doch für mich gab es nichts Schöneres, als sie in meinen Armen zu halten (wenn auch nur, um Trost zu spenden) und ihre Fülle zu spüren.

Ihre Taille war sehr schmal. Fast hatte man den Eindruck, dass sie ein Korsett trüge. Aber dem war nicht so.

Ihre Hüften waren dafür etwas ausladender. (Das war für mich allerdings wieder einladender!) Breiter als ihr Schultergürtel.

Auch der Po hatte eine wunderschön ausgeprägte Apfelform. Und die Festigkeit ließ auch nichts zu wünschen übrig.

Und dann ihre Beine. Mein Gott! Ihre Beine!

Es gibt Schuh-Models! Es gibt Strumpf-Models! Aber solche Beine habe ich sonst noch nirgendwo gesehen. Wohl geformt, mit leichten Rundungen an den Waden, mit schlanken Fesseln, die mich fesselten!

Und diese Länge! Barbara war nicht groß, aber die Beine reichten in den Himmel.

Nun wartete ich schon so lange vor der Türe, dass mir allmählich kühl wurde. Und immer noch hörte ich dieses merkwürdige Rumpeln in unregelmäßigen Abständen.

Dieses Haus, Barbara wohnte im Parterre, hatte nach hinten Balkone. Ich wollte doch mal sehen, ob ich etwas erkennen konnte. Also ging ich um das Gebäude herum und zog mich am Balkongeländer etwas hoch, um ins Zimmer sehen zu können.

Ich bin schon so manches Mal abgestürzt.

Meist bedingt durch Alkohol. Diese Mal aber vor lauter Lachen. Der Anblick war aber auch zu schön!

Barbara hatte mir vor zwei Wochen erzählt, dass sie allmählich nach dem Weihnachtsschmuck sehen müsse, was noch zu gebrauchen sei, was fort geworfen werden könne. Und nun lag sie da, wie ein umgestürzter Christbaum. Über und über verziert mit Lichterketten. Sie hatte sich so darin verstrickt, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Sogar durch ihren Mund liefen zwei Kettenstränge, so dass sie nicht einmal mehr um Hilfe rufen konnte.

Ich zog mich, als ich mich etwas beruhigt hatte, am Balkon hoch und konnte durch das auf Kipp stehende Fenster die Klinke der Balkontüre erreichen.

Meine Bemerkung, dass ein so hübsch verschnürtes Weihnachtspäckchen, mir großen Appetit aufs Vernaschen mache, brachte mir zwar einen bösen Blick ein, aber als ich ihr die Kette zunächst aus dem Mund nahm, konnte ich nicht anders: Ich musste ihr einen Kuss geben.

So hilflos lag sie in meinen Armen, dass ich der Gelegenheit nicht widerstehen konnte. Und der Kuss wurde schnell ein richtiger Kuss! Der Kuss wurde sehr intensiv! Der Kuss zog sich in die Länge! Ich versank in dem Kuss! Der Kuss drohte mich zu verschlingen!

Und…

…uuund…

…uuuuuunnnnd…

…der Kuss wurde erwidert! Barbara küsste MICH! Es war eindeutig! SIE küsste MICH!

Erst als wir beide unter akuter Atemnot litten, ließ ich von ihren Lippen ab.

Aber ich hielt sie noch immer in den Armen. Ich drückte sie an mich und stammelte so etwas vor mich hin, dass ich darauf seit zwanzig Jahren gewartet habe, dass ich sie nie mehr los lasse. Und ähnlich wirres Zeug.

Immer wieder fanden sich unsere Münder. Immer wieder machten wir uns gegenseitig sprachlos. Immer wieder streichelte ich sie. Dann trug ich sie zur Couch und machte da weiter, wo wir gerade erst aufgehört hatten.

Nach etwas über einer halben Stunde wurde uns bewusst, dass Barbara immer noch eingewickelt wie ein Rollbraten vor mir lag.

Und dann sagte sie mir das Schönste! Das was ich nie zu träumen gewagt hätte: „Ich liebe Dich! Ich liebe Dich schon seit Jahren! Und ich finde es schön, Dir so hilflos ausgeliefert zu sein!“

An dieser Stelle senkte sie die Stimme nicht so, dass ich den Satz für beendet betrachtete.

Daher hakte ich nach: „Aber…?“

„Aber es wäre schön, wenn Du mich jetzt los machen könntest! Denn ich muss mal!“

So lustig und so schön ging der Abend weiter. Und es blieb nicht bei dem Abend. Es wurde eine Dauereinrichtung. Heute, ein Jahr später, wohnen wir zusammen und ziehen eine Hochzeit in Erwägung.

Und heute, ein Jahr später, genießen wir beide es, wenn ich aus ihr ein handliches Päckchen schnüre und mich den dann noch zugänglichen Stellen ihres Körpers widme.

Und das sind äußerst reizvolle Stellen. Aber die Lichterketten wollten wir dann doch nur für den Weihnachtsbaum verwenden. Unsere fesselnde Beziehung musste mit anderen Mitteln gestaltet werden.

Ende.

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